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Die Bildschirmanzeige löste sich in statischem Rauschen in bunte Schlieren auf, stabilisierte sich dann aber wieder. Es dauerte einen Moment, bis Torys Augen sich auf das Geschöpf fokussiert hatten, das sie nun auf der Mattscheibe anschaute.

Der Außerirdische war mit einem dichten weißen Pelz bedeckt. Sein Mund war eine kurze Schnauze, über der zwei große Augen standen. Die Augen hatten horizontale Schlitze anstatt runder Pupillen. Der Kopf wurde von einem Paar beweglicher Ohren gekrönt, aus denen Haarbüschel wuchsen. Die Ohren waren gespitzt wie bei einer Dänischen Dogge.

Noch bevor irgendjemand etwas zu sagen vermochte, öffnete der Außerirdische den Mund, und Worte drangen aus einem Deckenlautsprecher. Sie ertönten in einem akzentfreien Standard. »Sehr geehrte Damen und Herren, willkommen beim phelanischen Sternenschiff Far Horizons. Wir haben Ihre Annäherung mit großer Spannung verfolgt. Möchten Sie an Bord kommen?«

Es trat ein langes Schweigen ein, als Garth die Fassung zurückerlangte. »Ja, bitte«, sagte er schließlich.

»Sehr gut«, sagte das Wesen auf dem Bildschirm. »Schalten Sie Ihre Aufzeichnungsgeräte ein, und wir werden Ihnen die Instruktionen für den Anflug übermitteln.«

»Recorder an!«, meldete Tory.

Plötzlich ertönte ein schrilles, hochfrequentes Geräusch auf der Funkverbindung. Es dauerte weniger als eine Sekunde, bedeutete aber, dass sie eine beträchtliche Datenmenge empfangen hatten.

»Die Aufzeichnung beinhaltet eine Anflugschneise und ein Geschwindigkeitsprofil, Kapitän. Wir werden Ihren Anflug überwachen und Sie auf den richtigen Pfad zurückfuhren, falls Sie von ihm abweichen.«

»Abweichen?«

»Sie müssen den Laser berücksichtigen, mit dem wir interstellaren Wasserstoff ionisieren. Er ist sehr stark. Es wäre nicht ratsam, wenn Sie während des Anflugs mit ihm in Berührung kommen. Die Steuerleitungen, über die unser Schiff mit der Antriebseinheit verbunden ist, stellen ebenfalls ein Gefahrenpotenzial dar. Wir könnten schwer beschädigt werden, wenn Sie mit einer dieser Leitungen kollidieren. Und Ihnen würde das auch nicht guttun.«

»Das kann ich mir vorstellen ...«

»Seien Sie unbesorgt, Kapitän. Wenn Sie unsere Instruktionen befolgen, wird Ihnen schon nichts zustoßen.«

»Verstanden.«

Das Alien drehte sich etwas. Die Bewegung, die vage an einen Menschen erinnerte, der sich zum Gehen wandte, verursachte ein ersticktes Geräusch hinter Tory.

»Warten Sie!«, rief Eli Guttieriz.

Das Wesen drehte die Ohren in Richtung des Bildschirms. »Stimmt etwas nicht?«

»Wir hätten da noch ein paar Fragen an Sie.«

»Wir auch, Professor Guttieriz. Sollten wir damit aber nicht lieber warten, bis Sie sicher an Bord unseres Schiffs sind? Ihre Wissbegierde zu befriedigen ist zweifellos eine Sache von vielen Stunden.«

»Woher kennen Sie meinen Namen? Sie können mich doch überhaupt nicht sehen!«

Tory warf einen Blick auf den kleinen Kontrollmonitor, der ihnen zeigte, was sich auf der Kommunikationsverbindung tat. Tatsächlich stand noch immer Garth im Fokus der Videoübertragung. Woher hatte das Alien also gewusst, dass Eli es war, der gesprochen hatte?

Die kaum sichtbaren weißen Schultern zuckten wie choreographiert. Obwohl die Geste als solche unverkennbar war, war sie mit der Physis des Außerirdischen offensichtlich nicht kompatibel.

»Die Profde von Ihnen vier sind in Sendungen von der Erde dargestellt worden, Professor. Als ich dann sah, dass es nicht Kapitän Van Zandt war, der gesprochen hatte, nahm ich an, dass es der einzige andere Menschen-Mann an Bord Ihres Schiffs sein musste.«

»Und wer bin ich?«, fragte Kit.

»Dr. med. Katherine Claridge«, erwiderte das Alien nach einem kurzen Zögern.

»Woher wissen Sie das?«

»Wir haben eine Aufzeichnung von einem Vortrag, den Sie vor ein paar Jahren auf dem Mars hielten«, erwiderte der Außerirdische. »Wir haben Ihr Sprachmuster mit dem im Speicher verglichen.«

»Wer zum Teufel seid ihr Leute überhaupt?«

»Mein Vorname ist Faslorn, Doktor. Meine Leute sind die Phelaner. Wie Ihre Wissenschaftler bereits vermutet haben, sind wir Flüchtlinge vor der Tau-Ceti-Nova. Das Schiff, das Sie vor sich sehen, wird Far Horizons, also Weiter Horizont genannt. Es ist die Arche, die uns in Sicherheit brachte, als unser Stern explodierte.«

»Was ist der Zweck Ihres Erscheinens hier?«, fragte Garth. Er wusste zwar, dass die Frage blödsinnig war, aber er wollte die Antwort trotzdem ins offizielle Protokoll aufnehmen, das an die Erde übermittelt wurde.

»Das ist doch offensichtlich, Kapitän. Wir sind auf der Suche nach einer neuen Heimat als Ersatz für diejenige, die wir verloren haben. Wir hoffen, dass Sie uns die Erlaubnis erteilen werden, uns in der Nähe Ihres warmen Sterns niederzulassen. Wir sind keine Bettler; wir sind bereit, für Ihre Hilfe zu zahlen.«

»In welchem Tauschmedium?«

»Es gibt nur eine Währung, die über interstellare Entfernungen werthaltig ist. Und zwar Wissen. An Bord dieses Schiffs tragen wir das gesammelte Wissen unserer Art. Wir sind bereit, dieses gesamte Wissen mit der Menschheit zu teilen, wenn Sie uns erlauben, eine Kolonie in Ihrem System zu gründen. Unsere Ansprüche in Bezug auf das Land sind recht bescheiden. Wir brauchen nur ein paar tausend Hektar für den Anbau von Lebensmitteln und als Lebensraum für unsere Leute, und wir würden uns auch mit Land begnügen, das die Menschen als wertlos betrachten. Ich hoffe doch, dass Sie Ihren Vorgesetzten meinen Vortrag zur Kenntnis bringen werden.«

»Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, hierher nach Sol zu kommen?«

Der Außerirdische machte eine Geste, deren Bedeutung sich den Menschen nicht erschloss. »Meine Vorfahren haben Ihre Radiosignale ungefähr fünfzig Jahre lang aufgefangen, bevor sie feststellten, dass unser Stern instabil wurde. Als es dann offensichtlich wurde, dass unsere Welt verloren war, haben wir dieses Schiff gebaut und noch drei andere. Wir haben die anderen zu den Sternen entsandt, die Ihnen als Epsilon Eridani, Epsilon Indi und Alpha Centauri bekannt sind. Die Far Horizons war Sol zugeteilt. Wir hatten kaum eine andere Wahl.«

»Nur vier Schiffe?«, fragte Tory. »Waren Sie denn so wenige?«

»Im Gegenteil«, erwiderte Faslorn. »Die Bevölkerung von Phela war um zwanzig Prozent größer als die heutige Bevölkerung Ihrer Erde. Doch alle außer den Leuten in den Schiffen sind in der Nova zugrunde gegangen.«

Tory schauderte beim Gedanken an die vielen Leben, die in einem einzigen Moment ausgelöscht wurden.

»Wie haben Sie gelernt, unsere Sprache zu sprechen?«, fragte Eli.

Faslorn stieß einen Laut aus, der an ein Glucksen erinnerte. »Wir haben Ihre Kommunikation während eines Großteils der Zeit verfolgt, die wir unterwegs waren, Professor. An Bord dieses Schiffs gebrauchen wir das menschliche Idiom noch mehr als unser eigenes. Ich befürchte, dass Sie hier kein großes Betätigungsfeld für Ihre Disziplin finden werden.«

»Noch etwas ...«, sagte Eli.

Der Außerirdische unterbrach ihn. »Ich bitte Sie - wir werden mehrere Wochen Zeit haben, alles voneinander zu erfahren. Unser akutes Problem ist, Sie sicher an Bord unsres Schiffs zu bekommen. Spielen Sie bitte die audiovisuelle Aufzeichnung ab und bereiten Ihren Anflug vor, Kapitän Van Zandt, und benachrichtigen Sie uns, wenn Sie bereit sind, das Manöver durchzuführen.«

»In Ordnung.«

»Faslorn Ende.«

»Austria Ende«, erwiderte Garth, als der Bildschirm erlosch.

Es herrschte für fast eine Minute Schweigen. Wäre da nicht das Aufnahmesymbol gewesen, das das Telefon-Icon auf dem Bildschirm ersetzt hatte, hätte man Tory ohne Weiteres plausibel machen können, dass der kommunikative Austausch, der gerade stattgefunden hatte, ein Fall von Massenhypnose war.

Nachdem er die Kontrolle über seine Gedankentätigkeit zurückgewonnen hatte, startete Garth die audiovisuelle Aufzeichnung, die der Außerirdische ihnen übermittelt hatte. Es handelte sich um eine animierte Grafik, die das Lichtsegel mit seinen zwei Gefahrenzonen in Gestalt zweier Kegel zeigte - einer vorn und einer hinten -, die mit der Spitze aufeinander wiesen. Diesen Bereich mit der Form einer Sanduhr müssten sie meiden. Dann bewegte eine stilisierte Booster-Korvette-Kombination sich langsam auf das zylindrische Sternenschiff zu. Leuchtende alphanumerische Zeichen zeigten Position und Geschwindigkeitsvektoren für jeden Moment des Anflugs an. Eine breite dreidimensionale Lichtbahn markierte die Anflugschneise. Die Symbologie, derer die Außerirdischen sich bedienten, entstammte direkt dem Handbuch des Raumpiloten.

Garth aktivierte die Standbildfunktion des Monitors. »Können wir das in die automatische Kurssteuerung eingeben?«

Tory fragte die Rohdaten im Computer ab. »Kein Problem. Sie entsprechen exakt dem Standard-Datenbankformat.«

»Dann gib die Daten ein.« Garth ließ die Aufzeichnung weiterlaufen.

Das zylindrische Sternenschiff wuchs auf dem Bildschirm stetig an. Bei einer Entfernung von zehn Kilometern stoppte das Piktogramm, das das menschliche Raumfahrzeug symbolisierte, und teilte sich. Eine außerirdische Stimme gab bekannt, dass es an dieser Stelle erforderlich sei, Antrieb und Besatzungsmodul zu entkoppeln und Starhopper in einer stationären Position zu belassen, bis sie abgeschleppt würde. Das unsichtbare Alien klang apologetisch und erläuterte ihnen, dass die große Boosterrakete nicht durch die Außenschleuse der Far Horizons passen würde. Außerdem hätte es ein zu großes Sicherheitsrisiko dargestellt, wenn man den Booster an Bord des Sternenschiffs gebracht hätte.

»Hat jemand ein Problem mit der Trennung vom Booster?«, fragte Garth, nachdem die kurze Ansage verklungen war.

»Es wird eine halbe Stunde dauern, um alle Verbindungen zu kappen. Die Ingenieure haben eine Trennung zwar vorgesehen, aber es ist ziemlich aufwendig.«

»Falls irgendetwas schiefgeht, sind wir völlig hilflos«, murmelte Eli.

»Wir sind doch jetzt schon hilflos«, gab Tory zu bedenken. »Sie müssten uns nur mit dem Laser anvisieren.« »Kit?«

»Ich stimme Tory zu«, erwiderte die Ärztin. »Wir sind schließlich hierhergekommen, um alles zu erfahren, was wir in Erfahrung bringen können. Wer >A< sagt, muss auch >B< sagen.«

Die Aufzeichnung lief weiter. Nach der Trennung bewegte das knubbelige Zeichentrick-Raumschiff sich auf einer sanften Kurve zum vorderen Ende des außerirdischen Zylinders. Dort stoppte es, und eine rechteckige Luke in der Vorderseite des Zylinders öffnete sich. Das Icon verschwand darin. Die audiovisuelle Aufzeichnung endete in dem Moment, als die Luke sich wieder schloss.

Kit war die Erste, die sich zu Wort meldete. »Hat einer von euch schon mal darüber nachgedacht, dass diese Leute uns fast besser kennen als wir uns selbst?«

»Was willst du damit sagen?«

»Sie sprechen unsere Sprache mit absoluter Präzision, sie sind mit unseren Konventionen für Computergrafik und Datenspeicherungsformate vertraut, und sie imitieren sowohl unsere Mimik als auch unwillkürliche Gesten. Sie haben sogar eine Aufzeichnung von einer jahrealten Vorlesung. Wo haben sie die her, und wieso haben sie sie gespeichert, um Himmels willen?«

Eli zuckte die Achseln. »In ihrer Eigenschaft als Flüchtlinge ist es wohl von Vorteil für sie, möglichst viel über uns in Erfahrung zu bringen.«

»Aber ist es auch zu unserem Vorteil, wenn sie so viel über uns wissen?«

Tory und Garth waren wieder allein im Kontrollraum. Garth hatte die beiden anderen in ihre Kabinen zurückgeschickt und sie aufgefordert, sich vorsichtshalber anzuschnallen. Die Beschleunigungswerte, die während des Anflugs auftraten, waren zwar gemäßigt, aber er wusste nicht, ob er nicht doch noch ein abruptes Manöver mit dem Schiff vollführen müsste.

Wo die meisten Objekte im Raum eine deutliche Abgrenzung zwischen Licht und Schatten zeigen, glühte das zylindrische Raumfahrzeug auf ganzer Länge, als ob es in einem inneren Licht erstrahlte. Dieser Effekt beruhte darauf, dass der Zylinder auf der einen Seite von einer trüben Sonne beschienen wurde und auf der anderen den xenonblauen Schein des Lichtsegels reflektierte. Das Schiff wurde förmlich in glühendes Plasma getaucht. Elmsfeuer züngelten wie hundert Kilometer lange Luftschlangen an der Takelage. Vor dieser surrealistischen Kulisse trieben die Menschen langsam zu ihrem Zielpunkt.

Weil der Zylinder um die Längsachse rotierte, kamen sie in den Genuss eines ständig wechselnden Panoramas. Der Rumpf hatte die Anmutung eines Schrottplatzes. Es erschienen immer neue Aspekte außerirdischer Technologie in Torys Sichtfeld. Das erinnerte sie an einen Besuch im Olympus-Museum für Naturwissenschaften und Technologie, als sie sechzehn Jahre alt war.

Das Museum hatte die Geschichte der Eroberung der Lüfte durch die Menschheit gezeigt, und das Herzstück der Ausstellung war ein alter Bomber gewesen - eine Leihgabe des Smithsonian Institute in New Washington. Als Tory unter dem riesigen Flügel des alten Flugzeuges hindurchging, hatte sie über die Vielzahl der Objekte gestaunt, die in den Luftstrom hineinragten. Nach einem Jahr Leistungskurs Physik wusste sie um die Notwendigkeit der Stromlinienform von Fluggeräten. Welche Funktion diese Beulen und Vorsprünge auch immer gehabt hatten, sie mussten wichtig sein, oder die Konstrukteure hätten bei der Entwicklung darauf verzichtet. Trotzdem hatte sie sich nicht vorzustellen vermocht, welchem Zweck sie dienen sollten.

Genauso verhielt es sich nun mit dem phelanischen Sternenschiff. Jeder Mechanismus auf der Hülle erfüllte offensichtlich irgendeinen Zweck. Nur was für ein Zweck das genau war, vermochte niemand zu sagen. An manchen Stellen schien der außerirdische Zylinder von einem Krebsgeschwür aus Rohrleitungen befallen zu sein. Andere Bereiche waren so blitzblank wie eine Marsebene nach einem Staubsturm. Welche Funktion erfüllten diese sich überlagernden schwarzen und silbernen Kreuze? Oder die kleinen Glaskugeln, die auf dünnen Stielen sprossen? Es gab auch viele lukenartige Öffnungen im Rumpf. Waren das nur Zugangsluken, die man beim Bau des Schiffs genutzt hatte, oder doch Hangartore, hinter denen sich Raumjäger verbargen, um den Kampf mit der kleinen Weltraum-Marine der Menschheit aufzunehmen?

»Eindrucksvoll, nicht wahr?«, fragte Garth. Tory drehte den Kopf und sah, dass er sie beobachtete.

»>Einschüchternd< trifft es eher.«

»Ach, ich weiß nicht. Wir könnten so etwas wahrscheinlich auch auf die Beine stellen, wenn es sein müsste.«

»Willst du damit etwa sagen, dass wir das auch bauen könnten?« Sie deutete auf den Bildschirm.

»Wieso denn nicht? Wenn wir Jahrzehnte vorher wüssten, dass die Sonne sich in eine Nova verwandeln wird, wer weiß, wozu wir dann fähig wären?«

»Ich bewundere deinen Optimismus.«

»So weit sind sie uns auch gar nicht voraus. Sonst wären wir nämlich nicht imstande, ihre Maschinerie als solche zu identifizieren. Es sieht vielmehr so aus, dass unsere zwei Arten sich auf einem erstaunlich ähnlichen Entwicklungsstand befinden.«

Tory lachte. »Dann vermag der Umstand, dass das verdammte Ding einen Kilometer Durchmesser und vier Kilometer Länge hat, nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es doch nur ein Sternenschiff vom Typ 1 ist?«

Er überbrückte die Lücke zwischen den Beschleunigungsliegen und tätschelte ihr den Arm. »Genau, Liebes. Lass dich nur nicht einschüchtern. Ein >kritischer Denken hat eben einen schärferen Blick als ein >guter Soldat<. Diese Aliens steigen auch nur mit einem Bein gleichzeitig in die Hose.«

Sie versuchte sich vorzustellen, wie ein Phelaner sich eine Hose anzog und sagte sich dann, dass sie nicht genug über ihre Anatomie wusste, um diesbezüglich ein qualifiziertes Urteil abzugeben. Sie wusste ja noch nicht einmal, wie ein Phelaner vom Hals abwärts aussah. Dennoch hatte Garth im Prinzip recht. Sie nahm als eine professionelle Beobachterin an diesem Flug teil. Es wurde von allen Missionsteilnehmern Aufgeschlossenheit, aber auch eine kritische Betrachtungsweise verlangt, wenn ihre Informationen den Menschen zu Hause von Nutzen sein sollten.

»Entfernungs- und Geschwindigkeitsmessung!«, sagte Garth und gab ihr damit zu verstehen, dass der philosophische Diskurs beendet war.

»Entfernung fünf Kilometer, Anfluggeschwindigkeit auf fünfzig Kilometer pro Stunde reduziert«, antwortete Tory nach dem Blick auf drei separate Instrumente. Es wäre eine Tragödie, wenn das Sternenschiff zwölf Lichtjahre im Leerraum durchquert hätte, nur um dann in einem Verkehrsunfall in unmittelbarer Nähe der Sonne zu enden.

Als sie sich bis auf drei Kilometer genähert hatten und direkt Kurs auf das vordere Ende des Zylinders hielten, bemerkte Tory etwas, das zuvor nicht sichtbar gewesen war. Fast einen Kilometer vor dem Zylinder hing eine viel kleinere Kugel als diejenige, die sich hinter ihr befand. Die neue Sphäre war mattschwarz und entsprach der Schwärze des Alls. Sie erzeugte auch kaum ein Radarecho. Vor der Kugel verlief ein straffes dünnes Leiterkabel mit einer starken negativen elektrischen Ladung. Das war also die Vorrichtung, die den ionisierten Wasserstoff absaugte, nachdem der Laser ihn angeregt hatte. Tory meldete ihre Entdeckung an Garth.

»In dieser Kugel müssen sie den Laser stationiert haben«, sagte er. »Er muss vom Rest des Schiffs schwingungsentkoppelt sein, wenn er überhaupt eine Zielgenauigkeit aufweisen soll. Was gäbe es für einen besseren Ort, als ihn an einem Kabel aufzuhängen, das durch die Verlangsamung des Schiffs gespannt wird?«

Um Van Zandts Vermutung zu bestätigen, überprüfte Tory die Oberflächentemperatur der Sphäre. Tatsächlich strahlte sie eine beträchtliche Wärme in den Raum ab. Die schwarze Beschichtung verlieh der Strahlungssignatur ein >Schwarzkörper<-Prädikat und verringerte somit die Wahrscheinlichkeit, dass die Kugel der Wärmeaustauscher für den Ionisationslaser war.

»Geschwindigkeit?«, fragte Garth. Die Far Horizons war bereits so groß, dass sie den Bildschirm ausfüllte. Und sie führten auch keine Annäherung an ein anderes Raumfahrzeug mehr durch. Das Sternenschiff war nun ein planetengroßes Objekt, das wie ein riesiges Damoklesschwert über ihnen hing.

Tory gab ihre Geschwindigkeit bekannt, und mit einem zweimaligen Zischen der Steuertriebwerks-Düsen bremste das Schiff noch stärker ab. Sie hielt den Atem an, als sie die Vorderseite des Sternenschiffs passierten. Die Frontpartie des großen Zylinders war genauso mit technischem Gerät übersät wie die Seite.

»Dort ist die Hauptschleuse.«

Vor ihnen erschien eine Öffnung im Rumpf des Sternenschiffs. Die Schleuse sah genauso aus wie in der audiovisuellen Aufzeichnung der Außerirdischen. Was das Video allerdings nicht gezeigt hatte, war die bedenkliche Nähe der Schiffsschleuse zum Kabel, an dem die Laserkugel aufgehängt war.

»Das wird eng«, murmelte Tory.

Garth pflichtete ihr bei und fragte sich laut, mit welchen Stromstärken der Ionisationslaser wohl gespeist würde.

»Wir müssen nur das Kabel touchieren, und dann wissen wir Bescheid ...«

Zwangsläufig befand die Schleuse sich in der Nähe der Drehachse des riesigen Schiffs. Sonst wäre es fast ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, an dem rotierenden Zylinder anzudocken. Die Bildschirme der Austria wurden für einen Moment dunkel, als die Luke sich öffnete und einen hell erleuchteten Innenraum präsentierte. Sie erlangten die Sicht zurück, nachdem die Lichtverstärker-Schaltungen sich auf die gleißende Helligkeit eingestellt hatten; doch außer der hell erleuchteten, höhlenartigen Kammer war wenig vom Innern des Sternenschiffs zu sehen. »Eli!«

»Ja, Garth.«

»Teile der Erde mit, dass gleich der Kontakt zu ihr abbrechen wird.«

»Das habe ich bereits getan. Ich weiß aber nicht, ob sie mich auch gehört haben. Wegen der hohen Plasmadichte haben wir einen lausigen Signal-Rauschabstand.«

»Sende die Nachricht noch einmal«, befahl der Kapitän, »und wiederhole die Sendung, bis wir an Bord des außerirdischen Schiffs sind.«

»Aye, Sir.«

Garth stoppte die Austria mit zwei Zündungen der Steuertriebwerke und wartete dann darauf, dass die offene Schleuse durch die Drehbewegung mit ihrem Bug fluchtete. Eine halbe Minute später, als die rechteckige Schleuse über ihnen klaffte und das Achsenkabel nur ein paar Dutzend Meter über ihren Köpfen hing, betätigte Van Zandt wieder den Steuerhebel. Diesmal erlangten sie durch ein langes Zünden der Steuertriebwerke Vorwärtsschub. Die Nase der Austria färbte sich weiß, als sie über die Schwelle ins erleuchtete Innere trieb. Bald hatte die Korvette die Passage durch die Schleuse vollendet.

»Verdammt!«

»Was ist denn?«

»Hier ist nicht genug Platz, um das Schiff zu drehen. Ich werde es auf dem Deck absetzen müssen.«

»So nah an der Achse wird die Rotationsschwerkraft eh nicht so hoch sein.«

»Wir werden trotzdem irgendwo anecken. Da kann man wohl nichts machen.«

Sprach's und zehrte mit einer weiteren Zündung ihre Vorwärtsgeschwindigkeit restlos auf. Eine Hand schien die Austria zu ergreifen und mit sanfter Gewalt zum hellblauen Deck hinunterzuziehen, das eine Seite der Abteilung bildete. Es geriet eher zu einer gefühlten als zu einer tatsächlichen Landung. Erst als sie feststellte, dass sie in den Gurten schwebte, wurde Tory sich bewusst, dass sie auf dem gewölbten Deck des Sternenschiffs gelandet waren.

Sie legte die Heckansicht auf den Hauptbildschirm — gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die übergroße Luke sich schloss. Der schwarze Himmel schrumpfte zu einem Band, zu einer Schnur und war dann nicht mehr existent. Im Vakuum liefen alle Vorgänge völlig lautlos ab. Trotzdem fragte Tory sich, ob das Geräusch, das sie im Kopf hörte, das einer ins Schloss fallenden Zellentür war.

Faslorn verfolgte, wie das fremde Raumfahrzeug durch die offene Luke driftete und dann niederging. Er musste zugeben, dass die Menschen ihr Handwerk beherrschten; der Anflug war so reibungslos vonstatten gegangen, dass ein phelanischer Pilot es auch nicht besser hätte machen können. Er fragte sich, ob man dem Computer die Steuerung des Schiffs übertragen hatte oder ob Van Zandt es selbst geflogen hatte. Er vermutete jedoch Letzteres. Die Humanpsychologen an Bord hatten über Generationen ihr Bild von der menschlichen Seele verfeinert. Bald würde die Genauigkeit ihrer Deduktion auf die Probe gestellt werden.

Nachdem das menschliche Schiff sicher an Bord war, erteilte Faslorn den Befehl zum Schließen der Luke. Die Anordnung wurde gerade übermittelt, als die Technikerin, die das von den Menschen übertragene Kommunikationssignal analysierte, Meldung machte. Ihr Signal lag im Millimeterband und hatte eine beachtliche Bandbreite. Faslorn fragte sich, weshalb sie nicht die viel stärkeren Laserverbindungen nutzten, die seinen Abhörspezialisten im Lauf der Jahre solche Probleme bereitet hatten. Er beschloss, sie zu fragen, sobald die Gelegenheit dazu sich ergab.

»Rosswin.«

»Ja, Faslorn«, sagte sein Stellvertreter über die Schiffs-Wechselsprechanlage.

»Mach eine Ansage an die gesamte Besatzung, dass die Menschen an Bord sind. Die Maskerade beginnt nun. Übermittle das als Überrangnachricht und fordere eine Empfangsbestätigung von allen Sektorleitern an.«

»Die Nachricht ist bereits rausgegangen. Und die Bestätigungen gehen gerade ein.«

»Wie weit sind die Vorbereitungen zum Empfang der Menschen gediehen?«

»Sie sind abgeschlossen. Ich habe das gerade selbst überprüft.«

»Bist du sicher?«

Die bejahende Geste war eine menschliche Bestätigung und nicht etwa der angewinkelte Arm, der bei den Phelanern diesem Zweck diente. »Wir verfugen über ein Profil von jedem Besatzungsmitglied und über Prognosen, wie sie auf jeden nur denkbaren Reiz reagieren werden - sowohl allein als auch in Gruppen. Sie werden unter ständiger Beobachtung stehen, solange sie an Bord sind, und wir werden unsere Verhaltensprognosen in Echtzeit aktualisieren.«

»Was ist mit unserem speziellen Bedürfnis?«

»Es ist natürlich noch zu früh, um eine Empfehlung auszusprechen. Ich schlage vor, dass wir uns zunächst auf die zwei Frauen konzentrieren. Die Biologen glauben, dass sie unsrer Sache vielleicht aufgeschlossener gegenüberstehen als die Männer.«

Faslorn beendete das Gespräch und bewegte sich dann zum Expresslift, der ihn drei Etagen höher zum Achsen-Transportsystem befördern würde. Von dort würde er dann zum vorderen Ende des Schiffs und zum Hangar gehen, wo die Menschen gelandet waren.

Vor lauter Aufregung beschleunigte sich der Schlag seines Doppelherzens, als er zum wartenden Aufzug eilte. Nun war der Zeitpunkt gekommen, auf den er sein ganzes Leben hingearbeitet hatte. Bald würde er wissen, ob der ganze Aufwand vergebens gewesen war.