Ich heiß Dawn Bundy.
Ich bin dreizehn Jahre alt.
Ich heiß Dawn Bundy.
Es ist eine kalte Winternacht vor zwei Jahren und ich lieg in meinem Bett, fest eingewickelt in meinen alten weißen Bademantel, und Jesus und Mary zittern neben mir auf dem Bett. Sie haben Angst. Ich hab auch Angst. Denn Dad ist unten, randvoll bis zur Besinnungslosigkeit, und jammert und stöhnt und singt ständig zu seiner schrecklichen Hymne
(are you washed in the blood of the lamb?)
und es klingt wie Wahnsinn.
Ich hatte noch nie Angst vor meinem Dad, egal in welchem Zustand, denn er war so oder so immer mein Dad, er war immer er selbst und wir haben uns immer geliebt.
Aber jetzt hab ich Angst vor ihm.
Denn jetzt ist er nicht mehr er selbst. Er ist nicht mein Dad. Er ist jemand anderes geworden, etwas anderes … ich hör es in seinem irren Grölen. Ich spür es, fühl es. Ich weiß es.
Er hat sich seinen Dämonen ergeben.
(are you fully trusting in his grace this hour?)
Nein.
Ich heiß Dawn Bundy.
Ich bin dreizehn Jahre alt.
Ich hab Todesangst.
Es ist niemand hier. Mum ist irgendwo unterwegs. Mit Freunden, auf einer Party, in einem Nachtclub … ich weiß nicht. Sie hatte Streit mit Dad. Sie ist gegangen. Sie ist nicht hier. Sie kann mir nicht helfen.
Unten zerschellt ein Glas.
Jesus winselt.
Mary zittert.
»Ist ja gut«, flüstere ich ihnen zu. »Ist ja gut.«
Es ist nicht gut.
Niemals.
Die Hymne spielt weiter, als Dad in mein Zimmer kommt. Als die Tür aufgeht, wird die Musik einen Augenblick lauter:
(when the bridegroom cometh will your robes be white?)
und dann wieder leise.
»Dawn?«
Seine Stimme klingt dunkel, unvertraut.
Ich tu so, als ob ich schlafe.
Schwankend schlurfen Schritte durchs Zimmer.
»Dawn? Bist du wach?«
Er kann kaum sprechen. Die Worte, die rauskommen, klingen wie Dorr …? U-wa?.
Ich hör, wie er stolpert, mit dem Schienbein vors Bett schlägt.
»Scheiße.«
Ich hör, wie Jesus ihn anknurrt, mit einem ängstlichen Grummeln.
»Macht schon«, lallt Dad. »Runter vom Bett … beide.«
Ich spür, wie er mit dem Arm in Richtung Jesus und Mary wischt und sie schwerfällig (aber nicht aggressiv) vom Bett jagt. Ich spür, wie die beiden runterspringen. Ich spür, wie er sich schwer auf die Bettkante setzt. Ich hör, wie er irgendwas trinkt.
Dann seufzt er: »Gott hilf mir.«
Und ich riech den schrecklichen Gestank nach Alkohol in seinem Atem.
»Dawn«, sagt er wieder und diesmal stupst er mich mit der Hand. »Komm schon, Dawn, bitte wach auf. Ich hab für dich gebetet.«
Er sagt auch noch anderes zu mir – widerlich absurde Dinge über Jesus den Erlöser, Jesus den Gekreuzigten … und er spricht zu mir von Liebe und Sünde und Glauben und Gott – und er weint und stöhnt und er will, dass ich einen Schluck aus seinem Glas trink … und dann hört die Welt auf, sich zu drehen.
Und ich bin nicht mehr Dawn. Ich bin ein erstarrtes Ding, das vollkommen still liegt und seinen Körper hart wie Stein werden lässt und versucht, nicht zu fühlen, was geschieht …
Aber ich fühl es.
Mehr kann ich nicht sagen. Ich kann es nicht noch mal durchstehen. Ich kann mich nicht erinnern.
Es tut weh.
Es macht, dass ich blute.
Es macht, dass ich weine.
Danach, als ich blutig und mit Schmerzen in meinem Bett lieg (und schon anfang, in meine Höhle zu kriechen), ist in meinem Bewusstsein nur das Geräusch von Dads Weinen und wie er schwankend zur Tür stolpert.
Die Hymne ist verstummt.
Das Haus ist unnatürlich still.
Mein Herz ist tot.
»Gott, vergib mir«, hör ich Dad schluchzen, als er die Tür öffnet und geht. »O Gott … bitte vergib mir.«