Sag, ist dort Schönheit noch zu finden?
Geborgenheit? Und Ruhe dort?
Und tiefe Wiesen noch, um zu vergessen
die Lügen und die Wahrheit und den Schmerz - Oh!
Zeigt noch die Kirchuhr zehn vor drei?
Und ist noch Honig da zum Tee?
Rupert Brooke aus >Das Alte Pfarrhaus, Grantchester<
Kincaid bog auf der Kreuzung an der High Street scharf nach links ab und brachte den Escort hinter Adam Lambs Mini zum Stehen. Aus der offenen Haustür von Nathans Cottage fiel Licht.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte er, als er die Handbremse anzog und aus dem Wagen sprang. Er hörte Gemma dicht hinter sich, als er die Auffahrt hinauflief.
Adam kam ihnen bereits entgegen, groß und hager und ganz in geistliches Schwarz gekleidet. Beim Blick in ihre fragenden Gesichter schüttelte er nur den Kopf. »Kein Erfolg, fürchte ich. Niemand hat ihn gesehen. Pfarrer Denny und einige der Kirchendiener suchen mit Fackeln am Flußufer.« Sein Gesicht war von Sorge und Erschöpfung gezeichnet. »Ich habe gesagt, daß ich hier auf Sie warte.«
Kincaid nahm Adam am Arm und zog ihn mit in die Diele. »Adam, erzählen Sie uns von Darcy und Verity Whitecliff.«
»Großer Gott!« Adam sank gegen die Wand. Er war leichenblaß. »Was ... was hat das damit zu tun?«
»Hat er sie umgebracht?« drängte Kincaid, die Hand auf seiner Schulter. »Hat er Verity getötet?«
Adam fuhr sich mit zitternder Hand übers Gesicht, dann fasste er sich. Er richtete sich auf. »Es ist komplizierter. Wir haben uns alle schuldig gefühlt. Wir hätten es nie so weit kommen lassen dürfen.«
»Hat er sie getötet? Ja oder nein?« Kincaid packte Adams Schulter unwillkürlich fester.
Adam stöhnte auf, wich seinem Blick jedoch nicht aus. »Ja«, antwortete er mit einem Seufzer. »Ja, das hat er getan.«
Kincaid ließ Adams Schulter los, wandte sich an Gemma und sah flüchtigen Triumph in ihren Augen aufflackern. Sie hatten also schließlich doch recht gehabt. »Adam, wir glauben, daß Lydia endlich öffentlich aussprechen wollte, was passiert war. Sie hatte ein Gedicht über Veritys Tod geschrieben, das Darcy vermutlich aus dem Manuskript zu ihrem letzten Buch entwendet hat. Vic hat eine Kopie in einem Buch gefunden, das Nathan ihr geschenkt hatte, aber Nathan hatte von seiner Existenz keine Ahnung. Möglicherweise hat er es heute nachmittag zum ersten Mal gelesen.«
Adam sah von Kincaid zu Gemma. »Das bedeutet doch, daß Darcy Lydia und Victoria McClellan umgebracht hat, oder? Und daß Nathan gerade dahintergekommen ist?«
»Ja.« Gemma legte die Hand auf seinen Arm. »Wie meinen Sie, hat er reagiert?«
Adam schüttelte den Kopf. »Ich hätte es wissen müssen. Vielleicht nicht gleich, als Lydia gestorben ist, aber mindestens, als Victoria McClellan anfing, ihren Selbstmord in Frage zu stellen. Ich habe mich mutwillig und sträflich blind gestellt.« Er kämpfte mit Tränen. »Wir haben alle geglaubt, wir könnten wiedergutmachen, was wir getan haben, jeder auf seine Weise. Aber es war nicht genug. Nathan weiß das jetzt. Ich rechne mit dem Schlimmsten.«
Kincaid beschlich eine böse Vorahnung. »Wo ist er hin? Zu Darcys College?«
»Ich glaube nicht ...«
»Psst!« Kincaid hielt eine Hand hoch und horchte. Er hätte schwören können, daß da ein gedämpfter Knall gewesen war. »Was war das?«
»Ein Schuß!« sagte Gemma. »Könnte es ein Gewehrschuß gewesen sein?«
»Es kam aus dieser Richtung«, murmelte Kincaid und deutete zum Rand des Dorfes. »Ich würde sagen, in einer Entfernung von einem Kilometer.«
»Der Teich«, krächzte Adam. »Byrons Teich. Ungefähr 500 Meter hinter der Mühle. Dort ist Nathan hin.«
Kincaid überlegte sich eine Strategie. »Wie können wir ihn finden?«
»Da ist ein Schild. Und der Fußweg ist deutlich gekennzeichnet«, erwiderte Adam. »Aber ich kann Ihnen zeigen ...«
»Nein. Sie bleiben hier und warten auf Chefinspektor Byrne«, erklärte Kincaid, schon halb aus der Tür. »Zeigen Sie ihm den Weg«, rief er über die Schulter zurück und sprintete zum Wagen. Gemma war ihm dicht auf den Fersen.
»Meinst du, Darcy war einverstanden, ihn zu treffen?« fragte Gemma, als sie die Autotüren zuschlugen und der Motor aufheulte.
»Ich glaube kaum, daß Nathan das Glück hatte, eine Absage zu bekommen«, erwiderte Kincaid grimmig. Die Lichter der Häuser flogen an ihnen vorüber, als sie durchs Dorf rasten. Dann fuhren sie bergab über die alte Steinbrücke bei der Mühle. Kincaid nahm Gas weg, als sie die kurvenreiche Straße erreichten, die auf der anderen Seite bergauf führte. »Dort!« Er deutete auf ein Hinweisschild, kaum lesbar im Scheinwerferlicht. »Byrons Teich. Und da ist ein Parkplatz.« Der kleine Kiesplatz war leer.
»Nathan ist zu Fuß gegangen«, vermutete Gemma, als Kincaid den Wagen anhielt. »Und Darcy muß seinen Wagen irgendwo anders geparkt haben. Er wollte nicht, daß er gesehen wird. Die Taschenlampe liegt unter dem Sitz«, fügte sie hinzu, während sie hastig aus dem Wagen kletterten. »Schau, da ist ein Weg.«
Kincaid richtete sich mit der Taschenlampe in der Hand auf. »Wir benutzen sie lieber noch nicht«, beschloß er ruhig. »Unsere Augen gewöhnen sich gleich an die Dunkelheit. »Wir wollen schließlich keine Zielscheiben abgeben.« Er legte die Hand auf Gemmas Schulter und fühlte, wie sie vor Anspannung zusammenzuckte. Einen Moment war er versucht, sie zum Auto zurückzuschicken. Nur die Vorstellung, daß sie allein auf dem Parkplatz möglicherweise Darcys Fluchtweg verhinderte, hielt ihn davon ab. Er tätschelte ihre Schulter. »Bleib hinter mir, Liebes. Und beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten gehst du in Deckung.«
Der Pfad war uneben, jedoch heller als der Untergrund der Umgebung. Kaum hatten sich Kincaids Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt, ging er schneller. Der Parkplatz war bald verschwunden. Die Bäume und die Geräusche der Nacht hatten ihn verschlungen.
»Warte!« Gemmas Hand faßte ihn beim Ellbogen. »Ich habe etwas gehört«, flüsterte sie an seinem Ohr.
Er horchte angestrengt in die Dunkelheit. Ein Rascheln - dann ein Laut wie ein Stöhnen. Er nickte Gemma stumm zu, drehte sich wieder um und lief weiter. Von jetzt an setzte er behutsam einen Fuß vor den anderen. Cowboy und Indianer, dachte er. Wir spielen Cowboy und Indianer. Und er achtete auf jeden Ast. Als Kind hatte er immer Indianer sein wollen, und es war ihm plötzlich bewußt, wie er die Füße bei jedem Schritt über den Waldboden weich abrollte. Dann machte der Weg eine Biegung, und er blieb abrupt stehen.
Sie befanden sich am Rand einer kleinen Lichtung, vom Mondschein schwach erleuchtet. Auf der gegenüberliegenden Seite rangen zwei Gestalten miteinander. Wenige Meter von ihnen entfernt blinkte etwas im Gras. Das Gewehr.
In diesem Augenblick richtete sich die Gestalt, die die Oberhand gehabt hatte, mühsam auf und wandte sich mit der Bedrohlichkeit eines in die Enge getriebenen Tieres in ihre Richtung. Es war Darcy.
Kincaid hechtete blindlings vorwärts, schlitterte über das Gras und auf das Gewehr zu. Er rollte ab und kam mit der Waffe in den Händen auf die Knie.
Vor ihm stand leicht schwankend Darcy. Die Hälfte von Gesicht und Hals waren im schwachen Mondlicht fast schwarz. Ein Schatten? Nein, Blut, erkannte Kincaid. Er setzte einen Fuß auf und kam langsam auf die Beine, ohne den Schaft des Gewehrs auch nur einen Millimeter aus der Achselbeuge oder den Lauf von Darcys Brust wegzubewegen.
Er könnte Darcy erschießen. Jetzt. Der Gedanke kam ihm mit kalter Berechnung. Notwehr. Tötung bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes. Wer sollte das in Frage stellen? Er hatte schon so viele Regeln verletzt, warum nicht eine mehr?
Darcy scharrte mit den Füßen, beugte mit nach vorn gelehntem Oberkörper leicht die Knie.
Er will davonlaufen. Laß ihn! Dann erschieß ihn. Niemand könnte je behaupten, daß du nicht richtig gehandelt hast.
Das Weiß von Darcys Augen blitzte auf, als er sich zu orientieren versuchte. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt.
»Auf den Boden mit Ihnen«, befahl Kincaid kalt. »Die Hände auf den Rücken. Wenn Sie nicht tun, was ich sage, schieße ich.«
Einen Augenblick stand Darcy bewegungslos da. Kincaids Muskeln waren gespannt, wappneten sich unwillkürlich gegen den Rückstoß des Gewehrs. Dann sank Darcy schwerfällig auf die Knie. »Ich brauche Hilfe. Ärztliche Hilfe«, sagte er. »Er hat mich angeschossen. Ich bin verletzt.«
»Runter mit Ihnen!« schrie Kincaid, und all seine Wut und Verzweiflung machte sich in diesem Schrei Luft. »Ist mir egal, ob Sie verbluten, Sie Schwein. Haben Sie kapiert?« Er fuchtelte mit der Waffe vor Darcy herum. Darcy streckte sich mit einem Stöhnen auf dem Gras aus. »Gemma ...«
Sie war sofort neben Darcy. »Ich habe ein Tuch.« Sie band ihm die Hände auf den Rücken, dann rannte sie zu Nathan.
Kincaid hörte sie flüstern: »Lieber Gott! Bitte ...«, als sie neben ihm niederkniete.
»Atmet er noch?«
»Ich glaube schon. Ja.« Sie versuchte Nathans Kopf aus dem Wasser zu heben. »Aber er ist vollkommen mit Blut verschmiert.«
Es war ein heiseres Husten, das wie Würgereiz klang, zu hören, dann ertönte keuchend Nathans Stimme: »Es ist sein Blut. Ich hab auf ihn geschossen.«
Dann hörte Kincaid Autoreifen quietschen und Türen schlagen. Einen Moment später bewegten sich die Lichtkegel von Taschenlampen zwischen den Bäumen auf sie zu. Er ließ das Gewehr sinken.
»Die Kavallerie ist im Anmarsch.«
»Ich hatte keine Ahnung, wie sehr ich am Leben hänge, bis er mir seine Hände um den Hals gelegt hat«, sagte Nathan, seine Stimme nur ein heiseres Flüstern. Sie saßen um den Tisch in seiner Küche, er und Adam, Kincaid und Gemma, und tranken Kräutertee.
Die Sanitäter hatten die schlimmsten seiner Schürf- und Kratzwunden verarztet, aber er hatte sich geweigert, ins Krankenhaus zu gehen. »Dabei wollte ich eigentlich sterben«, fuhr er nach einem Schluck Tee fort. »Ich hatte vor, zuerst ihn und dann mich zu erschießen. Aber ich habe in zweierlei Hinsicht versagt.«
Gemma legte ihre schmalen Finger auf seinen Handrücken. »Sie haben nicht versagt, Nathan. Warum hätten Sie Ihr Gewissen mit Darcy belasten sollen? Weder Vics noch Lydias Tod hätte dadurch einen Sinn bekommen.«
»Wir haben alle versagt«, warf Adam ein. »Vor uns selbst und gegenüber Darcy. Er war nicht immer so gemein und böse. Er wollte Verity sicher nicht umbringen. Aber sie hat ihn zurückgewiesen, und da ist er durchgedreht.« Er lockerte seinen steifen weißen Kragen. »Wir werden nie erfahren, was aus ihm geworden wäre, wenn wir ihn für das, was er in jener Nacht getan hat, zur Verantwortung gezogen hätten.«
»Aber jetzt sorgen Sie dafür, daß er zur Verantwortung gezogen wird«, sagte Kincaid.
Nach einer ersten Untersuchung hatten die Sanitäter Darcy unter Polizeibewachung in die Addenbrooks-Klinik gebracht. Er hatte viel Blut verloren. Nathans Schrotladung hatte ihn an der rechten Gesichtshälfte, an Hals und Schulter getroffen. Trotzdem hatte er noch unaufhörlich seine Unschuld beteuert.
»Ihre Zeugenaussage ist für die Staatsanwaltschaft entscheidend.« Kincaid sah von Adam zu Nathan. »Das Problem ist, daß Sie damit natürlich auch zugeben, Verity Whitecliffs Tod gedeckt zu haben.«
»Mit der Geheimniskrämerei ist jetzt Schluß, finde ich«, erklärte Adam.
Nathan sah zu ihnen auf, die Augen unergründlich. »Wie groß ist die Chance, daß er allein auf Grund unserer Aussage verurteilt wird? Es gibt keine Beweise mehr, wie Verity gestorben ist oder daß er sie getötet hat.«
Kincaid warf Gemma einen Blick zu. »Wir können der Staatsanwaltschaft nur eine Empfehlung geben, aber ich schätze, sie machen ihn für Vics und Veritys Tod verantwortlich und benutzen in Vics Fall Lydias Tod als Beweis seiner typischen Vorgehensweise. Die beste Chance, Beweise zu finden, haben wir beim Mord an Vic. Bei Verity kann das Gericht allein aufgrund von Zeugenaussagen entscheiden. Deshalb kommt es auf Sie und Adam an.«
»Ich tue, was getan werden muß«, erklärte Nathan. Dann schüttelte er den Kopf. »Wenn ich nur gewußt hätte, welchen Verdacht Vic hatte ...«
»Tja, damit müssen wir alle leben«, warf Kincaid schwerfällig ein und stand auf. »Ich rate Ihnen, jetzt schlafen zu gehen. Sie werden Ihre Kraft brauchen.«
Sie verabschiedeten sich von Nathan und Adam an der Tür. Als Kincaid Nathans Hand nahm, fühlte er eine starke Verbundenheit. Sie hatten Vic beide geliebt.
Er folgte Gemma langsam zum Wagen und gab ihr die Schlüssel. Er war plötzlich zu müde, um zu fahren. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und lehnte sich zurück. Doch bevor Gemma den Motor anlassen konnte, griff er nach ihrer Hand und hielt sie fest.
»Ich dachte, du würdest ihn erschießen«, gestand Gemma und wandte den Kopf.
»Ich auch.«
»Wäre ihm recht geschehen.« Sie musterte sein Gesicht. »Warum hast du’s nicht getan?«
Er dachte einen Moment nach, versuchte eine Antwort zu formulieren. »Ich bin nicht sicher«, erwiderte er schließlich. »Vermutlich, weil es bedeutet hätte, Gewalt als Lösung zu akzeptieren.« Er fuhr mit den Fingern zärtlich über Gemmas Hände und sah ihr dann in die Augen. »Und was hätte mich dann noch von Darcy unterschieden?«
Cambridge 1. September 1986
Liebste Mami,
vergangene Woche bin ich durch die Hölle gegangen, habe mit dem Schicksal gehadert, das Dich von mir genommen hat, mit Dir gehadert, weil Du nicht zugelassen hast, daß ich mich an falsche Hoffnungen klammere. Bis jetzt hatte ich geglaubt, im Leben auf eine harte Probe gestellt worden zu sein ... ich war selbstgefällig genug zu denken, ich hätte mehr erduldet, als ich es verdient hatte, und habe diese Erfahrung wie eine besondere Auszeichnung vor mir hergetragen.
Aber als Deine Nachricht kam, mußte ich feststellen, daß mich nichts darauf vorbereitet hatte, daß der Mut, auf den ich so stolz war, nichts als Schein war.
Ich bin heute morgen früh aufgewacht. Auf den Fenstersimsen lag der erste Reif, und die Luft roch nach Herbst. Ich habe mich angezogen und bin hinausgegangen, von einem Drang getrieben, den ich nicht verstand, und bin gelaufen, bis ich die Wiese am Fluß erreicht hatte. Du warst diejenige, die mich die heilende Wirkung von Spaziergängen gelehrt hat - das Wunder der Harmonie von Atem und Schritt, die die Verbindung zwischen Herz und Bewußtsein herstellt.
Dann irgendwann im klaren Raum zwischen Feld und Himmel sah ich meine Wut als das, was sie war.
Dich zu verlieren bedeutet, daß ich erwachsen werden muß - endlich. Und ich habe geschrien und um mich getreten wie ein Kind, das nicht auf die Welt kommen will.
Du allein hast mich der Aufgabe gewachsen geglaubt, also muß ich es sein.
Warum sind die alten Wahrheiten so einfach und doch so schwer zu begreifen? Liebe ist ein zweischneidiges Schwert - etwas anderes kann sie nicht sein. Ich bin für immer reich durch Deine Liebe und für immer arm durch den Verlust von Dir.
Lydia
Die Luft unter den Eiben fühlte sich kühl und feucht auf Kits Haut an. Sie hatte den modrigen Geruch, der ihn an den Matsch erinnerte, in dem er am Flußufer gegraben hatte, aber die Freude über die Erinnerung war von kurzer Dauer. Es schien jetzt keinen Sinn mehr zu haben, Naturwissenschaftler zu werden.
Tess jaulte und zerrte an ihrer Leine, aber Kit blieb beharrlich stehen. Er war noch nicht bereit, aus dem Halbdunkel des Laubengangs zu treten. Er hatte die Bücher dabei, die Nathan ihm geliehen hatte, und er hatte das Gefühl, ihre Rückgabe würde das letzte Band zum Dorf zerschneiden.
Mrs. Miller hatte ihn am Morgen zum Cottage gefahren, um ihm beim Packen seiner restlichen Sachen zu helfen. Nach seinem Besuch bei Nathan wollte sie kommen und ihn abholen. Colin hatte sich schüchtern erboten, ihn zu begleiten, aber Kit hatte abgelehnt. Er wollte ein paar Minuten für sich haben, um dem Cottage Adieu zu sagen.
Er hatte lange im Vordergarten gestanden und auf das Haus gestarrt, sich seine Linien und Unvollkommenheiten eingeprägt. Dann hatte er mit aller Kraft gegen das Schild des Immobilenmaklers getreten. Es war nicht fair. Nichts war verdammt noch mal fair. Wie konnte sein Dad den Gedanken ertragen, daß eine andere Familie im Haus lebte? Und wie konnte sein Dad fortgehen ...
Kit hielt an diesem Punkt auf den ausgefahrenen Gleisen seiner Gedanken inne. Er wollte nicht mehr an seinen Dad denken. Er zog sanft an Tess’ Leine und trat in das Sonnenlicht und in Nathans rückwärtigen Garten hinaus.
Nathan kniete am Rand des Beets in Form eines verschlungenen Knotens und grub mit einem Schäufelchen in der Erde. Er sah lächelnd auf, als Kit und Tess über den Rasen kamen. »Hallo, Kit. Das ist also dein Hund?«
»Sie heißt Tess.« sagte Kit und ging neben ihm in die Knie.
»Sie ist hübsch«, sagte Nathan und kraulte das drahtige Fell und die rosaroten Innenseiten der Ohren. »Warum läßt du sie nicht im Garten frei laufen?« schlug er vor - »Hier kann ihr nichts passieren.«
»Was pflanzt du denn?« wollte Kit wissen, als er Tess von der Leine ließ und zusah, wie sie in großen Sätzen auf die Rotkehlchen zurannte, die an der Hecke pickten. »Die Dinger sehen verdammt welk aus.«
Nathan legte die Schaufel auf seine Knie und starrte auf die erbärmlichen Kräuterpflanzen. »Ja, du hast recht. Ich war nämlich krank und hatte sie schon rausgerissen. Aber mein Freund Adam ist gekommen und hat sie für mich ins Wasser gestellt. Sie wären verdorrt, wenn er nicht gewesen wäre.«
Kit runzelte die Stirn. »Warum hast du sie denn rausgenommen, wenn sie noch in Ordnung waren?«
Nathan streckte die Hand aus und glättete die Erde um die letzte Pflanze mit der Handfläche. »Ich hatte sie für deine Mutter gepflanzt«, sagte er. »Ich dachte, wenn ich sie rausreiße, würde ich sie nicht so sehr vermissen. Ich habe mich getäuscht. Gelegentlich hilft es, sich zu erinnern.«
Kit starrte ihn an. Er glaubte plötzlich zu verstehen. »Du hast meine Mutter liebgehabt, was?«
»Ja, habe ich.« Nathan beobachtete ihn aufmerksam.
»Macht es dir was aus?«
»Weiß ich nicht«, sagte Kit, denn sein kurzer Eifersuchtsanfall ging in den Gedanken über, daß Nathan zumindest verstehen konnte, wie ihm zumute war. »Nein ... vermutlich nicht.« Er sah erneut auf die Pflanzen, dann hielt er Nathan die Plastiktüte hin. »Ich hab dir deine Bücher zurückgebracht.«
Nathan sah auf die Tüte, nahm sie jedoch nicht an. »Ich möchte, daß du sie behältst«, erklärte er dann. »Wir können uns darüber unterhalten, wenn du mich besuchen kommst. Du kommst doch, oder?«
Kit beobachtete Tess, die, die Schnauze dicht am Boden, glücklich durch den Garten trabte, fühlte die Wärme der Mittagssonne wie warmen Honig in seinem Haar, und für einen Moment fühlte er sich an diesem lichten Ort seiner Mutter nah.
Er nickte.