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Kastan Styrax blätterte um. Seine Augen flogen über die Worte, ohne dass er ihre Bedeutung erfasste. Um ihn herum war alles in Stille versunken. Außer ihm befand sich nur eine alte Frau im FaerenHaus, die von den Ereignissen außerhalb der Bibliothek nichts mitzubekommen schien. Sie hatte ihn nur kurz verwirrt gemustert, als Styrax in voller Rüstung hereingekommen war.

Wenn sie sich an die Herkunft der Rüstung erinnert hätte – von Aryn Bwr geschmiedet, dem Leichnam Prinz Koezh Vukotics abgenommen –, wäre sie vielleicht interessiert gewesen. Aber vermutlich war sie zu weit ab von den Ereignissen des Landes, um diesen Schluss zu ziehen. Nicht einmal die Geräusche eines sich bewegenden, vollgerüsteten Mannes reichten aus, um die einigermaßen taube Gelehrte zu stören.

Noch einige Minuten, dachte Styrax unruhig, dann werde ich deine Aufmerksamkeit wohl erringen.

Plötzlich flogen die schweren Türflügel des Haupteingangs auf. Kiallas schnappte erschrocken nach Luft, aber Styrax blickte nicht auf. Er wusste, wer das war, und er wusste auch, was er sagen würde. Eilige Schritte näherten sich dem Schreibtisch, die von einem Mann herrührten, der entschlossen war, für seinen Lord nicht zu laufen, gleichgültig wie wichtig die Nachricht auch war.

»Lord Styrax«, sagte Larim in gemessenem Ton. Die tiefe Stimme des Weißaugen-Magiers erfüllte den vormals stillen Raum und hallte vom gekachelten Boden wider.

»Eure Wyvern wurde beladen und wartet auf Eure Befehle.«

»Hervorragend«, sagte Styrax lächelnd. »Wie steht es in der Schlacht?«

Larim zuckte die Achseln. »Sie greifen an, wir verteidigen.«

Der Mann versuchte unauffällig herauszufinden, welches Buch da aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag, Styrax lächelte in sich hinein. Larim hatte offensichtlich nicht bemerkt, dass sie ihm eine falsche Spur legten und stets genau darauf achteten, welche Bücher er zu sehen bekam.

Wie enttäuschend, Larim. Sogar Bernstein hat das bemerkt. Heute hatte er das zu lesende Buch beinahe willkürlich ausgewählt. Er hatte seine Nachforschungen beendet und das Rätsel des Herzens gelöst, so dass er nun nur noch darauf wartete, dass sich im Land alles fügte.

»Ein bisschen genauer, wenn Ihr beliebt.«

Larims weiße Augen leuchteten auf, als er Widerworte niederkämpfte. Die Erwählten des Larat waren im Innern ebenso gewalttätig und streitsüchtig wie jedes andere Weißauge. Je mehr Macht sie sammelten, desto weniger waren sie bereit, sich einem anderen Mann unterzuordnen.

»Mein Gefolge teilte mir mit, dass Chalats Versuch, die Reihen zu durchbrechen, abgewehrt wurde. Der Nachschub wurde ins Feld geführt. Lord Isaks Armee hat noch nicht eingegriffen. Sie stehen in Schlachtformation vor Byora.«

»Bald werden sie sich der Schlacht anschließen«, sagte Styrax überzeugt. »Ohne sie würden Chalats Truppen abgeschlachtet werden.«

»Warum hält er sich zurück?«

»Ja, warum?« Weil es in Byora etwas gibt, das er haben will. Das ist der einzige Grund, warum uns die liebliche Herzogin ihre Unterstützung versprochen hat und auch angedeihen lassen wird. Unser Freund der Schatten fühlt sich in die Enge getrieben. »Gesellt Euch zu General Gaur«, sagte Styrax nach kurzem Nachdenken. »Ich komme gleich.«

»Wie Ihr befehlt«, sagte Larim kühl. Er verneigte sich knapp und verließ die Bilbiothek durch die noch immer offen stehende Tür. Styrax sah auf die dunkler werdenden Wolken über den Klippen hinaus.

»Isak Sturmbringer«, sagte er leise. »Ich will dir zeigen, wie es ein Meister vollbringt.«

Er wartete, bis er sicher war, dass sich Larim auf den Weg aus dem Tal gemacht hatte, dann schloss er das Buch. Für seine magischen Sinne fühlte sich die Bibliothek stumpf und leblos an. Die Luft war so trocken, dass er nur wenig Vorfreude auf das empfand, was zu tun er schon im Begriff war.

Werde ich langsam alt, oder ist das hier einfach kein so bedeutsamer Augenblick wie der auf der Tempelebene von Thotel?, fragte er sich. Er stand auf und sah sich im Raum um, beachtete Kiallas misstrauischen Blick aber nicht weiter. Gesh, das größte der geflügelten Weißaugen, befand sich zum ersten Mal nicht in seiner Nähe, seit er die Bibliothek betreten hatte. Vermutlich war er gerade damit beschäftigt, die Verteidigung zu überwachen, und überließ es dem älteren, aber ebenso überheblichen Kiallas, als Anstandsdame zu dienen. Umso besser. Kiallas war eindeutig der Dümmere von beiden.

»Kiallas«, setzte er an. »Habt Ihr Euch jemals Gedanken über das Rätsel des Herzens gemacht?«

Das Weißauge sah Styrax eine Weile an, dann schüttelte es den Kopf. »Ich verschwende meine Zeit nicht mit kindischen Spielen.«

»Natürlich nicht«, stimmte Styrax zu. »Die Pflichten eines Wächters der Bibliothek wiegen dafür viel zu schwer. Ich wüsste es jedoch zu schätzen, wenn Ihr es mir zuliebe tätet.« Er wies auf die Säule in der Mitte des Raumes und sah, dass der Litse die Hand fester um seinen Wurfspeer schloss.

Mit übertriebener Vorsicht griff Styrax in eine Tasche an seinem Gürtel und zog drei Stilettos hervor, die er vor sich ausbreitete. Er beobachtete die Züge des Litse. Kiallas erkannte offenbar, dass es dumm wäre, jetzt die Frage aufzubringen, welche Waffen in der Bibliothek erlaubt waren und welche nicht.

»Bitte, nehmt eines«, sagte er und hielt sie ihm mit dem Griff voran hin. Vorsichtig nahm Kiallas einen Dolch und Styrax ging zu der schwarzen Steinsäule hinüber. Die goldene Halbkugel an der Spitze verstrahlte ein warmes, gelbes Licht, das ein Zeugnis von der Reinheit des verwendeten Goldes ablegte. Styrax kniete sich hin und wies mit einem gepanzerten Finger auf eine Rune.

»Seht Ihr diese Rune? Würdet Ihr bitte die Spitze des Messers auf den kreuzförmigen Teil legen?«

»Was soll das alles?«

»Ich werde natürlich das Rätsel lösen, aber man muss drei Dolche gleichzeitig nutzen, und ich habe nur zwei Hände. Es wäre etwas würdelos, wenn ich einen Stiefel ausziehen müsste«, sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln und wies auf seinen Panzerschuh.

Kiallas fand das offensichtlich nicht besonders unterhaltsam, doch es reichte trotzdem aus. Er hielt den Wurfspeer noch immer bereit, kniete sich aber hin und legte die schmale Klinge auf den entsprechenden Punkt. Dabei versuchte er den Rücken so aufrecht wie möglich zu halten. Styrax ging auf die andere Seite und stellte sich auf. Er suchte die richtigen Runen, legte dann die Messerspitzen auf die jeweilige Mitte, eine auf die senkrechte, die andere auf die waagerechte Linie.

»Bei drei drückt das Messer bitte in den Stein«, sagte er.

Kiallas blickte ihn um das Denkmal herum an. »Hinein?«

»Sie werden leicht hineingleiten. Eins, zwei, drei.«

Gleichzeitig drückten die Männer zu und spürten, wie unter ihrem Drängen etwas nachgab. Die Messer mit der schmalen Klinge glitten in den Fels, bis ihre Griffe auf die Säule trafen.

»Jetzt drehen wir die Säule mithilfe der Griffe nach rechts«, sagte er. Kiallas, der nun allmählich neugierig wurde, tat wie ihm geheißen – und die Säule drehte sich erst wie geölt, kam dann aber mit einem Ruck zum Stehen.

Styrax lächelte. »Wäre Oberst Bernstein nicht gewesen, ich sähe jetzt dumm aus.« Er zog eines der Messer halb heraus und drehte die Säule einen Achtelkreis zurück. »Das kommt wohl davon, wenn man ungeduldig wird«, fügte er hinzu, während sich die Säule ein wenig anhob, als der Fuß auf etwas glitt, das wie eine schräge Führung wirkte.

Kiallas antwortete nicht. Er starrte noch immer verwundert die Säule an, die sich während seines ganzen Lebens nicht einen Fingerbreit bewegt hatte. Styrax nahm ihm sein Schweigen nicht übel, das wäre unter den gegebenen Umständen auch kleinlich gewesen. Stattdessen lächelte er freundlich, während er eine der Klingen aus der Säule zog und in Kiallas Hals rammte.

Die rasiermesserscharfe Klinge glitt selbstverständlich noch leichter durch Fleisch und Knochen, als sie schon in den Stein gefahren war. Kiallas sah noch immer überrascht aus, als sich seine Finger von dem Messerknauf lösten und sein toter Leib stürzte. Verdreht fiel er zu Boden und klemmte dabei einen seiner eleganten Flügel unter dem eigenen Körper ein.

»Na, interessiert dich das schon, Liebes?«, fragte Styrax die ältere Gelehrte leise. Sie hielt den Kopf auch weiterhin über das Pergament gebeugt und schien von der Tragödie, die sich keine zehn Schritte von ihrem Sitzplatz entfernt entfaltete, nichts zu bemerken.

»Nein? Nun, ich versuche es weiter«, sagte er und ging in die Hocke. Dann legte er seine Hände auf die Säule und spannte die Schultern an. In einer fließenden Bewegung hob er die Säule eine Handbreit an und ließ sie zur Seite kippen. Der schwere Stein landete mit einem lauten Krachen auf dem Boden, zerschmetterte die Kacheln unter sich und ließ – endlich – die alte Frau vor Schreck aufschreien.

Styrax nickte ihr respektvoll zu, dann blickte er in das Loch im Boden hinab. Dort lag in einer engen Vertiefung, umgeben von der gleichen Schrift, wie sie auch auf der Säule zu finden war, ein Kristallschädel.

»Der Schädel des Blutes«, sagte er vor sich hin. »Drei haben wir, bleiben also neun.« Er zögerte. »Und zwei davon werden mir frei Haus geliefert.«

Es zog den Schädel aus seiner Halterung. Ein Beben wanderte durch das Gebäude, gefolgt von einem plötzlichen Rauschen, das er ebenso sehr fühlte wie hörte. Er richtete sich auf und atmete tief ein, füllte seine Lunge, und ein freudiges Keuchen wurde zu einem lauten Lachen, als die Magie seinen Körper erfüllte.

Die kalte Luft um ihn herum waberte, als der Zauber gebrochen wurde und die Magie in das Tal zurückkehrte, aus dem Himmel herabsank, um den trockenen Boden mit einem scharfen Geruch von Feuer zu bedecken und Styrax wie eine von Blitzen erfüllte Sturmwolke zu umtosen.

Die Farben des Faeren-Hauses wurden heller und stärker, das Gewicht seiner Rüstung verschwand. Im fahlen Winterlicht, das durch die schmerzliche Abwesenheit von Magie in Styrax Augen noch dunkler gewirkt hatte, war das Faeren-Haus beeindruckend gewesen, hatte aber seelenlos gewirkt. Jetzt nahm er sich einen Augenblick Zeit, um das Haus erneut zu mustern, die Pracht der hohen Mauern und ihrer strahlenden, goldgerahmten Flaggen zu bewundern und zu den feinen Schnitzereien der Kuppelstützbalken hinaufzuschauen.

Ein leises Geräusch, das gewöhnliche Menschen nicht hören konnten, drang in den Raum und riss ihn aus seiner Bewunderung. Seine bebenden Sinne sammelten sich, als er etwas Gewaltiges langsam erwachen spürte. Ein Geist, grenzenlos und uralt, aber noch nicht ganz bei Bewusstsein.

»Ah, ja, der Hüter«, sagte er und blickte auf die beiseitegeworfene Steinsäule. Jetzt, da Magie durch seinen Körper strömte, wirkte das Gold stumpf und unwichtig. »Die Gefahr, die zahllose Hände verharren ließ. Zhia Vukotic, betrachte dies als Lehre: Ich bin nicht mit dem Rest der Menschheit zu vergleichen.«

Styrax drückte sich den Kristallschädel auf die Brust und hielt ihn dort, bis er sich mit dem schwarzen, mit Spiralen verzierten Metall verbunden hatte. Dann ging er auf die Tür zu, nahm im Vorbeigehen seinen Helm auf und nickte der alten Frau erneut respektvoll zu. »Ihr solltet hierbleiben und Euch leise verhalten«, riet er ihr fröhlich. »Der Bibliothekar ist schlecht gelaunt.«

Styrax trat ins Freie, und während ihm die ersten entsetzten Gesichter begegneten, spürte er den erwachenden Geist stärker und klarer werden. Vor dem Tor rannten weitere Litse-Wachen durcheinander, doch ihre verängstigten Rufe wurden vom Wind davongerissen. Seine Wyvern kam zwischen ihnen hindurchgestürmt, sprang auf ihren kräftigen Beinen vorwärts, bis sie genug Platz hatte, um ihre Flügel auszubreiten und sich in die Luft zu erheben. Sie flog auf ihn zu, doch statt vor ihrem Meister zu landen, schwebte sie unsicher in der Luft, denn sie spürte den fremden Geist.

»Komm her«, knurrte Styrax und sandte auf seinen Worten einen magischen Splitter aus, um den Zauber zu erneuern, den er vor vielen Monaten auf das Tier gelegt hatte. Nun gehorchte es sofort und schoss so schnell vorwärts, dass der Tierhüter auf seinem Rücken überrascht aufschrie.

Die Wyvern landete und senkte den Kopf so weit, dass die Kehle über das Gras zu Styrax’ Füßen strich. Er tätschelte das Tier, woraufhin es den langen Hals drehte, um zuzusehen, wie er aufstieg, während der Tierhüter eilig auf der anderen Seite herunterrutschte.

»Lauf«, befahl Styrax dem Mann. »Lauf zum Tor und versuch Lord Larim einzuholen. Alle anderen sind außer sich vor Angst, also wird dich keiner aufhalten. Sieh nur zu, dass du in einer Minute nicht mehr hier bist.«

»Was geschieht, mein Lord?«, rief der Mann und wie zur Antwort erzitterte der Boden wie bei einem Erdbeben.

»Etwas, das du nicht einmal dann hüten könntest, wenn du deinen Beruf ein ganzes Leben lang ausgeübt hättest«, antwortete Styrax. »Und jetzt lauf endlich los, du verdammter Narr!«

Der Mann zögerte nicht länger, sondern rannte auf das Tor nach Ismess zu. Styrax überprüfte seinen Sattel und fand Elemente und Zerstörung, die beiden Schädel, die man ihn im Wachhaus zu lassen gezwungen hatte, bevor er die Bibliothek betrat, und auch Kobra, sein großes, gezahntes Breitschwert. Seine schwarze Oberfläche war stumpf und blass, denn es hatte seit Wochen weder Blut noch Magie geschmeckt, aber etwas von seinem Glanz kehrte zurück, als er Zerstörung über den Parierschutz des Schwertes setzte. Den anderen Schädel setzte er sich ebenfalls auf die Brust, bevor er seinen Drachengürtel mit dem Sattel der Wyvern verband. Die Luft über dem Tal waberte, und alles schwankte bedrohlich, als sich der Berg bewegte.

Styrax sah sich nach der Bibliothek um und grunzte zufrieden. »Offenbar geht alles nach Plan«, erklärte er der Wyvern und löste die Zügel vom Sattelknauf.

Ein verschwommener Schatten huschte an seinen Augen vorbei und – in Gedankenschnelle hatte er sein Schwert gezogen und erhoben. Aber der Schemen zog an ihm vorbei bis zum Denkmal für Leitah, das einige Schritt entfernt stand. Sein Mund füllte sich mit dem bitteren, metallischen Geschmack der Magie, doch noch während er auf die in seiner Rüstung ruhenden Schädel zugriff, lösten sich die dunklen Wirbel auf und offenbarten eine Gestalt in einer Rüstung, wie er selbst sie trug. Der Boden erbebte noch stärker, und der Fels stöhnte gequält auf.

Die Gestalt sah zu ihm hin. Styrax aber wusste sofort, wer das war und warum die schwarze, mit Wirbeln verzierte Rüstung den ganzen Körper umschloss und ihn vor der schwachen Sonne schützte. Er drehte sich um und sah eine weitere Gestalt auf den Klippen hinter sich. Sie war zu weit entfernt, um mehr als bloß eine schwarze Silhouette vor dem helleren Himmel zu erkennen. Aber er wusste ja auch so, um wen es sich handelte.

»Ihr seid doch nicht gekommen, um Euch zu rächen?«, murmelte er und bereitete seine Verteidigung vor.

Wie zur Antwort wandte sich die gerüstete Gestalt dem halbmondförmigen Erdwall zu, der das Denkmal umgab.

Also Zhia, was wirst du nun tun? Nai hatte Recht, als er sagte, das Gesicht auf dem Denkmal wirke vertraut. Du hast die Leiche deines Vaters hier zur Ruhe gebettet und einen schrecklichen Hüter eingesetzt. Styrax stutzte. Ihr Götter. Vielleicht habe ich sie unterschätzt …

»Verschwindet«, rief Zhia über die Laute des bebenden Berges hinweg, ihre Stimme rollte wie Donner durch das Tal. »Verschwindet, oder wir töten Euch.«

Styrax sah zu der anderen Gestalt, die das Schwert zog, um der Aussage Gewicht zu verleihen. Beide haben Schädel, beide sind unsterblich. Nicht gerade die besten Chancen sind das.

Zhia wartete nicht auf eine Antwort, sondern trat gegen das Steindenkmal. Der massive Block fiel wie ein umgestoßener Stuhl auf die Seite, aber Styrax spürte den schweren Schlag durch den Körper der Wyvern, als der unfassbar schwere Stein zerbrach.

»Geht!«, befahl sie in markerschütternder Lautstärke. Styrax wusste, dass dies die letzte Warnung war. Er zog an den Zügeln, aber die Wyvern hatte ohnehin kein Verlangen, noch länger in der Nähe dieser erschreckend mächtigen Wesen zu bleiben und schlug eilig mit den Flügeln, um sich dann in den Himmel zu erheben. Mit drei kräftigen Schlägen hatten sie den Klippenrand erreicht, und Styrax zog das Tier herum, damit er sehen konnte, was unter ihm geschah.

Das Geschehene roch verdächtig nach einer Niederlage für ihn. Zhia blickte noch einmal auf den Erdwall neben sich, dann schlug sie mit der gepanzerten Faust gegen die Unterseite des Denkmals. Der Stein zerbarst unter dem Aufprall, und kurz gleißte strahlend helles Licht daraus hervor.

Wenn sich das Grab ihres Vaters unter dem Denkmal befand, dann schenkte sie ihm keine Aufmerksamkeit. Aber das wunderte Styrax nicht mehr, nachdem er erkannt hatte, was sie da tat. Sie schlug wieder und wieder auf die Unterseite des Felsens ein, und während die Steinsplitter zu Boden fielen, drang eine erstaunliche Energie daraus hervor.

Sogar im Himmel noch wurde Styrax von einer Welle des Schwindels erfasst, aber er bemerkte dennoch, dass Zhia einen glänzenden Gegenstand aufhob.

Sie wickelte ihn rasch in ein Tuch, knotete es zu und zog dann ihr Schwert, um den eingewickelten Gegenstand an seiner statt in die Scheide zu schieben. Ein seltsames Reißen erklang und sie drehte sich zum Boden um, der wie ein riesiger Kokon aufriss, sich weiter und weiter entlang der Mitte des Walls öffnete, als sich etwas aus dem Boden darunter herausschob.

Eine riesige, schmutzbedeckte Gestalt, noch unkenntlich, stieg auf, einen halben Schritt, dann einen weiteren, schließlich drei, bevor sie wieder in sich zusammensank. Und weiter hinten im Hügel blitzte etwas smaragdgrün auf, als die Erde beiseitefiel.

Dann barst der Wall auseinander und der Drache darin befreite sich, wand seinen Körper aus einem Gefängnis, das aus Erde bestand. Seine Flügel waren dicht angelegt und schmutzig. Das Tier war riesig, sogar für einen Drachen. Seine Bewegungen waren träge, wie es nach einem durch Magie hervorgerufenen Schlaf nicht anders zu erwarten war. Doch mit jedem verstreichenden Augenblick spürte Styrax seinen Geist weiter erwachen.

Die Wyvern stieg ungebeten weiter auf, versuchte verzweifelt von ihrem deutlich größeren Vetter wegzukommen. Diesmal ließ Styrax sie gewähren. Er war von dem, was er gerade beobachtet hatte, noch wie benommen, aber jetzt griff sein Selbsterhaltungstrieb und er wandte sein Reittier nach Westen, seinem Heer zu. Das Rätsel des Herzens war eindeutig gewesen. Es hatte den Drachen schlafen lassen und wenn er jemals geweckt werden sollte, würde er sich gegen denjenigen wenden, der es gelöst hatte. Der Kristallschädel war nicht erwähnt worden, aber Styrax hatte geahnt, durch welchen Zauber der Schlaf des Drachen hervorgerufen worden war und kannte die Vorliebe der Drachen für Magier nur zu gut. Darum hatte er Lord Larim auch zurückgehalten. Seine Erfahrungen mit den Schädeln hatten Styrax gelehrt, dass man sie kaum wahrnehmen konnte, wenn sie nicht in Gebrauch waren. Also würde sich der Drache vermutlich auf den nächsten mächtigen Magier stürzen.

Jetzt erlebte er durch die Farlan-Armee eine Ablenkung, die gleich mehrere Zwecke erfüllte.

Und doch hat sie mich hereingelegt, dachte er ungläubig und mit zunehmender Verwunderung. Er konnte kaum glauben, was er gesehen hatte – und er war froh, dass er nicht auf die Idee gekommen war, zu bleiben und gegen Zhia zu kämpfen. Er hatte beschlossen, dass zwei unsterbliche Vampire mit Kristallschädeln sogar für ihn zu viel gewesen wären. Aber wenn einer von ihnen Aenaris selbst, den Schlüssel des Lebens, bei sich trägt, können nicht einmal die Götter sie mehr aufhalten!

 

Die Kavallerie krachte in die Reihen der Menin, und Männer und Pferde schrien und brüllten und fielen. Bernstein fand sich neben Hauptmann Hain wieder. Sie suchten hinter ihren Schilden, die auf dem Grenzwall ruhten, Deckung. Rings um sie herum bedeckten Fußsoldaten den kleinen Fleck Erde. Die Mauer war mittlerweile auf halber Länge zu Schutt zerschlagen, aber sie hatte immerhin den ersten Ansturm der Farlan abgehalten, und jetzt sorgten die Menin-Armbrustschützen dafür, dass jeder Schuss zählte.

Ein Speer krachte in Bernsteins Schild und warf ihn beinahe aus seiner Hand. Er sprang blind vor und erwischte das Pferd an der Kehle. Das Tier bäumte sich auf und warf sich zurück, fiel kreischend und versuchte nicht auf seinem Reiter zu landen. Bernstein wurde der Säbel aus der Hand gefegt, darum riss er den Speer heraus und stieß damit nach dem nächsten Mann, der auf ihn zukam. Hinter sich hörte er die aufgeregten Befehle der Offiziere, die ihre Bogenschützen antrieben, sowie das laute Stampfen einer weiteren herannahenden Infanterieeinheit.

Die Hälfte der Farlan war nun zu Fuß unterwegs, doch griffen sie mit bemerkenswerter Inbrunst an. Seine Männer besiegten die abgerissenen Söldner mit Leichtigkeit, aber unter den Feinden waren auch Männer eines ganz anderen Kalibers. Eine Gruppe Ritter bahnte sich am umgestürzten Teil der Mauer einen Weg durch die Reihen, schlug um sich, und ihre Streitrösser keilten aus und trampelten sich einen blutigen Pfad entlang. Die roten und weißen Bänder an ihrer Rüstung tanzten wild im Wind.

»Macht sie nieder!«, rief Bernstein den ankommenden Fußsoldaten zu. Die Männer legten die Speere an und stürmten gegen das halbe Dutzend Ritter los. Der Erste wurde aufgespießt, schützte aber die Übrigen, die sich der Einheit zuwandten und hineinritten, um an den Speeren vorbeizukommen und dann auf jedes sich bietende Ziel einzuhacken. Den Hintersten trafen zwei Armbrustbolzen, aber die anderen achteten gar nicht darauf, denn sie waren entschlossen, so viel Schaden wie möglich anzurichten. Endlich schafften es die Infanteristen durch ihre Übermacht, einen Ritter nach dem anderen niederzustrecken, doch bis zum Schluss erlitten sie dabei schwere Verluste.

Bernstein und Hain führten den Angriff an, der die Lücke schließen sollte, und eine Einheit folgte ihnen auf dem Fuße. Weitere Truppen hielten auf die Bresche zu und wurden von einer ungewöhnlich großen, in Schatten gehüllten Gestalt angeführt, die zwei lange Säbel führte.

»Pisse und Dämonen, das sieht mir nach Haysh aus!«, rief Bernstein erschrocken. Die Gestalt war dünner und blasser als das Bild, das in seiner Jugend über dem Übungsplatz gehangen hatte, aber das war jetzt nicht überraschend – Haysh der Stahltänzer war immerhin ein Menin-Aspekt Karkarns. Die entsprechende Farlan-Ausführung spiegelte ihre eigenen Gläubigen wider.

Er schleuderte den Speer auf den Aspekt, doch er glitt beiseite und verwandelte die Bewegung in einen eleganten Doppelhieb, der Schild und Arm des ersten Mannes auf der anderen Seite der Bresche abschlug. Bernstein zog seinen verbliebenen Säbel und wirbelte ihn über dem Kopf, während er auf den Aspekt zulief.

»Mir nach«, rief er Hain zu. Er vermutete, dass der Aspekt die Kampfform wiedererkannte, die man in seinen Tempeln lehrte, und ihn als die größte Gefahr betrachtete. »Bleibt nah bei mir und duckt euch!«

Die Männer stürmten gemeinsam vorwärts. Als sie sich dem Aspekt näherten, umwehte sie ein eisiger Wind. Aber Bernstein hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Sie drangen aus vollem Lauf auf den Aspekt ein, der ihr Vorrücken mit einem weiten Hieb auf Bernstein kurz zum Halt brachte, dann aber zurückwich. Die Einheit lief mit eingelegten Piken um Hain herum und Bernstein schlug zweimal zu. Doch beide Hiebe wurden mit Leichtigkeit abgewehrt. Die Männer griffen an, zwangen den Aspekt dazu, sich umzudrehen und sie mit beiden Schwertern abzuhalten. Bernstein schlug erneut zu und verschaffte Hain damit die Möglichkeit, dem Aspekt tief in den linken Arm zu schneiden.

Schwarzes Blut spritzte aus der Wunde auf den Boden und der niedere Gott sog vor Schmerz geräuschvoll die Luft ein. Das Gewicht des Schwertes zog den Arm hinab, aber das hinderte ihn nicht daran, unvermindert schnell auf Hains hochgerissenen Schild zu schlagen. Der Hauptmann stürzte, doch Bernstein griff bereits wieder an, traf den Aspekt am Hals und versuchte ihn niederzustrecken. Als der Körper auf den Boden schlug, schrie jemand im Hintergrund … und er sah, wie sich ein Priester krümmte, dann brachen mit einem Mal schwarze Flammen aus dem Aspekt hervor.

Bernstein packte Hain und zog ihn mit sich zurück, während sich die Einheit umdrehte und mit aneinandergelegten Schilden weitere Farlan-Soldaten erwartete. Die Luft über ihnen war von einem Dutzend goldener Pfeile erfüllt. Einer von Larims Kampfmagiern stand, von einer gleißend hellen goldenen Aura umgeben, mit ausgestreckten Händen da.

Bernstein kniete sich nieder und drehte den Mann auf den Rücken. »Hain, bist du noch da?«, fragte er eindringlich.

»Mistkerl«, hustete Hain mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Ihr hättet meine Fresse ja nicht unbedingt über den Boden schleifen müssen.«

Bernstein grinste. Es war ein gutes Zeichen, wenn ein verletzter Mann fluchte. Er lehnte sich vor, um einen Blick auf den verwundeten Arm zu werfen. Wie es aussah, hatte die Schulterplatte das Schlimmste abgehalten. Die dicke Stahlkante war ebenso durchschnitten wie der Schild, den er darübergehalten hatte. Blut strömte aus Hains Schulter.

»Ihr Götter, Mann, du blutest ja schneller als eine Jungfrau in der Kaserne«, scherzte Bernstein, ließ sich auf ein Knie herab und zog den Mann hoch. »Du wirst es überleben, wir werden es verbinden.«

»Ja – verdammte Pissscheiße, verfluchte!«, keuchte Hain und riss die Augen auf.

Bernstein sah das gelbe Leuchten, das sich in Hains Augen widerspiegelte und drehte sich um. Eine Reitergruppe drang auf die Schlachtenreihe der Menin ein, Ritter und Priester, angeführt von der massigen, in eine gelbe Robe gehüllten Gestalt Lord Chalats. Das Weißauge war ruhig und bedacht, schlug mit einem riesigen Kupferbreitschwert nach beiden Seiten, wobei seine linke Hand von Flammen umhüllt wurde. Das Weißauge schlug einen Menin-Soldaten, der Mann wurde fast zehn Schritte weit geschleudert, und Flammen umloderten seinen Körper, noch bevor er den Boden traf.

»Ihr Götter, wo sind nun die Plünderer?«, rief Bernstein.

Als wäre das ihr Stichwort, durchschnitt ein wahnsinniger Schrei voller Wut und Ekstase die Luft. Im Osten erblickte er einen großen Mann, der zusammengekauert auf einem riesigen klingenbewehrten Schild hockte. Zwei weitere folgten rasch, aber dann verschwanden sie hinter der Kavallerie, die sich in der Nähe der feindlichen Linien befand.

»Verdammt, sie treffen nicht«, erkannte Bernstein und sah sich um, welche Truppen er zur Verfügung hatte, um die Angreifer abzuwehren. Der eintreffende Nachschub eilte sofort zum belagerten Abschnitt, aber er würde nicht ausreichen, wenn weitere Aspekte auftauchten oder noch eine Bresche geschlagen wurde. Der Kampfmagier hinter ihm war still geworden und vereinte alle seine Geistesgaben auf den Erwählten des Tsatach.

Als sich der Oberst wieder zu Chalat umsah, traf diesen gerade ein Armbrustbolzen ins Fleisch seines Oberarms. Die Wunde war nicht tief, dennoch wechselte er sein Schwert in die Linke. Vielleicht würde das ausreichen.

»Kannst du ihn abwehren?«, rief Bernstein dem Kampfmagier zu.

Der Mann sah ihn entsetzt an, nickte dann aber. »Im direkten Kampf allerdings nur ein paar Sekunden.«

»Dann verteidige mich«, rief Bernstein und drehte sich herum, las mit der linken Hand Hains lange, spornbewehrte Axt auf und stürmte mit dem Säbel in der Rechten auf das große Weißauge zu, wobei er sich einen blutigen Weg durch die Verteidiger bahnte. Chalat hatte ein Loch in die Wand getreten und um sich einige Schritt von seinen Verbündeten gelöst. Er kämpfte mit der Kunstfertigkeit eines Erwählten, obwohl er die Linke benutzte. Bernstein war immer schon schnell gewesen, vor allem für einen Mann seiner Größe, und jetzt achtete er nicht auf die Kämpfenden, sondern legte seine ganze Stärke in den Lauf.

Noch zwölf Schritt bis zur Bresche, acht, fünf … da legte sich ein warmes Leuchten um ihn herum, als ihn der Magier in einen Schutzzauber hüllte. Chalat bemerkte die Bewegung und machte eine wegwerfende Geste in seine Richtung. Kurz bevor er sein Ziel erreichte, löste sich eine Flammenlanze aus Chalats Fingern. Doch sie wurde von dem Schutz des Kampfmagiers abgelenkt. Bernstein kniff die Augen zusammen und lief weiter. Als er noch einen Schritt entfernt war, warf er sich dem Chetse mit einem triumphierenden Schrei entgegen und ließ seinen Säbel auf Chalats Hals hinabzischen.

Das Weißauge bewegte sich so schnell, dass Bernstein es kaum sah, und dann wurde alles um ihn herum weiß, Feuer umhüllte seinen Körper. Wieder wurde es abgewehrt, und Bernstein erkannte, dass sich ihm nun Chalat zugewandt und sein Breitschwert zur Abwehr von Bernsteins Schwert erhoben hatte. Als die Klingen aufeinandertrafen, wurde der Oberst, der sein ganzes Gewicht in den Schlag gelegt hatte, herumgerissen, denn Chalats Arm bewegte sich keinen Fingerbreit. Bernsteins Handgelenk brach in einer Explosion aus Schmerz, doch der Schwung trug ihn weiter. Bernstein schlug todesverachtend mit der Axt zu und rammte sie in Chalats Brust.

Der Sporn drang tief ein, und Bernsteins Gesicht krachte auf das des Weißauges. Es fühlte sich an, als sei er gegen eine Eiche gerannt. Die Axt traf auf Chalats Brustbein, dann wurde ihm die Waffe aus den Händen gerissen und vor seinen Augen tanzten Sterne, als es ihn einmal mehr nach unten zog. Er fiel hintenüber, und der Himmel wurde rot, als sein Säbel das gebrochene Handgelenk verdrehte. Dann prallte er mit Kopf und Schultern auf den Boden und plötzliche Dunkelheit umfing ihn.

 

Die Farlan-Kavallerie galoppierte erst durch den vorderen, dann durch den hinteren Fluss. Vor ihnen ritt leichte Kavallerie, um den schwereren Truppen ein ungehindertes Fortkommen zu ermöglichen. Hinter sich konnte er jemanden spüren, der ihm auf dem Weg in die Schlacht nachblickte. Dass Byora den ganzen Tag über so ruhig gewesen war, hatte sein Misstrauen erregt, aber mehr als die eine Legion leichter Kavallerie, die er vor dem Viertel postiert hatte, konnte er nicht erübrigen.

Er widerstand dem Drang, im Sattel hin- und herzurutschen, obwohl er zugleich Angst vor dem hatte, was hinter und was vor ihm lag – und sich alles in ihm dagegen sträubte, zwischen beidem hindurchzuziehen. Überall um ihn herum flatterten die bunten Farben der adligen Farlan und ihrer Leibgarde. Sechshundert Reiter, der Schwerpunkt der Farlan-Schlachtenreihe. Die Männer ritten schweigsam, mit ernsten Mienen und in vollkommener Anspannung. Die ihn Umgebenden fassten ihre Waffen ein wenig zu fest, sogar Graf Vesna tat dies, und viele waren auch etwas zu streng zu ihren Pferden. Der Held der Farlan war schweigsam, sein Visier geschlossen, und er hielt einen entfernten Punkt im Blick, darum fiel es General Lahk zu, Isak auf dem Laufenden zu halten. Mit jeder Neuigkeit – jedem Ratschlag – wurde Isaks Welt finsterer.

Auf der linken Seite bestritt Lordprotektor Torl einen langsamen und bedachten Rückzug. Er wich vor den Menin zurück, verursachte aber bei jedem Zusammentreffen mit den Minotauren schwere Verluste. In der Mitte und auf der rechten Flanke herrschte das Chaos. Die Farlan wurden vom stetigen Strom des Menin-Nachschubs in die eigenen Reihen zurückgedrängt. Obwohl er in die Zange genommen wurde, zog sich Chalat weder zurück, noch formierte er seine Truppen neu.

Die Mitte des Menin-Heers hatte mehrere Angriffe abgewehrt und ließ sich auch nicht vorlocken. Stattdessen arbeitete sie sich langsam herum und wartete auf ihre Kavallerie. Den Hellsehern zufolge wäre das Kreuzzugsheer ohne die Heldentaten der leichten Kavallerie mittlerweile umzingelt und abgeschlachtet worden  – aber auch so würden sie nicht mehr lange standhalten.

»Mein Lord, darf ich Lordprotektor Torl Verstärkung schicken?« , fragte General Lahk.

Isak sah zu den drei Divisionen der Geister und einer Legion leichter Kavallerie hinüber. »Ja – unterstellt ihm die Ersten Wachsoldaten und die Fordan-Tebran-Legion.«

Lahk erteilte den Befehl und bald eilten die Truppen los, wobei die leichte Kavallerie den Geistern vorwegpreschte, um Torls bedrängten Truppen so schnell wie möglich beizustehen. Isak blieben damit eine Division Geister auf der Linken und drei Legionen leichte Kavallerie auf der Rechten sowie eine weitere als Nachhut.

»Sollen die Tirah-Legionen auf der rechten Flanke angreifen?« , fragte General Lahk und folgte damit strikt der Etikette.

Isak wiederholte den Befehl, und die Bläser gaben ihn weiter. Die Legionen zur Rechten machten sich zur Mitte auf, lösten sich, um dem Menin-Nachschub in den Rücken zu fallen. Isak erkannte nicht, was vor sich ging, also musste er sich auf Lahks Erfahrung verlassen. Seine Nerven zitterten wie ein Windspiel im Sturmwind.

Nach weiteren hundert Schritt hatte er freie Sicht. Eine versprengte Gruppe Farlan-Kavallerie teilte sich vor dem stetig vorrückenden Feind und wich nach links aus, als die Angreifer rechts Platz ließen. Die angeschlagenen Regimenter trugen die dunklen Roben von Pönitenten, also musste es sich bei den in sauberer Formation reitenden Truppen mit den weißen Lanzen um Menin-Kavallerie handeln. Sie hielten sich zurück, damit ihre Infanterie nicht umzingelt werden konnte, und erkannten nicht, dass sie es mit schwerer Farlan-Reiterei zu tun bekamen. Während sie sich bewegten, wurden die Infanterieeinheiten sichtbar: wie die Sonne hinter Wolken, die sich teilen.

»Blast zum Angriff!«, brüllte er. Hier brauchte er nicht erst auf Lahks Bestätigung zu warten.

Sofort beschleunigte die schwere Kavallerie, denn die Ritter erkannten, dass sie das Kernstück des feindlichen Nachschubs zerschlagen konnten. Noch zweihundert Schritt, die Entfernung schmolz rasch dahin. Unwillkürlich sah Isak zum Himmel und sein Herz setzte kurz aus, als er den geflügelten Schatten einer Wyvern über sich hinweggleiten sah.

»Der Sand rieselt weiter«, höhnte der Henker in den tiefsten Abgründen von Isaks Geist. »Der Jäger ruft.«

Isak schüttelte den Kopf und vertrieb die Stimme, indem er seinen Körper mit dem gierigen magischen Feuer aus den Kristallschädeln füllte. Als die berauschende Kraft durch seine Adern strömte und ihn in einen Kokon der Macht hüllte, zitterten seine Hände ganz kurz.

Der Feind vor ihm zog seine ganze Wahrnehmung an, und in seinem Helm wurde Isaks Atem zu einem Knurren, als er voller Vorfreude die Muskeln anspannte. Seine Schultern schmerzten unter dem Drängen der Macht, die darum bettelte, freigelassen zu werden. Und er folgte ihrem Wunsch nur zu gern. Er riss Eolis in die Luft, brüllte den Angriffsbefehl, der von jedem Mann hinter ihm aufgenommen wurde, und entfesselte die Wut des Sturms.

Ein gleißender Blitz löste sich von Eolis’ Spitze, teilte sich in der Luft und schlug einmal, zweimal in den Boden ein, bevor er in einem Funkenregen über die erste Reihe der Infanterie züngelte. Isak konnte es über das ohrenbetäubende Donnern der Hufe um ihn herum nicht hören, aber es hatte die erwünschte Wirkung. Leichen bedeckten den Boden – und er hatte eine Lücke in die Reihe gerissen, in die die Farlan nun vorstießen.

Toramin wurde kaum langsamer, als sie auf den Feind trafen. Isak spürte bei jedem der Männer, die von der breiten, gepanzerten Brust des gewaltigen Streitrosses einer nach dem anderen zu Boden geschleudert wurden, einen kleinen Ruck. Er schlug mit niedrig gehaltenem Schild zu beiden Seiten und nahm dabei die Männer kaum wahr, die er tötete. Neben ihm brüllte Vesna noch wilder, als Blut aufspritzte, Waffen von ihm abglitten, Männer schrien, weinten, starben.

Die Farlan-Kavallerie bahnte sich einen Weg zum Herzen der feindlichen Legion und ließ dabei zertrampelte und zerbrochene Leiber zurück. Als ihr Schwung nachließ, warfen viele Ritter ihre Lanzen weg und zogen die Waffen, die an ihren Sätteln hingen. Nur Vesna und Isak hatten Schwerter in der Hand, der Rest hackte mit Äxten und Streitkolben auf den Feind ein. Sie führten schwere Hiebe voller Gewalt, die Schädel zerschmetterten und Köpfe abtrennten. In der Mitte des Ganzen brüllte Isak, legte seine gesamte übernatürliche Stärke in jeden Schlag und genoss die vernichtenden Treffer. Eolis schnitt gleichermaßen leicht durch Stahl und Knochen, und den Schild nutzte Isak, um Waffen abzuwehren und Gesichter zu Brei zu schlagen.

Nach Augenblicken oder Minuten, er wusste es nicht zu sagen, floh der Feind vor dem Ansturm. Viele warfen die Waffen weg und rannten blindlings davon, suchten die Sicherheit der Menin-Reihe, die sich nun den Farlan zuwandte. Isak brüllte verzweifelt auf und griff erneut auf den Schädel zu.

Er schwenkte Eolis über den Kopf und um die glitzernde Klinge herum entstanden silberne Fäden, die sich rasend schnell umeinander drehten, bis Isak den Wirbel hinter den fliehenden Soldaten her warf. Obwohl es den ersten nur streifte, riss es ihm den Arm und die Schulter ab, um dann an dem kreischenden Mann vorbeizugleiten und in die größte Gruppe Soldaten zu krachen. Jeder, den der Wirbel berührte, wurde zu Boden geworfen und Blut spritzte aus tausend Schnitten. Wer voll davon erfasst wurde, verschwand schlichtweg in einem blutroten Schleier.

Isak ließ die Magie fahren und atmete schwer. Die Ritter in seiner Nähe jubelten dem fliehenden Feind hinterher. Isak senkte den Blick und sah die blutigen Überreste der Menin-Infanterie: einen Leichenteppich, der sich hinter ihm erstreckte.

»Genau so macht man das, mein Lord!«, rief ein Mann neben ihm und seine Stimme klang unter den schweren Atemzügen und von der Erleichterung geradezu heiser. Isak brauchte eine Weile, bis er sich an das Wappen aus den Rosenblättern und dem Dolch erinnerte – das war also Lordprotektor Lehm.

»Den Mistkerlen haben wir gezeigt, was ein Sturmangriff der schweren Reiterei anrichten kann, was?«

Lehm machte eine weite Geste, die das Gemetzel um sie herum umfasste, Isak erkannte, dass er Recht hatte. Die Hälfte der Toten war den beschlagenen, gepanzerten Pferden zum Opfer gefallen.

»Wir haben keine Zeit zum Feiern«, donnerte General Lahk, und seine Stimme übertönte den Aufruhr. »Formiert euch!«

Die Männer gehorchten eilig, als das vertraute, sich wiederholende Wimmern der Hörner erklang. Leichte Kavallerie ritt hinter den fliehenden Truppen her, um sie niederzustrecken, bevor sie sich in Sicherheit brachten.

Die Menin-Reiterei formierte sich unterdessen einigermaßen neu und machte sich bereit, die Farlan-Soldaten zurückzuschlagen. Da rief plötzlich jemand hinter Isak: »Vorsicht! Angriff … Angriff aus der Stadt!«

Die Angst in der Stimme war offensichtlich, darum wendete Isak auch sein Pferd und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Vesna folgte dicht auf, und so blieb es dem General überlassen, die Leibgarden und Adligen zu tadeln, weil sie sich nicht schnell genug neu formierten. Am hinteren Rand rief eine Leibwache in den Farben Lordprotektor Folehs: »Ich weiß nicht, was passiert ist, aber so wie sie laufen, hat gerade jemand diese Legion aufgerieben.«

Der Mann, der nicht älter war als Isak, stand in den Steigbügeln und zeigte auf Byora. Trotz seiner Jugend klang er so selbstsicher wie ein Veteran.

Isak sah, dass sich der Nachschub bereits umdrehte. Sie hatten wohl die Hornsignale der Legion gehört, die den Eingang nach Byora bewachte.

»Nie ist ein Hellseher in der Nähe, wenn man einen braucht«, grollte Isak. Er schloss die Augen und legte eine Hand auf den Schädel, der in seinen Brustpanzer eingelassen war, um tief aus seiner Macht zu schöpfen. Eine eisige Welle schwappte durch seinen Geist und ließ ihn erschrocken nach Luft schnappen. Er riss sich zusammen, atmete langsam und tief und schirmte seinen Geist für einen Augenblick gegen alles ab, bis auf den regelmäßigen Schlag seines Herzens. Dann sandte er seine Sinne weit hinauf in den aufgewühlten Himmel. Er beachtete die wütenden Wolken nicht, sondern sah auf das Land hinab. Der vom Boden heraufwehende Wind brachte das Aroma feuchter Erde und den stechenden Geruch vergossenen Blutes mit sich. Jetzt konnte er die verbleibenden Priester und Aspekte als sanftes Prickeln in seinem Hinterkopf spüren. Kastan Styrax war ein helles Leuchtfeuer und seine Kristallschädel verursachten einen stechenden Schmerz, bis es Isak gelang, ihn auszublenden. Als er nach Norden sah, überkam ihn der Eindruck eines gewaltigen Alters, dann schien etwas auf ihn zuzurasen, und mit einem Schreckenslaut errichtete er eilig eine Mauer um seinen Geist herum. Jetzt erst erkannte er, dass die Abwehr überflüssig war, denn er wurde nicht angegriffen. Etwas hatte ihn verlassen – vielleicht nicht vollständig, denn er glaubte noch immer einen Faden aus Energie zu spüren, der sie verband – aber es hatte die Kraft gefunden, das Schlachtfeld zu überwinden. Der Soldat, dachte er, der Aspekt des Todes, der auf dem Schlachtfeld am stärksten ist …

Er hielt inne, als ihm etwas auffiel. Die Präsenzen dort draußen im Feld erinnerten auffallend an den Soldaten, waren eher göttlich als menschlich. Aber bevor er sich näher damit beschäftigen konnte, erregte eine Bewegung im Osten seine Aufmerksamkeit. Als er sich ihr zuwandte, blickte ihn mit einem Mal eine gewaltige Präsenz an und in diesem Moment verspürte Isak eine Wut, die alles bisher Erlebte überstieg, sogar die Raserei übertraf, die ihn in seiner ersten Schlacht erfasst hatte.

Isak versuchte nicht einmal, mehr zu erfahren, sondern unterbrach den Fluss der Magie und zwang die Augen auf.

Vesna sah ihn unter dem hochgeklappten Visier seines Helmes hindurch nervös an. »Ihr Götter, das ist nie ein gutes Zeichen«, sagte er und versuchte gar nicht erst, unbekümmert zu klingen, als Isak den Helm abnahm und verzweifelt um Atem rang.

Isak schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Diesmal war es nicht meine verdammte Schuld«, keuchte er. »Aber irgendwas erwacht da oben auf dem Schwarzzahn gerade.«

»Was meinst du damit: etwas erwacht?«, fragte Vesna bestürzt. »Und was heißt irgendwas? Ein weiterer Wasserelementar?«

»Nein, solches Glück haben wir nicht. Das ist etwas viel Größeres.« Er versuchte das Gefühl einzuordnen, und schließlich regte sich eine Erinnerung in seinem Geist. »Ihr Götter«, keuchte er. »Es erinnert mich an Genedel.«

Vesna wurde bleich. »Ein verdammter Drache wird uns angreifen?«

»Mich«, berichtigte Isak. »Er wird mich angreifen.«

»Was hast du ihm getan?«

Isak blaffte: »Nichts!« und stieß Vesna so kräftig, dass dieser beinahe aus dem Sattel fiel. »Dieses eine Mal ist es nicht meine Schuld!« Er sah sich zur Menin-Reihe um und sagte wütend: »Und das ist nicht unser einziges Problem. Das, was da von Byora aus angreift, ist mit den Schnittern verwandt.«

»Verwandtschaft?« Vesna dachte nach. »Pisse und Dämonen, diese verdammten Bastarde Tods. Das sind die Narren. Wir hatten gehofft, dass sie in den Feuern von Scree umgekommen seien, aber offenbar hatten wir dieses Glück nicht. Diese Schaben finden doch immer einen Weg zu überleben, was?«

»Ich glaube auch nicht, dass man aus Azaers Gefolgschaft – tot oder lebendig – austreten kann«, sagte Isak grimmig. »Aber was wichtiger ist: Im Moment sind wir umzingelt.«

Ihre Pläne sahen nicht vor, dass sie sich aus einer Falle freikämpfen mussten. Keiner der Hellseher hatte genug Truppen gefunden, um eine berittene Armee in einen Hinterhalt zu locken. Und die vor Byoras Tor postierte Legion hätte stark genug sein müssen, um jeden überraschenden Ausfall abzuwehren.

»Vorschläge?«

Vesna sah auf sein Handgelenk hinab, dann zu den Menin hinüber. Er öffnete den Mund einen Spalt und schloss ihn dann wieder, als Unentschlossenheit die Oberhand gewann.

»Keine?«, fragte Isak. »Denkst du, dass wir die Menin mit einem Sturmangriff auf ganzer Front in die Flucht schlagen können?«

Vesna zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Sie haben sich mittlerweile neu formiert, also werden wir niemanden allein erwischen.«

Isak sah sich zu den Regimentern leichter Farlan-Kavallerie um, die sie zu beiden Seiten flankierten. Sie konnten die feindlichen Linien beschießen und dabei beweglich genug bleiben, um möglichen Gegenangriffen zu entgehen. In der Ferne stanzten die Trommeln der Menin Befehle in die Luft, die er nicht verstand.

»Wir können doch nicht einfach hier stehen bleiben«, dachte Vesna laut. »Wenn wir zum Rückzug blasen, schnappen sie nach unseren Fersen, aber wenn wir es schaffen, die Reihe der Narren zu durchbrechen, sollte es machbar sein. Sollten wir vorpreschen  … nun, ich kann mir nicht vorstellen, auf was wir dann treffen. Sie wissen, dass sie unseren Angriff nur abzuschwächen brauchen, und dafür haben sie mit den Plünderern, den Minotauren und Lord Styrax selbst mehr als genug Waffen bei der Hand.

»Verflucht«, stieß Isak aus und wandte sich entsetzt dem östlichen Horizont zu.

Für einen Augenblick sah Vesna nicht, was Isaks Aufmerksamkeit erregt hatte. Er suchte den Schwarzfang vergeblich ab, bis er erkannte, dass Isaks Blick höher zielte, sich an einem undeutlichen dunklen Schemen orientierte, der langsam, unaufhaltsam in den Himmel stieg.

»Ihr Götter …« Vesna starrte hinauf, versuchte zu ergründen, wie groß die Gestalt war, gab es dann aber auf. Es hatte keinen Sinn. »Das hat es auf dich abgesehen?«

Isak seufzte. »Ich glaube, es ist ihm egal, wer ich bin. Aber es ist wütend – und ich habe gerade mit einem riesigen roten Tuch vor seiner Nase gewedelt.«

»Kannst du es besiegen?«

»Wie? Mit den Schädeln? Vielleicht nach einem Jahrzehnt Ausbildung … aber im Augenblick ist das Einzige, mit dem ich so ein Ding aufhalten könnte, ein Sturm, wie ich ihn in Narkang herabgerufen habe. Wenn ich das tue, sterben allerdings alle in meiner Nähe.«

»Wie steht es mit deinem Kameraden?«, fragte Vesna leise. Er sah sich um, ob sie auch niemand belauschte.

»Wenn ich ihm so viel Freiraum lasse, wie er bräuchte, bekomme ich ihn nie wieder gezähmt«, gab Isak zu.

»Die letzten Körner fallen«, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf, als wäre es eine Antwort auf Vesnas Frage. Dabei klang sie erfreut und zugleich bösartig. »Der Herr kommt dich holen.«

Isak erstarrte. In den Worten des Henkers lag eine Gewissheit, die vorher nicht da gewesen war. Sie erklangen mit der Endgültigkeit einer zuschlagenden Gruftplatte.

Ihr Götter, es ist wirklich so weit.

Er fasste die Zügel fester, da wurde ihm schwindelig, und er schwankte. Der Lärm der Schlacht wurde leiser, bis er nur noch die Klinge von Eolis sah, das in seinem Schoß lag, und den dunklen Schemen im Himmel, der sich nun auf sie zuarbeitete.

»Wenn wir bleiben, werden wir alle sterben«, sagte Isak.

Ich spürte, wie es mich anzieht. Meine Träume haben mich hierhergelockt. Die Fäden, die mich binden – seien es die Prophezeiung, Schicksal oder die Ränke des Schattens – haben mich hierhergebracht, und es gibt kein Entkommen. Sie sind zu fest geschnürt …

Vesna unterbrach seine düsteren Gedanken, indem er die linke Hand hob und deutlich sagte: »Das muss nicht so sein, mein Lord.«

Als Isak ihn ansah, ruckte er an seiner Armschiene herum und fuhr fort: »Es gibt etwas … Ich wollte es dir nicht sagen … ich hatte Angst, es dir zu sagen, aber …«

»Es spielt jetzt keine Rolle«, unterbrach ihn Isak.

»Das tut es sehr wohl!«, beharrte Vesna, gab den Kampf mit der Armschiene auf und schnitt sie mit dem Schwert los. »Ich kann eine Ablenkung erzeugen, etwas, das die Menin so sehr beschäftigt, dass du die Reihen der Narren durchbrechen kannst.«

»Nein, mein Freund, das kannst du nicht«, sagte Isak traurig.

Isak sah General Lahk dabei zu, wie er sich zwischen den Rittern bewegte und ihm salutierte, als die Männer verstummten. Sie umringten Isak und Vesna mit einem stählernen Ring, und obwohl sie das Gespräch nicht hören konnten, beobachteten sie die beiden Männer und bemerkten, dass sich etwas Großes anbahnte.

»Mein Lord«, rief Vesna und versuchte, seine Aufmerksamkeit wieder zu erregen. »Hör mir zu!«

Endlich wandte sich Isak wieder seinem Freund zu.

Vesna sprach nun die Worte aus, die er so oft im Geiste wiederholt hatte. »In der Nacht in Tirah, in der ich überfallen wurde, kam Karkarn zu mir und bot mir an, sein sterblicher Aspekt zu werden.«

Endlich hatte er die Armschiene losbekommen und riss sich den Verband vom Handgelenk. Dann holte er einen tränenförmigen Rubin hervor und hielt ihn hoch. »Er gab mir dies hier. Ich muss mir damit nur in die Wange schneiden, um den Handel zu besiegeln.«

»Und was würdest du dann tun?«, fragte Isak leise. »Dich allein mit einer ganzen Armee anlegen? Würdest du Rücken an Rücken mit dem Gott des Krieges stehen, während ihr beide seinen eigenen Erwählten und einen Drachen bekämpft? Du weißt nicht, ob er dich überhaupt bemerken wird.«

»Ich verschaffe dir eine Chance«, behauptete Vesna, und die Gefühle ließen seine Stimme heiser werden. »Wenn wir nichts tun, werden wir alle sterben!«

»Ich weiß.« Isak ließ die Worte kurz im Raum stehen.

Er winkte Lahk zu sich und sagte: »General Lahk, ich schätze Euch als einen Mann, der Befehlen folgt, zur Not bis in den Tod. Liege ich damit richtig?«

Der General schwieg, nickte aber knapp. Er hatte den Helm noch auf, darum konnte Isak seine Züge nicht sehen, aber es hätte ihn gewundert, wenn sie nicht so ausdruckslos wie immer waren.

»Gut. Wenn Ihr diesen Befehl nicht befolgt, so werde ich Euch auf der Stelle töten. Habt Ihr verstanden?«

»Isak!«, rief Vesna verzweifelt, aber das Weißauge hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.

»General Lahk, blast zum Rückzug«, fuhr Isak fort. »Führt die Männer den Weg zurück, den wir gekommen sind. Ihr werdet … Ihr werdet nicht innehalten, für nichts und niemanden. Diese Schlacht ist verloren, wir können nur noch retten, was übrig ist. Habt Ihr verstanden?«

Lahk nickte erneut und wandte sich an den Hornbläser zu seiner Seite. »Blast für alle Legionen zum vollen Rückzug«, sagte er ernst.

»Vesna, mein Freund«, fuhr Isak fort, während die Hornstöße des Befehls erklangen. »Egal, was du auch tust, welchen Handel du auch abschließt, du kannst dem Heer nicht die Zeit verschaffen, die es bräuchte. Du musst dieses Heer von der Front wegführen  – oder ich werde auch dich töten.«

»Aber …«

»Genug.« Isak hob Eolis und zog den Schädel ab, der um den Parierschutz wie eine Eisschicht herumlag. »Nimm Jagd mit dir. Es reicht, wenn dem Feind ein Schädel in die Hände fällt.«

»Du kannst doch nicht …«, sagte Vesna matt.

»Ich kann.« Isak lächelte, als die Last des Landes von seinen Schultern wich. Der Drache kam stetig heran, aber es blieb noch Zeit. »Ich war nie ein guter Spieler, mir fehlt die Geduld dafür, aber wie es scheint, werde ich meine Lektion nun auf die harte Tour lernen. Carel pflegte zu sagen, dass man die Güte eines Mannes an seinen Freunden erkennt – ich weiß nicht, was das über meine Jugend aussagt, denn damals hatte ich keine Freunde. Aber heute hoffe ich, dass er damit Recht hat.«

Er glitt aus dem Sattel und reichte Vesna die Zügel. »Ich werde das größte Spiel wagen, das es gibt, aber endlich habe ich keine Angst mehr. Ich vertraue auf meine Freunde, um es zu einem Ende zu bringen.«

Er streckte Vesna beklommen den Arm hin, der erst entsetzt darauf starrte und ihn dann ergriff.

»Leb wohl, mein Freund«, sagte Isak schlicht. »Danke.«

Dann drehte er sich herum und schritt auf die Reihen der Menin zu. Die Farlan-Ritter machten ihm Platz. Einige starrten den in Silber gehüllten Riesen verwundert an, andere salutierten. Er hörte, wie sich sein letzter Befehl durch die Legionen ausbreitete … und dann den Lärm, mit dem ihn die Männer eilig befolgten.

Auch Vesna hörte die Töne, die zum vollen Rückzug riefen, aber er konnte sich nicht damit befassen, nicht einmal, als ein Leibgardist seinen Arm umfasste und ihm etwas ins Gesicht schrie. Er verstand die Worte des Mannes nicht …

Dann brüllte General Lahk: »Graf Vesna, Ihr habt Eure Befehle! Führt sie an, Mann!« Er schüttelte Vesna.

Der sah zu dem Mann auf, der ihn in all den Jahren seines Dienstes als Geist befehligt hatte. Er senkte unwillkürlich den Blick auf den Rubin in seiner Hand, dann blickte er wieder zu Isak hin, der ruhig auf die feindliche Armee zuging, bereits in zuckende Blitze gehüllt.

Mögen die Götter dich schützen, mein Freund, dachte er und schnitt sich mit dem Rubin in die Haut unter dem Auge. Ein ungewöhnlich starker, beißender Schmerz breitete sich von der kleinen Wunde aus, und er zog die Hand schnell zurück, nur um zu bemerken, dass der Rubin in seinem Gesicht geblieben war. Er versuchte ihn wegzuziehen, aber er war nun mit seiner Wange verbunden – doch das war seine kleinste Sorge, denn mit einem Mal sah er sich von Schatten umzingelt. Er erkannte das Entsetzen im Gesicht der Leibwache, dann wurde der Mann von einem Wirbel der Dunkelheit überlagert. Ein Feuer erwachte in Vesnas Inneren.

Plötzlich fühlte er jede Wunde, die er jemals erlitten hatte. Jede Kampfnarbe, jeder blaue Fleck und jeder Schnitt erwachten zum Leben, und Vesna jaulte unter dem unerträglichen Schmerz auf, hob das Gesicht zum Himmel. Die Schatten drangen durch seine Kehle in ihn ein, warfen ihn so zurück, dass er fast vom Pferd fiel, doch er konnte sich im letzten Moment noch fangen. Seine Nerven pulsierten, als wären sie eine Gefühlskarte, die jeden Fleck seines Körpers bedeckte. Die Schreie und der Lärm vergangener Schlachten klangen in seinen Ohren nach.

»Mein General«, hörte er Karkarns Stimme so ohrenbetäubend laut, dass seine Worte durch Vesnas Körper dröhnten und in seinen Knochen widerhallten. Überall um sich herum spürte er plötzlich eine ungestaltete Macht, die in ihrer Wildheit schrecklich und schön zugleich war, und seine Muskeln wurden von übermenschlicher Stärke erfüllt. Sein Blick klärte sich, und das ganze Schlachtfeld breitete sich vor ihm aus. Er konnte jeden Winkel und jede Erhebung des Gebietes einsehen. Er spürte die Angst in den Augen des weit entfernten Feindes, schmeckte das Blut im Wind.

»Erhebe dein Schwert, mein General«, brüllte Karkarn. »Wie ziehen in den Krieg!«

 

Isak spürte, wie die magische Macht mit jedem Schritt anschwoll, wie sich die ungelenkte Macht des Schädels zu einem wütenden Sturm auswuchs.

Die Luft erzitterte unter dem Ansturm, und der Boden bebte unter seinen Füßen, während das Gras von Spiralen, die sich wanden, zerschnitten und zerfetzt wurde. Die Wolken im Himmel kamen näher, sanken ab und Donner grollte über die Ebene.

Seine Sinne waren nun so sehr für das Land geöffnet, dass er den Drachen geradezu riechen konnte. Er vermochte seine Anwesenheit nicht zu übersehen. Eine Korona gleißenden Lichts umgab Isak, während er auf die Menin-Soldaten zuging. Hinter sich spürte er, wie sich mit einem Mal die göttliche Aura Karkarns verdichtete. Aber er zwang sich, nicht darauf zu achten. Er war nun nah genug herangekommen, um das Entsetzen in den Gesichtern seiner Feinde ob dieser Zurschaustellung ungezähmter Macht zu sehen.

Einige blickten nervös nach Osten, wo der Drache immer deutlicher wurde, aber die meisten behielten ihn im Blick. Die wütende Aura verdichtete sich zu einer zähen Masse. Entfernt spürte Isak, dass Magie auf seine Hülle aus durchscheinendem, weißen Feuer niederging. Aber als sie auf die wilde Kraft traf, verging sie zischend.

Er spürte den Drachen näherkommen, hob den Schild über den Kopf und warf eine wabernde Lichtsäule in die sich zuziehenden Wolken. Der Sturm reagierte darauf und sandte mit einem ohrenbetäubenden Krachen einen Blitz auf seine Schutzhülle herab. Das riesige Tier wurde langsamer, warf seinen langen Schwanz nach vorne und den Kopf zurück, als ein weiterer Blitz durch die Luft zuckte, und dann noch einer.

Isak ging weiter. Er wusste, dass er eine so mächtige Magie nicht lange würde unter Kontrolle halten können, ohne sich den Geist auszubrennen. Fünfzig Schritt hinter der feindlichen Linie schlug ein Blitz in die kauernden Truppen ein und hinterließ ein gewaltiges Loch. Er fügte dem seine eigene Kraft hinzu und hörte die Schreie, als mehr als ein Dutzend Männer in Flammen aufgingen.

Weitere Blitze schlugen ein, folgten mit jedem Treffer in schnellerer Folge und wurden dabei immer heller. Der Drache hing in der Luft und wirbelte herum, auf der Suche nach einem sicheren Weg an den entsetzlichen Blitzen vorbei zu Isak. Er schrie vor Schmerz, und seine Stimme nahm es mit dem Donner aus den Wolken auf. Der geschuppte Körper wurde zu smaragdenem Feuer, als Blitze darüber zuckten.

Der Drache wurde von dem Treffer zurückgeschleudert und taumelte, aber nicht einmal die Macht des Sturms reichte aus, um dieses Ungetüm aus dem Himmel zu holen. Es war hoch genug, um sich rechtzeitig zu erholen und sich mit den gigantischen blassgrünen Flügeln wieder hinaufzuarbeiten. Isak spürte den Schrecken des Wesens, aber seine Wut tobte unvermindert weiter.

Er lenkte den Sturm so gut es ging auf den Drachen zu, und dies sorgte dafür, dass er sich einige weitere hundert Schritt zurückzog und schwer landete.

Mit erhobenem Schild und Schwert marschierte Isak auf die Menin-Infanterie zu – und sie flohen vor ihm, hatten zu viel Angst vor der wild tobenden Macht, die ihn umgab. Dahinter fand sich eine zweite Schlachtenreihe: eng stehende Reiterei und Pikeniere. Isak wurde nicht langsamer, suchte aber das Schlachtfeld ab. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Der Kristallschädel schützte seinen Geist, während er ihn mit einer Macht erfüllte, die nur die Götter begreifen konnten. Aber dieser reißende magische Strom war mehr, als irgendein Sterblicher längere Zeit beherrschen konnte – und schon gar kein Anfänger. Bald würde das schwächste Glied der Kette reißen, und die wütende, reine Kraft mochte wie eine Peitsche um sich schlagen.

Endlich fand er sie, eine gepanzerte Bestie in Menschengestalt und einen großen Ritter mit Lord Styrax’ Zeichen in Weiß auf der Brust. Sie saßen auf Pferden zwischen der Kavallerie und der Infanterie: General Gaur und der Erbe Kohrad, Styrax’ Sohn.

Jeder Schritt bedurfte mehr Anstrengung, und Isak spürte, dass seine Sinne langsam schwanden. Weitere Magie traf ihn, ohne allerdings etwas zu bewirken. Weitere Blitze schlugen mit der Wut der Götter ein und zerrissen ihre Opfer. General Gaur wies in seine Richtung, aber seine Worte gingen in einem Meer des Lärms verloren, dann legten die Armbrustschützen auf ihn an. Mit einer Handbewegung schlug Isak eine Bresche durch ihre Reihen, die drei Mann tief nur aufgerissene Leichen zurückließ.

Dann rannte er los, denn er wollte die Entfernung überwinden, solange er es noch konnte. General Gaur trieb sein Pferd an, um ihm entgegenzureiten, aber Isak schlug das riesige Streitross und seinen Reiter einfach beiseite und stürmte zu Kohrad weiter.

Kastans Sohn war kein Feigling. Das junge Weißauge brüllte herausfordernd, glitt aus dem Sattel und schlug mit Axt und Schwert nach Isak, der sich nach vorne warf und Kohrads Waffen mit seiner eigenen abwehrte. Er traf Kohrad, streifte ihn nur, aber es trieb das kleinere Weißauge zurück und ein Blitz schlug zwischen ihnen ein. Kohrad heulte auf und griff erneut an, deutete einen hohen Hieb an, um dann nach Isaks Beinen zu schlagen. Vergeblich versuchte er, Isak Eolis aus der Hand zu prellen, doch der Farlan-Lord wich aus und hämmerte Kohrad seinen Schild ins Gesicht. Kohrad ging mit dem Hieb mit und drang mit beiden Waffen von oben herab auf Isak ein, der dadurch gezwungen wurde, zurückzuweichen, obwohl er die Schläge mit dem Schild abwehren konnte. Dann schlug er selbst mit Eolis zu, ließ einen Regen von Schwertstreichen niedergehen, der Kohrad in eine verzweifelte Defensive trieb …

… bis ein donnernder magischer Schlag einen tiefen Graben zwischen ihnen aufriss und sie auseinanderzwang.

Isak drehte sich um und sah, wie eine Wyvern über die Köpfe der Kavallerie-Soldaten sprang, die in stiller Bewunderung dabei zusahen, zu sehr von dem Duell zweier Riesen beeindruckt. Der Sturm zog sich mit einem Mal zusammen, und die Blitze trafen nun die Gestalt in schwarzer Rüstung auf dem geflügelten Biest. Aber Kastan Styrax hob eine Hand und erschuf einen stahlgrauen Schutzschild aus Magie. Die Blitze zuckten wild über den Schild, ohne jedoch etwas zu bewirken. Das verschaffte Isak die benötigte Zeit.

Er schöpfte tief aus dem Schädel und ließ magische Finger in alle Richtungen zucken, um sie dann allesamt auf Styrax zu lenken. Die Luft zwischen ihnen schien sich bei diesem Angriff zu verzerren und dabei zu zerreißen. Er hörte das spöttische, freudige Lachen der Schnitter in seinem Schatten und dazu noch das Stöhnen des Landes, als er mehr Magie entfesselte, als er es sich jemals auch nur hatte vorstellen können.

Styrax zog seinen Schild herunter, wehrte auch diesen Angriff ab, und die Wyvern verschwand hinter einem Vorhang aus gleißenden Funken.

Isak sah nun kaum noch etwas und verließ sich ganz auf sein Gefühl, als er die Magie fahren ließ, Eolis fester packte und plötzlich herumwirbelte. Er riss das Schwert zurück und warf es in einer fließenden Bewegung …

… und Eolis durchdrang, als würde es sich langsamer bewegen, das weiß glühende Chaos …

… und traf das Ziel genau in der Mitte …

Isaks Beine gaben unter ihm nach, und er sackte zusammen, beinahe im gleichen Augenblick, in dem Kohrad von der Wucht Eolis’ getroffen nach hinten taumelte und zu Boden fiel.

Im nächsten Augenblick verging der magische Sturm und eine unendliche Pein erfasste seinen Körper. Isak kämpfte sich auf ein Knie und schrie vor Schmerz beinahe auf. Jeder Atemzug war eine Qual, und seine Kehle schien in Flammen zu stehen.

In der Ferne hörte er einen viehischen Schrei der Trauer.

»Kohrad!«, brüllte jemand und eine schwarz gekleidete Gestalt eilte an ihm vorbei. Isak schwankte wie trunken, konnte nur verschwommen sehen, und sein Körper zuckte elend. Er versuchte den Kopf zu wenden, aber sein Körper verweigerte den Dienst. Weitere Rufe, dann traf ihn ein Schlag gegen den Schädel, der ihn so umwarf, dass er mit dem Gesicht in der aufgerissenen Erde landete.

Man packte ihn und zerrte ihn hoch, riss ihm den Helm vom Kopf. Ein von Wut und Hass verzerrtes Gesicht erschien vor ihm, rief etwas, aber er verstand es nicht. Dann hörte er in schwerem, akzentbehaftetem Farlan: »Du wirst brennen! Du wirst endlose Schmerzen erleiden!«

Isak brachte ein keuchendes Lachen zustande. »Glaubst du? Ich sterbe«, flüsterte er, und die Mühsal des Sprechens trieb ihm Tränen in die Augen.

»Nicht, bevor ich mit dir fertig bin!«, brüllte Styrax. Er kniete sich neben Isak hin und schlug ihm mit der gepanzerten Faust gegen den Kopf.

Sterne erschienen vor seinen Augen und eine tosende Schmerzenswelle überlagerte die vorherige Qual, aber Isak rang sich trotzdem ein Lächeln ab. »Das Paradies wartet auf mich«, sagt er schwer atmend. »Ich bin einer der Erwählten – und jetzt sterbe ich.«

Ein dunkler Vorhang umhüllte sie alle, und durch das eine, noch sehende Auge erschien Isak das Land mit einem Mal dunkler und kälter. Tods Hand lag auf seiner Schulter.

»Das erlaube ich nicht!«, schrie Styrax voller Wut und Verzweiflung. Er schlug Isak erneut zu Boden.

Seine Männer drehten den Farlan-Lord auf einen Fingerzeig hin auf den Rücken und hielten seine Arme und Beine fest, dabei war er sogar zu schwach zum Aufstehen.

Isak hustete angestrengt und drehte den Kopf, als er stinkendes schwarzes Blut erbrach.

»Du wirst das Land ohne Zeit niemals sehen«, sagte Styrax wütend und bohrte die Finger seines Handschuhs aus Schwarzeisen in Isaks Fleisch. »Du wirst kein letztes Gericht erleben!« Er riss den Kristallschädel aus Isaks Brustpanzer und warf ihn beinahe achtlos beiseite. Dann brach er Isak mit einem weiteren Schlag die Nase. Mit einem einfachen Gedanken rief er sein schwarzes Schwert, und Kobra flog in seine Hand.

Isak spürte, dass sich der Menin-Lord den unglaublichen Kräften öffenete, die seine eigenen Schädel bereithielten. Und ein Wirbel dunkler Flammen erwachte um sie herum zum Leben. Sein Blick klärte sich ein wenig, als sein Körper die wilde, tobende Magie dankbar einsog, aber es half nichts gegen den Schmerz, der seine Adern und Knochen erfüllte. Blut floss aus seinem verletzten Auge über seine Wange, und das Feuer in seiner Kehle brannte unvermindert.

Styrax heulte Worte, die Isak nicht verstand, und die Erde begann sich zu winden und zu beben.

»Ich versprach dir Schmerzen«, spie Styrax aus, »also sollst du auch Schmerzen erleiden.«

Er sprang vor, und das gezackte Schwert drang durch Isaks Brustpanzer tief in seinen Bauch. Isak schrie heiser, als die Klinge seine Innereien zerschnitt. Es fühlte sich zugleich glühend heiß und brennend kalt an. Styrax bewegte die Klinge auf und ab, versuchte so viel Qual wie möglich zu verursachen, schnitt Isak vom Schritt bis zum Brustbein auf und trieb die Luft aus seinem Körper. Ein grausiges Zwitschern erklang, die Stimmen von herbeieilenden Dämonen.

Die Dunkelheit wurde dichter und kälter, als Styrax Kobra ein letztes Mal drehte. Er wurde mit einem weiteren Schrei belohnt, hob dann den Fuß und trat mit voller Wucht in Isaks zerschlagenes Gesicht.

»Denk an das Leben, das du nahmst«, sagte Styrax mit einer Stimme, die vor Trauer schwer war, »während dir in Ghenna die Haut vom Leib gerissen wird! Der dunkle Ort wartet auf dich.« Er riss Kobra heraus, und Isak stürzte. Die Erde gab nach, und er fiel, tiefer und tiefer. Dunkelheit umfing ihn, und das Kreischen der Dämonen wurde ohrenbetäubend.

Er schrie.