882 Nachwörter

22 Jahre suchte und fand ich meine Wege jenseits der Schulpforte. Im Jahr 2007 stehe ich an einer Kurve meiner Lebensstraße, von der sich eine geradezu unheimliche Aussicht bietet, die niederschmetternd und erlösend zugleich ist. Wie aus einer Adlerperspektive werden mir an diesem phantastischen Aussichtspunkt bislang unverstandene Zusammenhänge der im Tal der Kindheit liegenden, ebenen Welt transparent gemacht.

Es dauert noch eine ganze Weile, bis ich anderen Menschen davon erzähle. Schließlich trete ich den Weg zu einer ärztlichen Diagnostik an. Dadurch wird mir zum ersten Mal richtig bewusst, wie wichtig Mimik beim Erfassen sozialer Situationen ist und wie groß meine Schwierigkeiten im Umgang damit sind. Da gibt es eine farbige Kommunikation, die ich nur in Schwarz-Weiß erlebe. Daraus ergibt sich eine Art zwischenmenschliche, soziale Blindheit. Im Laufe der Zeit bestätigen Ärzte und Professoren namhafter Kliniken unabhängig voneinander, dass ich ein Leben lang tatsächlich ein Autist gewesen sein soll, ohne es zu wissen.

Mehr noch, als ich wissen will, wie sicher denn diese Einschätzung sei, heißt es: »Da gibt es keinen Zweifel, bei Ihnen ist es geradezu klassisch, wie aus dem Lehrbuch.« Nicht passend zum »Lehrbuchfall« sei jedoch das, was ich draus gemacht habe.

Heute bin ich froh, all die Jahre nichts davon gewusst zu haben. Die Diagnose »Hochfunktionaler Autismus mit ausgeprägtem Asperger-Syndrom« kam serendipisch genau zur rechten Zeit. Zwar hätte ich mit einer früheren Diagnose auch viel früher Hilfe und Verständnis erwarten können, aber sie hätte mir aufgrund meiner ganz persönlichen Rahmenbedingungen doch eher geschadet. Weil man mir vielleicht nicht richtig geholfen, sondern mich möglicherweise verholfen hätte, weil man mir vielleicht nicht geglaubt oder zugetraut hätte, dass ich den Weg schaffen könnte, den ich bisher gegangen bin.

Erst als ich das erreicht habe, was aus eigener Kraft mit dem starken Glauben an mich selbst möglich war, und daran verzweifelte, warum es nicht mehr so richtig weitergehen wollte, bekam ich die Auflösung, um nun mit diesem Wissen mein Leben weiterhin zu bereichern, indem ich nicht mehr länger als nötig mit unerfüllbaren Erwartungshaltungen kämpfen muss. Es hat sich auch ganz nebenbei ergeben, dass meine Frau lückenlos meine Eltern in Sachen Unterstützung im Alltag abgelöst hat. Ich habe zum Glück nie völlig alleine leben müssen.

Unmöglichkeiten werden möglich, wenn man Wege nimmt und auch nehmen darf, die anders sind als die, die bekannt und reguliert sind. Ein gesundes Selbstbewusstsein, ein damit verbundener starker Wille und ein starker Glaube helfen, diese anderen Wege auch zu finden. So soll dieses Werk nicht nur eine interessante Geschichte sein, sondern auch anderen Mut machen, aufzubrechen, um so wie ich neues Land und neue Ziele für sich zu entdecken.

Außenseiter können mit ihrer Sichtweise weiterbringende Lösungen finden, wenn die Gruppe keine Perspektiven mehr sieht. Auf diese Weise bereichert die Vielfalt des Seins das Zusammenleben. Doch die Vielfalt im Alltag zu akzeptieren, ist eine ewige, menschliche Herausforderung, für mich und für alle anderen.

1982 bekam ich im Rahmen eines Austauschprogramms vom Staat Oklahoma eine schöne Tafel, die mich als »Ambassador of Goodwill« titelt. Trotz aller Unwegbarkeiten (ganz bewusst mit »e« und nicht mit »ä« geschrieben, weil ich es als Kind so begriff und lange Zeit auch so verstand, also nicht die Waage, sondern die Wege als Grundwort gesehen habe) ist dies ein Auftrag, den ich ab sofort mehr denn je erfüllen möchte.

Das Leben mit der Mau hat mir gezeigt, dass Liebe alles verbindet, auch das, was durch Mauern getrennt ist. Liebe ist, füreinander da zu sein. Liebe ist der ewige Weg in die Mitte des Seins. Liebe ist wie die Flamme des Kaminfeuers. Tiefgründige Liebe ist wie die Glut des Kaminfeuers. Wenn man kein Holz nachlegt, erlischt sie!

Kaktus zum Valentinstag
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