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»Spektakulär«, sagte Kit Claridge voller Staunen, ohne den Blick von diesem Panorama zu wenden. »Ist das eine originalgetreue Nachbildung der Heimatwelt der Phelaner?«

»Es ist eine idealisierte Interpretation. Unsere Vorfahren wollten zukünftige Generationen daran erinnern, was sie verloren hatten.«

»Eine sensationelle Gedächtnisstütze«, sagte Garth.

»Für diejenigen von uns, die an Bord dieses Schiffs geboren wurden, ist Phela nur eine Abfolge von Bildern in unseren Datenbanken. Das hier ...« Faslorn wies mit seinen Mehrfach-Gelenkarmen in einer ausladenden Geste auf die kleine Welt hinter dem Glas, »ist unsere Heimat. Eine andere haben wir nie gekannt.«

»Das ist wunderschön«, schwärmte Tory.

»Danke.« Faslorn deutete auf die wartende Menge der Phelaner. »Kommen Sie, ich möchte Sie meinen Schiffskameraden vorstellen ...«

Ein Phelaner trat auf eine Geste von Faslorn vor. Er bewegte sich steif. Sein Pelz war von breiten grauen Streifen überzogen, und den schwarzen Augen fehlte der Glanz der anderen. Insgesamt vermittelte er den Eindruck eines hohen Alters.

»Kapitän Van Zandt, ich darf Ihnen Rosswin vorstellen, meinen Chefberater. Er ist unser anerkannter Experte für Ihre Rasse und Ihre technisch-kulturellen Errungenschaften.«

Der Phelaner reichte Garth seine sechsfingrige Hand. Der Handschlag geriet zu einem formellen Händedruck wie bei der Unterzeichnung eines Vertrags. »Ich freue mich auf viele Stunden angenehmer Konversation, Kapitän.«

»Ganz meinerseits, Rosswin. Darf ich Ihnen nun meine Mannschaft vorstellen?« Garth machte der Reihe nach Tory, Kit, und Eli Guttieriz bekannt. Der restliche Begrüßungsparcours folgte diesem Muster. Zuerst stellte Faslorn einen Phelaner vor, worauf Garth mit einer Gegenvorstellung antwortete. Tory spürte einen Formalismus hinter der Zeremonie, der über bloße Höflichkeit hinausging. Es war fast, als ob sie eine Akteurin bei einem alten, stilisierten Ballett war.

Die Routine wurde nach ein paar weiteren Vorstellungen unterbrochen, als eine Frau auf eine Geste von Faslorn hin vortrat. Wie bei den Menschen waren Phelaner-Frauen tendenziell kleiner als ihre männlichen Pendants. Die sonstigen Unterschiede waren eher subtil und ließen die äußerlichen Geschlechtsmerkmale vermissen, die bei den Menschen so offensichtlich waren. Oder vielleicht waren sie auch nur für die Menschen nicht offensichtlich. Bei den Phelanern gab es zwischen Frau und Mann sicherlich genauso markante Unterschiede wie zwischen einem schwellenden Bizeps und einer schwellenden Brust beim Homo Sapiens.

»Miss Bronson. Ich möchte Ihnen Maratel vorstellen. Sie wird während Ihres Aufenthalts bei uns Ihre persönliche Mentorin sein.«

»Hallo, Maratel«, sagte Tory und reichte ihr die Hand.

»Miss Bronson«, sagte die Außerirdische mit einer Stimme, die das Timbre von Torys Stimme imitierte.

»Nennen Sie mich bitte Tory.«

»Es ist mir eine Ehre, Tory. Ich hoffe, dass wir gute Freundinnen werden.«

»Ich auch.«

Der nächste Phelaner, der aus der Menge heraustrat, erwies sich als ein medizinischer Spezialist und Kit Claridges persönlicher Mentor. Dann wurden Garth und Eli Guttieriz ihren jeweiligen Mentoren vorgestellt. Als schließlich allen der Kopf von phelanischen Dienstgraden und Namen schwirrte, beendete Faslorn die Begrüßungszeremonie mit einer Geste.

»Was nun?«, fragte Garth, als die Menge zu einer Öffnung auf der rechten Seite strömte.

»Wir haben ein Begrüßungsbankett für Sie angerichtet, Kapitän. Das ist eine Gewohnheit, die unsere beiden Kulturen gemeinsam haben.«

Die kleine Gruppe aus Menschen und Phelanern folgte dem Gros der Phelaner. Auf der anderen Seite des Schotts war in einer großen Abteilung ein Tisch auf einer Bühne aufgestellt worden. Vor ihm hatte man noch etliche Tische in parallelen Reihen arrangiert. Es war eine Szene, die Generationen öffentlicher Redner und den Leuten vertraut war, die öffentliche Kundgebungen besuchten.

Der Phelaner führte die Menschen auf die Bühne zum Haupttisch. Tory wurde neben Maratel platziert, und Eli Guttieriz' Mentor saß zu ihrer Linken. Die Stühle, auf denen sie und ihre Schiffskameraden saßen, waren menschliche Standardausführungen, doch die Phelaner balancierten auf Rohrgestellen, die ausgesprochen unbequem anmuteten — bis ersichtlich wurde, dass sie eine formschlüssige Verbindung mit dem >Multi-Link<-Körperbau der Phelaner ermöglichten. Nachdem alle Platz genommen hatten, betraten mehrere Gruppen Phelaner die Halle und verteilten sich zwischen den Tischgästen. Aus den Krügen, die sie mitführten, schenkten sie eine dunkelrote Flüssigkeit in langstielige, flache Niedergravitationskelche ein. Als ein Kellner um Torys linken Arm herumgriff, um ihr Glas aufzufüllen, nahm sie das zum Anlass, die Aufmerksamkeit auf das Tischgedeck zu richten. Sie stellte fest, dass es perfekt dem Platzgedeck in einem Nobelrestaurant nachempfunden war. Jeder Teller wurde von mehreren Gabeln, zwei verschiedenen Messern und Löffeln in drei Größen flankiert. Das Besteck schien aus Kristall gefertigt zu sein. Die Teller, Tassen, und Untertassen wurden am Rand von einem Blumendesign bekränzt, obwohl die Blumen keine Ähnlichkeit mit denen aufwiesen, die Tory je zu Gesicht bekommen hatte. Sie begutachtete den kleinen Teller, der normalerweise für Brot verwendet wurde. Seine Masse betrug nur ein paar Gramm, und er bestand aus einem Material, bei dem es sich weder um Metall noch um Porzellan oder Kunststoff zu handeln schien.

»Woraus besteht dieses Tellerchen denn?«

Maratel warf einen flüchtigen Blick darauf. »Ich bin nicht mit der Fachterminologie vertraut, sodass ich Ihnen die korrekte chemische Bezeichnung nicht nennen kann. Aber es wurde aus dem gleichen Material gegossen, das auch für unsere Lichtsegel verwendet wird.«

Garth, der zwei Plätze rechts neben Tory saß, bekam das mit und unterzog seine Utensilien nun auch einer gründlichen Inspektion. Tory hatte den Teller inzwischen wieder hingestellt und ließ den Blick durch den Saal schweifen. Die Personen an den unteren Tischen waren selbst in Gespräche vertieft und ignorierten den Haupttisch. Und doch fing sie gelegentlich verstohlene Blicke auf. Sie fragte sich, ob man den Phelanern denn nicht beigebracht hatte, dass es unhöflich sei, andere Leute anzustarren.

»Die Ähnlichkeit mit meinem Zuhause ist geradezu überwältigend«, sagte sie Maratel. »Ich nehme an, dass das kein Zufall ist.«

Das glucksende Lachen der Phelaner-Frau war überaus menschlich. »Sie liegen richtig mit Ihrer Annahme. Wir haben das von einem Ihrer alten Kinofilme kopiert. Ich kann herausfinden, welcher es ist, wenn es Sie interessiert.«

»Das ist nicht nötig. Wieso betreiben Sie überhaupt diesen ganzen Aufwand für uns?«

»Weil das der wichtigste Tag in der Geschichte unsrer Spezies seit der Nova ist. Außerdem waren wir der Ansicht, dass es Ihnen in einer vertrauten Umgebung leichter fallen würde, Vorbehalte und Ängste uns gegenüber abzubauen. Oder sollten unsere Analytiker sich in ihrer Einschätzung der menschlichen Psyche geirrt haben?«

Tory hob die kleinste Gabel hoch und ließ das Licht über die Oberfläche spielen. Das Gäbelchen war perfekt bis ins kleinste Detail. Die drei präzise geformten Zinken gingen übergangslos in den Schaft über und der wiederum in den aufwendig verzierten Griff.

»Nein, sie haben sich nicht geirrt.«

Tory hob das Weinglas an die Nase und roch daran. Die rote Flüssigkeit, die darin schwappte, hatte einen ausgeprägten Alkoholgeruch. Sie führte das Glas an die Lippen und nippte am Wein. Er erwies sich als eine gut gelungene Imitation eines Roseweins. Während sie den Wein verkostete, lauschte sie der Unterhaltung zwischen Eli und Faslorn.

»Phela? Hieß so Ihre Welt, die Tau Ceti umkreiste?«

»Professor, es wird Ihnen sicherlich einleuchten, dass wir die Phonetik der meisten unsrer Namen an Ihre Sprache adaptiert haben, um Ihnen die Aussprache zu erleichtern. In unsrer eigenen Sprache ist Phela [Schnauben], und wir selbst sind [Schnauben/Keuchen].«

Guttieriz spitzte die Ohren bei den plötzlichen außerirdischen Phonemen. »Ein beträchtlicher Unterschied.«

»Es wäre uns ein Vergnügen, Sie in unsrer Sprache zu unterrichten, wenn Sie mögen, obwohl ich befürchte, dass es Ihnen ziemlich schwerfallen wird, sie zu erlernen.«

»Natürlich möchte ich so viel wie möglich lernen«, sagte der Linguist. »Seit ich Ihr perfektes Standard über die Lautsprecheranlage unseres Schiffs gehört habe, bin ich mir irgendwie überflüssig vorgekommen. Ich würde mich zu Studienzwecken gern mit Ihren Leuten in Ihrer eigenen Sprache unterhalten.«

»Das bleibt Ihnen natürlich unbenommen, Professor«, erwiderte Faslorn mit einer seltsamen Geste. »Jedoch sprechen sie alle Standard, so wie ich auch.«

»Sie alle?«

Tory speicherte Faslorns Geste mental ab. Sie vermutete, dass es sich dabei um die phelanische Geste der Bestätigung handelte.

»Wie die Menschen durchlaufen auch wir Phelaner eine Phase, in der uns der Spracherwerb besonders leicht fällt. Wir unterrichten beide Idiome gleichzeitig.«

»Aber schafft das denn keine Probleme? Mit Blick auf die Sozialisierung und solche Dinge?«

»In der Tat ist das Ergebnis manchmal recht interessant, bis der Schüler das Alter erreicht, wo er oder sie zwischen den beiden Sprachen zu differenzieren vermag.«

»Aber Sie sprechen Standard doch wohl kaum mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Ihre Muttersprache!«

»Wieso nicht?«

»Weil es axiomatisch ist, dass Sprache die gedanklichen Prozesse des Sprechers widerspiegelt. Als Außerirdische müssen Sie die Dinge doch aus einer ganz anderen Perspektive betrachten als wir, und diese Unterschiede müssten dann auch in Ihrer Sprache reflektiert werden.«

»Sie würden sich wundern, wie sehr unsere beiden Spezies sich gleichen, Professor.«

»Wie kann das sein?«

»Beide Kulturen haben ihre Basis im Eigennutz des Individuums, obwohl ihr Menschen noch viel stärker zum Individualismus neigt. Wir lachen sogar über manche Ihrer Witze - wenn auch oftmals nicht aus dem gleichen Grund wie Sie.«

»Und was ist mit unserer kriegerischen Ader?«, versuchte Guttieriz ihn aus der Reserve zu locken. »Ist dieser menschliche Charakterzug Ihnen auch zu eigen?«

»Wir haben unsere Differenzen.« Faslorn bemerkte den Blickwechsel zwischen Eli und Garth. »Würden Sie mir denn glauben, wenn ich etwas anderes behauptete?«

»Ihre Ehrlichkeit ist überaus ... erfrischend.«

»Meine Ehrlichkeit ist auch Eigennutz, Kapitän. Wir suchen eine neue Heimat. Zu diesem Zweck müssen wir Ihnen zeigen, dass es sich für Sie lohnt, wenn Sie uns unterstützen. Um Ihr Vertrauen zu gewinnen, müssen wir offen sprechen. Ich hoffe nur, dass Sie dadurch nicht brüskiert werden und Sie genauso ehrlich zu uns sind.«

»Von Brüskierung kann überhaupt keine Rede sein. Wir fühlen uns vielmehr geehrt — diese Ehrlichkeit ist nämlich ein Beweis für den Respekt, den Sie uns entgegenbringen. Es gäbe da aber noch ein paar Fragen, von denen meine Vorgesetzten wollen, dass ich sie Ihnen so bald wie möglich stelle.«

»Fragen Sie.«

»Wie viele waren Sie auf Phela, als Tau Ceti explodierte?«

»Zehn Komma sieben Milliarden.«

»Und wie viele befinden sich nun an Bord der Far Horizons?«

»Einhundert, zwölftausend, dreihundert und fünfundsechzig.«

»Und die anderen Schiffe, die entkommen sind?«

»Ungefähr genauso viele, könnte ich mir vorstellen.«

Tory erlebte eine plötzliche Rückblende zu der Nacht, als sie erstmals davon erfahren hatte, dass Tau Ceti bewohnt war. Sie erinnerte sich an das Gefühl des Verlusts, das sie beim Gedanken an die Auslöschung einer ganzen Spezies verspürt hatte. Von den fast elf Milliarden intelligenter Lebewesen hatten weniger als eine halbe Million überlebt. Was für eine Tragödie!

Faslorn bemerkte den plötzlichen Stimmungsumschwung bei seinen Gästen. »Trauern Sie nicht um uns, unsere neu gefundenen Freunde. Sie starben vor sehr langer Zeit. Wir - ihre Nachkommen - müssen nur dafür sorgen, dass sie nicht vergebens gestorben sind.«

Das Schweigen, das nun folgte, dauerte nur ein paar Sekunden. Bei ihrer Synergisten-Ausbildung war Tory auch in der Kunst der Beobachtung unterwiesen worden; sie bemerkte, dass die Mentoren sich einschalteten und ihre Gäste in ein Gespräch verwickelten, bevor ein Gefühl des Unbehagens bei ihnen aufkam. Dadurch vermittelten sie aber auch den Eindruck, Teil einer gut geölten — oder gut eingespielten — Maschinerie zu sein.

Die Kellner kehrten zurück. Ein paar von ihnen balancierten Rechauds auf jedem der vier Arme. Tory wartete, bis man ihr das Essen serviert hatte, und griff dann zur Gabel. »Sind Sie sicher, dass wir das essen können?«, fragte sie Maratel und stocherte in der grünen Substanz auf ihrem Teller.

»Unsere Biochemie ist wohl ähnlich, aber nicht identisch. Die Menschen vertragen die meisten unsrer Nahrungsmittel, aber es fehlt ihnen an wichtigen Nährstoffen. Nach einer gewissen Zeit würden Sie an Vitaminmangel leiden. Das Gleiche würde natürlich auch gelten, wenn wir Ihre Nahrungsmittel äßen. Alles, was Sie heute Abend verzehren, ist garantiert unbedenklich und nahrhaft. Doch für den Geschmack kann ich mich leider nicht verbürgen. Widmen Sie sich dieser Mahlzeit doch einfach im Geiste eines wissenschaftlichen Experiments.«

Tory lächelte. »Das wäre nicht das erste Bankett, dem ich in diesem Geiste beigewohnt habe.«

Die Mahlzeit erwies sich als eine der denkwürdigsten in Torys Leben. Wie Maratel gesagt hatte, kannten die Phelaner zwar die Wirkungsweise menschlicher Geschmacksknospen, nicht aber die Geschmackskombinationen, die ein Mensch goutierte. Trotzdem waren die Speisen erstaunlich gut. Nur zweimal überkam sie ein plötzlicher Brechreiz - einmal bei einem Gericht, das nach fauligen Abfällen roch, und dann als sie in ein undefinierbares quadratisches Pastetchen biss und beim Geschmack nach halbgarer Leber fast rückwärts gegessen hätte. Was sie dann aber am meisten wunderte, war, dass Eli Guttieriz diesem letzten Menü noch »fünf Sterne« verlieh.

Im Allgemeinen waren das erste Anzeichen eines Naserümpfens oder einer säuerlichen Miene aber ein beredtes Signal, um ein Gericht zurückgehen und etwas anderes auftragen zu lassen. Und die Komposition der Gerichte war auch interessant. Während die Speisen im Allgemeinen schmackhaft waren, mutete die Zusammenstellung etwas seltsam an. Wer wäre je auf die Idee gekommen, beispielsweise Sojasoße mit Schokolade zu kombinieren? Oder Fleischklopse mit Kräuterlimonade? Dazu gab es eine purpurrote birnenartige Frucht mit Pfeffergeschmack und einer citrus-fruchtigen Note, eine klare Brühe, die geschmacklich als ein Mix aus Remouladensauce und Eierpunsch hätte durchgehen können, und ein Fleischgericht mit einem Geschmack nach Vanilleeis im Abgang. Der allgemeine Eindruck war der eines phelanischen Küchenchefs, der die Speisen aufs Geratewohl mit Gewürzen imprägnierte — in der Hoffnung, durch »Trial and Error« die optimale Kombination zu ermitteln.

Die phelanischen Mentoren ließen es sich scheinbar auch munden, beobachteten aber hauptsächlich ihre menschlichen »Mündel«. Nach jedem Gang baten sie Tory und die anderen um eine Stellungnahme. Tory stellte fest, dass die Fehlerquote sich im weiteren Verlauf der Mahlzeit verringerte; was auch immer die Phelaner taten, sie schienen imstande, ihre Fehler in Echtzeit zu korrigieren. Tory legte diese Beobachtung unter der Kategorie »Wie gut verstehen die Phelaner uns?« ab. Bisher hatte die Erkenntnis sich ihr aufgedrängt, dass sie die Menschen nur zu gut verstanden.

Nach dem »Dessert«, das einem Apfelkuchen nach Art des Hauses ziemlich nahe kam, erhob Faslorn sich von seinem Sitz und bewegte sich zum Pult, das in der Mitte des Haupttischs stand. Jedoch ebbte die Geräuschkulisse, mit der ein menschlicher Sprecher für gewöhnlich konfrontiert wurde, nicht allmählich ab. Das phelanische Publikum verstummte vielmehr abrupt, legte das Besteck hin und richtete die Aufmerksamkeit auf Faslorn. Es war, als ob sie dieses Bankett tausendmal geprobt hätten — was in Anbetracht der Zeit, die sie für die Vorbereitung gehabt hatten, durchaus möglich war.

»Meine Damen und Herren, liebe Schiffskameraden und Freunde«, hob Faslorn auf die traditionelle Art und Weise an. »Wir haben uns heute Abend aus einem höchst bedeutsamen Anlass hier versammelt. Wir feiern die erste Begegnung von zwei großen Rassen - wir, die Flüchtlingsvölker von Phela, und diese Vertreter des Homo Sapiens Terra. Es ist eine Tradition der Phelaner, dass zwei Fremde, die gemeinsam Speis und Trank einnehmen, keine Fremden mehr sind. Das Brechen von Brot mit Reisenden ist auch eine sehr alte menschliche Gewohnheit. Ich hoffe, dass diese Mahlzeit nur die erste von vielen auf unserer langen Reise des gegenseitigen Verstehens ist.

Ich darf unsere menschlichen Freunde nochmals willkommen heißen. Sie sind weit gereist, um uns zu treffen, und haben auf Ihrer Reise mancherlei Fährnisse bestanden. Wir wissen Ihre Anstrengungen zu schätzen. Offen gesagt hätten wir nicht damit gerechnet, überhaupt auf Menschen zu treffen, bis wir die Umkreisung Ihrer Sonne beendet hatten. Dass es Ihnen gelungen ist, uns so weit draußen entgegenzukommen, ist eine sehr beeindruckende Leistung. Doch gestatten Sie, dass wir nun auch ein wenig >Eindruck schinden< möchten. Lehnen Sie sich zurück, entspannen Sie sich und schauen die Wunder des untergegangenen Phela.«

Die Lichter im Bankettsaal wurden gedimmt, und die Rückwand erhellte sich langsam. Die Szene war eine Ansicht des Weltalls. Ein Stern, der stärker orange leuchtete als Sol, stand im Hintergrund, während eine blauweiße Welt im Vordergrund schwebte. Diese Welt hätte die Erde sein können - wären da nicht die Kontinente mit ihren fremdartigen Konturen und zwei kleine Monde gewesen.

den ungeschulten Beobachter wurde ersichtlich, dass hier etwas nicht stimmte. Die oberen Schichten des Sterns wurden durch schwere Plasmastürme aufgewühlt, und Protuberanzen schossen Millionen von Kilometern weit ins All.

Als Tau Ceti schließlich explodierte, geschah das in völliger Stille.

Die Kamera wich vor dem explodierenden Stern zurück. Als er wieder in einem diffusen Weiß leuchtete, sahen sie, dass die Oberfläche der Nova von einem kleinen schwarzen Kreis und drei kleinen Punkten markiert wurde. Man musste Tory nicht erst sagen, dass der Kreis die Welt der Phelaner und die Punkte ihre drei Monde waren. Mit entsetzter Faszination verfolgte sie, wie die Druckwelle vom explodierenden Stern sich ausbreitete und gegen den Planeten anbrandete, den sie gerade erst verlassen hatten.

Die Szene änderte sich erneut. Diesmal zeigte sie ein zylindrisches Raumschiff in der Tiefe des Alls. Das Objekt war die Far Horizons oder ihr Schwesterschiff. Das Schiff hing an einem Lichtsegel, das deutlich kleiner war als das, welches sie nun verlangsamte. Das Segel glühte zunächst rot, dann weiß und schließlich indigoblau, als es die Energie der Nova-Schockwelle absorbierte. Das Segel blähte sich wie bei einem starken Wind und beschleunigte in Richtung des Rands von Alpha Centauri. Dabei ließ es das Schiff hinter sich, auf dem die Kamera montiert war. Das Reisevideo endete, als das Sternenschiff mit erstaunlicher Geschwindigkeit bis zur Unsichtbarkeit schrumpfte.

Die Vorführung hatte eine volle Stunde gedauert. Die einzigen Laute im Bankettsaal waren die Hintergrundgeräusche gewesen, die viele Szenen untermalt hatten: das Brechen von Wellen am Strand, die Rufe von Kindern und die Geräusche lebendiger, pulsierender Städte. Nun herrschte völlige Stille in der Halle. Es war eine Friedhofsruhe. Das Licht ging in dem Moment wieder an, als Tory die Tränen wegwischen wollte, die ihr in den Augen standen.

Faslorn sagte für eine Weile nichts. »Sie haben nun einen kleinen Bruchteil dessen kennengelernt, was wir verloren haben, als unser Stern explodierte. Im Lauf der nächsten Wochen können wir Ihnen hoffentlich noch mehr davon zeigen, was wir zu speichern vermochten. Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, dass die Menschheit damit mehr als ausreichend für eine Heimstatt in der Nähe Ihres Sterns entschädigt wird.«

Dardan Pierce schaute mit finsterem Blick auf die Chronometer-Anzeige in der unteren linken Ecke seines Bildschirms. Die Uhr zählte die Tage, Stunden und Sekunden bis zu dem Moment, wo die Kontaktaufnahme der Expedition mit den Außerirdischen hätte erfolgen müssen. Vor einer Stunde hatte der Timer aufgehört, abwärts zu zählen und damit begonnen, aufwärts zu zählen. Den Nachrichtenmedien zufolge sollten in diesem Moment x-Milliarden Kilometer tief im Weltraum Menschen mit Außerirdischen kommunizieren. Sofern sie nicht schon tot waren, natürlich. Und er saß hier in seinem Büro und würde erst in weiteren vierundzwanzig Scheißtagen erfahren, was geschehen war!

»Man sollte ein Gesetz erlassen!«, knurrte er.

»Wie meinen?«, fragte Bernardo Lucci. Der italienische Austauschprofessor schaute aus der Ecke von Pierces Büro auf, in der er hockte und einen Stapel alter Zeitschriften sichtete.

»Da haben sie nun einen Kontakt hergestellt, und ich muss beinahe noch einen Monat warten, bevor ich weiß, was los ist. Man müsste ein neues Naturgesetz erlassen, um das Verfahren zu beschleunigen.«

»Es gibt doch schon eins, alter Knabe! Das wird als die Erste Relativitätstheorie von Einstein bezeichnet. Sie möchten gleichzeitig Kenntnis von zwei Ereignissen haben, die weit voneinander entfernt in einem Universum stattfinden, in dem die Geschwindigkeit des Lichts begrenzt ist. Einstein hat nachgewiesen, dass es so etwas wie Gleichzeitigkeit nicht gibt. Das ist eine Fiktion - wie die Fliehkraft.«

»Ich weiß sehr wohl, was Fliehkraft ist - ich begegne ihr nämlich jedes Mal, wenn ich in der Sporthalle in die Zentrifuge steige, um mich auf einen Flug zu Ihrer verdammten übergroßen Welt vorzubereiten, mein Freund.«

»Wie dem auch sei, sie existiert trotzdem nicht. Genauso wenig wie Ihr Wunsch zu erfahren, was mit Ihren Leuten geschehen ist, im realen Universum einen Sinn ergibt. In fünfundzwanzig Tagen wissen wir mehr.«

»Vierundzwanzig«.

»Ich korrigiere mich. Außerdem - woher wollen Sie denn wissen, dass sie sich dem Lichtsegel auf der Zeitachse nähern, die Sie und die anderen Analysten vor drei Monaten definiert haben? Vielleicht haben sie sich auch dafür entschieden, noch einen Monat zu warten, um erst einmal die Lage zu peilen.«

»Wenn sie mich noch einen Monat warten lassen, werde ich sie alle erwürgen, wenn sie zurückkommen.«

»Wenn es etwas wirklich Interessantes gäbe, an dem Sie Ihren Intellekt wetzen könnten, wären Sie auch nicht so nervös. Ach, da ist es ja. Ich wusste doch, dass ich es finden würde.«

Lucci zog ein mit Eselsohren verziertes Exemplar des System Journal of Astronomy aus der Mitte des Stapels und brachte sie ihm an den Schreibtisch. Die Bibliothek beklagte sich immer, dass Pierce seine Faxe nicht rechtzeitig zum Recycling zurückgab, aber das tangierte ihn nicht; er genoss das Gefühl des leicht rauen Kunststoffs zwischen den Fingern. Es erschien ihm gegenständlicher als eine bloße elektronische Abbildung. Die Zeitschrift, die Lucci in der Hand hatte, trug einen fast acht Jahre alten Datumsstempel.

Der kleinwüchsige Italiener blätterte durch die Seiten. »Aha! Ich wusste doch, dass mein Gedächtnis mich nicht im Stich lassen würde. Hier ist ein Artikel in der Kolumne »Natur und Wissenschaft vor zweihundert Jahren«. Der Eintrag ist auf den 12. April 2028 datiert. Hören Sie sich das mal an:

»Trotz aller Anstrengungen ist die Tau-Ceti-Nova auch dreißig Jahre nach diesem Ereignis das größte wissenschaftliche Geheimnis unserer Zeit. Auf einer Konferenz, die kürzlich auf Bimini auf den Bahamas stattfand, haben renommierte Astronomen einen neuen Anlauf zur Lösung der beiden Rätsel dieser nächsten aller Novae genommen. Die Konferenz schloss mit der einmütigen Feststellung, dass keine substanziellen Fortschritte bei der Beantwortung der Frage erzielt worden seien, weshalb ein äußerlich normaler, orangefarbener Zwergstern der Klasse K0 in der Hauptreihe explodiert ist. Das kleinere Rätsel — das anfängliche Defizit von 2,5 Prozent beim erwarteten Energieausstoß der Nova — war Gegenstand einer viel lebhafteren Spekulation, wobei sich aber auch keine Erklärung als plausibel erwies. Dieses Geheimnis wird uns wohl auch weiterhin begleiten.«

Lucci schaute mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck von seiner Lektüre auf.

»Und?«, fragte Pierce.

»Sehen Sie das denn nicht? Dieses Geheimnis ist bis zum heutigen Tag nicht gelüftet worden!«

»Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Bernie?«

»Ist das nicht offensichtlich? Ihre Leute werden doch jeden Moment Kontakt mit Wesen aufnehmen, die die Explosion mit eigenen Augen gesehen haben! Vielleicht können sie etwas Licht ins Dunkel der Frage bringen, weshalb ihr Stern explodiert ist. Wenn schon zu nichts anderem, dann sollte es zumindest für einen Artikel in den diesjährigen Transactions gut sein.«

Pierce dachte darüber nach und nickte dann. »Wäre vielleicht eine gute Gelegenheit, sich die >Neugier-Hörner< daran abzustoßen. Wie wär's, wenn ich eine entsprechende Frage formuliere und ans Schiff übermittle? Sie könnten die Aliens dann um Aufzeichnungen bitten, die sie vor und nach der Nova vom Stern gemacht haben. Das einzige Problem ist, dass wir zwei Monate auf eine Antwort warten müssten.«

Lucci lachte. »Wenn es Ihnen gelingt, die Kommunikationsverzögerung zu überbrücken, weihen Sie mich als Ersten in das Geheimnis ein, ja? Ich möchte meine Schäfchen ins Trockene bringen, bevor der Ansturm beginnt.«

»Was ist denn mit dieser anderen Sache, dem ungeklärten Lichtdefizit?«

Lucci zuckte die Achseln. »Kann nicht schaden, auch danach zu fragen.«