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„Wie soll ich dich nicht nennen?“, fragte Murdoch, doch Conrad zuckte nur mit den Schultern. „Trotz deiner einseitigen Unterhaltungen scheint es dir doch schon hundertmal besser zu gehen.“ Murdoch war nicht annähernd so überrascht über seinen Fortschritt, wie er es hätte sein sollen.

Sie haben einen Trumpf im Ärmel. Conrad kniff die Augen zusammen. Sie wissen etwas über die Blutgier, das ich nicht weiß. „Wenn es mir so viel besser geht, dann lass mich frei.“

„Kann ich nicht. Du könntest einen Rückfall erleiden. Das ist nicht mal eine Option, ehe du nicht Blut aus dem Beutel trinkst und wenigstens zwei Wochen lang keinen Tobsuchtsanfall mehr hattest.“

„Soll ich die ganze Zeit über hierbleiben?“ Conrad gelang es nur mit Mühe, seine Wut zu zügeln.

„Nein, natürlich nicht. Ende nächster Woche translozieren wir dich zu einem Treffen wegen der Akzession. Dahin kommen jede Menge Leute, Mythenweltgeschöpfe aus der ganzen Welt. Tausende von Frauen werden da sein – Walküren, Sirenen, Nymphen. Vielleicht findest du unter ihnen deine Braut. Vor allem jetzt, auf dem Scheitelpunkt der Akzession. Außerdem werden wir nach Nïx suchen, einer Walküre und Hellseherin. Sie hilft uns mit dir. Wenn wir sie finden können.“

Conrad hatte schon von Nïx der Allwissenden gehört. Sie war sehr mächtig und angeblich genauso verrückt wie er. Aber wo sein Kopf von Erinnerungen verstopft war, war ihrer von Visionen der Zukunft erfüllt. „Warum sollte sie euch helfen?“ Nur weil Sebastian und Nikolai Walküren geheiratet hatten, hieß das noch lange nicht, dass der Rest ihrer Spezies Vampire akzeptierte. Die „Blutsauger“ waren in der Mythenwelt allgemein verhasst, sogar die mit normalen Augen.

„Wir sind nicht ganz sicher“, gab Murdoch zu. „Aber sie könnte uns dabei helfen, deine Braut zu finden.“

„Und was ist mit deiner Braut, Murdoch? Dein Herz schlägt. Sebastian und Nikolai wissen es. Du kannst es nicht verbergen.“

Als Murdoch aufstand und zum Fenster hinüberging, wechselte Néomi von ihrem Fenstersitz zu dem Platz neben Conrad auf dem Bett. Das erste weibliche Wesen, das sich je zugunsten eines anderen Wroth von Murdoch wegbewegt hat. Er verspürte eine gewisse Genugtuung.

„Ich habe meiner Braut geschworen, dass ich es niemandem erzählen würde, und ein Wroth steht zu seinem Wort.“ Murdoch fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Ich bitte dich, nicht mit ihnen darüber zu sprechen.“

„Das geht mich nichts an – genau wie meine Braut dich nichts angeht“, sagte Conrad.

„Aber wir sind davon überzeugt, dass deine Braut dir dabei helfen könnte, vollständig zu genesen.“

„Vollständige Genesung bedeutet, ich bin immer noch ein Vampir.“

„Das ist wahr“, gab Murdoch zu. „All unsere Bemühungen werden umsonst sein, wenn wir dich nicht davon überzeugen können, dass nicht alle Vampire schlecht sind. Nicht jeder unserer Art muss vernichtet werden.“

„Was hat Nikolai damit gemeint, als er davon sprach, die Erinnerungen zu beherrschen, sie nach Belieben herbeizurufen?“

„Du kannst lernen, dies zu tun – aber zuerst musst du noch stabiler werden.“

Stabil? Wann war er denn zum letzten Mal stabil gewesen?

„Was habt ihr mir injiziert?“

„Ein Sedativum und Muskelrelaxans, das die Hexen entwickelt haben. Sie fügen außerdem eine Komponente hinzu, die dich für den Einfluss deiner Braut empfänglicher machen soll. Falls wir dir dabei helfen können, sie zu finden.“

Verdammter Mistkerl. „Was du nicht sagst.“ Sein Blick wanderte zu Néomi. Sie neigte den Kopf. War sie … die Seine? War das der Grund dafür, dass sie eine so große Wirkung auf ihn ausübte? Aber warum war er dann von ihr nicht erweckt worden? Vor allem wenn er durch die Spritzen noch empfänglicher für sie werden sollte?

Er schüttelte sich innerlich. Nein, das war unmöglich. Sie war nicht wirklich lebendig.

„Welche Hexen?“, fragte Conrad. „Mariketa die Langersehnte?“

„Woher weißt du von der Hexe im Spiegel?“

Er erinnerte sich nicht aus eigener Erfahrung an Mariketa, sondern durch die Erinnerungen eines seiner Opfer. „Jemand, von dem ich getrunken habe, muss sie gekannt haben.“

Angesichts von Conrads beiläufigem Tonfall hob Murdoch die Augenbrauen. „Wir konnten Mariketa in dieser Angelegenheit nicht um Hilfe bitten. Ihr Mann ist Bowen MacRieve, der Lykae, der uns dabei geholfen hat, dich einzufangen. Zufällig ist er dafür, dich umzulegen. In der Taverne hat er uns klar gesagt, dass er uns zwei Wochen gibt, um dich auf den rechten Weg zu bringen, oder er würde persönlich kommen und dich umbringen.“

„Warum sollte er damit warten? Warum euch helfen?“

„Sebastian hat erst vor Kurzem MacRieve das Leben gerettet. Außerdem hat er den Lykae vor einem Leben bewahrt, das dieser für tausendmal schlimmer als den Tod hält.“

„Und warum ist er dann überhaupt hinter mir her?“

„Du bist ein gefallener Vampir, der nicht nur in seiner Stadt aufgetaucht ist, sondern an einem Ort, in dem er und seine Freunde Stammkunden sind. Ein bisschen zu nahe für seinen Geschmack. Also, MacRieve ist durchaus verständnisvoll, aber nur bis zu einem gewissen Grad.“

Und die Hexe des Lykae konnte mit Leichtigkeit im Spiegel die Zukunft vorhersehen und Conrad finden. Noch ein Feind, der es darauf abgesehen hatte, ihn zu vernichten. Die Grenze beginnt genau hier, Gentlemen.

„Conrad, wir drei haben uns geschworen, dich vom Rande des Abgrunds zurückzuziehen, koste es, was es wolle, und wenn du Gift und Galle spuckst und uns verfluchst. Ich bitte dich, als Bruder, es einfach nur zu … versuchen.“

Wie weit sind sie gewillt zu gehen?

Conrad schüttelte den Kopf. Was ist das denn für ein Gedanke? Mir einzubilden, es könnte eine Genesung für mich geben? Er hatte seine Wahl getroffen. Und er würde die Konsequenzen tragen.

Selbst wenn es einen Weg gäbe, bliebe ihm dafür keine Zeit. Schmerz durchzuckte seinen Arm, wie um seine Gedanken zu unterstreichen.

Wenn es stimmte, was man sich über den Fluch des Mals erzählte, dann könnte die Tatsache, dass Conrad begonnen hatte von Néomi zu träumen, weitaus mehr Gewicht haben, als er sich vorgestellt hatte.

Er musste freikommen und diesen Bastard jagen. Wenn er Tarut besiegen und das Blut des Dämons trinken könnte, würde Conrad in der Tat das mächtigste männliche Wesen der ganzen Mythenwelt sein. Er wäre nicht aufzuhalten. Was ihm dabei helfen würde, die nächste Gruppe von Feinden zu besiegen: die Woede-Brüder.

Vor einigen Monaten hatte Conrad, ohne es zu ahnen, einen Kriegsherren leer gesaugt, der von einem bedeutenden Geheimnis Kenntnis hatte: den einzigen Weg, Rydstroms Thronräuber, den unrechtmäßigen König der Wutdämonen, zu besiegen.

Damit war Conrad jetzt das letzte Lebewesen auf Erden, das sich im Besitz dieser Information befand. Allerdings war es ihm weder bewusst, noch wusste er, wie er danach suchen sollte.

Rydstrom würde über Leichen gehen, um zu erfahren, was sich in Conrads Kopf verbarg. Genau wie sein Bruder, Cadeon der Königsmacher. Als Söldner hatte er fünf Königen zu ihrem Thron verholfen.

„Ihr riskiert viel, wenn ihr mich zu dieser Versammlung mitnehmt“, sagte Conrad schließlich.

„Es wird dort wild zugehen, also halten wir uns einfach zurück und schauen vom Rand der Menge aus, ob sich vielleicht eine Frau findet, die dir gefällt.“

Conrad sollte sich also bei so einer Art Klassenausflug für Mythenweltwesen im Gebüsch verstecken und nach einer Frau Ausschau halten. Der absolute Tiefpunkt meiner Erniedrigung. Er zwang sich, nicht in Néomis Richtung zu blicken.

„Ich habe keinerlei Interesse daran, eine Frau, die ich mir nicht selbst aussuchen darf, zu versorgen und zu beschützen.“ Doch noch während er diese Worte aussprach, begann er darüber nachzudenken, was es bedeuten würde, wenn das Schicksal Néomi für ihn auserwählt hätte … Könnte Conrad einen Weg finden, eine Brücke zwischen ihren beiden Existenzen zu schlagen? Sodass er sie zu der Seinen machen konnte? Er hatte davon geträumt, sie zu nehmen. Wenn die Realität nur einen Bruchteil so gut war wie seine Träume …

„Conrad!“ Murdoch schnipste mit den Fingern.

Er blinzelte. „Was?“

„Ich sagte, wir wissen von deiner Mitgliedschaft bei den Kapsliga, und wir kennen auch die Eide, die das beinhaltet.“

Conrad riss die Augen auf. „Wage es ja nicht …“

„Wir wissen, dass du noch nie mit einer Frau zusammen warst.“