28
»Schl…« Grauenvoller Anfang. Ich erstarre, unterbreche mich kurz und versuche, den Satz anders zu beenden. »Schl…echt!« Ja. Ich weiß. Furchtbar.
»Wer oder was ist schl…echt?«, fragt Wendy unschuldig.
Wendy kann sehr gut schauspielern, es liegt ihr im Blut, obwohl sie gerade die Wangen einsaugt, was mir verrät, dass sie versucht, sich das Lachen zu verkneifen, und das ist nicht sehr Royal-Shakespeare-Company-tauglich. Trotzdem freue ich mich, dass sie beinahe lacht. Als ich ihr erzählte, Freddie habe mich zum Essen einladen wollen, war sie ziemlich niedergeschlagen. Aber ich musste es ihr doch sagen, oder? Ich hätte es ihr nie und nimmer verschweigen können, obwohl ich sie damit unglücklich gemacht habe. Das widerstrebt mir sehr. Schön, dass wenigstens mein momentanes Dilemma sie amüsiert.
»Sag schon, Grace, wer oder was ist schl…echt?«
»Oh, das … das Wetter.«
Schleimi, Posh Boy, Wendy und ich blicken hinaus in den Nieselregen.
Nicht heute, aber eines Tages werde ich es ihm erklären. »Ken, wir nennen dich heimlich Schleimi. Schon seit Jahren. Das heißt nicht, dass wir dich unwillkürlich mit Geschlechtsorganen assoziieren. Wir nennen dich halt einfach so. Und ich bin nicht in der Lage, dir noch länger etwas vorzumachen.«
Nein! Jetzt hab ich meinen genialen Eröffnungssatz vergessen. »Ken, ich würde gern ein Wörtchen mit dir reden«, sage ich. Ich glaube nicht, dass es das war. Das klang zu streng. »Bitte«, füge ich hinzu, um es abzumildern.
»Mensch, Grace!«, ruft er, kaum dass ich seine Aufmerksamkeit habe. »Hast du dir eine Brustvergrößerung machen lassen?«
Kein Guardian-mäßiger Start. Ich habe mich für Dekolleté entschieden, und als ich den Blick darauf senke, wird mir bewusst, dass es keine kluge Wahl war. Ich mache den obersten Knopf zu.
»Ken, können wir uns mal kurz unterhalten?«
»Ich gehöre ganz dir, Gracie Flowers, ich meine alles gehört dir, außer den Teilen, die meiner Frau gehören.«
»Unter vier Augen, wenn das okay ist?«
»Oh.«
»Wo kann man denn hier unter vier Augen reden?«, fragt Posh Boy, und auch wenn es mir sehr widerstrebt, es zuzugeben, aber dies ist tatsächlich einmal eine ziemlich intelligente Frage.
»Draußen im Café oder auf dem Klo«, antwortet Wendy.
»Okey dokey.«
Noch ein einziges Mal – und das ist mein Ernst: Tacker. Krawatte. Schreibtisch.
Schleimi wirft einen Blick auf seine Uhr. »Café fällt leider aus, Süße. Ich muss gleich Rosie von ihrem Ballettkurs abholen. Mein Herzblatt hat nicht nur zwei linke Füße, sie sind auch noch doppelt so groß wie die der anderen Mädchen. Die hat sie von meiner Mutter geerbt, das arme Kind. Die breiten Quanten und die unförmigen Knöchel. Trotzdem, man kann seinen Kindern wohl schlecht verbieten, ein Hobby zu haben, nicht? So gehen sie wenigstens nicht in Zeitschriftenläden klauen wie ich früher.«
Das ist typisch Schleimi. Entweder er hält eine Rede wie ein römischer Kaiser, der kurz vor dem Einmarsch in Byzanz steht – oder wo auch immer, Geschichte war keins meiner Prüfungsfächer –, oder er schwatzt wie ein Waschweib.
»Also dann das Klo«, sage ich, schnappe mir seinen Ellenbogen und dirigiere ihn zur Firmentoilette.
»Ooh, ganz intim mit Pammie heute.«
»Pammie?«
»Pammie Anderson. Du weißt schon, dicke Dinger.«
Dafür gibt es keine Worte. Wir gehen in die Toilette, die aus einem Vorraum mit Waschbecken und einer Kabine besteht. Ich drücke Schleimi auf den Klodeckel und stelle mich vor ihn.
»Teufel noch mal, Grace, ich weiß nicht, wo ich hinsehen soll.«
»Versuch es mit meinem Gesicht, Ken, mit meinem Gesicht.«
»Alles okay mit dir, mein Blütenblatt? Was kann ich für dich tun? Gibt es un problema?«
Ken und seine Frau möchten sich in Spanien ein Haus kaufen, deshalb hat er sich angewöhnt, das eine oder andere spanische Wort in seine Reden einzuflechten.
»Dein Spanisch macht sich.«
»Gracias.«
»Ken, ich weiß ja, dass du John eingestellt hast und dass er Makler des Jahres ist, was, wenn du mich fragst, eine absolute Farce für unseren Berufsstand ist.« Ich habe entschieden, diesen Satz drinzulassen, aber Schleimi lacht trotzdem. Es gibt nichts, was er lieber hat als kleine, hinterhältige Konkurrenzkämpfe in seinem Team. »Ich denke, du weißt, dass ich mir Hoffnungen auf den Job als Bezirksleiter gemacht habe. Ich bringe viel in dieses Unternehmen ein, in Zeit und Geld gemessen. Kein anderer bei MAKE A MOVE macht auch nur annähernd die Hälfte von dem, was ich in einem Monat hereinhole, wie du weißt. Ich bin spitzenmäßig, Ken. Und als ein Zeichen des guten Willens, damit ich dir erhalten bleibe und nicht das Gefühl bekomme, dass meine harte Arbeit woanders mehr geschätzt wird … hätte ich gern eine Gehaltserhöhung.«
O mein Gott, ich habe es getan. Ich glaube, ich muss mich sofort hinlegen. Schleimi starrt mich an und zwinkert.
»O Mann, Grace.«
»Verstehst du, was ich meine?«
»Ich verstehe dich, Grace, und ich liebe dich wie meine eigenen Töchter.«
»Danke.«
»Komm her, Süße«, sagt er, steht auf und zieht mich kurz an sich. »Ich habe großen Respekt vor dir, Gracie.«
»Findest du, dass ich große Eier hab?«
»O ja.«
»Gut.«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt, aber momentan sind mir die Hände gebunden. Die Wirtschaftsprüfer nehmen gerade die Firma unter die Lupe. Gib mir einen Monat, höchstens zwei, und ich verspreche dir, Gracie, es wird sich eine Lösung finden.«
Ich muss wohl den Eindruck machen, als wäre ich von seiner Antwort am Boden zerstört, weil er sofort sein Portemonnaie aus der Hosentasche zieht. »Soll ich dir was leihen?«
Ich überlege, ob ich sagen soll »Ja, zwanzig Riesen.«
»Fünfhundert fürs Erste?«
Ich lächle. »Nein, du hast völlig Recht, Ken. Ich werde eine Lösung finden.«
Schulden. Ich werde Horrorschulden machen müssen.