Durch eine Ebene der Leere
Am Ende des Tages sitze ich geistig leergebrannt in der Loggia. Starre nach draußen in die Dunkelheit. Dies ist wohl doch nicht die Straße, die mich über das Gebirge führt, es waren nur einige Vorberge. Mehr nicht. Ich bin latent traurig. Ich weiß einfach nicht, wie ich eine Beziehung einfädeln kann, wenn es so nicht funktionieren will.
Warum muss alles im Leben bloß immer einen Haken haben? Schaue ich mir vergangene Freundschaften an, stelle ich ernüchternd fest: Die eine ist schon vergeben, die nächste zeigt viel zu wenig Interesse an dem, was mich interessiert, oder sie raucht oder will immer unter Leuten sein oder hat Probleme, die ich nicht lösen kann. Irgendwas scheint immer nicht zu passen.
Das erinnert mich an die Wohnungssuche. Entweder ist sie zu teuer oder zu klein oder zu laut. Oder die Nachbarn sind unangenehm oder sie liegt ungünstig. Irgendwas ist immer nicht in Ordnung. Es gibt keine billige Wohnung, die groß, hervorragend gelegen und dann auch noch im Tipptoppzustand ist.
Es scheint so, als müsse ich mich noch einmal grundsätzlich fragen, ob ich allein bleiben oder eine Frau haben will. Die vermeintlichen Schwingungen waren wohl eine Fata Morgana. So vergeht erstmalig seit meiner Kindheit ein ganzer Sommer, ohne dass ich eine Reise gemacht habe, um Straßen zu sammeln.
Stattdessen kümmere ich mich darum, meine Doktorarbeit voranzutreiben. Aber es ist schon komisch. So eine Doktorarbeit zu schreiben, scheint für mich erheblich einfacher zu sein, als eine Partnerin zu finden. Bei den allermeisten Menschen ist es genau andersherum.
An der Uni bekomme ich bald die Gelegenheit, an einer langen Forschungsfahrt teilzunehmen. Das werde ich auf jeden Fall machen. Das bringt auf jeden Fall Glück, auch wenn ich allein bin. Das kann ich planen! Ja, das ist es. Eine Freundin zu haben, ist nicht planbar.
Im Oktober fahre ich nach Gadenstedt, um den Geburtstag der Locken zu feiern. Dort sind wieder einmal viele Menschen, viel zu viele, so dass ich mich in mein altes Jugendzimmer zurückziehe. Dort bin ich zwar allein, aber nicht einsam. Dort hänge ich in Gedanken den längst vergangenen Zeiten nach.
Vielleicht bin ich ja doch schwul, denke ich zum wiederholten Mal. Und das ist der Grund, warum es mit einer Freundin nicht klappt. Aber einen Mann anzusprechen, das würde mir noch viel schwerer fallen als eine Frau. Somit kann dies auch nicht der vorgesehene Weg für mich sein, denke ich.
Als ich wieder zurück in Gettorf bin, begrüßt mich meine Vermieterin mit vielen hellen Worten. Dann schmatzt sie ein wenig und sagt:
»Herr Schmidt, die Frau beim Zahnarzt. Mit der Sie so lange telefoniert hatten. Im Sommer.«
»Ja, ich erinnere mich, was ist mit ihr?«
»Sie hat angerufen!«
»Angerufen? Was wollte die denn auf einmal noch?«
»Herr Schmidt. Das ist ein so liebes Mädchen. Sie wollte Sie unbedingt sprechen. Da habe ich ihr gesagt, dass Sie nicht nur einfach so eine Freundin suchen, sondern eine Frau fürs Leben! Ich habe ihr gesagt, dass Sie momentan bei Ihrer Mutter sind. Bei Hannover. Dass Sie dort den Geburtstag Ihrer Mutter feiern und dass Sie erst nächste Woche wieder da sind!«
»Und was wollte sie denn nun eigentlich?«
»Herr Schmidt, Sie sollen sich bei ihr einmal melden. Es habe sich, so wörtlich, ›etwas Grundlegendes‹ geändert!«
So sitze ich nun im hellen Eckbankloggiazimmer. Starre nach draußen. Suche Erklärungen. Natürlich bin ich neugierig. So rufe ich schließlich Martina an:
»Martina Piepgras.«
»Hallo, hier ist Peter Schmidt. Sie haben mir über Frau Vogt, meine Vermieterin, ausrichten lassen, dass Sie mich sprechen wollen!« Ich sieze sie sicherheitshalber, wie ich es immer mache, wenn ich nicht mehr weiß, ob man schon beim »Du« war. Das kann ich mir nämlich immer schlecht merken.
»Ja, das ist ja toll, dass du dich doch noch mal meldest, nachdem ich dich so zugetextet habe.«
»Frau Vogt sagte, bei dir habe sich was Grundlegendes geändert. Das sei der Grund für den Anruf?«
»Ich habe dir doch von Harmagedon und dem ganzen Kram erzählt. Ich bin bei den Zeugen Jehovas ausgetreten!«
»Waaaaas? Wie geht das denn? Und so schnell auch noch? Du warst doch total überzeugt von dem, was die so glauben. Und jetzt auf einmal nicht mehr? Hä?«
Dann erzählt sie mir etwas von »geistiger Speise«, die sie tagtäglich durch das Studium von Zeugen-Jehovas-Literatur zu nehmen hatte, und dass sie im Laufe der Zeit immer mehr das Gefühl hatte, dass der eigene Glaube gezielt manipuliert wurde. Dass sie auf Denkverbote stieß, die ihr zu schaffen machten, und sie somit dort nicht das gefunden hatte, was sie gesucht hatte. Auf der Basis bereits ausgetauschter Informationen verabreden wir uns zu einem ersten Date.