Es war das erste Treffen aller Farthing-Wald-Tiere nach dem Winter, darum war allen klar, das es von großer Wichtigkeit sein mußte.
Der Fuchs eröffnete die Versammlung.
»Es sieht so aus, als ob einige von uns gewisse Anzeichen von — Unfreundlichkeit — bei den Einwohnern des Hirschparks bemerkt haben. Wir wollen ja nicht gern als Eindringlinge angesehen werden, und darum möchte ich euch ermahnen, in Zukunft ganz besonders vorsichtig im Umgang mit den hier ansässigen Tieren zu sein — bis sich die Lage etwas beruhigt hat.«
»Die Tiere aus dem Hirschpark scheinen zu glauben, daß wir ihnen ihre Reviere streitig machen wollen«, bemerkte das Oberste Kaninchen.
»Das könnte bei euch Kaninchen ja stimmen«, meinte das Wiesel trocken. »Ihr habt euch seit unserer Ankunft im letzten Sommer und trotz der Verluste im Winter stark vermehrt.«
Einige Tiere lachten, aber das Oberste Kaninchen fand die Sache gar nicht lustig. »Wir sind nicht die einzigen, die sich vermehrt haben«, sagte es beleidigt. »Was ist mit den Igeln? Und auch die Kröte hat Nachwuchs im Teich. Sogar der Fuchs und die Füchsin sind jetzt eine Familie.«
»Ich wollte dich nicht beleidigen«, versicherte das Wiesel. »Aber ich denke, was die Reviere angeht, sollte man ältere Rechte respektieren.«
»Hach! Nichts als Unsinn!« krächzte der Waldkauz. »Es ist Platz genug für alle. So viele sind wir schließlich auch wieder nicht.«
»Kröte, hast du Schwierigkeiten gehabt?« fragte der Fuchs.
»Nein, nein!« Die Kröte schüttelte den Kopf. »Aber natürlich kennen mich die Frösche schon länger als euch«, sagte sie und meinte damit ihren ersten Besuch im Park. »Sie nehmen mich in ihrem Teich stets herzlich auf, und von den anderen Tieren sehe ich nicht viel. Meine kleinen Beine tragen mich nicht so weit, wie einige von euch größeren Tieren laufen können.«
Kichern war zu hören. Einige erinnerten sich bei dieser Bemerkung der Kröte wohl an die sagenhafte Reise, die sie allein vom Hirschpark über Kilometer und Kilometer zurück zum Farthing-Wald gemacht hatte.
Sie lächelte, als sie die Erheiterung ihrer Zuhörer merkte. »Mich macht der Gedanke an einen Umzug in eine dritte Heimat nicht so fröhlich.«
»Davon kann gar keine Rede sein«, beeilte sich der Fuchs zu versichern. »Jetzt ist der Hirschpark unsere Heimat. Er ist ein Naturschutzgebiet, und wir haben genauso viel Recht auf Schutz darin, als ob wir hier geboren wären.«
»Gut gebrüllt, Fuchs«, meinte ironisch die Kreuzotter. »Und darf ich als Fleischfresser noch hinzufügen, daß ich ein Naturschutzgebiet köstlich finde.«
Der Fuchs blickte bei diesem unerwarteten Kommentar etwas verdutzt drein, aber der Dachs eilte ihm zu Hilfe.
»Das ist das Naturgesetz, Kreuzotter«, erinnerte er sie, »und das ist nicht zu ändern. Wir können nicht alle Gras fressen.«
»Natürlich nicht«, lispelte die Kreuzotter, »vor allem, wenn so viele köstlichere Dinge zu haben sind.« Und dabei schielte sie nach den Mäusen, die ihren Blick aber völlig unbeachtet ließen. Sie wußten nur zu gut, daß nur ihre Herkunft aus dem Farthing-Wald sie vor der Schlange schützte, aber daß diese wohl glaubte, daß man solche Bemerkungen von ihr erwartete.
Der Oberste Hase sagte: »Mein überlebender Sohn ist hier aufgewachsen. Er erinnert sich kaum noch an den Farthing-Wald, der Park ist ihm viel vertrauter. Die hier geborenen Hasen nehmen ihn als einen der ihren auf. Er hat keinerlei Schwierigkeiten.«
»Ich frage mich, ob es überhaupt Grund zu solchen Befürchtungen gibt«, warf der Turmfalke ein.
»In deinem Fall sicherlich nicht«, zirpte die Wühlmaus. »Du bist ja mehr außerhalb des Parkes als drinnen.«
»Ist dir niemals die Idee gekommen, daß es dafür gute Gründe gibt?« tadelte sie der Turmfalke. »Wenn ich immer im Park jage, besteht doch die große Gefahr, daß ich eines Tages die falsche Wühlmaus oder Feldmaus erwische. Wenn ich am Himmel schwebe, sehen alle kleinen Wesen wie du von oben gleich aus.«
»Darauf bin ich auch schon gekommen«, gestand die Feldmaus. »Aber — na, du weißt ja, die Wühlmaus ist etwas langsam von Begriff.«
»Entschuldigung, Turmfalke«, sagte die Wühlmaus zerknirscht. »Ich hätte mir denken können, daß du in unserem Interesse handelst.«
»Nun, nun, niemand ist beleidigt worden«, ließ sich Friedensstifter Dachs vernehmen. »Hm — Fuchs, ist noch mehr dazu zu sagen? Der Wind frischt auf.«
»Im Augenblick weiß ich nichts mehr«, sagte der Fuchs. »Wir müssen nur für eine Weile sehr aufpassen. Ich glaube, es ist am besten, wenn wir alle im Augenblick in unserer Ecke des Parks bleiben. Wenn dann jemand irgendwann Alarm schlagen muß, können wir uns schnell treffen.«
Dazu bewegte der Pfeifer seine großen Flügel und musizierte mit dem vertrauten schrillen Ton, als die Luft durch das Loch in seinem verwundeten Flügel pfiff. »Vielleicht hätten ein paar von euch meinem Beispiel folgen und sich mit einem Mitglied der einheimischen Bevölkerung verbinden sollen«, meinte er gespreizt wie immer. »Es gibt keinen schnelleren Weg, wenn man in eine fremde Gemeinschaft Eingang finden will.«
Ungefähr drei Wochen nach dem Treffen im Tiefen Grund konnte man die jungen Füchse im Frühlingssonnenschein mit ihren Eltern vor dem Fuchsbau spielen sehen. Eines Tages schaute ihnen der Waldkauz dabei mit halb geschlossenen Lidern von einem nahen Weidenbaum zu. Er bemerkte, daß zwar keiner von ihnen sich weit von dem Schlupfloch entfernte, einer aber doch ein wenig wagemutiger zu sein schien. Sein kleiner schokoladebrauner Körper sah kräftig und gesund aus, wirkte aber doch irgendwie kraftvoller als die Körper seiner Geschwister.
»Das wird einmal ein kühner Bursche«, dachte der Waldkauz bei sich. »Kann keinen Moment stillstehen. Die andern setzen sich von Zeit zu Zeit hin und lassen sich die Sonne auf den Pelz scheinen.« Ihre Späße machten ihn lachen. »Ja, der eine kleine Kerl, der hat ganz besondere Freude am Spiel.«
Die Füchsin hatte den vor sich hindösenden Vogel auf seinem Ast bemerkt. »Willst du nicht zu uns kommen, Kauz?« lud sie ihn ein. »Oder bist du zu schläfrig?«
»überhaupt nicht, überhaupt nicht«, krächzte der Waldkauz und schwang sich von seinem Ast herab.
Der Fuchs begrüßte ihn fröhlich. »Nett, dich zu sehen«, sagte er. »Sieht so aus, als ob wir uns unnötig gesorgt hätten. In letzter Zeit hat niemand den Narbigen hier gesehen.«
»Nein. Wahrscheinlich ist er im Augenblick mit den gleichen Dingen beschäftigt wie du«, meinte der Waldkauz, der es ja wissen mußte.
»Ach, ist er auch wieder Vater geworden?« fragte der Fuchs schnell.
»O ja, seine Gefährtin hat drei Junge geboren, ungefähr zur gleichen Zeit wie die Füchsin.«
»Hast du sie gesehen?« wollte diese wissen.
»Noch nicht«, war die Antwort. »Seit unserer Übereinkunft im Tiefen Grund wage ich mich nicht in diese Gegend des Parkes. Aber«, fügte er spitzbübisch hinzu, »ich bin sicher, liebe Füchsin, daß sie nicht so entzückend sind wie deine.«
»Schmeichler!« lachte sie. »Also, diese hier nennen wir die Schöne.« Sie deutete auf eine kleine Füchsin. »Und ihre Schwester heißt Träumerin.«
»Sehr passend«, meinte der Waldkauz, denn dieses Fuchskind war ihm auch schon aufgefallen. »Und die anderen?«
»Der große Junge heißt der Kühne«, sagte der Fuchs mit einem Unterton von Stolz in der Stimme. »Nur für seinen Bruder haben wir noch nichts gefunden, das paßt.«
»Das wird sich bald finden«, beruhigte ihn der Waldkauz. »O ja«, meinte die Füchsin. »Sie haben alle ihre ganz eigene Persönlichkeit.«
In diesem Augenblick wollte der Kleine, von dem die Rede war, den Besucher seiner Eltern beschnüffeln und kam mit wedelndem Schwanz auf den Kauz zu.
»Schon so groß wie ich«, meinte dieser amüsiert.
Der kleine Fuchs setzte sich direkt neben ihn und fing an, ihn von oben bis unten zu beschnuppern. Schließlich legte er sich auf den Krallen des Vogels zur Ruhe und seufzte noch einmal tief auf.
»Ich glaube, dieser hier hat sich eben selbst einen Namen gegeben«, sagte der Kauz. »Ich werde ihn jedenfalls den Friedfertigen nennen.«
»Ein wunderbarer Name«, stimmte der Fuchs ihm zu. »Meinst du nicht auch, meine Liebe?«
Glücklich nickte die Füchsin. Nichts schien den Frieden dieses vollkommenen Tages zerstören zu können. Der Waldkauz schaute noch ein wenig länger den Spielen der jungen Füchse zu, dann fiel es ihm immer schwerer, sein Gähnen zu unterdrücken. Er entschuldigte sich und flog auf seinen Baum zurück, um vor Beginn der Dämmerung noch ein Nickerchen zu machen.
Es wurde schon dunkel, da erwachte er mit einem Ruck und sah, wie eine ihm wohlbekannte Gestalt im Schatten herumstrich. Der Narbige war zurück und schien seine Schnüffeleien wiederaufnehmen zu wollen.
»Was um Himmels willen hat er wohl vor?« murmelte der Waldkauz, als er das Tier vor dem Bau des Fuchses stehenbleiben sah. »Er will etwas erlauschen, möchte ich wetten.« Das Tier stand ein paar Minuten unbeweglich mit geneigtem Kopf. Dann beroch es sorgfältig den Eingang und lauschte wieder. Schließlich machte der Narbige sich in der Dunkelheit davon.
Der Waldkauz wußte nicht, was das alles bedeuten sollte. Sehr seltsam, dachte er.
Er grübelte immer noch darüber nach, als der Fuchs aus dem Bau auftauchte und stillstand, um zu wittern. Dann blickte er zur Weide hoch. »Bist du da, Kauz?« rief er.
»Ja.« Der Waldkauz ließ sich neben ihm nieder.
»Hast du etwas bemerkt?«
»Der Narbige ist wieder dagewesen.« Und er beschrieb ihm das Vorgefallene.
»Das habe ich mir gedacht. Ich habe es gerochen.«
»Und er muß dich gerochen haben und hat dann wohl beschlossen, sich zurückzuziehen.«
»Genau. Wenn ich auf Jagd gewesen wäre...« Die Freunde tauschten einen Blick.
»Du kannst dich auf mich verlassen. Ich passe schon auf, daß nichts passiert.«
»Aber ohne dir weh tun zu wollen: Meinst du, daß du der richtige Gegner für einen hartgesottenen Burschen wie ihn ist?« fragte der Fuchs zögernd.
»Wenn nötig, werden die Füchsin und ich mit ihm schon fertig«, versicherte ihm der Kauz. »Außerdem muß ja nichts passieren. Vielleicht ist es bloß ganz harmlose Neugier.«
»Vielleicht. Aber mir gefällt das Ganze nicht. Diese Heimlichtuerei...«
»Jagst du heute nacht?«
»Nein, ich bleibe heute hier. Aber morgen muß ich los. Und dann...?«
»Vielleicht erfahren wir dann ein bißchen mehr über unseren neugierigen Besucher«, sagte der Waldkauz gelassen. »Und jetzt werde ich dem Dachs einen Besuch abstatten. Wir wollen doch nicht, daß er sich vernachlässigt fühlt.«