Der Mut und die Schläue des Fuchses waren unter den Einwohnern des Hirschparkes nun allgemein bekannt. Für seine alten Freunde aus dem Farthing-Wald war es nichts Neues, aber jetzt galt er auch beim Hirschrudel als Held, sogar jene Tiere, die beim großen Ereignis am Teich nicht dabeigewesen waren, hatten die Geschichte mit Staunen vernommen. Nach seinen Erfolgen mit den Hühnern und den Wilddieben war er nun wieder voller Vertrauen in die Zukunft. Zweimal hatte er seinen Verstand mit dem menschlichen gemessen, und beide Male hatte er gesiegt. Er nahm jetzt unter den Tieren eine besondere Stellung ein, und obwohl ausgezehrt von den Entbehrungen dieses Winters, trug er den Kopf wieder hoch, sein Gang war locker, und seine Augen hatten den früheren Glanz. Das freute die Füchsin. »Du bist wieder der alte«, sagte sie. Und doch quälte sie weiter dieser Gedanke an die Männer.
In den nächsten Wochen war das Wetter wechselhaft. Auf wärmere Tage folgten kalte und dann wieder wärmere. Fast der ganze alte Schnee war weggeschmolzen, doch nachts fror es immer noch, und Neuschnee fiel, wenn auch nicht sehr viel. Aber der Park machte keinen verlassenen Eindruck mehr. Wenn sie sich sicher fühlten, kamen die Einwohner zum Vorschein, denn jeder spürte, daß der Frühling bevorstand. Alle Tiere fanden wieder Futter, und Gesundheit und Aussehen besserten sich.
An einem Tag Ende Februar traf der Pfeifer das Eichhörnchen, die Wühlmaus und die Feldmaus, die sich zusammen an ein paar Nüssen gütlich taten, die das Eichhörnchen aus dem weichen Boden ausgegraben hatte.
»Ich glaube, ihr braucht uns nicht mehr, oder?« fragte er und meinte damit die Versorgungsflüge zum Abfallhaufen.
»Eigentlich nicht«, antwortete das Eichhörnchen. »Aber wir sind euch sehr dankbar. Ihr habt uns das Leben gerettet.«
»Noch ist nicht Frühling«, meinte die Wühlmaus und schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht so sicher, daß...«
»Der Pfeifer und der Turmfalke — und natürlich auch der Waldkauz — haben mehr als genug für uns getan. Jetzt haben sie eine Erholungspause verdient.«
Dieser Meinung der Mehrheit mußte die Wühlmaus sich beugen.
»Aber«, setzte sie beharrlich hinzu, »wenn es wieder schwierig wird, können wir uns dann noch einmal an euch wenden?«
Der Pfeifer verbeugte sich elegant und zwinkerte den beiden anderen zu. »Immer zu deinen Diensten«, antwortete er etwas spöttisch. »Ich werde den Turmfalken benachrichtigen.«
Der Falke hatte das Kaninchen und den Hasen mit der gleichen Bitte aufgesucht. »Also sind wir jetzt entlassen?« fragte er, als der Pfeifer ihm berichtet hatte.
»Ich bin recht froh darüber«, gestand der Pfeifer. »Die Arbeit wurde allmählich wirklich etwas langweilig.«
»Ich denke doch, daß niemand ein Wort der Klage von uns gehört hat«, bemerkte der Turmfalke, »was man vom Kauz nicht behaupten kann. Sein dauerndes Nörgeln war kaum noch auszuhalten. An manchen Tagen hatte ich nicht die geringste Lust, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln.«
»Ach, das ist eben so seine Art«, lachte der gutmütige Reiher. »Er hat das Herz schon auf dem rechten Fleck.«
»Meinst du wirklich? Ich frage mich das manchmal. Aber wahrscheinlich hast du recht.« Der Turmfalke blickte den Pfeifer etwas schadenfroh an. »Hm — hast du es dem Waldkauz schon gesagt?«
»Nein«, entgegnete der Pfeifer. »Ich glaube, wir sollten lieber gehen und...« Hier brach er ab, als er die Miene des Turmfalken sah. »Denkst du, was ich auch denke, Turmfalke?«
Der Turmfalke kreischte vor Lachen. »Na klar doch«, sagte er.
»Also, ich weiß nicht so recht...« meinte der Pfeifer zögernd.
»Pah! Das wird ihm eine Lehre sein!« sagte der Turmfalke kurz angebunden. »Er weiß ja nicht, daß wir aufgehört haben, weil er am Tag immer schläft.«
Widerwillig stimmte der Pfeifer zu. Anderen Streiche zu spielen lag ihm nicht. »Aber lange dürfen wir das nicht machen«, sagte er entschieden.
Und so flog der arme Waldkauz auch weiterhin nachts aus dem Park und holte, soviel er tragen konnte, von der wohlbekannten Stelle. Die Tiere, für die das Futter bestimmt war, sagten nichts, da sie ihn niemals damit kommen sahen. Sie nahmen an, alle Vögel hätten ihre Meinung geändert. Dann entdeckte der Kauz eines Nachts beim überfliegen der Straße zwei Gestalten, die ihm bekannt vorkamen. Er setzte sich mit seiner Beute auf einen Baum, um die beiden genauer in Augenschein zu nehmen. Bald hatte er sich vergewissert, daß es die Wilddiebe waren. Sie waren wieder unterwegs, wahrscheinlich zum Park. Er beobachtete sie so lange, bis er sicher sein konnte, daß sie unbewaffnet waren, dann beschloß er, direkt zum Fuchs zu fliegen und ihn zu warnen.
Auf dem Weg sah er den Dachs gemächlich durch den Park streifen. »Du liebe Zeit«, rief der nach oben, als er den Vogel mit seiner Last erblickte. »Machst du das noch immer, Kauz?«
Der Waldkauz ließ seine Last fallen und schnauzte den Dachs an. »Was sagst du da?«
Leider lachte der Dachs nun auch noch. »Ich glaube, dir hat jemand einen bösen Streich gespielt«, sagte er. »Die anderen Vögel haben schon vor Tagen aufgehört, zum Abfallhaufen zu fliegen.«
Dem Waldkauz blieb der Schnabel offen. Dann krächzte er ärgerlich. »So ist das also. Das ist der Dank dafür, daß ich anderen geholfen habe.«
O weh! dachte der Dachs bei sich. Jetzt nur schnell! »Nein, nein«, sagte er, »sie haben nur vergessen, dich zu benachrichtigen, schätze ich. Ehem — nimm’s nicht so tragisch«, setzte er dann noch flink hinzu.
Aber der Waldkauz kochte vor Wut. Er umkreiste den Dachs, plusterte sich, raschelte wild mit den Federn, und seine großen Augen glitzerten böse. »Vergessen, nein wirklich?« zischte er. »Dann wollen wir doch mal sehen, was ich alles vergessen kann.«
Diese letzten Worte klangen so drohend, daß der Dachs nun wirklich besorgt war, obwohl er nicht wissen konnte, daß der Waldkauz damit meinte, daß er sie hatte warnen wollen. Dann flog der Kauz fort, schwang sich höher und immer höher in den Himmel, bis er weit weg von allen seinen Freunden war.
»Du liebe Zeit, du liebe Zeit«, jammerte der Dachs. »Jetzt ist er wirklich böse. Hätte ich doch nur nicht so gelacht! Was er wohl mit seiner letzten Bemerkung gemeint hat? Jetzt werde ich es wohl nie erfahren, dabei ist es wahrscheinlich wichtig.«
»Es war aber auch ein böser Streich«, murmelte er, als er heimwärts trabte. »Schließlich hat er anderen geholfen. Wer wohl diesen Schabernack ausgeheckt hat?«
Er erreichte den Fuchsbau, aber der Fuchs und die Füchsin waren nicht zu Hause. Der Dachs beschloß zu warten.
Als seine beiden Freunde schließlich zurückkehrten, erzählte der Dachs ihnen von dem zornigen Waldkauz. Der Fuchs schüttelte den Kopf. »Er erträgt es nicht, wenn man ihn zum Narren hält«, sagte er. »Das wird er uns lange nicht vergessen, denn er ist sehr, sehr stolz — und unter seiner rauhen Schale recht empfindlich. Wir sind nicht gerade nett zu ihm gewesen.«
»Ich habe nicht gewußt, daß er immer noch Futter holt.«
»Wir auch nicht«, sagte die Füchsin. »Das muß der Turmfalke sich ausgedacht haben. Er und der Waldkauz sind nie dicke Freunde gewesen.«
»Aber er gibt uns allen die Schuld«, sagte der Fuchs. »Er denkt, daß wir uns gegen ihn verschworen haben. Ich kenne ihn.«
»Was sollen wir nur machen?« fragte der Dachs. »Er ist weggeflogen. Vielleicht bekommen wir ihn jetzt tagelang nicht zu Gesicht.«
»Der Turmfalke muß sich entschuldigen«, sagte der Fuchs bestimmt. »Ich werde ihn dazu zwingen.«
»Armer, alter Kauz«, meinte die Füchsin mitleidig. »Das war nicht fair.«
Weil sie sich so eingehend unterhielten, merkten sie nicht, daß die Wilddiebe wieder im Park waren. Das Wiesel sah sie näherkommen, blieb aber an Ort und Stelle, um sie zu beobachten. Da es wußte, daß ihre Gewehre im Teich lagen, dachte es, daß von ihnen keine Gefahr mehr drohe.
Aber irgend etwas schienen sie doch zu suchen, da war sich das Wiesel ganz sicher, und es konnte nicht das Rudel der Weißen Hirsche sein. Es folgte ihnen und war erleichtert, als es merkte, daß die Männer sein und seiner Freunde Revier verließen.
Plötzlich stieß einer der beiden den anderen an und deutete auf etwas. Ein Tier huschte über den letzten Schnee, keine zehn Meter entfernt. Das Wiesel sah ganz deutlich, daß es ein Fuchs war. Doch aus seiner Art zu gehen erkannte das Wiesel, daß es nicht der aus dem Farthing-Wald war.
Beide Männer zogen Pistolen aus der Tasche. Einer feuerte sofort auf das Tier, verfehlte es aber. Der Fuchs blieb stehen und blickte eine Sekunde lang zurück. Er sah die Männer und wollte fliehen. Aber er war nicht schnell genug. Noch ein Schuß, dieses Mal aus der anderen Pistole, und er sank zu Boden.
Das Wiesel blieb in Deckung, sein Herz schlug wie wild, dann sah es die Männer zu dem gefallenen Fuchs gehen und ihn untersuchen. Einer von ihnen stieß ihn mit dem Fuß an und drehte ihn mit dem Stiefel um. Er war wirklich tot. Aber die Männer schienen nicht zufrieden. Sie gingen nicht zurück, sondern schlichen in der gleichen verstohlenen Art weiter. Das Wiesel verfolgte sie nicht länger. Die Absichten der Männer waren nur allzu klar. Jetzt mußten der Fuchs und die Füchsin benachrichtigt werden. Natürlich hatten die drei Freunde die Pistolenschüsse gehört und überlegten eben, was das wohl bedeuten mochte, als das Wiesel atemlos angerannt kam.
»Es sind wieder die beiden Männer«, keuchte es. »Aber sie sind nicht hinter den Hirschen her. Sie haben ganz kleine Gewehre und damit gerade einen Fuchs erschossen.« Beide, Fuchs und Füchsin, schienen plötzlich an einem Bissen zu würgen.
»Ihr müßt unter die Erde!« fuhr das Wiesel fort. »Sie...« Ein neuer Schuß fiel. Die vier blickten sich entsetzt an.
»Sie sind hinter allen Füchsen her«, flüsterte die Füchsin. »Das habe ich befürchtet.«
»Nein«, sagte der Fuchs grimmig. »Hinter mir sind sie her. Das ist die Rache für den Streich, den ich ihnen gespielt habe. Sie werden jeden Fuchs töten, weil sie hoffen, daß einer davon ich bin.«
Unglücklich nickte das Wiesel. »Genau das habe ich mir auch gedacht«, sagte es. »Bitte, Fuchs, verstecke dich.«
Wie betäubt ließ sich der Fuchs zu seinem Bau führen und folgte der Füchsin unter die Erde.
»Ich glaube, wir machen uns auch dünn«, sagte das Wiesel zum Dachs. »Schließlich sind wir mit dem Fuchs am Teich gesehen worden. Wir können nicht vorsichtig genug sein.«
Kopfschüttelnd saß der Fuchs in seinem Bau und murmelte: »Was habe ich nur getan? Was habe ich getan?«
»Du hast nur das Beste gewollt«, beruhigte ihn die Füchsin. »Es war ein brillanter Plan.«
»Aber was habe ich damit erreicht?« fragte der Fuchs. »Unsere Feinde sind nur noch aufgebrachter gegen uns. Die Hirsche sind vielleicht jetzt sicher vor ihnen — die können sie nicht mit Pistolen abschießen. Aber uns habe ich in große Gefahr gebracht.«
»Wie solltest du wissen, daß es so kommen würde?« tröstete sie. »Deine Absichten waren die besten.«
Der Fuchs stand auf. »Aber wie kann ich mich hier verstecken, während draußen unschuldige Tiere getötet werden?« rief er. »Mich wollen sie haben! Wie viele Füchse müssen noch sterben, während ich mich verberge? Ich bringe doch jeden anderen Fuchs im Park in Gefahr.«
»Und was willst du tun?« fragte die Füchsin ärgerlich. »Zu den Menschen laufen und dich ihnen als Opfer anbieten?«
»Wenn sie mich hätten, würden sie Ruhe geben. Dann wäre es im Park sicher.«
»Rede keinen Unsinn, Fuchs.« Die Füchsin wollte verzweifeln, als sie den Blick in seinen Augen sah. »Woher sollen sie den Fuchs erkennen, der sie hereingelegt hat? Für einen Menschen sehen wir alle gleich aus. Sie würden dich töten und trotzdem weiterhin die anderen jagen.«
»Dann müssen sie jeden Fuchs töten«, sagte er. »Nur so können sie sicher sein, daß sie mich erledigt haben.«
»Kaum anzunehmen, daß die Tiere immer noch draußen herumlaufen, nachdem sie die Schüsse gehört haben. Jetzt sind sie sicher alle in Deckung«, meinte die Füchsin.
»Du hast doch mehr Hirn als ich«, sagte er bewundernd. »Ach, dich hat doch nur die Sorge blind gemacht«, entgegnete sie.
»Und was soll ich tun?« stöhnte er.
Die Füchsin wußte, wie sie mit ihm reden mußte. »Du hast schon einmal einen guten Plan gemacht, jetzt mußt du deinen Kopf noch einmal anstrengen«, sagte sie. »Dein Verstand garantiert unsere Sicherheit.«
Der Fuchs lächelte, und als er sich ans Nachdenken machte, war er schon viel ruhiger. »Wie habe ich mein Leben meistern können, bevor ich dich kennenlernte?« murmelte er. »Du meine tapfere Gefährtin!«