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Es hat bestimmt mit seiner Mutter zu tun. Danny steht seiner Mutter sehr nahe. Er würde zerbrechen, wenn er sie verlieren würde. Und was würde sein Vater bloß ohne sie machen? Gott, ich bezweifle, dass er überhaupt in der Lage ist, allein in die Küche zu finden. Danny und ich werden in Zukunft wohl öfter vorbeikommen müssen. Wir werden die Wochenenden opfern. Ich werde Lasagne vorkochen und einfrieren.

Großartig. Wieder einmal ist eine Fahrspur auf der M4 aus unersichtlichen Gründen gesperrt. Mein Handy klingelt wieder. Es ist Dan.

»Dan.«

»Nein, Grace, hier ist Dans Mum. Ich bin es, Pam.«

»Oh, Pam.« Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich bin gerade erst sechsundzwanzig und eine richtige Heulsuse geworden. Oje, das empfiehlt sich nicht gerade, wenn man am Steuer sitzt. »Pam, wie geht es dir? Ich bin gerade auf der Autobahn. Ich werde in ein paar Stunden ankommen.«

Ich kann Danny im Hintergrund hören. Er schluchzt!

»Grace, meine Liebe, würdest du bitte an der nächsten Raststätte anhalten und uns auf dem Festnetz anrufen?«

»O Gott. Ja, natürlich. Ich glaube, Reading ist nicht mehr weit.«

Wir beenden das Gespräch. Gott. Vielleicht ist Dannys Vater gestorben. Oder vielleicht hat es doch mit seiner Mutter zu tun, und sie mimt vor ihren Männern die Tapfere.

»Come on, Reading«, schreie ich. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Schlachtruf mal benutzen würde.

»O mein Gott«, sage ich. »Vielleicht ist es Danny.«

Danny könnte derjenige sein, der schwer krank ist. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Danny war in letzter Zeit nicht er selbst. Er hat sich sehr zurückgezogen. Ich glaube, irgendein Verwandter von ihm, der weiter weggezogen war, hatte mal Leukämie und kehrte nach Wales zurück. Wenn die Leute eine schlimme Krankheit haben, wollen sie immer heim zu ihren Müttern.

»Bitte, Gott. Ich weiß, das ist ein bisschen unverschämt, weil wir zwei keine gemeinsame Vergangenheit haben, aber kannst du bitte auf meinen Dan aufpassen?«

Danny ist mein Rückgrat. Danny ist das einzig Feste und Beständige in meinem Leben seit dem Tod meines Vaters. Er ist mein Dan. Wir sind Gracie und Dan. Es kann nicht nur Gracie geben.

»Bitte, nimm mir Danny nicht auch noch. Bitte, lass mich Danny behalten«, flüstere ich dem großen Mann zu.

Ich halte schließlich an der Raststätte Reading und erhasche im Rückspiegel mein Gesicht. Es ist Addams-Family-blass. Ich atme tief durch.

»Grace, sei stark. Das ist nicht deine Krise, sondern die der Saunders. Sei stark, und du kannst ihnen helfen, sie zu überstehen«, sage ich leise zu mir selbst.

Ich wähle die Nummer.

»Hallo, Pam am Apparat.« Sie klingt nicht wie sie selbst.

»Hi, Pam.« Ich versuche, einen mitfühlenden Ton zu treffen. »Ich bin jetzt in Reading.«

»O Grace. Danny ist in einem furchtbaren Zustand.«

Plötzlich komme ich mir wie eine schlechte Freundin vor. Ich war nicht für ihn da. Er hat das alles allein durchgemacht.

»Ich weiß, Pam. Was ist los?«

»O Grace. Am besten, ich sage es dir direkt.«

Wieder höre ich Danny im Hintergrund erstickt schluchzen. Es muss was mit seinem Vater sein. So habe ich damals auch geweint. Wahrscheinlich wollte er mir nichts sagen, weil es die Erinnerungen an den Verlust meines eigenen Vaters zurückgebracht hätte. Armer Dan.

»Okay … Lass dir Zeit, Pam.«

»Grace, du bist so ein reizendes Mädchen. Ich liebe dich wie eine eigene Tochter.«

»Danke, Pam. Das bedeutet mir sehr viel.«

»Aber Dan möchte die Beziehung mit dir nicht länger fortführen, Grace. Ich glaube, er hat das Gefühl, ihr habt euch auseinanderentwickelt.«

Ich sage nichts. Ich lausche nur Dannys Weinen im Hintergrund.

»Grace, hast du mich verstanden?«

Ich habe verstanden, aber ich kann nicht sprechen.

»Grace, Schatz, er wusste nicht, wie er es dir sagen soll, weil du ihm immer noch so viel bedeutest. Deshalb dachte ich, dass ich es dir beibringe. War das falsch von mir? O Schätzchen. Es tut uns allen so leid.«

Ich sage nichts, aber ich überlege. Irgendwo in meinem Gehirn versuche ich, einen Satz zu formulieren, einen Satz, der aussagt, dass uns zu viel verbindet, um alles wegzuwerfen, oder so ähnlich, nicht ganz so abgedroschen. Aber Pam redet weiter, bevor ich die Chance habe, auf einen Satz zu kommen.

»Er hat eine neue Arbeitsstelle, Grace. Einen großartigen Job, allerdings in Vancouver. Er hat zugesagt. Er fliegt am Freitag. Kommenden Freitag. Wir kommen morgen mit einem Transporter vorbei, um seine Sachen aus der Wohnung zu holen.«

Ich sage immer noch nichts. Ich schalte das Handy einfach aus und lasse es aus meiner Hand gleiten. Dann blicke ich hinaus auf die Tankstelle. Es fängt an zu regnen.