Kapitel 36
»Sie wollen damit also sagen«, brummte Heath und legte die Hand auf einen Aktenstapel, »dass Sie dem Kerl ein neues Alibi verschafft haben. Er war in der Nacht zur Tatzeit mit diesem Mädchen zusammen.«
»Sieht ganz so aus, Sir«, bestätigte Dan.
»Und alles, was wir haben, ist ein eifersüchtiges Schulkind; und es ist nicht einmal dasselbe Mädchen, das dann tot aufgefunden wurde.«
»Sir.«
Heath holte tief Luft. »Na schön. Tja, wenigstens wissen wir es jetzt mit Sicherheit.« Er wandte den Blick ab und schaute aus dem Fenster. »Also müssen wir den Mistkerl immer noch finden.«
Cate blieb stumm. Heath hatte recht; sie war aufgebrochen, um einer Spur nachzujagen, und war dabei lediglich auf einen gebrochenen Mann gestoßen. Aber in gewisser Weise stellte das doch einen Fortschritt dar, oder? Sie hatten diesen Aspekt der Ermittlungen abgeschlossen. Nun mussten sie eine andere Möglichkeit finden, den Mörder zu fassen. Sie dachte an Alice. Was hätte die Dozentin darüber zu sagen gehabt? Vermutlich wäre auch sie in der Erwartung zu dem Haus gefahren, einen Verbrecher anzutreffen. Aber das war Matt Cosgrove nicht.
Sie biss sich auf die Unterlippe. In Märchen war es einfach. Schurken trugen ihre Bösartigkeit äußerlich zur Schau, nicht wahr? Aber bevor all das geschehen war, als Cosgrove vermutlich noch sein gutes Aussehen besessen hatte – da hätte sie glauben können, dass er vielleicht der Mörder war. Durch seine Blässe und den starken Gewichtsverlust hatte er jenes Aussehen verloren, auch wenn er mittlerweile einen rehabilitierten, unschuldigen Mann verkörperte. Und sie – die Polizei – hatten ihm das angetan.
»Ein Schulmädchen verliebt sich also.« Heath sprach gedehnt, sein Blick schien kilometerweit entfernt zu sein. Weder Dan noch Cate rührten sich – beide hörten zu, wie Heath laut nachdachte. »Und Sie sagen, dass es seine Frau war, die das Buch fand?«
»So ist es«, erwiderte Dan. »Sie hat ihn mit Zähnen und Klauen verteidigt.«
»Tatsächlich?«
Dan wartete nur.
»Aber anfangs hat sie das nicht getan, oder? Als Cosgrove so spät zu Hause eingetrudelt ist, als sie Wind von den Gerüchten bekam. Offensichtlich dachte sie da noch, dass mehr an der Sache dran sei, sonst wäre sie nicht hergekommen, um mit uns zu reden.« Kurz verstummte er. »Sie glauben nicht, dass die andere Schülerin – Chrissie – in der Nacht auch dort gewesen sein könnte? Dass sie sich ihm an den Hals geworfen hat, nachdem das andere Mädchen gegangen war?«
Cate runzelte die Stirn.
»Aber wir hatten ihn unter Beobachtung«, fuhr Heath fort. »Wir wissen, dass er sich nicht Ellen Robertson oder Teresa King geschnappt haben kann.«
»Richtig.
»Aber irgendjemand hat das getan.«
Cate beobachtete, wie die Worte zwischen Heath und Dan hin- und hergingen, und ihr wurde klar, dass sie Zeugin einer alten Routine wurde: Heath spielte einem Mitglied des Teams willkürlich Gedanken zu. Sie war nicht sicher, ob er diese Ideen selbst überhaupt ernst nahm.
»Die Sache ist die«, verriet er schließlich. »Während Sie unterwegs waren, um mit dem Burschen zu reden, haben die internen Nachforschungen eine weitere Verbindung aufgedeckt.« Er ließ die neue Information wirken. »Es sieht so aus, als könnten sich Cosgrove und das dritte Opfer – Ellen Robertson – gekannt haben. Beide waren Mitglieder im selben Fitnessstudio, und soweit wir den Tagesablauf der Frau kennen, dürfte sie regelmäßig etwa zur selben Zeit dort gewesen sein wie er, am späten Nachmittag.«
Cate starrte den Ermittlungsleiter an.
»Merkwürdig, nicht wahr?«
Ihre Gedanken rasten. Ellen hatte erst unlängst geheiratet. Ihren Bekannten zufolge war sie glücklich gewesen. Vielleicht hatte sie Cosgrove kennengelernt und ihn von Laufband zu Laufband gegrüßt … aber mehr als das? Bestimmt hatte sie keine Affäre mit ihm oder jemand anderem gehabt.
Andererseits hatte die Frau all ihre Freundinnen beim Umzug zurückgelassen, nicht wahr? Sie war hierher gezogen, um mit ihrem Ehemann zusammenzuleben. Wie viel Zeit hatte sie alleine verbracht? Konnte sie wirklich so gelangweilt gewesen sein, dass sie derart rasch angefangen hatte, sich mit jemand anderem zu treffen?
»Cate?« Heath musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Irgendwelche Gedanken dazu?«
Seufzend schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß nicht recht, Sir«, sagte sie. »Ich schätze … es wäre möglich, dass sie sich kennengelernt und irgendwie aufeinander eingelassen haben. Aber … ich meine, es fühlt sich nicht richtig an. Vielleicht eine kurze Affäre. Vielleicht haben sich beide in einem schwachen Augenblick hinreißen lassen und einen Fehler begangen.«
»Und sie wird dabei schwanger.«
Cate starrte ihn an.
Heath stemmte sich hoch, ließ jedoch keine Anzeichen erkennen, aufbrechen zu wollen. Auch Dan stand auf, und Cate tat es ihm gleich. »Das sind alles nur Vermutungen, Cate, das ist Ihnen doch klar? Wir können jetzt kaum zu ihm zurückgehen, wenn wir nicht eine Klage wegen Belästigung am Hals haben wollen. Das sind alles nur Indizien. Und was, wenn er es nicht war?«
Etwas an der Art, wie er das Wort betonte, war auffällig, und plötzlich wurde Cate klar, was er meinte.
»Wir können ihn trotzdem im Auge behalten.« Heath steuerte auf die Tür zu, und Dan folgte ihm. Cate jedoch blieb zurück und starrte an die weiße Wandtafel vor ihr. Darauf standen Namen, Zeiten und Daten mit Linien, die sie miteinander verbanden wie einen seltsamen Stammbaum. Und Mrs Cosgrove befand sich darunter. Ihr Name stach aus den anderen hervor, und ein gerader Pfeil verknüpfte ihn mit dem ihres Mannes.
Eifersucht, dachte Cate. Eifersucht, nicht Eitelkeit.
Kurz lachte sie auf. Fast von Anfang an hatte Alice es gesehen – sie hatte immer behauptet, wenngleich aus den falschen Gründen, dass der Mörder eine Frau sein müsse. Und dennoch – all das Gerede über Märchen, und jetzt hatten sie womöglich eine echte Verbindung entdeckt. Cate hatte das Gefühl, als erfänden sie Geschichten.