mushroom

Ich sag nichts zu Mum, als sie dasitzt und sich die Seele aus dem Leib weint, sondern halt nur ihr tränenüberströmtes Gesicht in den Armen und wünsch mir, dass alles anders wär. Ich wünsch mir, dass sie nicht weinen würde. Ich wünsch mir, ich könnte aufhören, auf den Sturm in meinem Kopf und den Regen draußen zu horchen, und ich wünsch mir, ich könnte irgendwas tun, das Mum hilft. Aber ich kann nicht.

Und ich hass mich dafür.

Es ist so armselig.

Doch ich finde einfach nichts anderes. Ich find nicht die richtigen Worte. Ich find nicht die richtigen Gefühle. Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich kann nicht denken. Egal, was in mir ist, egal, was ich fühl … immer scheint es jemand anderm zu gehören.

Einer anderen Dawn.

Einem Sexobjekt.

Einer Tochter.

Mum weint inzwischen so sehr, dass ich mich irgendwann frage, wie lange ein Mensch weinen kann. Ich meine, es muss doch irgendwann mal zu Ende sein, oder? Kein Mensch kann endlos weinen. Irgendwann müssen doch ihre Tränen versiegen.

Aber Mum scheint damit überhaupt kein Problem zu haben. Sie weint einfach weiter, schluchzt, wimmert, heult … und hört nicht mehr auf, bis es plötzlich klingelt und Jesus und Mary in den Flur laufen (RAURAURAURAURAURAURAU).

Mum setzt sich gerade und wischt sich Rotz und Tränen aus dem Gesicht.

»Alles okay«, sag ich. »Wir müssen nicht aufmachen.«

»Doch«, schnieft sie. »Lass uns lieber nachschauen, wer da ist.«

»Ist doch egal, Mum. Es ist bestimmt nicht –«

»Mach schon«, beharrt sie. »Vielleicht ist es wichtig.«

Wir sehen uns einen Moment an und ich versteh, was sie meint – es könnte ja jemand wegen Dad sein –, und auch wenn ich das eher für unwahrscheinlich halte, ist doch ein Teil von mir, der schuldige Teil, insgeheim froh darüber, etwas anderes tun zu können, als Mum in den Armen zu halten und ihr beim Weinen zuzuhören. Also geh ich, nur halb gegen meinen Willen, zum Fenster und zieh den Vorhang zur Seite, um nachzuschauen, wer vor der Tür steht.

Ich überleg mir nicht richtig, wer dastehen könnte – im Hinterkopf erwarte ich wohl, jemand zu sehen, der Spenden sammelt oder so –, deshalb versetzt es mir einen leisen Schock, als ich den Vorhang zur Seite zieh und die beiden Gestalten erkenn.

»Scheiße«, murmel ich, als ich Taylor und Mel seh.

Vielleicht, wenn ich schneller gewesen wär, wenn ich geistesgegenwärtig genug gewesen wär, den Vorhang wieder zu schließen, bevor mich die beiden entdeckten … vielleicht wär ja dann alles anders gekommen.

Aber ich bin nicht so geistesgegenwärtig gewesen.

Ich hab den Vorhang nicht rechtzeitig wieder geschlossen.

Und es ist nicht anders gekommen.

Genau in dem Sekundenbruchteil, in dem ich Taylor und Mel vor der Tür seh, sie erkenne und langsam den Vorhang schließe, dreht Taylor sich um, entdeckt mich am Fenster und fängt an zu rufen und mit den Händen zu fuchteln. Eigentlich kann ich (in dem prasselnden Regen) gar nicht verstehen, was sie ruft, doch an ihrem Gesichtsausdruck und der Art, wie sie die Hände bewegt, kann ich ablesen, was sie meint: »Jetzt mach schon endlich die scheiß Tür auf, verdammt. Es pisst hier draußen wie blöde.«

»Wer ist es?«, fragt Mum.

»Taylor und Mel.«

»Wer?«

Ich zieh den Vorhang zu und seh sie an. Sie schnieft noch immer und putzt sich die Nase, aber zumindest hat sie jetzt halbwegs aufgehört zu weinen. Das Gesicht ist ganz rot, die Augen sind blutunterlaufen und geschwollen, die Wangen voll Wimperntusche und Tränenspuren.

»Taylor und Mel«, wiederhol ich. »Du weißt doch, die beiden Mädchen, die gestern Abend hier waren. Ich sag ihnen, sie sollen verschwinden.«

»Nein«, antwortet Mum. »Sei nicht albern. Es geht ja schon wieder.«

»Ja, aber eigentlich –«

Als es von Neuem klingelt, bellen die Hunde noch lauter und das Klingeln nimmt diesmal kein Ende. Taylor – es könnte auch Mel sein, aber ich bin mir ganz sicher, dass es Taylor ist – hält den Finger auf den Knopf gepresst. Deshalb klingelt es jetzt ununterbrochen, Jesus und Mary drehen halb durch (RAURAURAURAURAURAURAU) und der Regen trommelt gegen das Fenster und alles ist so unsäglich laut, dass Mum schreien muss, damit ich sie hör.

»MACH SCHON, SCHATZ! LASS SIE REIN!«

»JA, ABER –«

»LASS SIE LIEBER REIN!«, schreit sie und zwingt sich zu einem Lächeln. »BEVOR SIE NOCH DIE KLINGEL KAPUTT MACHEN!«