3
Victoria Bronson saß an der Bar vor einem doppelten Scotch - bereits ihrem zweiten. Ben Tallen betrachtete sie mit neugierigem Blick.
»Was ist denn?«, fragte sie gereizt, nachdem sie seinen dritten verstohlenen Blick in genauso vielen Minuten aufgefangen hatte.
Er nahm erst mal einen Schluck Bier, bevor er antwortete. »Ich hätte eigentlich erwartet, dass gerade du von dieser Entdeckung begeistert wärst.«
»Das bin ich auch ... irgendwie.«
»Und weshalb machst du dann so ein langes Gesicht?«
»Das ist schwer zu erklären.«
»Ich höre.«
»Ich habe die letzten drei Jahre meines Lebens mit der Arbeit an dieser verdammten Sonde verbracht.«
»Na und?«
»Wir haben sie zu dem Zweck gebaut, zu den Sternen zu fliegen, nicht, um Bilder von einem Geisterschiff im Weltraum zu schießen.«
»Es ist aber ein verdammt wichtiges Geisterschiff.«
»Wieso? Allein schon dadurch, dass wir es geortet haben, wissen wir, dass wir nicht die Einzigen im Universum sind. Was sollten wir sonst noch in Erfahrung bringen?«
»Wir werden zum Beispiel erfahren, wie Aliens Lichtsegel bauen. Wenn die Anthropologen schon in der Lage sind, aus ein paar Tonscherben die ganze Geschichte der prähistorischen Menschheit zu rekonstruieren, kannst du dir sicherlich vorstellen, was sie durch die Untersuchung eines Lichtsegels alles herausfinden werden. Und ihr werdet das ermöglichen! Es gibt kein einziges Schiff im ganzen System, das auch nur ein Zehntel der Geschwindigkeit von Starhopper erreicht. Ohne die Sonde könnten wir nur die Hände in den Schoß legen und das Segel an uns vorüberziehen sehen.«
»Dann willst du mir also sagen, mein lieber Ex, ich hätte doch die richtige Entscheidung getroffen, als ich dieses Gespräch gefuhrt habe?«
Sie hatte diese Bemerkung eigentlich als Retourkutsche gedacht. Zu ihrer Verwunderung blieb die erwartete scharfzüngige Erwiderung aber aus. Beide saßen für eine ganze Weile schweigend da.
Tory für ihren Teil versuchte zu analysieren, weshalb sie auf diese Art und Weise reagiert hatte. Er hatte recht; normalerweise wäre sie bei der Aussicht auf die Untersuchung eines außerirdischen Artefakts schier aus dem Häuschen gewesen. Ihre negative Haltung war wahrscheinlich eine unterbewusste Reaktion auf die himmelschreiende Ungerechtigkeit bei der ganzen Sache.
Was für einen grausamen Scherz Gott sich mit diesen armen Unbekannten erlaubt hatte, die mit ihrer explodierenden Sonne gestorben waren! Sie mussten gewusst haben, dass eine intelligente Spezies das nur zwölf Lichtjahre entfernte Sonnensystem bevölkerte. Und just in dem Moment, als beide Spezies sich anschickten, eine Technologie zu entwickeln, die mit Sicherheit zu einer Kontaktaufnahme geführt hätte, war Tau Ceti explodiert und hatte von einem Moment auf den andern Milliarden intelligenter Lebewesen ausgelöscht. Was, wenn die Sonne sich anstatt von Tau Ceti in eine Nova verwandelt hätte. Hätte in diesem Moment ein Alien auf einer fernen Welt in einer Bar gesessen und sich Gedanken über das Schicksal der Zweibeiner von Sol III gemacht?
Wie groß war überhaupt die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Rassen auf etwa dem gleichen technologischen Stand sich so dicht nebeneinander und zum selben Zeitpunkt in der Geschichte entwickelten? Für eine Weile spielte Tory mit dem Gedanken, die Sicherheitssperren ihres Implantats zu übergehen und sich mit dieser Frage an den Computer von Olympus City zu wenden. Doch sie widerstand diesem Drang. Im Vergleich zum Betrieb eines Implantats war das Führen eines Bodenfahrzeugs unter Alkoholeinfluss geradezu eine Vorsichtsmaßnahme.
»Da seid ihr ja!«
Tory und Ben Tallen drehten sich bei diesem vorwurfsvollen Anruf um und sahen Dardan Pierce zielstrebig auf sie zuschreiten. Falls das überhaupt möglich war, wirkte seine Erscheinung noch seltsamer als früher am Abend in seinem Büro.
»Hallo, Dard. Was zu trinken?«
»Wir haben schon überall nach euch beiden gesucht. Wieso seid ihr nicht im Netz? Ach so, schon klar.«
»Ben und ich wollten uns nur ein bisschen unterhalten. Wir haben noch viel nachzuholen, bevor ich morgen noch Phobos zurückfliege.«
»Nicht morgen, und wahrscheinlich auch nicht für den Rest der Woche.«
»Was ist denn passiert?«
»Sadibayan hatte eine Notfall-Blitznachricht von der Erde erhalten. Vor zwei Stunden ist das Lichtsegel wie ein Weihnachtsbaum aufgeleuchtet.«
»Aufgeleuchtet?«
»Es hat begonnen, blauweißes Licht mit einer Schwarzkörper-Strahlungskurve im Äquivalent von fünftausend Kelvin abzustrahlen. Darüber hinaus emittiert es Protonen mit einer relativistischen Geschwindigkeit.«
»Wie das?«
»Soweit wir das zu sagen vermögen«, fuhr Pierce fort, »ionisiert irgendjemand Wasserstoffatome und stößt sie dann mit einer sehr starken elektrischen Ladung vom Segel ab.«
»Wieso sollte man so etwas wohl tun?«
»Natürlich um abzubremsen. Sie puffern ihre Flugbahn sozusagen mit interstellarem Gas, um die Geschwindigkeit zu verringern. Sie haben das Segel in eine elektrostatische Bremse verwandelt!«
»Sie?«, fragte Ben.
Pierce schien die Frage nicht zu hören. »Und bezüglich der Größe haben wir uns auch geirrt. Das Segel ist verdammt noch mal viel größer als tausend Kilometer. Es war bis vor Kurzem wahrscheinlich zusammengerollt.«
»Gerefft?«
»Zusammengerollt! Ein voll entfaltetes Lichtsegel würde auf einer zweihundertfünfzig Jahre langen Reise einen zu großen Widerstand erzeugen. Da verstaut man es besser, bis man es zum Abbremsen benötigt. Das verringert außerdem den Verschleiß.«
»Wenn man Sie so hört, könnte man gerade meinen, es sei doch eine Besatzung an Bord«, sagte Tory. Obwohl sie durch den Scotch wohlig benebelt war, erfasste sie die Weiterungen von Pierces Aussagen.
»Wir glauben, dass es noch eine Besatzung gibt. Kommen Sie, wir verabreichen Ihnen eine Ausnüchterungspille. Wir müssen Pläne schmieden. Die Situation hat sich grundlegend verändert.«
Es waren nur noch drei Personen im Konferenzraum, als Pierce mit Tory und Ben Tallen zurückkehrte. Tory ging schwankend zu ihrem Platz am Tisch. Das Ausnüchterungspräparat »Quiksober« war vor fast einem Jahrhundert erfunden worden, doch war Desorientierung die schwerste Nebenwirkung der Wunderdroge, die man bisher noch nicht vollständig in den Griff bekommen hatte.
Sie schaltete ihr Implantat ein und wartete, bis es die Selbsttest-Sequenz absolviert hatte. Nachdem sie sich von der ordnungsgemäßen Funktion des Implantats überzeugt hatte, fragte sie: »In Ordnung, wie ist der Stand der Dinge?«
Tory hatte eigentlich beabsichtigt, den Dateiverweis für die neuen Daten anzufordern, damit sie darauf zuzugreifen vermochte. Boris Hunsacker verstand ihre Anforderung jedoch falsch, oder vielleicht mussten die Daten auch erst noch in den Computer eingegeben werden. Er ließ die Beleuchtung dimmen und den Holowürfel aktivieren.
Das vertraute Sternenfeld war im Wesentlichen unverändert. Tau Ceti leuchtete hell in seiner Gashülle, aber das Lichtsegel, das zuvor eine »ausgebleichte« Version des Sonnenspektrums dargestellt hatte, loderte nun ebenfalls wie eine neue Nova. Der ehemalige trübe gelbe Punkt leuchtete blauweiß wie eine Quecksilberdampflampe.
»Hat etwas Farbe bekommen, nicht wahr?«
»Eine Untertreibung, Miss Bronson«, erwiderte Sadibayan trocken. »Bei der ersten Beobachtung glaubte Luna, das Segel sei explodiert.«
»Ist es sofort auf ganzer Fläche aufgelodert?«
Hunsacker nickte. »Der Zeitraum vom Ausbruch bis zum Maximum betrug nur drei Millisekunden. Deshalb haben wir von vornherein auf eine elektrostatische Bremsvorrichtung getippt. Bei Reibung als Ursache wäre die Temperatur nämlich nicht so sprunghaft angestiegen. Außerdem würden wir dann keine relativistischen Protonen sehen.«
»Reibung?«
»Einer der Luna-Astronomen postulierte, dass das Segel in eine Gaswolke geflogen sei, die einen Kometennukleus draußen in der Oort'schen Wolke umgab«, erläuterte Hunsacker.
Der Staatssekretär schüttelte den Kopf. »Alles, was dicht genug ist, um es zu einem solchen Glühen anzuregen, hätte es auseinandergerissen.«
»Erkennen wir schon eine Verzögerung?«
»Das kann man nicht sagen, verdammt. Wir könnten seine Geschwindigkeit einigermaßen zuverlässig abschätzen, wenn es Sonnenlicht reflektieren würde. Es ist eine leichte Übung, die Dopplerverschiebung von einem bekannten Spektrum zu messen. Wo das Segel aber nun sein eigenes Licht emittiert, haben wir auch diesen Hinweis verloren.«
»Dann wissen wir also nicht, wie schnell es verzögert?«
»Nicht direkt. Falls sie wirklich beabsichtigen, im Sonnensystem zu stoppen, müssten sie mit ungefähr einem Tausendstel einer Standard-Gravitation abbremsen.«
»Das ist nicht sehr viel.«
»Aber mehr als genug, um vor der Sonne zum Stehen zu kommen. Bedenken Sie, dass sie einen verdammt langen Bremsweg haben.«
»Wenn sie abbremsen, werden sie aber auch nicht so schnell ankommen.«
»Stimmt. Unseren aktuellen Schätzungen zufolge wird das Segel erst in fünf Jahren bei uns eintreffen statt in dreieinhalb. Eine exaktere Prognose hängt von der Ermittlung ihrer Verzögerungskonstante ab.«
Tory hatte sich seit der Aktivierung ihres Implantats mit der Technologie der elektrostatischen Bremse befasst. Das Konzept hatte eine erstaunlich lange Vorgeschichte. Eine elektrostatische Bremse war im Grunde eine Vorrichtung, mit der Wasserstoff in einem großen Raumsektor gesammelt und in der Flugbahn eines Raumschiffs konzentriert wurde. In der Praxis pflügte das Raumschiff durch einen künstlich verstärkten Sonnenwind. Bei jeder Krafteinwirkung auf das Raumschiff verlor es Bewegungsmoment und wurde weiter abgebremst.
Die Literatur enthielt Dutzende Vorschläge, wie das praktisch umzusetzen sei. Alle beruhten auf der Tatsache, dass es selbst im tiefen interstellaren Raum ein paar hunderttausend Wasserstoffatome pro Kubikmeter gab. Die meisten Methoden verwendeten einen speziellen Laser, um den Wasserstoff in einem großen Bereich vor dem Schiff zu ionisieren; dann wurden die Ionen mit einer starken negativen elektrischen Ladung angezogen. Das elektrische Feld hatte die Wirkung eines riesigen unsichtbaren Trichters, der das interstellare Gas einer Sammelvorrichtung wie einem Lichtsegel zuführte. Wenn die Oberfläche des Segels dann positiv geladen war, würden die Ionen wieder in die Richtung reflektiert, aus der sie vor dem Aufprall gekommen waren. Die Reflektion der Ionen ermöglichte die doppelte Momentübertragung im Vergleich zum bloßen Beschuss des Segels und schützte die Oberfläche des Segels zugleich vor Erosion.
»Elektrostatische Bremsen eignen sich besonders für Schiffe, die sich mit hoher Geschwindigkeit bewegen«, sagte Tory und zitierte einen Lexikonartikel, den sie gerade überflogen hatte, »aber ihre Wirkung nimmt mit der Geschwindigkeitsreduzierung drastisch ab.«
»In der Nähe der Sonne werden sie wohl zu einer Lichtdruckbremse wechseln«, erwiderte Hunsacker.
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Pierce. Er hatte sich auch mit seinem Implantat beschäftigt. »Tory hat recht. Die Effizienz einer elektrostatischen Bremse wird durch das Bremsmanöver selbst drastisch reduziert. Selbst mit optimistischen Annahmen für elektrostatischen und Lichtdruck werden sie immer noch zu schnell sein, um zu stoppen, wenn sie die Sonne erreichen. Sie müssen deshalb auch ein aerodynamisches Bremsmanöver in der Nähe der Sonne einplanen, um ihr Ziel zu erreichen. Das ist aber eine heikle Angelegenheit. Wenn sie zu schnell reinkommen, werden die Passagiere gegrillt.«
»Woher wissen wir überhaupt, dass die Aliens Grillgut sind?«, fragte Ben. Die Frage klang witzig und trug ihm einen tadelnden Blick von Sadibayan ein. In Wirklichkeit war es aber sein völliger Ernst gewesen.
Tory spürte, wie es ihr kalt den Rücken hinunterlief. Die Aliens nutzten ihr Lichtsegel wie einen riesigen Fallschirm. Wenn sie in eine Umlaufbahn um die Sonne gehen wollten, würden sie praktisch einen Sturzflug in die Sonne vollführen müssen. Wer auch immer sich diesen Plan ausgedacht hatte, musste völlig verzweifelt gewesen sein. Nach kurzer Überlegung lachte sie glucksend.
Sadibayan wandte den missbilligenden Blick von seinem Assistenten ab und richtete ihn auf Tory. »Was ist denn so lustig?«
»Wir sind lustig«, erwiderte sie. »Wir zerbrechen uns den Kopf darüber, dass sie zu dicht an die Sonne heranfliegen und wie Ikarus enden. Dabei sind sie doch selbst aus dem Herzen einer expandierenden Nova gestartet. Ich bezweifle, dass die Aussicht sie schrecken wird, kopfüber in unseren kleinen Stern einzutauchen!«
»In Ordnung«, sagte Pierce, nachdem die technische Diskussion sich über fast eine Stunde hingezogen hatte, »nachdem wir die neuen Informationen nun erörtert haben, was fangen wir damit an?«
»Luna soll seine Ankündigung machen!«
»Es tut mir leid, Miss Bronson«, sagte Sadibayan, »aber das wird nicht geschehen. Meine Anweisungen von der Erde lauten, dass vorläufig nichts von dieser Entdeckung verlautet wird.«
»Wieso nicht, zum Teufel?«, wollte Pierce wissen.
»Wir brauchen Zeit, um die Weiterungen dieser Situation zu ermitteln. Wir wissen nicht, wie die Leute reagieren werden.«
»Aber das ist Zensur!«
»Trotzdem wird es so gehandhabt. Falls jemand irgendwelche Informationen über das Lichtsegel preisgibt, wird er von der weiteren Teilnahme an der Forschung ausgeschlossen. Ist das klar?«
Die drei Wissenschaftler im Raum nickten grimmig.
»Vielleicht sollten wir uns auf Verteidigung einstellen«, sagte Contreras.
»Werden Sie mal bloß nicht paranoid!«, blaffte Hunsacker ihn an. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass sie zwölf Lichtjahre weit gereist wären, nur um uns anzugreifen!«
»Wer weiß schon, was sie im Schilde führen?«
»Meine Güte, was glauben Sie wohl, wie viele Soldaten ein einzelnes Schiff transportieren kann?«
»Wie viele Männer hatte der spanische Eroberer Cortez?«, erwiderte Contreras trocken. »Meine Vorfahren glaubten, sie würden schon mit ihm fertig werden. Die Geschichte hat sie Lügen gestraft.«
»Das ist doch eine ganz andere Situation.«
»Wirklich? Das sind Flüchtlinge von einem explodierten Stern. Was werden sie wohl tun, wenn sie feststellen, dass ihr auserwählter Zufluchtsort bereits bewohnt ist?«
»Aber sie müssen schon gewusst haben, dass dieses System bewohnt ist, bevor Tau Ceti explodierte«, sagte Tory. »Im späten zwanzigsten Jahrhundert war die Erde der Mittelpunkt einer Blase von Radiorauschen mit einem Radius von mehr als siebzig Lichtjahren.«
»Was hätte ein Außerirdischer wohl zu den Nachrichtensendungen des zwanzigsten Jahrhunderts gesagt?«, fragte Contreras vielsagend.
»Ich stimme mit Boris überein«, sagte Pierce. »Dieses Schiff hat sich zweihundertfünfzig Jahre im Weltraum befunden. Sie sind vor der Zerstörung ihres Sterns geflohen und wollen einen Neuanfang versuchen. Wenn wir den Mars aufgäben, würden wir unser Schiff dann mit Waffen oder mit Saatgut füllen?«
Contreras schob stur den Unterkiefer nach vorn. »Hängt davon ab, wie viele potenzielle Sklaven sich an dem Ort befinden, zu dem wir gehen würden.«
»Wissen wir überhaupt, ob es sich um Flüchtlinge handelt?«, fragte Ben.
»Das«, erwiderte Pierce und wies auf den Lichtring, der die Abbildung von Tau Ceti einfasste, »ist ein sehr stichhaltiges Argument. Anstatt uns auf eine Auseinandersetzung mit diesen Aliens vorzubereiten, schlage ich vor, dass wir Pläne ausarbeiten, wie wir ihnen helfen können. Nach einer so langen Zeit im Raum dürfte ihr Schiff in einem ziemlich desolaten Zustand sein.«
»Vielleicht ist ihr Lebenserhaltungssystem bereits ausgefallen«, entgegnete Hunsacker. »Vielleicht sind sie alle schon tot. Damit hätte die ganze Diskussion sich eh erübrigt.«
»Und wer hat folglich das Segel entfaltet?«
»Es wurde eine automatische Sequenz ausgelöst, als das Schiff eine vorbestimmte Entfernung erreicht hat.«
»Wir spekulieren im luftleeren Raum«, sagte Praesert Sadibayan. »Was Sie brauchen, sind Informationen, und zwar so schnell wie möglich. Offensichtlich können wir die Starhopper-Ranmsonde. nun nicht mehr zu einer Begegnung mit ihnen aussenden. Sie würden sie vielleicht fälschlich als Waffe interpretieren.«
»Welche Optionen hätten wir sonst noch?«
»Ich schlage vor, dass wir stattdessen eine diplomatische Mission entsenden.«
»Sie haben doch selbst gesagt, dass Starhopper als einziges Raumschiff im Sonnensystem die Fähigkeit besäße, eine Begegnung mit den Aliens zu ermöglichen«, führte Tory aus. »Wie gedenken Sie Ihre Diplomaten da zu ihnen zu schicken?«
»Die Raumsonde hat meines Wissens eine Masse von hundert Tonnen. Wir werden sie durch ein bemanntes Raumschiff mit der gleichen Masse ersetzen.«
Tory nickte verhalten. »Das könnte funktionieren. Weil die Aliens erst in fünf Jahren hier eintreffen werden, hätten wir auch genug Zeit für die Umrüstung.«
»Wie lange wird das dauern?«, fragte Sadibayan.
»Zwei Jahre.«
»Sie belieben zu scherzen!«
Tory schüttelte den Kopf. »Schauen Sie, Starhopper ist nicht irgendein Raumschiff. Es ist ein hoch integriertes System und wurde konzipiert, ein halbes Jahrhundert im Weltraum zu überdauern und eine Reihe komplexer, autonomer Untersuchungen durchzuführen. Sie können nicht einfach das Instrumentenpaket abmontieren und durch ein bemanntes Schiff ersetzen. Es müssen buchstäblich Tausende von Schnittstellen neu konfiguriert werden. Zumal die Hauptcomputer sich auch im Instrumentenpaket befinden. Die Trennung der oberen Stufe vom Booster ist damit zu vergleichen, als ob man eine Lobotomie bei einem Menschen durchführt.«
»Die Computer können im bemannten Raumschiff eingebaut werden.«
»Natürlich können sie das. Aber was ist mit den tausenden dezentraler Prozessoren, die zu ihnen gehören? Die müssen nämlich auch dort eingebaut und richtig angeschlossen werden. Und dann müsste man sich noch Gedanken wegen der Software machen, die komplett neu geschrieben werden muss.«
»Ihre Programme können doch sicherlich modifiziert werden.«
»Nie im Leben! Wir müssten die verschiedenen Module praktisch entkernen, sie unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Schiff und Raumsonde modifizieren und dann neu zusammenbauen, entstören und neu zertifizieren. Es hat allein drei Jahre gedauert, um die Steuercodes von Starhopper bis zu dem Punkt zu entwickeln, wo wir sie für ausgereift halten. Eine Änderung wird anderthalb Jahre dauern — mindestens!«
»Es muss doch eine Möglichkeit geben, das schneller zu erledigen.«
»Es gibt aber keine ...« Tory erstarrte, während sie ihr Implantat konsultierte. Es dauerte fünfzehn Sekunden, bis die Idee Gestalt annahm.
»Was ist denn?«, fragte Sadibayan.
»Ich glaube, die Programme könnten unterwegs umgeschrieben werden. Man brauchte ein großes Team auf dem Boden für die eigentliche Neuprogrammierung und dann jemanden an Bord des Schiffs, der bis ins kleinste Detail mit jedem Aspekt von Starhopper vertraut ist.«
»Könnten Sie das übernehmen?«
Tory blinzelte. Bisher hatte sie ein rein intellektuelles Problem beim Software-Management gelöst. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass die Lösung sie vielleicht persönlich betreffen würde. »Ich glaube schon. Das heißt, falls es überhaupt machbar ist.«
»Wer noch?«
»Vance Newburgh und ein paar andere Projektmitarbeiter.«
»Was würden Sie brauchen?« Bei Sadibayans geschäftsmäßigem Ton lief es Tory eiskalt den Rücken hinunter.
»Mein Implantat natürlich. Die Computer der Raumsonde. Eine Schnittstelle für die Verknüpfung der beiden Komponenten - und viele Leute, die mich dabei unterstützen.«
»Die würden Sie bekommen. Sind Sie an dem Job interessiert?«
Tory schluckte schwer. Sie hatte sich dem Projekt Starhopper angeschlossen, um etwas Sinnvolles mit ihrem Leben anzufangen; allerdings nahm diese Sache nun Ausmaße an, die ihre bisherigen Vorstellungen weit überstiegen.
»Ich bitte um eine Bedenkzeit.«
»Natürlich. Wir werden sowieso alle potenziellen Kandidaten in Betracht ziehen. Trotzdem würde ich gern wissen, ob Sie an dieser Position interessiert sind.«
»Interessiert bin ich schon. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich auch den Mut habe, mich dieser Herausforderung zu stellen.«
»Das reicht auch fürs Erste. Gut. Nun müssen wir nur noch ein Schiff finden, das eine Masse von weniger als hundert Tonnen hat.«