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Die Morgendämmerung war gekommen und vorbeigegangen, und immer noch war Néomi vollkommen außer sich. Denn offenbar war Elancourt bis unters Dach mit leibhaftigen Vampiren vollgestopft.
Jegliche Zweifel, die sie eventuell noch gehegt hatte, hatten sich restlos aufgelöst, als sie gesehen hatte, dass sich die Brüder nach Lust und Laune in Luft auflösten und irgendwo anders wieder auftauchten, während sie in den verschiedensten Ecken des Hauses Reparaturen vornahmen.
Und das war noch längst nicht die Entwicklung, die sie in dieser Nacht am meisten überraschte. Als Conrad gesagt hatte: „Die Frau … wunderschön“, hatte er da womöglich von ihr gesprochen?
Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als ungeduldig darauf zu warten, dass er das Bewusstsein wiedererlangte, damit sie dies herausfinden konnte.
Er lag nach wie vor da, wie seine Brüder ihn vergangene Nacht hinterlassen hatten: auf der neuen Matratze, die sie für ihn hingelegt hatten, die Handgelenke hinter dem Rücken zusammengekettet. Die schmutzigen Stiefel hatten sie ihm ausgezogen und die Fußfesseln abgenommen. Seine zerrissene Kleidung war inzwischen getrocknet, der Stoff war vom Matsch bretthart. Die grauenhaften klaffenden Wunden auf seiner Brust waren innerhalb weniger Stunden vollkommen verheilt.
Sie schwebte in einer sitzenden Position ungefähr einen halben Meter über dem Bett und fragte sich, wie lange er denn wohl noch ohnmächtig daliegen würde. Sie hatte angenommen, dass alle Vampire tagsüber in eine Art Komazustand fielen, aber seine Brüder unten im Erdgeschoss kamen und gingen nach wie vor unermüdlich und teleportierten fleißig verschiedene Gegenstände ins Haus.
Diese Warterei war unerträglich. Denn vielleicht hat er … mich gesehen. Ja, niemand hatte sie je sehen können, und ja, diese Entwicklung beruhte ausschließlich auf der Vorstellung, dass er sie für schön hielt. Vielleicht wenn er jemand war, der sich nicht mit Nebensächlichkeiten wie rosigen Wangen und dem Anschein von blühender Gesundheit aufhielt …?
Néomi war nicht notwendigerweise auf die Kenntnisnahme ihrer Gegenwart aus. Sie könnte genauso gut ein Bettlaken schwenken, auf das sie „Bonjour sagt das Schreckgespenst!“ gemalt hatte, wenn sie es darauf anlegen wollte, um jeden Preis Aufmerksamkeit zu erregen oder womöglich einen Exorzismus herauszufordern. Nein, sie wollte gesehen werden. Sie sehnte sich danach, eine Unterhaltung zu führen.
Diese Möglichkeit bedeutete, dass sich ihr ganzer grandioser Plan, die neuen Untermieter vor die Tür zu setzen, in Luft aufgelöst hatte und sich ihr Groll angesichts des Schadens, den sie Elancourt zugefügt hatten, vorübergehend gelegt hatte. Jetzt wünschte sie sich nur noch, dass sie blieben – vor allem Conrad.
Die Neugier fraß sie schier auf. Warum war ausgerechnet dieser blutspuckende Vampir in der Lage, sie zu sehen – nach über achtzig Jahren immer wieder wechselnder Mieter? Und warum nicht seine Brüder? Als sie Conrad für den Tag fertig gemacht, sprich, ihn in Fesseln gelegt hatten, hatte Néomi wild mit den Armen gewunken und so laut geschrien, wie sie nur konnte. Sie hatte sich sogar auf sie gestürzt und ihre Körper durchquert – ohne jede Wirkung.
Konnte Conrad sie deshalb sehen, weil er als Einziger rote Augen hatte?
Sie richtete sich auf und schwebte von einer abblätternden blauen Wand zur anderen. Die Brüder hatten für Conrad zielsicher das Blaue Zimmer ausgewählt, das maskulinste aller Gästezimmer. Die dichten Vorhänge waren tiefblau, und die spärlichen Möbelstücke – das Bettgestell, der Nachttisch und ein Stuhl mit hoher Lehne vor dem Kamin – waren von dunkler Farbe und robust gearbeitet.
Eigentlich hatte sie erwartet, dass sie in Särgen schlafen würden, aber sie hatten Conrad einfach auf das frisch zurechtgemachte Bett gelegt. Außerdem hatte sie angenommen, dass selbst indirekte Sonnenstrahlen sie verbrennen würden, aber der Raum war von bleichem Sonnenlicht so hell erleuchtet, dass man jedes Staubkörnchen sah. Und wenn die Vorhänge sich in der Zugluft bewegten, die durch das Haus wehte, dehnte sich das Licht bis zu seinen Füßen hin aus.
In diesem Augenblick warf er sich auf den Rücken und rief ihr in Erinnerung, wie groß und kräftig er war. Seine breiten Schultern schienen das Bett von einer Seite zur anderen auszufüllen, und seine Füße ragten über das Ende hinaus. Er musste an die zwei Meter groß sein.
Sie schwebte über ihm und blickte mit schräg zur Seite gelegtem Kopf auf ihn hinab. Er schien Anfang dreißig zu sein, aber das war schwierig zu schätzen mit all dem Dreck und dem Blut, die sein Gesicht bedeckten. Sie schluckte nervös, konzentrierte sich und nutzte ihre telekinetischen Fähigkeiten, um seine Oberlippe zurückzuziehen, wobei sie allerdings erst einmal in seine Nase piekste, bevor es klappte.
Als sich die Lippen teilten, sah sie weiße Zähne in dem dreckigen Gesicht aufblitzen und … Fangzähne, eindeutig! Genau wie in den Romanen, die sie vor langer Zeit gelesen hatte. Genau wie in den Vampirfilmen, die das letzte junge Pärchen so gerne gesehen hatte.
Wie aus diesen Männern wohl Vampire geworden sein mochten? Waren sie verwandelt worden? Oder schon so auf die Welt gekommen?
In diesem Augenblick ertönte von unten ein lautes Krachen. Auch wenn sie am liebsten gleich nachgesehen hätte, was sie ihrem Haus jetzt schon wieder antaten, fürchtete sie, dass Conrad in ihrer Abwesenheit aufwachen würde.
Die Brüder hatten schon eine ganze Reihe der Fenster, die keine lichtundurchlässigen Vorhänge besaßen, mit Brettern zugenagelt und Klappstühle, Matratzen und Bettwäsche hergeschafft. Sogar einen modernen Kühlschrank. Im großen Badezimmer hatten sie die sanitären Anlagen wieder instand gesetzt, und schon davor war mit einem Schlag wieder Strom geflossen, sodass die Glühbirne, die über dem Bett hing, mit lautem Knall zerborsten war und Glasscherben herabgeregnet waren.
Sie hatte die Scherben an dem Gefangenen vorbeischweben lassen – eine gute Idee, denn jetzt begann er, sich auf den zerwühlten Laken hin und her zu werfen. Als sich sein zerrissenes Hemd ein paar Zentimeter nach oben verschob, bemerkte sie eine dünne Narbe, die gleich über dem Bund seiner Hose begann. Wie lang mochte sie sein? Sie schwenkte die Hand und zog das Hemd noch ein wenig höher. Die Narbe schien kein Ende zu haben. Während sie auf ihrer Unterlippe herumkaute, nahm sie sich die Knöpfe vor, bis es ihr gelang, einen nach dem anderen zu öffnen und die beiden Seiten des Hemdes auseinanderzuschieben.
Die Narbe reichte fast bis zum Herzen. Es schien so, als ob eine rasiermesserscharfe Klinge auf der Höhe seines Magens angesetzt hätte und ihm damit der Leib aufgeschlitzt worden wäre.
Als sie ihren Blick endlich wieder von diesem Mal abwenden konnte, begutachtete sie seine Brust. Sie war breit und dicht mit Muskeln bepackt. Da seine Hände hinter dem Rücken gefesselt waren, schienen sie sich sogar im Ruhezustand anzuspannen. Sein ganzer Oberkörper wirkte so hart wie Stein, an ihm war nicht ein überflüssiges Gramm zu sehen.
Sie fragte sich, wie sich seine Haut anfühlen mochte. Das würde sie wohl nie erfahren …
Der Bund seiner Hose saß so tief, dass sie die Linie lockiger schwarzer Haare sehen konnte, die sich von seinem Nabel nach unten zog. Diese dunkle Spur verlockte sie, seine Hose noch ein Stückchen weiter nach unten zu ziehen, aber sie blieb standhaft – mit Mühe.
Die Männer, zu denen sich Néomi in der Vergangenheit hingezogen gefühlt hatte, waren älter und auf eine weiche, kultivierte Art gut aussehend gewesen. Im Gegensatz dazu schien dieser Mann aus nichts als Härte und scharfen Kanten zu bestehen.
Warum also fand sie diesen mit Narben übersäten Körper dermaßen attraktiv?
„Oh, jetzt wach schon auf, Conrad“, sagte sie mühevoll. Sprechen war für sie ein beschwerliches Unterfangen. Sie fühlte sich oft so, als ob sie versuchte, Klänge von der Größe eines Elefanten durch ein Nadelöhr zu drücken. Die Wörter hörten sich für sie verzerrt und seltsam widerhallend an. „Wach endlich auf.“ Am liebsten wäre sie auf das Bett gesprungen oder hätte ihm ins Ohr geschrien. Wenn sie bloß einen Eimer voll Wasser hätte …
Mit einem Ruck riss Conrad die Augen weit auf.
Er kommt zu sich. Das Licht ist die reinste Folter für seine empfindlichen Augen. Schmerz durchzuckt ihn. Er knirscht mit den Zähnen, als ihn Welle um Welle der Pein überspülen.
Du musst dich befreien. Er kämpft gegen die Fesseln an. Seine Glieder scheinen aus Blei zu bestehen. Sie haben mir Drogen gegeben. Wut keimt in ihm auf, bis das Verlangen zu töten ihn würgt wie Hände, die sich erbarmungslos um seine eigene Kehle legen.
Wie lange war ich weg? Er weiß noch, wo er sich befindet. Das Herrenhaus – genauso abweisend, wie er erwartet hatte. Noch im Auto war ihm schon beim Anblick der Schweiß ausgebrochen, und er hatte wild um sich geschlagen.
Das Gefühl, beobachtet zu werden, ist hier noch um ein Vielfaches stärker. Die Gänsehaut in seinem Nacken ist zum Dauerzustand geworden.
Sein Körper versteift sich. Er hat etwas gesehen … hatte er wirklich einen Schleier aus glänzendem schwarzem Haar gesehen, als eine Frau sich um sich selbst drehte? Weiß nicht mehr, was wirklich ist und was Illusion. Bevor sie verschwand, hatte er geglaubt, einen Blick auf ein Paar blaue Augen zu erhaschen, die sich vor Überraschung geweitet hatten. Er hatte Rosen gerochen und eine entblößte Schulter gesehen – schmal und unglaublich blass. Doch außer ihm hatte niemand auf sie reagiert. Was bedeutet, dass sie nicht real sein kann.
Alles, was er sieht, andere jedoch nicht, ist verdächtig. Wahrscheinlich ist sie nur eine Ausgeburt seiner Fantasie und entstammt der Erinnerung eines anderen. Jemand, den er leer getrunken hat, hatte sie womöglich gekannt: seine Frau, eine Geliebte … oder eines seiner eigenen Opfer.
Er wehrt sich heftiger gegen die Ketten. Nichts. Metall wie dieses sollte ihn eigentlich nicht halten können. Es sei denn … Auf magische Weise verstärkt.
Zur Hölle mit seinen Brüdern! Wieso zum Teufel haben sie ihn überhaupt hergebracht? Dieser Ort fühlt sich falsch an, bedrohlich. Er weiß nicht, wie oder warum. Ist ihm auch egal. Ich weiß nur, ich muss mich befreien.
Mit einem Mal umgibt ihn der Duft von Rosen. Ich bin nicht allein in diesem Zimmer. Auch wenn er nichts sieht – es ist noch irgendjemand anders anwesend. Vielleicht die Frau von vorhin? War da vorhin eine Frau? Er beginnt zu schwitzen.
Irgendetwas befindet sich nur wenige Zentimeter weit weg von ihm, kommt langsam näher … Er könnte schwören, dass er warmen Atem an seinem Ohr spürt. Er windet sich, bleckt warnend die Fänge. Das Verlangen zu töten brodelt und schäumt in ihm.
Näher … näher …
Direkt neben seinem Ohr vernimmt er kaum hörbar eine Stimme. Die einzelnen zögerlichen Wörter kann er jedoch nicht ausmachen.
Aber er spürt die Erwartung, eine Sehnsucht, die ihn wie stürmischer Wellengang überrollt. Sein Kopf fühlt sich an, als ob er gleich explodieren wollte. Irgendetwas wird von ihm erwartet. „Was? Was?“ Er weiß es nicht … weiß nicht, was er tun soll …
Er hasst das Verlangen, das er spürt.
„Siiiiehst duuuu miiiich?“, sagt die schwache Stimme.
Sein Kopf zuckt hin und her. Er sieht gar nichts.
Ruckartig setzt er sich auf. Er spürt eine Art Schock, wie statische Elektrizität.
Conrads Körper fuhr durch sie hindurch, was sie zusammenzucken und ihn erschaudern ließ. Schwankend kam er auf die Füße. Seine Verwirrung schien noch weiter zuzunehmen.
„Jemand ist hier. Bist du real?“ Seine Stimme klang noch rauer als letzte Nacht.
„Conrad, beruhige dich“, sagte sie langsam.
Das rote Glühen seiner Augen vertiefte sich. „Zeige – dich!“
War es möglich, dass er auf ihre Worte reagierte? Oder verfügte er lediglich über eine Art Vampirsinn, der ihm sagte, dass er nicht allein war?
Mit einem leisen Knurren ging er ein paar Schritte zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stand. Er bearbeitete vergeblich seine Handfesseln, bis er schließlich mit beiden Füßen über seine gefesselten Hände stieg, sodass sie sich vor ihm befanden. Er schien sich auf die Chance, zu kämpfen, zu freuen und suchte den ganzen Raum nach einem Feind ab, nach jemandem, den er töten könnte.
Während Néomi über ihm schwebte und mit der Hand vor seinen Augen fuchtelte, zuckte sein Blick wild hin und her, sein Kopf ruckte nach rechts, dann nach links. Sie runzelte die Stirn, streckte den Zeigefinger aus und stach ihm damit ins Auge. Ihr Finger glitt einfach hindurch.
Er blinzelte nicht einmal.
Sie glitt von ihm fort, als ob er sie weggestoßen hätte. Er kann mich nicht sehen. Die Enttäuschung lastete schwer auf ihr. Wunderschöne Frau? Nichts als das Gefasel eines Wahnsinnigen. Sie hatte sich an diese Worte geklammert, ganz gleich, wie unwahrscheinlich es war, dass sie sich auf sie bezogen, weil sie verzweifelt war.
Die Euphorie der letzten Nacht war nichts anderes als die Ouvertüre für die bitterste Enttäuschung gewesen. Sie wedelte noch ein letztes Mal hektisch vor seinen Augen …
Er klappte den Mund zu – ein Geräusch, als ob eine Bärenfalle zuschnappt. Sie reagierte mit einem erschrockenen Aufschrei, hob die Hände und schubste ihn von sich fort, sodass er wie eine Kanonenkugel in den Stuhl mit der hohen Lehne geschleudert wurde. Als der Stuhl vor die gegenüberliegende Wand krachte, brach er bei dem Aufprall zusammen und explodierte in einer Wolke aus Splittern, Fetzen der Polsterung und Putz.
Während er sich abmühte, sich aus den Trümmern zu befreien, brüllte er etwas in einer fremden Sprache, was sich stark nach Flüchen anhörte. Und dennoch schien ihm die Gewalt zu gefallen. Oder zumindest schien er daran gewöhnt zu sein.
„Conrad … warte!“, stieß sie mühselig hervor. Wo sind denn bloß seine Brüder? Mit ihren Spritzen? Sicher, die drei Männer kamen und gingen, aber sie waren nie allzu lange fort.
Sobald er sich wieder aufgerappelt hatte, begann er wild im Zimmer hin und her zu rasen und mit seinen angeketteten Händen gegen die Wände zu schlagen, bis überall Löcher im morschen Putz entstanden.
„Hör auf damit, meinem Haus wehzutun!“
Das tat er nicht. Stattdessen schnappte er sich jetzt den Schürhaken, der neben dem Kamin stand, schwenkte ihn mit aller Kraft durch die Luft und ließ ihn dann los, sodass er sich tief in die Ziegel des Kamins bohrte und bebend dort stecken blieb. Als sein hektischer Blick am Nachttisch hängen blieb, sagte sie: „Keinen Schritt näher.“
Conrad stürzte sich auf das Möbelstück. Ohne zu überlegen, schleuderte sie ihn gegen die Decke. Er kniff die Augen fest zu, öffnete sie aber gleich darauf wieder, offensichtlich erstaunt, immer noch auf den Fußboden zu blicken.
Er schlug um sich und wehrte sich nach Kräften gegen sie. Er war stark, und bald war sie gezwungen, ihn fallen zu lassen, hastiger, als sie eigentlich vorgehabt hatte, und er landete mit voller Wucht auf seinem Gesicht. Als er aufstand, sah sie Blut aus einer Wunde an seiner Stirn herab in seine Augen und an seiner Nase entlanglaufen.
Sie hatte nicht vorgehabt, ihn zu verletzen! „Dieu, je regrette!“
„Conrad!“, brüllte Nikolai von unten, um den Bruchteil einer Sekunde später im Türrahmen aufzutauchen. Er musterte mit verblüffter Miene das Chaos, das sich ihm bot. „Was zum Teufel …“
Nikolai hatte keine Gelegenheit, die Frage zu beenden, da Conrad mit seinen gefesselten Armen nach ihm schlug. Nikolai flog aus dem Zimmer und über den Treppenabsatz ins Erdgeschoss hinab, als ob er von einem Rammbock getroffen worden wäre.
Conrad stürmte aus der Tür, Néomi mit weit aufgerissenen Augen hinterher. Auch wenn seine Geschwindigkeit immer noch übermenschlich war, war er doch langsamer als letzte Nacht, obwohl seine Füße nicht mehr gefesselt waren. Sie hatten ihn bereits drastisch geschwächt.
Während sich Nikolai schwerfällig aufrappelte, stand Sebastian mit ausgestreckten Armen auf der Treppe. Aber Conrad legte seine zusammengeketteten Arme auf das Geländer, sprang mit einem Satz nach unten und vermied so jeglichen Kontakt. Als er sich dann dem Haupteingang zuwandte, versperrte ihm Murdoch den Weg.
Nikolai brüllte: „Du kannst jetzt unmöglich das Haus verlassen, Conrad. Verdammt noch mal, denk an die Sonne!“
Was würde im direkten Tageslicht mit Conrad geschehen? Sie öffnete erschrocken den Mund, als er auf Murdoch zustürmte und ihn gegen die Doppeltür aus Mahagoni rammte. Eine der Türen wurde komplett aus den Angeln gerissen und mit lautem Krachen auf die Veranda geschmettert.
Kurz bevor sie in die Reichweite der Morgensonne gelangten, translozierte sich Murdoch unter das schützende Dach der Veranda zurück, doch Conrad setzte seinen Weg fort. Sollte sie versuchen, ihn aufzuhalten?
Nikolai machte Anstalten, ihm zu folgen, aber Sebastian packte ihn beim Hemd und zerrte ihn in den Schatten zurück. „Der kommt nicht weit, Nikolai.“
Néomi stand neben den Brüdern. Aus Gewohnheit beschattete sie ihre Augen, während sie alle vier Conrad beobachteten, der die Einfahrt entlangrannte. Ich wollte ihn nicht so abrupt fallen lassen. Er muss schrecklich durcheinander sein.
„Er wird verbrennen“, sagte Nikolai, dem man anhörte, wie sehr er litt.
Genau wie Néomi legte Murdoch die Hand über seine Augen. „Dann wird er’s vielleicht lernen.“
Die Sonne versengt seine Augen. Es fühlt sich an, als ob sie mit Säure übergossen worden wären. Du musst kämpfen. Das Bayou liegt gleich hinter der Einfahrt, nur noch über die Straße. Er kann das dunkle Wasser bereits wittern.
Seine Haut brennt. Er beißt die Zähne gegen den Schmerz zusammen.
Das Bayou, gleich hinter der Straße. Er kann es schaffen, könnte dort im Schatten überleben. Die Flammen flackern immer höher.
Er nähert sich der Grundstücksgrenze. Entfernt sich weiter von diesem Ding … was auch immer es ist, das es darauf angelegt hat, ihn zu quälen. Ein Wesen, das er nicht sehen kann, um es zu bekämpfen. Das keine Kehle hat, die er ihm herausreißen kann. Eine körperlose Stimme, deren Widerhall ihn von allen Seiten umzingelt hatte.
Gleich da … Feuer … Feuer …
Schlagartig wird ihm schwarz vor Augen. Irgendeine Kraft stößt ihn um, sodass er sich auf seinem Hintern sitzend wiederfindet. Sobald seine Sehkraft zurückgekehrt ist, reißt er die Augen auf. Bröckelnde blaue Wände umgeben ihn. Ungläubig brüllt er auf. Verwirrung überkommt ihn.
Dasselbe Schlafzimmer! Er ist wieder in demselben gottverfluchten Schlafzimmer.
Auf dem Boden zusammengesackt schlägt er den Kopf wieder und wieder gegen die Wand, bis er den Stich der Nadel in seinem Arm spürt.