20
Tory Bronson stand am Rand des Daches und schaute nachdenklich auf die hell erleuchtete Stadt. Vor ihr breitete sich ein Teppich aus Diamanten aus, der die nahe Küste bedeckte und bei den kleinen Hafenstädten im Hintergrund ausfranste. Eine kühle Abendbrise wehte die Verkehrsgeräusche weg, die vom kilometerlangen Anstieg aus den künstlichen Schluchten unter ihr noch nachhallten. Trotz der Lichter der Stadt war der Himmel eine Kuppel aus Obsidian und bot optimale Bedingungen für Himmelsbeobachtungen. Der fehlende Widerschein der Lichter am Himmel war der polarisierenden Wirkung des Wetterfelds der Stadt geschuldet.
Tory legte den Kopf in den Nacken und fixierte einen roten Stern auf halber Höhe des Zenits. Mira war ein langperiodischer Veränderlicher und normalerweise zu dunkel, um ihn mit bloßem Auge zu erkennen — doch gelegentlich loderte er zu einem der hellsten Sterne am Himmel auf. Mira war auch in diesem Moment wieder entbrannt und gab einen perfekten Leitstern für Torys Suche ab. Von Mira senkte sie den Blick wieder, richtete ihn gen Osten und verfolgte den unsichtbaren Pfad nach Tau Ceti. Der Überrest der Nova lag dicht überm Horizont, in der Nähe der Positionslampen mehrerer entfernter Flugzeuge. Wenn Tory ein Auge zukniff, vermochte sie gerade noch einen zweiten Stern auszumachen, der die Nova fast berührte. Der zweite Stern glühte xenonblau und war so trübe, dass man ihn kaum sehen konnte. Wenn Tory den Blick für ein paar Sekunden abwandte und dann erneut hinschaute, fand sie ihn trotzdem wieder.
Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass sie den Atem angehalten hatte. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und sog die kühle Abendluft ein. Schon zweimal hatte sie sich auf diese Suche begeben und enttäuscht abgebrochen. Heute Abend stand die Far Horizons aber so nah, dass ihr Lichtsegel am irdischen Himmel zu sehen war. Der winzige Stern würde in den nächsten Monaten immer heller leuchten, bis er schließlich hinter der Sonne verschwand. Und in dem Maß, wie er heller wurde, würde auch das Interesse an den Phelanern und ihren Arbeiten befeuert. Das war das Ziel, auf das Tory und ihre Auftraggeber seit ihrer Ankunft auf der Erde hingearbeitet hatten. Der Masterplan der Phelaner würde nun in seine letzte - und gefährlichste Phase eintreten.
Es war mittlerweile fünf Jahre her, seit die Fernrohre auf der Rückseite des Mondes das außerirdische Lichtsegel am Rand des Sonnensystems entdeckt hatten. In dieser Zeit war die Far Horizons der Sonne entgegengefallen und hatte ihre Geschwindigkeit an das umgebende interstellare Medium abgeführt. Das Lichtsegel hatte vor ein paar Monaten die Bahn des Pluto gekreuzt und würde bald auch die Marsumlaufbahn queren. Es war eine Schande, sagte sich Tory, dass ihre Heimatwelt zurzeit auf der falschen Seite der Sonne stand. Der Flug des Lichtsegels durch den indigoblauen Himmel der Heimat wäre ein spektakulärer Anblick gewesen.
Während sie den winzigen Punkt beobachtete, ließ Tory alles Revue passieren, was in den fast zwei Jahren geschehen war, seit sie sich auf der Erde befand. Es waren arbeitsreiche Jahre gewesen, die ihr kaum Zeit zum Grübeln gelassen hatten. Dennoch litt sie darunter, dass ihre Mitmenschen eine so schlechte Meinung von ihr hatten. Die Erinnerung an diese letzte Auseinandersetzung mit Ben Tallen in Elysium Station versetzte ihr noch immer einen Stich.
Ben hatte ihre Mitteilung zur Kenntnis genommen, dass sie für die Phelaner arbeiten würde. Sie hatten sich gestritten, bis sie ihn gebeten hatte zu gehen. Später hatte sie sich in den Schlaf geweint und tags darauf den ganzen Vorgang noch einmal vor dem geistigen Auge ablaufen lassen. Als Ben sie dann anrief und zum Mittagessen einlud, hatte sie beschlossen, die Dinge mit ihm zu klären.
Sie hätte aber misstrauisch werden müssen, als er beim Essen ziemlich kleinlaut wirkte - was nämlich völlig untypisch für ihn war. Und er hatte auch gewartet, bis der Nachtisch serviert wurde, bis er mit dem Ansinnen rausrückte, dass sie bei der Arbeit für die Phelaner gleichzeitig für Botschafter Sadibayan spionieren solle. Tory war so perplex angesichts dieses Vorschlags, dass sie den heißen Kaffee auf ihren Schoß geschüttet hatte. Sie hatte eine Minute lang versucht, den Fleck abzutupfen und Ben dann mit ausdrucksloser Stimme gebeten, seine Offerte zu wiederholen. Zu ihrer Überraschung hatte er es auch getan.
Anstatt noch etwas darauf zu erwidern, hatte sie ihre Sachen gepackt und war abgereist. Das war außer rein geschäftlichen Dingen das Letzte, worüber sie mit Ben gesprochen hatte. Auch nach zwei Jahren hatte sie ihm noch nicht verziehen, dass er ihr so etwas überhaupt zugetraut und mit diesem Ansinnen an sie herangetreten war. Was zum Teufel glaubte er, mit wem er es zu tun hatte? Es stimmte zwar, dass sie sich gegenüber den Phelanern prostituiert hatte, aber sie war verdammt noch mal wenigstens eine teure Hure!
Und Ben war auch nicht der Einzige gewesen, der versucht hatte, ihr die Zusammenarbeit mit den Phelanern auszureden. Sie hatte Garth auf dem Weg zu seinem neuen Kommando verabschiedet, und er hatte sie auch ausgefragt, weshalb sie sich überhaupt mit den Außerirdischen eingelassen hatte. Weil sie ihm den wahren Grund aber nicht nennen konnte, war sie bei ihrer Ausrede geblieben - dass es ihre tiefe Überzeugung sei, die Phelaner hätten eine Heimstatt verdient und sie wolle sie beim Erreichen dieses Ziels unterstützen. Als sie später von etlichen Behördenvertretern befragt wurde, war Tory bereits auf den Trichter gekommen, dass die wirksamste Taktik darin bestand, altruistische Motive zu heucheln, aber auch durchblicken zu lassen, dass sie es für Geld tat.
Schließlich bescheinigten die Ärzte jedem einen einwandfreien Gesundheitszustand, und es gab keinen Grund mehr, die Phelaner an Bord von Elysium Station zu internieren. Tory und die vier Außerirdischen hatten die erste Fähre zum Mohave-Raumhafen genommen und waren dann mit einem Suborbitalflug nach New York weitergeflogen. Nach weniger als einem Monat hatten die Phelaner schon so viel von ihrer Technologie an die irdische Industrie verkauft, dass das gesamte Starhopper-Projekt sich bereits mehr als amortisiert hatte.
Als die finanziellen Probleme gelöst waren, mieteten sie das Penthouse und die oberen zwei Etagen eines Apartment-Hochhauses in Manhattan an und richteten dort eine Botschaft ein. Sie stellten talentierte Leute ein und schickten sich an, ein Netz aus Macht und Einfluss über den Erdball und den Weltraum zu spannen. Die Anfangsphase des Masterplans war ein voller Erfolg gewesen. Zum Teil war das der jahrhundertelangen sorgfältigen Planung zu verdanken, aber auch dem Umstand, dass Tory ihr Talent für den Lobbyismus entdeckt hatte.
Die alte Tory Bronson hatte Festivitäten und gesellige Veranstaltungen an der Hochschule nach Möglichkeit gemieden. Ihre Vorstellung von einem guten Leben beinhaltete Freunde, dezente Musik und Marsbier, um die Stimmbänder zu ölen. Innerhalb von zwanzig Monaten war sie jedoch - unterstützt durch eine unbegrenzte Kreditlinie - zu einer High-Society-Gastgeberin mutiert. Die wöchentlichen Partys in der Botschaft der Phelaner waren inzwischen Gesprächsthema auf drei Kontinenten.
Und Tory hatte noch andere Fähigkeiten bei sich entdeckt. Die Ausführung des Phelaner-Komplotts unterschied sich nämlich nicht wesentlich vom Bau der Starhopper. Anstatt die Entwicklung der interstellaren Raumsonde zu überwachen, organisierte sie nun die Öffentlichkeitsarbeit, arrangierte Festlichkeiten und unterhielt die Reichen und Mächtigen. Wo ihr Implantat sie früher über den Fortschritt am Bau auf dem Laufenden gehalten hatte, informierte es sie nun über hundert verschiedene Möglichkeiten der Einflussnahme. Ihr tägliches Herumscharwenzeln um Programmierer, Bauarbeiter und Ingenieure fand nun seine Entsprechung bei Politikern, Industriellen und Power-Brokern. Und was die Geschenke, Bestechungsgelder und politischen Gefälligkeiten betraf, waren sie nur die Kehrseite der Geldbeschaffungsmaßnahmen für Starhopper. Sie wusste nun, was Dard in den zwanzig Jahren mitgemacht hatte, die dem Bau der interstellaren Raumsonde vorangegangen waren.
Ihr wurde warm ums Herz beim Gedanken an ihren alten Mentor. Sie hatte erfahren, dass Dard auf der Erde weilte, und hatte ihn zur Feier dieses Abends eingeladen. Er war zuerst unschlüssig gewesen, hatte die Einladung dann aber angenommen. Das Fest fand offiziell zu Ehren eines Wissenschaftlers statt, dem ein Fünftel Nobelpreis verliehen worden war. Der wahre Zweck bestand natürlich darin, noch ein paar Schuldscheine für den Tag zu sammeln, da die Dritte Flotte ihre Lichtsegel am Rand des Sonnensystems setzte.
Tory fühlte die leise Stimme hinter sich mehr, als dass sie sie hörte. Sie blickte flüchtig über die Schulter und sah eine sechsgliedrige Silhouette gegen das Licht, die in ihre Richtung kam.
»Ich dachte mir schon, dass ich Sie hier finden würde«, sagte Maratel. »Was tun Sie gerade?«
»Sternegucken.«
Maratels Augen erspähten ebenfalls Mira und den kleinen gelben Punkt am Horizont, der Tau Ceti war. Das Sehvermögen der Phelaner war aber nicht ganz so scharf wie das der Menschen, sodass Maratel nicht in der Lage war, auch das Lichtsegel zu entdecken. »Die Sterne sind schön heute Abend. So ähnlich muss es zu Hause vor der Nova gewesen sein.«
»Phela war sehr erdähnlich«, sagte Tory nachdenklich. Sie hatte an Bord der Far Horizons zwar schon viele Bilder von der zerstörten Welt gesehen, war sich der großen Ähnlichkeit zwischen den beiden Welten aber erst bewusst geworden, als sie die Erde erreichte.
Maratel ließ den Blick über die Lichter und das dunkle Meer jenseits der Stadt schweifen. »Ich wusste zuerst nicht, was ich von diesem Ort halten sollte, als wir hier ankamen, aber nun glaube ich, dass es uns hier gefallen wird.«
Die zwei verfielen in Schweigen. In den zwei Jahren, die sie jetzt zusammenarbeiteten, hatte Tory ihre Ressentiments gegen Maratel abgelegt. Ihre Beziehung hatte sich zu einer echten Freundschaft vertieft. Denn wie Tory sich oft in Erinnerung rief, wollte die Phelanerin schließlich nur das Beste für ihre Leute. Außerdem arbeitete Maratel daran, ihre Sympathiewerte zu verbessern.
Jeder phelanische Botschafter hatte ein Spezialgebiet. Faslorn war für Politik zuständig, während Raalwin sich auf das Tagesgeschäft der menschlichen Politik konzentrierte. Es war seine Aufgabe, den System-Rat davon zu überzeugen, dass es auch in seinem Interesse liege, dem Asylantrag der Flüchtlinge auf der Erde stattzugeben. Die Verhandlungen waren bereits so weit gediehen, dass man in Erwägung zog, den Außerirdischen ein Gebiet im Landesinneren von Australien zu überlassen. Neirton war auf Psychologie und Soziologie spezialisiert. Er koordinierte die Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, den Durchschnittsmenschen von der Harmlosigkeit der Phelaner zu überzeugen. Die Holofilme und anderen Unterhaltungsmedien, in die Neirton investierte, erwähnten die Aliens überhaupt nicht, sondern predigten ganz allgemein Toleranz und Verständnis.
Und Maratel hatte den Auftrag, sich um Tory zu kümmern. Nicht, dass die Außerirdischen ihre Loyalität bei der Ausführung des Auftrags in Frage stellten — nicht, wo das Überleben der menschlichen Rasse auf dem Spiel stand. Und doch war Maratel immer zur Stelle, um Tory bei ihren periodischen depressiven Schüben aufzumuntern oder ihr eine weiche Schulter — eigentlich deren vier — zum Ausweinen zu bieten. Torys »Haftbedingungen« hätten insofern noch viel schlechter sein können.
»Gleich werden die ersten Gäste kommen«, erinnerte Maratel sie nach einer Weile Sternengucken.
»Stimmt.«
Die beiden drehten sich um und gingen wieder hinein. Im Penthouse, das den Phelanern als Unterkunft diente, wurden die letzten Vorbereitungen getroffen. Weiß livrierte Kellner wuselten umher und füllten die Getränkestationen auf. Ein Stockwerk tiefer deckten andere Kellner den Tisch mit edlem Porzellan und Silberbesteck. Ein paar dissonante Akkorde kündeten davon, dass das Streicherensemble im Hauptsalon sich ebenfalls bereitmachte.
Tory ging zu einem Ganzkörperspiegel und überprüfte sich auf »Sturmschäden«. Das Haar hatte sie heute Abend hochgesteckt und die schwarzen Locken mit Juwelen dekoriert. Ihr Teint, bei der Ankunft von der Sonne ungeküsst, war nun ein paar Nuancen dunkler. Tory fand diese Änderungen degoutant, aber die meisten Erdlinge machten ihr Komplimente wegen der Bräune. Ihr Abendkleid bestand aus transparentem Stoff, der genauso viel enthüllte, wie er verhüllte. Sie ordnete sorgfältig die paar Strähnen, die sich selbständig gemacht hatten und richtete die schlichte Goldkette um die Taille. Ohrgehänge und ein schmales Goldarmband setzten weitere Akzente - vervollständigt durch die hochhackigen Lacklederschuhe, die unterm Saum ihres Abendkleides hervorlugten.
»Sie sind heute Abend sehr schön«, ertönte eine Stimme hinter ihr.
Überrascht schaute sie in den Spiegel und sah Faslorn hinter sich stehen. Sie seufzte. »Wenn das nicht nur schöne Worte wären.«
»Papperlapapp. Ich habe die menschlichen Parameter der Schönheit überaus gründlich studiert. Gemessen an fast allen sind Sie schön.«
»Danke.«
Faslorn war mit einer aufwendigen Nachbildung eines menschlichen Herren-Abendgewands und formellen Kilts bekleidet. Wie bei Tory war sein Schmuck dezent und sehr teuer.
»Ist alles für diesen Abend bereit?«
Tory befragte ihr Implantat. »So gut wie fertig. Die Hostessen feilen noch an ihrer Schönheit, und die Küche meldet, das Essen werde Punkt einundzwanzighundert serviert.«
Faslorn machte die Phelanergeste, die einem Nicken entsprach. »Wir sollten jemanden zur U-Bahn-Station schicken, um unsere Gäste zu empfangen. Sorgen Sie dafür, dass sie den Ehrengast identifizieren können.«
»Alles schon veranlasst. Es wurden zwei Personen zur Begrüßung abgestellt. Beide verfügen über ein paar Hologramme von Professor Garrity.«
Faslorn versuchte ein Lächeln. »Sie sind nicht nur schön, Tory, sondern auch effizient.«
»Nochmals danke.«
Er nahm ihren Arm in seine obere rechte Hand und drückte ihn beruhigend. »Dem Vernehmen nach soll die Far Horizons heute Abend für Menschen sichtbar sein.«
Sie nickte. »Ich war gerade draußen, um mich selbst zu überzeugen.«
»Dann treten wir also in die Endphase ein. Wenn wir alle ganze Arbeit leisten, werden unsere beiden Arten auch von diesen Anstrengungen profitieren.«
Tory schaute ihn scharf an. Im Lauf des letzten Jahres hatte sie gelernt, die phelanische Gestik recht zuverlässig zu deuten. Einem anderen Menschen wäre das nicht aufgefallen, aber sie hatte den Eindruck, dass Faslorn besorgter wirkte als sonst. War es möglich, dass er genauso viel Angst hatte wie sie?
Damit würde sie sich intensiver befassen müssen.
»Dard, Sie sehen toll aus!«, sagte Tory. Die Party war schon seit einer Stunde im Gang, und gleich würde das Essen serviert. Tory, die sich unter die Gäste gemischt hatte, entdeckte schließlich das schüttere Haar ihres alten Chefs. Sie ging durch den Salon zu der Stelle, wo er mit einem Mann und einer Frau stand. Alle drei schienen eben erst eingetroffen zu sein.
»Hallo, Tory. Sie sehen heute Abend wirklich hinreißend aus!«
Tory spürte, wie sie bei dem Kompliment errötete — oder lag es an der Anwesenheit eines Freundes? Ihre offizielle Stellung als Vertreterin der Phelaner verlangte von ihr, dass sie praktisch jedes andere Mitglied ihrer Spezies als Gegner betrachtete. Es tat gut, den alten Gefühlen wieder freien Lauf zu lassen — wenn auch nur für ein paar Minuten.
»Vielen Dank. Wer sind denn Ihre Freunde?«
»Victoria Bronson, darf ich Ihnen die Professoren Bernardo Lucci und Pauline Frankowitsch vorstellen? Pauline arbeitet in der Sternwarte auf der Rückseite des Mondes. Sie ist die Entdeckerin des Schiffs Ihrer außerirdischen Freunde. Bernie ist an der Universität Lyon tätig, wo er den Galileo-Lehrstuhl in Astronomie innehat. Seine neue Leidenschaft gilt der Paläoastronomie.«
»Wie bitte?«
»Das Studium alter astronomischer Aufzeichnungen, Miss Bronson«, erwiderte Lucci.
»Nennen Sie mich doch bitte Tory. Das machen alle.«
»Also Tory.«
Sie wandte sich wieder an Pierce. »Na, Dard, was sagen Sie zu unsrer kleinen Party?«
Pierce nippte am Getränk, das er sich von einem vorbeigehenden Tablett geschnappt hatte und ließ den Blick durch den Salon schweifen. »Ich bin neidisch. Schauen Sie, dort sind Angus MacCrory und Raphaella Higgens! Wenn es mir gelungen wäre, sie als Sponsoren zu gewinnen, hätten wir Starhopper schon ein Jahrzehnt früher gestartet.«
»Dann hätte sie uns aber nicht für die Begegnung mit der Far Horizons zur Verfügung gestanden.«
Pierce kratzte sich am Ohr und bedachte sie mit einem seltsamen Blick. »Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie doch dagegen, die Raumsonde zu diesem Zweck zu verwenden, und Sie haben das auch laut und deutlich klargemacht!«
»Stimmt. Das zeigt aber nur, dass wir alle mal einen Fehler machen.« »Hmmm ...«
Sie erinnerte sich daran, dass er es in der Vergangenheit gern vermieden hatte, heikle Themen anzuschneiden. »Raus damit, Dard.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Sie verheimlichen mir doch etwas.«
Er zuckte die Achseln. »Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit Ihrem Exverehrer. Er scheint zu glauben, dass Sie hier einen Fehler machen.«
Sie seufzte. »Ja, ich weiß. Ben und ich hatten am Abend meiner Rückkehr eine lange Auseinandersetzung wegen meiner Unterstützung für die Phelaner und am nächsten Tag noch eine. Wir haben seitdem auch nicht mehr privat miteinander gesprochen.«
Er grinste. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich habe Tallen nie besonders gemocht. Er war immer zu verdammt selbstgefällig für meinen Geschmack.«
»Na, Dard! Das haben Sie mir aber nie gesagt.«
»Sehe ich etwa aus, als ob ich so dumm wäre, einer Frau eine Mängelliste ihres Geliebten vorzulegen?«
Tory lachte. »Was ist denn so wichtig, dass es Sie auf die Erde verschlagen hat?«
»Ich nehme an einer wissenschaftlichen Konferenz teil, die Bernie organisiert hat. Wir wollen versuchen, ein paar Geheimnisse zu lüften, die schon zu lange herumgeistern.«
»Eigentlich«, sagte Pauline Frankowitsch, »ist das nur ein Vorwand für ein gemütliches Akademikertreffen, bei dem man am Pool sitzt und Cocktails schlürft. Wir rechtfertigen unsere Spesenrechnung damit, dass wir über Astronomie sprechen, während wir in der Sonne liegen.«
»Ich liebe alte Geheimnisse. Worum geht's denn?«
Pierce knickte den Daumen in Richtung von Neirton ab, der ein paar Meter entfernt bei einer anderen Gruppe stand. »Indirekt hat es mit Ihren Freunden zu tun.«
»Den Phelanern?«
»Wir studieren die Tau-Ceti-Nova«, erklärte Lucci. »Das war ein ziemlich anomales Ereignis, müssen Sie wissen. Nicht nur, dass Einzelsterne eigentlich nicht zur Nova werden dürften — er hat dann nicht einmal die Lichtkurve gekriegt.«
»Was?« Sturmglocken begannen in Torys Kopf zu läuten.
»Wir haben die Phelaner dahingehend befragt, und sie meinten, dass unsere Instrumente eine Fehlfunktion gehabt hätten. Na, ich kann Ihnen sagen, dass ich die alten Daten die letzten drei Jahre studiert habe und von einer Fehlfunktion nicht die Rede sein kann. Tau Ceti hat in den ersten Stunden nach der Explosion zwei Komma fünf Prozent weniger Licht ausgestrahlt, als man hätte erwarten müssen. Wir haben keine Erklärung dafür.«
Tory versuchte, ihre Stimme unter Kontrolle zu behalten. »Überhaupt keine?«
»Null«, erwiderte Pierce. »Deshalb ist es ja so interessant. Wenn ein Stern der Hauptreihe explodieren kann ...«
»... warum dann nicht auch ein anderer?«, fragte Pauline Frankowitsch und beendete den Satz für ihn. »Die Sonne ist nämlich auch ein Hauptreihenstern, müssen Sie wissen.«
»Brauchen Sie vielleicht Hilfe?«, fragte Tory und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, das Thema zu wechseln. Im Gegensatz zu ihren Gästen wusste sie nämlich ganz genau, was das Lichtdefizit der Nova verursacht hatte.
»Was für Hilfe?«
»Kapital, Infrastruktur, Rechenkapazität?«
»Was schlagen Sie denn vor?«, fragte Pierce. Bei der Erwähnung möglicher Unterstützung setzten die Reflexe des alten Geldbeschaffers wieder ein.
»Da Ihre Studien Tau Ceti betreffen, wäre die Botschaft vielleicht gewillt, Ihre Konferenz und vielleicht sogar die Grundlagenforschung zu sponsern. Die Phelaner wissen nämlich genauso wenig wie wir, weshalb ihre Sonne explodiert ist.«
»Das zu glauben fällt mir freilich schwer«, erwiderte Pauline.
»Sie müssen bedenken, dass ihre Zivilisation sich aufgelöst hat, nachdem die Astronomen die drohende Katastrophe verkündet hatten. Die Sternwarten waren das bevorzugte Ziel der wütenden Mengen. Viele Aufzeichnungen wurden vernichtet.«
»Das wusste ich nicht.«
»Wir können Ihnen Informationen über die Zeit der Fährnisse zukommen lassen, wenn Sie wünschen.«
»Egal«, sagte Pierce. »Die Phelaner wären also bereit, eine Untersuchung zu unterstützen, weshalb ihr Stern explodierte?«
»Sicher — wenn sie von der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen überzeugt sind.« Tory verschwieg freilich, dass die Phelaner mit der Finanzierung zugleich auch Einfluss auf die Forschung nehmen würden. Sie könnten die Weichen dahingehend stellen, dass die Untersuchung natürlicher Ursachen der Tau-Ceti-Nova vorrangig »gefördert« und die Ermittlung unnatürlicher Ursachen aufs Abstellgleis geschoben wurde.
»Was ist mit Ihren Beobachtungen bezüglich der Entstehung und des Ausklingens der Nova?«, fragte Lucci. »Ich weiß, dass solche Aufzeichnungen existieren. Sie hatten nämlich welche mit der Reisebeschreibung mitgeschickt, die an die Erde übermittelt wurde.«
»Es gibt wahrscheinlich ein paar Hundert Beobachtungsstunden an Bord der Far Horizons.«
»Könnten wir die vielleicht bekommen?«
»Leider erst dann, wenn das Schiff die Parkbahn erreicht. Weil die dichteste Annäherung schon in vierundneunzig Tagen erfolgt, werden sie viel zu beschäftigt sein, um Anforderungen von Verlaufsdaten zu bearbeiten. Aber ich bin sicher, dass die Phelaner keine Einwände haben werden, Ihnen die Aufzeichnungen zur Einsicht zu überlassen, sobald sie in die Umlaufbahn gegangen sind.«
»Ausgezeichnet!«
»Ich könnte auch einen Termin mit Faslorn für Sie vereinbaren, um das zu erörtern.«
»Das würden Sie tun?«, fragte Pauline.
»Gewiss. Würde Ihnen Mittwoch um zehn passen?«
»Bernie und Pauline können auch mitkommen«, sagte Pierce. »Ich habe dann andere Verpflichtungen.«
»Mittwoch um zehn ist gut«, sagte Lucci.
»Sehr gut. Der Termin wird bestätigt. Wie ich sehe, hat Dard seinen Martini ausgetrunken. Darf ich Ihnen vielleicht einen Mars-Scotch anbieten?«