Langsam wurde es Zeit für die Tiere des Farthing-Waldes, sich auf den ersten Winter im Hirschpark einzurichten. Freundschaft und Gemeinschaftsgeist aus der Zeit ihrer langen Wanderung hatten sie veranlaßt, ihre Behausungen dicht beieinander zu errichten. So war diese Gegend des Hirschparkes für sie schon fast zu einem neuen Farthing-Wald geworden, und jedes Tier hatte hier die Lebensbedingungen gefunden, die es brauchte.

Mitten in diesem Gebiet lag der Tiefe Grund, jene Kuhle, die am Tag ihrer Ankunft im Naturpark ihr Versammlungsort gewesen und es seither geblieben war. In den Herbstmonaten trafen sie sich immer seltener, und als dann die Abende kühler wurden, fühlten die Kreuzotter und die Kröte, daß es Zeit für sie wurde, sich für den Winter einen Platz unter der Erde zu suchen.

Erst spät im Oktober gab die Kreuzotter es endlich auf, am Rande des Teiches der Eßbaren Frösche auf der Lauer zu liegen. So geduldig sie auch gewartet hatte, von Erfolg war ihre Geduld nicht gekrönt gewesen. »Das kühle Wetter macht mich richtig schläfrig«, sagte sie zur Kröte, die sie manchmal traf, wenn diese schwimmen ging.

»Geht mir genauso«, erwiderte die Kröte. »Ich fresse immerzu, solange es Futter gibt. Aber jetzt habe ich die richtige Bettschwere für ein schönes, langes Nickerchen.«

»Wo willst du dich verkriechen?« fragte die Kreuzotter. »Ach, hier irgendwo. An diesem Ufer ist der Boden weich. Ich habe ein paar Löcher gefunden, die jemand in früheren Jahren gegraben haben muß.«

»Hm«, überlegte die Kreuzotter. »Die wären mir gerade recht. Dann würden diese Frösche da den ganzen langen Winter den Vorzug meiner Anwesenheit genießen.«

Das amüsierte die Kröte. »Ach was, ich glaube nicht, daß die davon etwas merken«, sagte sie. »Sie graben sich doch unten im Schlamm des Teiches ein. Wenn die erst einmal ihren Platz gefunden haben, dann ist die übrige Welt für sie verloren.«

»Für mich auch«, gestand die Schlange. »Mich interessiert im Augenblick nur eines: schlafen.«

»Ehem — hast du dich schon von allen verabschiedet?« fragte die Kröte zögernd.

»Verabschiedet? Quatsch!« zischelte die Kreuzotter. »Wenn ich da bin, sucht auch keiner meine Gesellschaft, also werden sie mich wohl kaum vermissen, wenn ich nicht da bin.« Die Kröte war verlegen. »Ach, ich weiß nicht so recht«, sagte sie schüchtern. »Vielleicht denken die meisten, du bist am liebsten allein.«

»Bin ich auch!« antwortete die Kreuzotter ein bißchen zu schnell, so als ob sie jeden Zweifel in diesem Punkt zerstreuen wollte. »Aber gegen deine Gesellschaft habe ich nichts, Kröte«, fügte sie dann, im Versuch, höflich zu sein, hinzu.

»Schönen Dank, Kreuzotter. Hm. wann willst du denn deinen Winterschlaf antreten?«

»Natürlich sofort. Sinnlos, bei diesen Temperaturen noch weiter über der Erde herumzulungern.«

»Wenn du bis morgen wartest, dann könnten wir gemeinsam unseren Winterschlaf beginnen«, schlug die Kröte vor. »Laß mir nur noch ein bißchen Zeit, damit ich den Fuchs, den Dachs und vielleicht auch den Waldkauz aufsuchen kann.«

»Also, ich will hier nicht rumsitzen und mir Frostbeulen holen, während du Anstandsbesuche machst«, antwortete die Kreuzotter ungeduldig. »Ich suche mir heute abend ein Loch.«

»Gut, gut«, meinte die Kröte. »Wie du willst. Aber ich sehe wirklich nicht, was ein Tag mehr ausmachen würde?«

Die Kreuzotter gab nach. »Ich mache dir einen Vorschlag«, sagte sie. »Wir suchen uns jetzt ein gemütliches Loch, und dann weißt du ja, wo du mich finden kannst.«

Die Kröte überlegte. Weiter würde die Kreuzotter in ihren Freundschaftsbezeugungen nicht gehen, also willigte sie schnell ein.

Als sie für sich den geeignetsten Platz ausgewählt hatte, verschwand die Kreuzotter sofort mit einem hastig gezischelten: »Weck mich bitte nicht auf«, in der Erde. Die Kröte schüttelte mit einem gequälten Lächeln den Kopf und machte sich dann auf, ihre Freunde zu suchen.

Es dunkelte bereits, als sie den Tiefen Grund erreichte, und ein kalter Wind fuhr durch das Gras. Wäre ich doch nur der Kreuzotter in den Unterschlupf gefolgt, dachte die Kröte. Aber nein, so unfreundlich kann ich nicht sein. In und um den Tiefen Grund rührte sich nichts. Also setzte sich die Kröte ins Gras und vertrieb sich die Langeweile damit, daß sie sich von Zeit zu Zeit einen verirrten Käfer ins Maul schnellte. Und dann trabte eine geisterhafte Gestalt in der Abenddämmerung auf sie zu. Am grauen Fell erkannte sie den Dachs.

»Hallo, lieber Freund«, rief der Dachs herzlich. »Ich bin überrascht, dich in einer so kalten Nacht wie heute unterwegs zu sehen.«

»Es ist auch das letzte Mal«, meinte die Kröte. »Jedenfalls vor dem Frühling.«

»Verstehe, verstehe«, nickte der Dachs. »Du willst uns also auf Wiedersehen sagen. Es könnte ein Abschied auf lange werden.« Er unterbrach sich und hob die Nase in die frische Luft.

»Glaubst du, daß es ein harter Winter wird?« fragte die Kröte.

»Jeder Winter ist für manche von uns hart«, erwiderte der Dachs. »Die schwächsten unter uns müssen immer am meisten leiden. All diese kleinen Tiere: die Mäuse, die Spitzmäuse, die Wühlmäuse und besonders die kleinen Vögel — für sie ist jeder Winter schrecklich. Aber du hast recht — ich spüre es in den Knochen, daß dieser Winter uns einiges aufzulösen geben wird. Es liegt so etwas in der Luft...«

»Ich hatte auch so ein Gefühl«, nickte die Kröte zustimmend. »übrigens, die Kreuzotter — sie hat sich bereits zurückgezogen.«

»Das paßt zu ihr, einfach zu verschwinden«, murmelte der Dachs. »Na ja, dann belästigt sie wenigstens die Eßbaren Frösche nicht mehr.«

»Bis zum nächsten Frühling bestimmt nicht«, bemerkte die Kröte trocken. »Und noch was: Sie hat mich doch tatsächlich eingeladen, mit ihr zusammen den Winterschlaf zu verbringen — jedenfalls hörte es sich so an.«

»Na ja, man muß sie eben nehmen, wie sie ist«, räumte der Dachs ein. »Schließlich kann man von einer Schlange keine leidenschaftlichen Gefühlsausbrüche erwarten.«

Während sie so miteinander plauderten, sahen sie den Fuchs und die Füchsin im Mondlicht verstohlen an sich vorbeihuschen. Die beiden schienen nur die Jagd im Sinn zu haben. Die Kröte war enttäuscht. »Sie hätten sich wenigstens Zeit für ein paar Worte nehmen können«, beklagte sie sich, »wenn ich mir schon die Mühe mache, euch alle zu besuchen. Noch dazu bei diesem Wind!«

»Nimm es ihnen nicht übel, alter Freund«, bat der Dachs. »Sicher ist ihnen nicht bewußt, daß du ja deinen Winterschlaf antrittst. Unhöflichkeit sieht dem Fuchs wirklich nicht ähnlich.«

»Will ich auch nicht sagen«, räumte die Kröte ein. »Aber er ist nicht mehr der gute Freund von einst — wenigstens nicht mehr für mich. Ja, ja, der weibliche Einfluß...«

Der Dachs senkte zustimmend den gestreiften Kopf und lächelte nachsichtig. »Wir alten Junggesellen haben in derlei Dingen wohl zuwenig Erfahrung«, meinte er freundlich. »Im Vergleich zu ihm verbringen wir unser einsames Leben in ziemlich engen Grenzen.«

Die Kröte war betroffen über die Wehmut, die in den Worten des Dachses mitschwang. »Also, ich... ich habe gar nicht gewußt, daß du so darüber denkst, Dachs«, sagte sie leise. »Es gibt im Hirschpark doch sicher auch Dachsfrauen?«

»O ja, in dieser Hinsicht unterscheidet er sich vom Farthing-Wald«, sagte der Dachs. »Aber ich habe schon zu lange allein gelebt. Ich könnte mich nicht mehr umstellen.« Die Kröte sagte nichts. Es war wohl besser, wenn sie hierauf nicht antwortete. Lange schwiegen sie, der Kröte wurde es langsam ungemütlich, da bemerkte sie plötzlich jemand. »Hallo«, rief sie, »da ist ja noch so ein Junggeselle«, als der Waldkauz herabrauschte und sich neben ihnen niederließ. Er begrüßte die beiden mit einem Kopfnicken und sagte dann: »Ich hoffe doch, Kröte, daß du nicht deinen Spott mit mir treibst. Jedenfalls, was mich angeht, so bin ich Junggeselle, weil ich es so will.«

»Du willst es so — oder wollen es die Waldkauzdamen etwa so?« fragte die Kröte mit Unschuldsmiene. Der Dachs unterdrückte ein Lachen.

»Sehr — witzig, wie immer«, krächzte der Waldkauz böse. »Ich gehe wohl besser. Ich bin schließlich nicht gekommen, um mich beleidigen zu lassen.«

Der Dachs, als geduldiger Friedensstifter, mischte sich ein. »Aber, aber, Waldkauz! Nicht so hastig. Niemand wollte dich beleidigen. Die Kröte besucht uns, weil sie bald ihren Winterschlaf antritt.«

»Krrr, krrr«, krächzte der Waldkauz und plusterte die Federn. Aber er blieb sitzen.

»Morgen, um genau zu sein«, sagte die Kröte. »Und ich bedaure es auch nicht. Ihr tut mir richtig leid, daß ihr das alles erdulden müßt: Eis, Frost oder Schnee. Wie herrlich, einfach einzuschlafen und alles zu vergessen — und dann aufzuwachen, wenn es wieder warm ist.«

»Es spricht vieles dafür«, meinte der Dachs.

»Aber man verliert doch Monate seines Lebens«, warf der Waldkauz ein. »Genausogut könnte man sechs Monate des Jahres tot sein.«

»Nicht ganz so lange«, korrigierte ihn die Kröte. »Es hängt immer vom Wetter ab. Wenn der Winter milde ist, bin ich im Februar schon wieder da.«

»Denk an meine Worte, Kröte«, sagte der Waldkauz nachdrücklich. »Dieser Winter wird schlimm!«

»Dann wünsche ich euch allen nur das Beste«, sagte die Kröte herzlich. »Hoffentlich kommt ihr alle durch.«

Die drei Freunde plauderten noch ein wenig, während der kalte Wind blies und blies. Schließlich sagte der Waldkauz, er sei hungrig, und machte sich auf die Suche nach Beute. Bei seinem Abschied fiel der Kröte etwas ein, worüber sie nachdenken mußte.

»Ich sage dir etwas, Dachs«, meinte sie schließlich. »Wir schütteln den Kopf über die alte Kreuzotter und ihre bösen Absichten hinsichtlich meiner Vettern, der Frösche, aber sie ist doch im Vergleich zum Fuchs und zum Waldkauz mit ihrem Jagdfieber für die Bewohner des Hirschparks wirklich keine große Gefahr. Die jagen doch jede Nacht.«

»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen«, gab der Dachs zu. »Aber es gab im Hirschpark schon vor unserer Ankunft Füchse und Waldkäuze und andere Fleischfresser. Unsere Wühlmäuse, Feldmäuse und Kaninchen müssen doch die hier ansässigen Feinde auch fürchten.«

Die Kröte nickte und seufzte. »Meine Vorstellung von einem Naturschutzgebiet als einer neuen und sicheren Heimat für alle hat sich nicht ganz bewahrheitet«, sagte sie betrübt.

»Vollkommen sicher ist es nirgends«, tröstete sie der Dachs. »Für alle frei lebenden Tiere ist der Hirschpark so sicher, wie ein Platz auf dieser Welt nur sicher sein kann, denn es gibt hier keine Menschen. Und in dieser Hinsicht ist er, verglichen mit dem Farthing-Wald, das reinste Paradies.« Lächelnd antwortete die Kröte: »Wie immer hast du es wieder einmal geschafft, mich zu beruhigen. Aber jetzt muß ich mich wirklich beeilen... Bis zum Frühling dann, lieber Dachs.« Sie wandte sich zum Gehen und machte sich auf den Weg zurück zum Teichrand, wo die Kreuzotter schon schlief. Auf dem Weg begegnete ihr noch einmal der Fuchs. Diesmal hielt er an. Die Kröte erklärte ihm, wohin sie gehe. »Du könntest der Kreuzotter etwas ausrichten«, bat er. »Sag ihr, sie soll möglichst tief unter die Erde gehen. Und du auch, Kröte«, setzte er etwas geheimnisvoll hinzu.

»Wie tief?« fragte die Kröte.

»So tief, daß der Frost euch nicht erreichen kann.« Der Fuchs schüttelte sich im Wind, so als wollte er seine Warnung verdeutlichen.

»Wir wollen uns an deinen Rat halten«, sagte die Kröte. »Du mußt keine Angst um uns haben.«

Sie verabschiedeten sich, und die Kröte hüpfte zu ihrem Schlafplatz. Lange stand der Fuchs noch da und sah ihr nach. Dann gab er sich einen kräftigen Ruck und kehrte zur Füchsin zurück. Er wußte, der Winter stand vor der Tür und wartete nur darauf, über sie herzufallen.

 

Was die Tiere im Park erlebten
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