Am nächsten Morgen erschien der Maulwurf in erbärmlichem Zustand im Fuchsbau. Er war im Bau des Dachses, da, wo der Dachs ihn zurückgelassen hatte, geblieben, in der Hoffnung, mit ihm nachher wieder reden zu können. Aber nach seinem Gespräch mit dem Fuchs, der Füchsin und dem Waldkauz war der Dachs in fürchterlicher Laune zurückgekommen und hatte den Maulwurf sehr unfreundlich behandelt.
»Er hat gesagt, ich wäre eine gottverdammte Landplage und ein Schnüffler und solle ihn gefälligst in Ruhe lassen, oder er würde sich vergessen«, schluchzte er.
Die Füchsin mischte sich ein. »Weißt du, der Dachs ist im Augenblick nicht er selbst«, tröstete sie. »Keiner von uns versteht, was da passiert ist. Aber wenn er unser Dachs geblieben ist, so wird er früher oder später wieder der alte werden. Ganz bestimmt.«
»Meinst du?« weinte der Maulwurf. »Hoffentlich, hoffentlich!«
»Ist der Dachs zurückgegangen?« fragte der Fuchs. »Zurückgegangen? Wohin?« fragte der Maulwurf, der natürlich nichts von dem wußte, was in der vergangenen Nacht im Fuchsbau gesprochen worden war.
Nun mußte der Fuchs erklären. »Er will zum Wildhüter zurück. Sein altes Leben gefällt ihm nicht mehr.« Und er beschrieb den Verlauf des Treffens mit dem Dachs im Fuchsbau.
»Aber um alles in der Welt, was sollen wir tun?« rief der Maulwurf mit schriller Stimme. »Wir können ihn doch nicht so einfach gehen lassen?«
»Vielleicht wäre es im Augenblick wirklich das beste«, meinte die Füchsin. »Erst muß er dieses neue Leben satt sein. So wie ich den Dachs kenne, wird er bald große Schuldgefühle haben, und dann wird er wieder vernünftig.«
»Wir sollten alle darüber in Kenntnis setzen«, sagte der Fuchs. »Und dazu treffen wir uns am besten im leeren Bau des Dachses — alle. Der Waldkauz und der Turmfalke sollen die Tiere zusammenrufen. Es ist zu kalt für den Tiefen Grund.«
»Wann ist die Zusammenkunft?« wollte der Maulwurf wissen.
»Noch heute«, antwortete der Fuchs. »Du gehst jetzt in den Bau, Maulwurf. Ich suche den Turmfalken. Füchsin, willst du bitte mit dem Waldkauz sprechen? Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Während all dieser Vorbereitungen war der Dachs schon weit weg und lief durch den Park seinem Ziel entgegen. Doch verspürte er etwas wie Beschämung, als er das Heimatgebiet der Farthing-Wald-Tiere hinter sich ließ. Andererseits ärgerte er sich darüber, wie der Fuchs und der Waldkauz ihn behandelt hatten, und freute sich schon darauf, wie die Rote ihn trösten würde.
Er hatte sich gar nicht erst darum bemüht, nach Fressen zu jagen, denn er wußte: auf den Wildhüter konnte er sich verlassen, der sorgte schon für seinen Magen. Der Turmfalke überflog den Park, und der Dachs hoffte, nicht von ihm erspäht zu werden. Aber in bezug auf den Falken war das eine vergebliche Hoffnung, denn diesem entging kaum etwas von dem, was sich auf der Erde abspielte. Der Dachs sah, wie er herabstieß.
»Also, was willst du?« schnauzte er ihn an. »Du bist ja doch nur gekommen, um mich auch noch zu beschimpfen.«
»überhaupt nicht, überhaupt nicht«, entgegnete der Turmfalke empört. »Der Fuchs hat mich ausgesandt, alle unsere Freunde zusammenzurufen. Ich suche immer noch nach dem Wiesel.«
»Wozu denn? Eine Zusammenkunft?« fragte der Dachs ohne viel Interesse.
»Ja. Du wirst schon wissen, warum.«
»Ah, um mich geht es? Das überrascht mich nicht. Aber hör zu, Turmfalke, bestelle dem Fuchs von mir, er soll sich da heraushalten. Ich kann leben, wo ich will. Du weißt genausogut wie ich, daß sie alle in einem Monat tot sind, wenn das Wetter nicht umschlägt.«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, gab der Turmfalke schnell zurück. »Ich jage jeden Tag draußen vor dem Park und bringe ihnen, was ich nur kann. Und ich weiß, der Pfeifer macht es genauso. Und nachts tut natürlich der Waldkauz, was in seinen Kräften steht. Wir haben unseren Eid nicht vergessen.«
Beschämt blickte der Dachs zu Boden, der Schuß hatte ins Schwarze getroffen. Aber ein Zurück gab es nicht. »Ich wünsche euch alles Gute«, sagte er. »Als ich euch eine Lösung eurer Probleme vorschlug, wurde sie zurückgewiesen. Mich trifft keine Schuld.«
Der Turmfalke blickte den Dachs noch einmal durchdringend an, dann schwang er sich wieder in die Luft. Später an diesem Tag sollten er und der Dachs sich unter ganz anderen Umständen noch einmal treffen.
Die Rote saß auf dem Zaun vor der Hütte und blinzelte schläfrig in die müde Sonne, deren Strahlen die Wolkendecke tatsächlich durchdrungen hatten. Der Dachs rief sie an. Er hatte erwartet, die Katze würde auf ihn zuspringen, aber das tat sie nicht. Er rief noch einmal: »Hallo — ich bin’s, der Dachs!«
Die Rote blickte ihn merkwürdig an. »Das sehe ich«, sagte sie kühl.
Der Dachs stand stocksteif, dieser unerwartete Mangel an Begeisterung verblüffte ihn. »Was ist los mit dir?« fragte er. »Ich dachte, du würdest dich freuen, daß ich zurück bin.«
»Es überrascht mich, dich so schnell wiederzusehen«, murmelte die Rote und gähnte mit weit aufgerissenem Maul. »Aber ich bin zurückgekommen«, erklärte der Dachs. »Für immer.«
Die Katze blinzelte. »Was meinst du damit — für immer?«
»Ich habe mich entschlossen: Ich will ab jetzt mit dir zusammen leben.«
»Was redest du da? Du hast doch gesagt, daß du unter der Erde wohnst.«
»Nein, nein, nicht mehr. Damit bin ich fertig. Ich will nicht mehr so leben. Ich habe meine alten Freunde verlassen, weil sie nicht mit mir kommen wollten.«
»Natürlich wollten sie nicht«, sagte die Rote. »Das hatte ich auch nicht anders erwartet. Ich dachte, du würdest alle deine idiotischen Pläne vergessen, wenn du erst wieder zu Hause bist.«
Diese letzten Worte verletzten den Dachs zutiefst. »Aber ich habe doch jetzt ein neues Zuhause... wenigstens glaubte ich das«, sagte er mit stockender Stimme. »Erinnerst du dich nicht, wie wir darüber gesprochen haben, daß der Wildhüter sich um den Fuchs und den Maulwurf und alle anderen kümmern könnte?«
»Na klar«, antwortete die Katze. »Aber ich hätte mich doch sehr gewundert, wenn deine wilden Freunde aus eigenem Antrieb ihre Heimat verlassen hätten. Wärst du denn hierhergekommen, wenn man dich nicht im Auto hergebracht
hätte?«
»Nun ja... ich glaube nicht«, gab der Dachs zu. »Aber das spielt jetzt keine Rolle. Ich habe mir dieses Leben nun einmal ausgesucht.«
»Wie bequem für dich«, meinte die Katze bissig.
»Freust du dich denn gar nicht, daß ich zurück bin?« Der Dachs konnte es nicht fassen. »Ich dachte, wir wären Freunde?«
»O ja«, meinte die Katze achselzuckend. »Aber schließlich hatten wir ja keine andere Wahl. Man muß sehen, daß man das Beste aus einer Situation macht.«
»Also... ehem... darf ich nicht mit dir hinein?« fragte der Dachs zögernd.
»Du bist zu dick, du gehst nicht durch mein Katzenloch«, erklärte die Katze. »Du mußt schon warten, bis der Mann dich findet. Aber ich glaube nicht, daß er so reagiert, wie du es dir erhoffst. Er hat dich gepflegt, bis du gesund warst, und seiner Ansicht nach solltest du in deiner gewohnten Umgebung leben.«
»Das werden wir schon noch sehen«, knurrte der Dachs, aber er merkte bereits, daß er eine Dummheit gemacht hatte. Er setzte sich vor die Haustür und hatte auch Glück, denn bald erschien auch der Wildhüter. Erstaunt pfiff er durch die Zähne, als er seinen früheren Pflegling hoffnungsvoll zu ihm aufblicken sah. Er bückte sich, untersuchte das verletzte Bein, streichelte den Dachs und schaute ihn einen Augenblick etwas fragend an. Dann fiel ihm etwas ein, und er wollte nach drinnen gehen. Der Dachs versuchte sofort, ihm zu folgen, aber der Wildhüter schob ihn freundlich, aber bestimmt beiseite und schloß die Tür. Für den Dachs brach eine Welt zusammen.
»Siehst du«, schnurrte die Katze sanft. »Er will dich nicht mehr. O ja, sicher bringt er dir gleich eine Schüssel mit Fressen. Er denkt, du bist deswegen gekommen. Aber seine Hütte ist nicht mehr dein Zuhause.«
Wie blendendhelles Licht stand dem Dachs seine Dummheit vor Augen. Wie hatte er sich nur so verrechnen können! Er war kein Haustier. Wie hatte er sich nur einbilden können, er verstehe die Menschen? Diese beiden, die Katze und der Mensch, sie lebten auf einem anderen Stern, in einer Welt, zu der er keinen Zutritt hatte. Er hatte sich erniedrigt und dabei die Achtung der Katze verloren und — noch viel schlimmer! — seine wahren Freunde zurückgestoßen.
Wie die Katze vorhergesagt hatte, wurde eine Schüssel mit Fressen hinausgestellt und dazu warme Milch, und der Dachs fraß und trank, mehr um dem Wildhüter einen Gefallen zu tun, als aus Hunger. Mit einem schiefen Blick auf die Katze wandte er sich ohne ein Wort zum Gehen — zurück zu seinem Bau.
Nur einmal drehte er sich noch um und blickte zurück. Der Wildhüter war nicht zu sehen, aber die Rote saß immer noch da und beobachtete seinen Rückzug, über sich hörte der Dachs Flügelrauschen, dann ließ sich der Turmfalke neben ihm zu Boden.
»Lauf weiter, Dachs«, sagte er. »Diesmal gehst du in die richtige Richtung.«
Der Dachs wußte, daß der Falke erraten hatte, was geschehen war, und lächelte traurig. »Ja, Turmfalke«, flüsterte er, »ich bin wirklich sehr dumm gewesen.«
Ohne daß die beiden es merkten, hatte hinter ihm die Rote ihren Feind erkannt. Sie schob sich geduckt, mit dem Bauch flach auf der Erde, verstohlen und leise auf sie zu. Mit einem gewaltigen Satz sprang sie den ahnungslosen Falken an, ihre messerscharfen Zähne und Krallen bohrten sich in ihre Beute. Aber der Turmfalke war weder ein Spatz noch eine Amsel. Er war selbst Jäger und Kämpfer, seine mächtigen Flügel flatterten und schlugen nach dem Angreifer, während er mit seinem mörderischen Schnabel um sich hackte.
Der Dachs verfolgte verzweifelt die Szene. Der überraschte Vogel wehrte sich wild gegen seinen Angreifer. Der Dachs war hin- und hergerissen zwischen seiner wenn auch stark abgekühlten Zuneigung für die Katze und seiner Treue dem alten Freund gegenüber. Er sah, wie der Turmfalke schwächer wurde, und da fiel es ihm plötzlich wie ein Schleier von den Augen. Der Eid!
Der Dachs stürzte sich in den Kampf. Mit all seinem Gewicht warf er sich auf die Rote, seine Zähne bissen nach ihrer Kehle. Die Katze jaulte auf und biß wütend zurück. Aber sie mußte loslassen, der Turmfalke konnte sich befreien und schwang sich sofort in die Luft.
Jetzt kämpften die beiden Tiere miteinander, und bald wurde klar, daß der Dachs der stärkere war. Er wußte, die Katze war ihm ausgeliefert, und er könnte sie mit einem Biß töten. Sein Instinkt sagte ihm, tu’s, aber er hielt sich zurück. Obwohl er auch der Katze den Eid zugesichert hatte, hatte sie ihr Recht auf Schutz dadurch verwirkt, daß sie ein Tier aus der Farthing-Wald-Gemeinde angegriffen hatte. Aber der Dachs erinnerte sich an den großen Gefallen, den ihm die Rote erwiesen hatte. Jetzt konnte er seine Schuld zurückzahlen. Also ließ er sie fahren, und wie der Blitz sauste die Katze zurück in Sicherheit.
Der Turmfalke wußte, was diese rettende Tat bedeutete. »Willkommen im Schöße der Familie!« krächzte er aus der Luft.
»Jetzt ist keine Gefahr mehr«, rief der Dachs zurück. »Komm runter und laß mich sehen, ob du verletzt bist.« Der Turmfalke landete, und der Dachs sah die Spuren, die die Krallen der Katze hinterlassen hatten. Er begann den Körper seines Freundes zu lecken.
»Vielen Dank«, sagte der, »herzlichen Dank für deine Hilfe. Einen Augenblick lang war ich im Zweifel, was du tun würdest.«
»Ich weiß«, sagte der Dachs. »Bin ich dumm gewesen! Ich war wie in einem fremden Land und kannte mich selbst nicht mehr. Es ist verrückt. Ich möchte lieber mit euch allen sterben, als ohne euch weiterleben.«
»Wir sterben schon nicht«, entgegnete der Turmfalke. »Es wird hart werden, aber wir sind zähe.«
»Die Wunden sind nicht tief«, meinte der Dachs. »Die heilen bald.«
»Hm... Dachs... warum hast du die Katze geschont?«
Der Dachs erklärte es.
»Das habe ich mir gedacht. Das bedeutet also, sie ist immer noch hinter mir her.«
»Bleib du nur in der Luft, wenn du in diese Gegend kommst. Die Katze weiß schon, warum ich sie nicht getötet habe und daß meine Schuld nun bezahlt ist. Sie ist fair. Ich glaube nicht, daß sie noch auf Rache sinnt.«
»Hoffentlich hast du recht. Wenn wir uns beeilen, kannst du alle dabei überraschen, wie sie in deinem Bau über dich beraten.«
»Wir treffen uns dort«, erwiderte der Dachs.