24
Das Restaurant befand sich im zweihundertsten Stock eines Büroturms und nahm einen ganzen Quadranten der Etage ein. Und die Preise spiegelten die Höhe und das Panorama wider. Tory ließ ihr Messer mitten in einem echten, in gedünsteten Zwiebeln geschmorten Beefsteak stecken und schaute Ben Tallen finster an. Er schaute sie seinerseits mit diesem unerträglich blasierten Blick an, den sie zur Genüge kannte.
»Wieso zum Teufel braucht der Rat so lange?«
»Aber, aber!«, tadelte er sie. »Wir haben eine Vereinbarung, erinnerst du dich? Keine Gespräche übers Geschäft mehr, wenn das Essen kommt.«
»Ich meine es ernst, verdammt! Deine Leute haben uns versprochen, dass sie die Resolution bezüglich der Phelaner innerhalb von zwei Wochen verabschieden würden, nachdem die Far Horizons Sol umrundet hatte. Und sechs Wochen später steckt die verdammte Resolution noch immer im Ausschuss für Innere Angelegenheiten fest.«
»Solche Dinge brauchen eben Zeit«, sagte er, hob ein Kristallglas an die Lippen und nippte am Wein.
»Erzähl mir nichts vom Pferd, Ben! Hoffenzoller verschleppt die Sache.«
Tallen seufzte und stellte das Glas ab. Er schaute sie mit ernstem Blick an. »Wenn wir das jetzt klären, können wir dieses Thema dann für den Rest des Abends ad acta legen?«
Ihr Lächeln war ein unmerkliches Hochziehen der Mundwinkel. »Vielleicht.«
»Das reicht nicht.«
»Na schön, versprochen. Du erzählst mir, was hier vorgeht, und ich werde es heute Abend nicht mehr zur Sprache bringen.« »Gut.«
Diesmal lächelte Tory breit. Sie und Ben hatten ihre erste Verabredung zum Essen zu einer Art Tradition fortentwickelt. Er war seitdem jeden Freitag um 20:00 Uhr mit einem Armvoll Blumen in der Botschaft aufgetaucht, um sie zum Essen auszuführen. Anschließend besuchten sie eine Show, ein Museum oder stürzten sich ins Nachtleben der Stadt. Zweimal war sie seinen Avancen schon erlegen und hatte ihn zum Ausklang des Abends zu seiner Wohnung begleitet. In der Regel hatte Ben sie jedoch wieder brav bei der Botschaft abgeliefert und sich mit einem Gute-Nacht-Kuss begnügt. Obwohl der Funke aus ihrer Hochschulzeit noch nicht wieder übergesprungen war, genossen sie doch die Gesellschaft des jeweils anderen. Außerdem hatten ihre Verabredungen sich zu einem informellen Kommunikationskanal zwischen der phelanischen Botschaft und dem System-Rat entwickelt und zu einem freundschaftlichen Wettstreit mit dem Ziel, möglichst viele Informationen zu gewinnen, ohne selbst welche preiszugeben.
In den sechs Wochen, seit das außerirdische Sternenschiff die gefährliche Begegnung mit der Sonne überlebt hatte, waren noch keine sichtbaren Fortschritte erzielt worden, was den Erwerb des von den Phelanern ausgesuchten Landes betraf. Jede Woche schien man eine neue Ausrede parat zu haben. Und nun, da die Far Horizons nur noch zwei Wochen entfernt war, schöpften die Phelaner allmählich Verdacht, dass die Ratsführung sie nur hinhalten wollte. Also hatte Faslorn Tory sehr spezifische Weisungen bezüglich der Themen erteilt, die sie bei ihrem wöchentlichen Stelldichein mit Tallen anschneiden sollte.
»Was willst du wissen?«, fragte Ben.
»Ich will den wahren Grund für diese Verzögerung wissen. Hat der Erste Minister seine Zusage vielleicht zurückgenommen?«
»Überhaupt nicht.«
»Ist das die Wahrheit, Ben, oder das, was du mir sagen sollst?«
Er grinste. »Wenn du mich fragst, ob ich dich belügen würde, wenn es im besten Interesse meiner Auftraggeber wäre? Die Antwort lautet >ja<. Würdest du nicht das Gleiche tun?«
Tory errötete. Sie fühlte sich ertappt. Bei der Frage erinnerte sie sich nämlich an die vielen Lügen, die sie im Dienst der Phelaner bereits erzählt hatte. Alle Rationalisierungsversuche wegen des übergeordneten Nutzens würden ihr Gewissen doch nicht ganz beruhigen.
Als Tallen ihre Reaktion sah, hakte er sofort nach. »Ich beobachte dich schon die ganze Zeit, Tory. Irgendetwas bedrückt dich doch - etwas Schwerwiegendes. Was ist es? Welches Druckmittel haben sie gegen dich in der Hand?«
Sie spürte, wie sie noch eine Nuance roter im Gesicht wurde. »Wir sollten wieder zum Thema zurückkommen, oder? Was zum Teufel geht im Rat vor?«
Er musterte sie für einen Moment und entschied sich dann, nicht weiter in sie zu dringen. »Leider können wir das australische Outback nicht ohne eine Finanzierungsermächtigung veräußern, und das läuft eben über den Ausschuss für Innere Angelegenheiten. Wie du weißt, steht Joshua Kravatz, der Ausschussvorsitzende, dem Ansinnen der Phelaner, sich auf der Erde oder irgendwo anders im Sonnensystem niederzulassen, extrem ablehnend gegenüber. Es ist uns bisher auch nicht gelungen, die Gründe für diese Haltung zu ermitteln. Botschafter Sadibayan glaubt, dass er vielleicht religiöse Bedenken hat.«
Tory schüttelte den Kopf. »Nein, er ist nur sauer auf uns.«
»Ach ja?«
»Ich habe Joshua Kravatz etwa vor einem Jahr auf einem Botschaftsempfang kennengelernt. Er erschien in seiner Eigenschaft als Vertreter der Hochschulfakultäten, aber nicht als Vorsitzender des Ausschusses für Innere Angelegenheiten. Er verlangte, dass die Phelaner ihre Informationsgewinnungstechnologie für seine Gruppe kostenlos lizenzierten. Faslorn lehnte das aber ab, weil er bereits in Verhandlungen stand, ebendiese Technologie für eine satte Gebühr zu lizenzieren. Kravatz ist beleidigt abgedampft, und wir haben dann auch nichts mehr von ihm gehört, bis die Vorlage an seinen Ausschuss übermittelt wurde.«
»Und ich dachte, dass die Phelaner ein Verständnis für menschliche Politik hätten«, sagte Ben lachend. »Sag Faslorn, dass er die Bestechungsversuche eines Rats niemals ablehnen sollte.«
Tory zuckte die Achseln. »Es schien damals jedenfalls das Richtige zu sein. Und man kann es eh nicht mehr rückgängig machen. Die Frage, mit der wir uns jetzt befassen müssen, lautet, wie wir die Resolution unter Kravatz' Nagelstiefeln hervorzerren!« Tory hatte natürlich noch nie einen Nagelstiefel gesehen, aber der Ausdruck hatte die zwei Jahrhunderte überdauert, die seit dem Auslaufen dieses Artikels vergangen waren.
»Das wird nicht einfach sein. Außer Kravatz haben wir nämlich noch die Australier gegen uns und ein Verhau aus wirtschaftlichen Interessen, deren Vertreter glauben, dass sie unter dem Status quo besser fahren.«
»Sollen wir diese Sackgasse also akzeptieren?«
»Wir werden nicht lange in dieser Sackgasse stecken«, versicherte Tallen ihr.
»Wie das?«
»Der Erste Minister ist der Ansicht, dass er bei Kravatz einen Sinneswandel herbeiführen kann — zumindest so weit, dass die Resolution an die Vollversammlung weitergeleitet wird. Wenn Kravatz seine Blockade aufrechterhält, wird Hoffenzoller die Sache als Angelegenheit der terrestrischen Sicherheit deklarieren und eine Anordnung gemäß dem Privileg des Ersten Rats erlassen. Dann wird sofort eine Debatte über die Resolution eröffnet.«
»Das hätte er schon vor vier Wochen tun sollen!«
»Die Berufung auf das Premier-Privileg will gut überlegt sein. Zunächst einmal wird dadurch automatisch die Vertrauensfrage gestellt. Falls Hoffenzoller eine solche Abstimmung riskiert und verliert, würden deine hochgeschätzten Phelaner für die nächsten hundert oder zweihundert Jahre in der Umlaufbahn feststecken. Was übrigens nicht einmal das Schlechteste wäre.«
»Bist du jetzt auch schon bei der Opposition, Ben?«
»Ich meinte nur, dass wir die Dinge wegen eines willkürlichen Termins überstürzen. Was wäre so schlimm daran, wenn sie für ein paar Wochen oder Monate in der Parkbahn bleiben müssen, bis wir hier alles geregelt haben?«
»Das weißt du genauso gut wie ich«, erwiderte sie säuerlich. »Wir haben unsere ganze Kampagne um die Begegnung der Far Horizons mit Sol orchestriert. Der Plan war, die Abstimmung in dem Moment durchzuführen, wo das öffentliche Interesse seinen Höhepunkt erreichte. Und das war bereits vor fünf Wochen. Je länger wir warten, desto geringer wird der Rückhalt, den die Phelaner hier auf der Erde haben. Du hast doch selbst gesehen, wie leicht die Emotionen der Öffentlichkeit aufgeputscht werden können, Ben. Was glaubst du wohl, wie das politische Klima in einem Jahr sein wird, wenn wir den Demagogen freie Bahn lassen?«
»Die einzige waschechte Propaganda, die ich bisher gesehen habe, scheint von dir und der Botschaft gekommen zu sein«, entgegnete Tallen.
»Wir haben doch gar kein Geheimnis daraus gemacht, dass wir eine PR-Kampagne finanziell unterstützen«, sagte Tory zu ihrer Rechtfertigung. »Kannst du uns das verdenken? Wir versuchen, fünfzigtausend Jahre des angeborenen Misstrauens gegen Fremde zu überwinden.«
»Ich will dir nichts >verdenken<, sondern ich habe nur eine Beobachtung gemacht. Wie dem auch sei, Hoffenzoller wird sich heute Abend mit Kravatz unterhalten. Wenn er nachgibt, gut. Wenn nicht, werden wir ihm einen Gerichtsbeschluss präsentieren, in dem er aufgefordert wird, die Resolution dem Rat vorzulegen. So oder so - die Debatte beginnt am Mittwochmorgen. Zufrieden?«
Sie ließ sich das für einen Moment durch den Kopf gehen und nickte dann. »Ich glaube schon.«
»Gut. Dann wollen wir uns wieder den wichtigen Dingen im Leben widmen — nämlich, wie schön du heute Abend wieder aussiehst.«
Die Große Kammer des Sonnensystem-Rats war ein schüsselförmiges Auditorium und wurde von einer polarisierten geodätischen Kuppel überwölbt. Die Kammer erinnerte Tory mit den abfallenden Wänden und vielfach gestaffelten Sitzreihen für Zuschauer an eine Sportarena. Nur dass in der Ratskammer die Zuschauer selbst die Räte waren. Jeder Delegation wurde eine geschlossene Loge zugewiesen, die durch einen kurzen Korridor mit den Büros verbunden war, die an der Peripherie der Kammer angeordnet waren. Die Logen wurden vorne durch Glaswände abgeschlossen, die man zurückfahren konnte, um den Anwesenden eine Live-Verfolgung der Debatte zu ermöglichen. Oder man betrachtete sie am Bildschirm. Dieses Arrangement sollte eine Effizienzsteigerung bewirken. Dennoch verliefen die Ratssitzungen oft mit der Fließgeschwindigkeit von Schmieröl in einer kalten Marsnacht.
Jedoch muss auch die lahmste Schnecke irgendwann ins Ziel kommen. Am Montagabend wurde die phelanische Botschaft benachrichtigt, dass die Debatte in ihrer Sache pünktlich um 10:00 Uhr am Mittwoch, dem 21. August 2245 beginnen würde — genau zu dem von Ben Tallen vorhergesagten Zeitpunkt. Raalwin reiste kurz nach dem Empfang dieser Benachrichtigung ab, um seine zahlreichen Kontakte im Ratshauptquartier zu kontaktieren. Er stieß auf irritierende Widersprüche bezüglich des Sinneswandels des Ausschusses für Innere Angelegenheiten. Manche Kontaktpersonen behaupteten, dass der Ausschuss aus freien Stücken gehandelt hätte und deuteten noch an, dass die Opposition die Vorlage voraussichtlich ablehnen würde. Andere berichteten von konspirativen Treffen zwischen Gegnern und Befürwortern. Wenn überhaupt Einigkeit bestand, dann darin, dass der Erste Rat sein Premier-Privileg nicht hatte nutzen müssen.
Anlässlich der bevorstehenden Debatte wurden Besucherausweise für die Galerie ausgestellt, wo interessierte VIPs das Ereignis beobachten konnten. Obwohl auch Einladungen an alle vier Phelaner ergangen waren, verfügte Faslorn, dass nur Tory der Einladung folgen würde. Er begründete das damit, dass der Anblick der Außerirdischen vielleicht primitive Instinkte bei einigen Räten wecken würde. Wenn die Resolution erst einmal verabschiedet war, hätten die Phelaner immer noch genügend Zeit, ihre Dankbarkeit persönlich zu bekunden.
Tory hatte bereits Platz genommen, als die perspektivisch verkleinerte Gestalt von Boerk Hoffenzoller zur Loge des Sitzungsleiters schritt und die Tagung zur Ordnung rief. Ein kleines Fenster in einer Konsole vor ihr zeigte das Gesicht des Ersten Rats in Nahaufnahme. Dann brach eine allgemeine Hektik auf den Rängen aus. Jede Glaswand wurde einmal zurückgefahren, als die Räte Platz nahmen. Torys Blick fiel auf die kleine Marsdelegation, die ihr gegenüber in der dritten Reihe saß. Neben ihnen saßen die Lunarier, eine Reihe unter ihnen die Lagrangier. Der Vertreter der winzigen Europa-Kolonie saß in der obersten Reihe, ein Drittel des Umfangs von ihr entfernt. Diese vier Delegationen hatten einmal den ganzen Rat ausgemacht. Nun waren sie nur noch ein paar Inseln von Weltraumbewohnern in einem Meer der irdischen Menschheit.
»Meine Damen und Herren des Rats«, sagte Hoffenzoller ohne eine Einleitung. »Wir verzichten heute einmal auf die Verlesung des Protokolls. Ich darf Ihre Aufmerksamkeit auf den Vorgang mit der Nummer 184394 richten, >Eine Resolution über die Abtretung bestimmter Gebiete auf dem Kontinent Australien an die Flüchtlinge von Tau Ceti zum Zweck der Gründung einer phelanischen Kolonie. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass es sich hierbei um eine ausführliche Debatte des Für und Wider dieser Resolution handelt, gefolgt von einer Abstimmung. Gemäß der Besonderen Kammer-Verordnung Nummer zehn wird es keine Zusatzartikel, Erläuterungen oder Vetos geben. Ich möchte Sie des Weiteren darauf hinweisen, dass die Ratsleitung beabsichtigt, diesen Antrag zu unterstützen. Ratsherr Kravatz vom Bund der Universitätsprofessoren hat um die Ehre gebeten, zuerst sprechen zu dürfen. Ratsherr Kravatz wird für die Opposition sprechen.«
Tory sah, wie ein beleibter Mann die Stufen zur Rednertribüne erklomm. Kravatz war ihr vor allem wegen seiner Angewohnheit in Erinnerung, das Kinn vorzuschieben, wenn er einmal nichts sagte. Bei der einen Gelegenheit, bei der sie ihm begegnet war, war ihr diese Angewohnheit irgendwie lächerlich erschienen. Jetzt wirkte er aber nicht mehr wie eine Witzfigur, als er mit einem zornigen Gesichtsausdruck den Blick durch die Kammer schweifen ließ. Und genauso wenig vermittelte er den Eindruck von jemandem, der in einem politischen Kampf schwer angeschlagen worden war. Während Tory ihn beobachtete, verkrampfte ihr Magen sich zu einem harten Klumpen.
»Meine Damen und Herren des Rats«, hob der Ratsherr in einem abgehackten britischen Akzent an. »Vor ihnen steht ein Ungetüm und ein Ungeheuer, ein Kinderschänder, ein Grabräuber und ein >Traumdieb<. Das müssen Sie zumindest von mir denken - und noch Schlimmeres —, wenn Sie der Flut der Propaganda gelauscht haben, die sich aus diesem Nest von Außerirdischen ein paar Blocks von hier ergießt.
Oder ist es bloßer Zufall, dass ich und andere Gegner dieser Ungeheuerlichkeit, die wir heute diskutieren, massiv angefeindet worden sind, seit das außerirdische Schiff die Sonne umrundete? Ich überlasse es Ihnen, liebe Kollegen, darüber nachzudenken und zu befinden, mit welchem Recht diese Aliens sich in unsere Angelegenheiten einmischen.«
Kravatz schaute mit bebenden Nasenflügeln direkt in die Kamera. »Diese Außerirdischen behaupten, ich sei ein gefühlloser Unmensch, der ihre armen Brüder wieder in die unendliche Schwärze jagen wolle, aus der sie gekommen sind. In diesem einen Anklagepunkt bekenne ich mich schuldig. Sie werden sich fragen, wie man nur so herzlos sein kann? Es gibt nur eine einzige Antwort auf diese Frage. Obwohl die Propaganda der phelanischen Botschaft Sie das Gegenteil glauben machen will, haben diese Eindringlinge von den Sternen keinen Anspruch auf diese unsere Welt. Wie sie auch kein Anrecht auf die anderen Planeten von Sol, seinen goldenen Sonnenschein und die lebenspendende Wärme haben. Diese Dinge gehören der Menschheit. Es ist die Menschheit - und nur die Menschheit —, die entscheiden wird, ob sie mit anderen geteilt werden sollen.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, liebe Kollegen. Wie Sie verspüre auch ich ein Mitgefühl wegen ihrer Notlage. Ich bin auch über ihren Verlust betrübt. Wie Sie bin ich fasziniert von der epischen Geschichte ihrer zwei Jahrhunderte langen Reise, um einen anderen Stern zu finden. Und doch wurde ihre Notlage nicht durch uns verursacht, ihre Reise durch kein Gesetz der Menschheit erzwungen. Wir haben genug Sentimentalitäten über die Heiligkeit des Lebens gehört. Nun ist die Zeit gekommen, da wir mit klaren Visionen und präzisen Vorstellungen unsere eigenen Interessen vertreten müssen. Die Zeit ist gekommen, um zu bestimmen, was für die Menschheit am besten ist!«
Kravatz legte eine Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen. Nach ein paar Sekunden warf er einen Blick auf sein Blatt mit der vorbereiteten Rede und fuhr fort: »Wir sind hier zusammengekommen, liebe Kollegen, um zu entscheiden, ob wir den Uberlebenden der Tau-Ceti-Nova ein paar tausend Hektar größtenteils unbewohnbaren Landes zusprechen sollen. Einige von Ihnen behaupten, dass das Land praktisch wertlos sei und dass die phelanische Technologie, die wir dafür erhalten, unseren Aufwand mehrfach kompensieren würde. Ich respektiere Ihr Recht auf diese Meinung. Doch was mich betrifft, so würde ich diesen Aliens meine Welt genauso wenig überlassen, wie ich sie meiner Frau ausleihen würde. Damit würden wir unser menschliches Erbe für ein paar Glasperlen verhökern. Unsere Geschichte ist eine lange Abfolge solcher Abmachungen. Ich hoffe, dass wir aus unseren Fehlern gelernt haben.«
Kravatz wandte sich an den Ersten Rat. »Sir, ich hätte noch weitere Anmerkungen, die ich später gern nachtragen möchte. Fürs Erste überlasse ich dem nächsten Redner das Wort.«
»Zur Kenntnis genommen«, erwiderte Boerk Hoffenzoller förmlich und sprach in die Kameras: »Ich rufe Wissenschaftsminister de Pasqual auf, der für die Führung sprechen wird.«
Jesus de Pasqual argumentierte sachlich und rational, wo Kravatz emotional und demagogisch polemisiert hatte. Er legte alle Gründe dar, weshalb es für die Phelaner unmöglich sei, einen neuen Stern zu suchen. Dann führte er die Vorteile auf, die aus der Technologie der Phelaner resultieren würden. Es war eine lange Liste. Tory und Maratel hatten fast die ganze letzte Nacht daran gearbeitet.
Als der Wissenschaftsminister seine Rede beendete, nahm wieder ein Rat der Opposition seinen Platz auf dem Podium ein. Die Debatte erstreckte sich über den ganzen Vormittag, wobei die beiden Seiten sich einen Schlagabtausch lieferten. Die Gegner behaupteten, dass man das Sternenschiff der Phelaner durchaus umrüsten und mit einer Laserbank bestücken könne, durch die eine Nova als Motor überflüssig würde. Die Befürworter taten diese Behauptungen als Hirngespinste ab und ließen sich ausführlich über die technischen Probleme des interstellaren Raumflugs aus. Kurz vor Mittag begab der Rat, der den Mars vertrat, sich zur Bühne. Er folgte auf einen Gegner der Resolution und hätte sie eigentlich befürworten müssen.
Der Marsianer begann mit einem Lob für die Weitsicht der Wissenschaftler, die die Starhopper-Raumsonde gebaut hatten. Ohne sie würde es an diesem Tag keine Debatte geben, rief er ihnen in Erinnerung. Vielmehr würden sie die Ankunft des außerirdischen Sternenschiffs in Unkenntnis dessen erwarten, wer oder was an Bord war. Er pries das Genie von Dardan Pierce, die Fähigkeiten von Garth Van Zandt, den Mut von Katherine Claridge und das Wissen von Eli Guttieriz. Nach einiger Zeit wurde klar, dass er nicht die Absicht hatte, auch die Tochter des Mars zu erwähnen, die auf der Galerie saß. Aus seinen Ausführungen zu schließen, hatte Tory Bronson nie existiert.
Tory traten Tränen in die Augen, und sie blickte mit versteinertem Gesicht stur geradeaus, um diese Gefühlsregung vor einer neugierigen Kamera zu verbergen. Diese Brüskierung, die aus einer völlig unerwarteten Ecke kam, hatte eine Bresche in die sorgfältig errichtete Mauer in ihrem Unterbewusstsein geschlagen. Alle Zweifel, Ängste und Sorgen, mit denen sie in den letzten zwei Jahren konfrontiert worden war, brachen sich wieder Bahn, und es bedurfte ihrer ganzen Willenskraft, sitzen zu bleiben und sich den Sermon des Vertreters ihres Planeten anzuhören. Der innere Aufruhr war aber so groß, dass sie das meiste davon gar nicht mitbekam. Erst als er das Podium verließ, wurde sie sich bewusst, dass er mit keinem einzigen Wort seine Zustimmung zur Resolution bekundet hatte.
Bevor der nächste Sprecher an der Reihe war, unterbrach Boerk Hoffenzoller die Debatte für eine zweistündige Mittagspause. Dass der Mars-Rat ihm die Unterstützung verweigert hatte, schien ihn zu erschüttern. Tory musste sich erst noch eine Weile sammeln, bevor sie die Galerie verließ und sich der Meute der Reporter stellte, die draußen auf sie wartete.