1

Mein Name ist Gracie Flowers, und ich bin Immobilienmaklerin. Aber bevor ihr jetzt sagt »Scheiße, das ist nicht dein Ernst, oder?«, lasst mich zu meiner Verteidigung hinzufügen, dass ich nicht so bin wie all die anderen Makler. Erstens bin ich nett. Zweitens kann ich nicht lügen. Ernsthaft, ich kann es nicht. Wenn andere Makler von den Kunden gefragt werden, ob eine Küche in der Größe von 5 m2 klein sei, lautet die Antwort meist: »Nein! Das ist nicht klein. Die Küche ist kompakt, demonstriert eine bemerkenswerte Raumnutzung und ist mit allem modernen Komfort ausgestattet.« Wenn ich von einem Kunden gefragt werde, ob eine Küche von 5 m2 klein sei, schlucke ich und sage: »Allerdings, das ist winzig. Da müssen Sie aufpassen, nicht ständig anzuecken. Die Mikrowelle werden Sie wohl ins Wohnzimmer stellen müssen.«

Man könnte nun meinen, dass diese Eigenschaften hinderlich sind beim Immobilienverkauf, aber das sind sie nicht. Das sind sie wirklich nicht. Ich bin eine erstaunlich gute Maklerin, und niemanden überrascht das mehr als mich selbst. Na ja, außer vielleicht meine Mutter.

Ken Bradbury, mein Chef und Eigentümer der Londoner Immobilienagentur MAKE A MOVE, behauptet, ich sei der beste weibliche Makler Londons. Und obwohl ich dann immer sage »Ken, du sexistische Kröte, gewöhn dir endlich an, dass es Maklerin heißt«, freue ich mich wie ein Schneekönig darüber, dass meine Arbeit respektiert wird. Noch schräger als der Umstand, dass ich extrem gut im Häuserverkaufen bin, ist Folgendes: Ich liebe meinen Job als Maklerin. Die Wahl des richtigen Eigenheims ist eine schwerwiegende Entscheidung im Leben eines Menschen, und ich bin diejenige, die dafür sorgt, dass dabei nichts schiefgeht. Ich suche für jeden Kunden die passende Unterkunft, damit er sich ein Zuhause voller Liebe, Träume und glücklicher Erinnerungen schaffen kann. Und mir ermöglicht dies Einblicke in fremde Häuser und Wohnungen, was manchmal sehr aufschlussreich ist. Warum wir Makler ähnlich unbeliebt sind wie Banker, ist mir ein Rätsel. Es ist der beste Job der Welt.

Allerdings hat die Sache einen Haken, und zwar einen großen, rostigen. Ich muss samstags arbeiten. Während normale Menschen also noch behaglich im Bett liegen und im Halbschlaf überlegen, wo sie frühstücken gehen sollen, frage ich mich, ob ich mir ein weiteres Acht-Minuten-Weckintervall erlauben kann und ob ich noch saubere Unterwäsche habe.

Jeden Samstag werde ich auf dieselbe Weise und um dieselbe Uhrzeit wach. Das geschieht nicht durch einen Wecker. Ich brauche keinen Wecker. Es hat auch nichts damit zu tun, dass ich eine begeisterte Frühaufsteherin bin. Weit davon entfernt. Vielmehr liegt es daran, dass ich in der lautesten Wohnung Londons wohne.

7:42 Uhr – der Güterzug von Portsmouth nach King’s Cross zerreißt mir das Trommelfell, während er nur wenige Meter von meinem Schlafzimmerfenster entfernt über die Schienen donnert.

7:54 Uhr – der nächste Güterzug, der längste der Woche, er braucht fast zwei Minuten, bis er vorbei ist. Es hört sich an, als würden die Red Arrows einen Formationsflug in meinem Kopfkissen machen.

8:03 Uhr – der dritte Weckruf beginnt, wenn die Männer in dem Glaswarengeschäft unter mir eintreffen und Capital FM aufdrehen. Und zwar sehr laut.

8:14 Uhr – der nächste Güterzug.

8:15 Uhr – die Männer unten im Laden fangen an, Glasscheiben zu zertrümmern.

Aus irgendeinem Grund wird mein Freund Danny von der Kombination aus klirrendem Glas, dem Güterzug und dem Knistern des Radiosenders gegen Viertel nach acht wach. Das ist meistens ungefähr die Zeit, zu der ich seine Erektion an meinem Hintern spüre. Sehr erotisch. Ich mag Sex, doch wenn ich ehrlich bin, ziehe ich es samstagmorgens um Viertel nach acht vor, noch ein bisschen zu dösen. Gewöhnlich liege ich ganz still da und hoffe, dass Danny irgendwann aufgibt, so wie ich das in diesem Moment mache. Leider erweist sich das als nicht besonders effektiv. Danny verlagert lediglich das Gewicht und drückt seinen Penis gegen meine andere Pobacke. Mist!

Ich rühre mich nicht und lasse ihn machen. Normalerweise braucht er morgens nicht sehr lange.

»Danny, Baby, pass auf, ich nehme gerade nicht die Pille«, murmle ich in das Kissen. Ich habe vergessen, mir beim Arzt ein neues Rezept zu besorgen. Das war dumm, Gracie. Dumm.

Ich bin seit zehn Jahren mit Danny zusammen. Er hat mich zwei Tage vor meinen Abschlussprüfungen gefragt, ob ich mit ihm ausgehe. Genau genommen steckte ich bereits mitten in den Prüfungen, mein mündliches Französischexamen hatte ich schon hinter mir. Das bedeutet, dass ich eigentlich in der Lage sein müsste, auf Französisch zu fragen »Verzeihung, wo finde ich hier die nächste Bank?«, aber das bin ich nicht. Ich habe nicht den blassesten Schimmer. Jedenfalls stand der Großteil der Prüfungen, zwei pro Tag über einen Zeitraum von circa zwei Wochen, unmittelbar bevor.

Ich wusste nicht viel über Danny, als er mich im Schulflur anhielt und zunächst einmal auf seine Schuhe starrend ausgiebig hustete, bevor er schließlich sagte: »Wegen dieses … beknackten Abschlussballs … Hast du Bock, mit mir dahin zu gehen?«

Immerhin wusste ich seinen Namen: Danny Saunders. Ich fand den Namen ganz hübsch, er klingt freundlich, kumpelhaft, zugänglich und aussprechbar. Ich wusste, dass Danny klug war – er hatte überall Bestnoten –, mir war bewusst, dass er blass war und ein Computerfreak, und ich war definitiv mit seiner Körperlänge vertraut, eins neunzig. Verdammt groß nenne ich das. Aber das war damals ungefähr alles, was ich über ihn wusste.

In der Schule war ich eine Einzelgängerin. Zu jener Zeit hatten meine Eltern sieben Jahre in Folge die Weltmeisterschaft im Standardtanz gewonnen, natürlich lange vor Let’s dance und der daraus resultierenden Wiederauferstehung vom klassischen Tanz. Außerdem besuchte ich das Kensal Rise Community College, wo man nur als cool galt, wenn man einen Vater hatte, der DJ war oder im Knast. »Dein Alter ist ’ne Schwuchtel« bekam ich zu hören, falls sich überhaupt jemand die Mühe machte, mit mir zu reden. Deshalb blieb ich lieber für mich.

Folglich war ich überrascht, eine Einladung zu dem »beknackten Abschlussball« zu erhalten. Ich betrachtete Danny Saunders mit dem hübschen Namen genauer und registrierte, dass er mindestens einen Kopf größer war als ich, hager und breitschultrig. Ich nahm außerdem erfreut zur Kenntnis, dass er ein Ramones-T-Shirt trug. Mein Vater hatte auch eins, und zu jener Zeit war Dad mein Held. Ich sah in Dannys tiefliegende braune Augen und antwortete lässig: »Ja, klar, warum nicht?« Doch insgeheim dachte ich, boah, Danny Saunders ist echt heiß.

An diesem Morgen denke ich das allerdings nicht. Ich denke an etwas ganz anderes. Der Acht-Uhr-siebzehn-Personenzug ist noch nicht einmal vorbeigekommen, und Danny stöhnt bereits und rückt von mir weg. Aber das ist nicht das Schlimmste – ich spüre etwas Klebriges da unten.

»Danny Saunders, du Arsch!«, kreische ich und boxe ihn in seinen ärgerlich hohlen Bauch.

»Autsch! Grace, Baby, hab ich ganz vergessen«, keucht er.

»Trottel!« Ich haue ihm noch eine rein.

»Kannst du dir nicht die Pille danach besorgen?«

Seufzend setze ich mich auf und reibe mir die Augen wie ein verschlafenes Kind. Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben. Vielen Dank auch, Danny, für diesen verdammt überflüssigen Hinweis. Ein Baby ist definitiv nicht geplant in meiner absehbaren Zukunft. Allerdings erwartet mich das stressigste Wochenende der modernen Welt, und Gott weiß, wann ich die Zeit finden werde, um in einer Apotheke vorbeizuschauen.

Im Moment brauche ich mir darüber jedoch keine Gedanken zu machen, denke ich und lächle vor mich hin, während ich aus dem Bett klettere. Vor mir liegt ein großer, nein, ein sehr großer Tag.