Kapitel 61
Von: Beth Fremont
An: Jennifer Scribner-Snyder
Gesendet: Di., 04. 01. 2000, 13:26 Uhr
Betreff: Bilde ich mir das nur ein, oder ist die Welt in letzter Zeit viel weniger nett als früher?
Das Glück ist nicht auf meiner Seite. Ich hab Meinen süßen Typen jetzt schon seit fünf Tagen nicht mehr gesehen. Gestern hab ich Doris auf dem Flur entdeckt, und mein Herz hat einen Satz gemacht. Ich will nicht schon aufgeregt sein, nur weil ich Doris begegnet bin.
Von Jennifer an Beth: Meine Welt hingegen ist voller Nettigkeit. Mitch und ich haben gestern eine Wiege gekauft. Eigentlich war das gar nicht so geplant – wir wollten uns nämlich Spülmaschinen anschauen –, aber dann kamen wir an den Wiegen vorbei, und da stand sie. Cremefarben, mit einem geschnitzten Schaukelpferd am Kopfteil. Und jetzt können wir uns keine Spülmaschine mehr leisten.
Von Beth an Jennifer: Eine Wiege? Jetzt schon? Eigentlich wollte ich dir doch beim Aussuchen der Wiege helfen. Darf ich dann wenigstens die Bettwäsche aussuchen? Du kannst diese vielen Babygeschichten doch nicht einfach ohne mich machen! Ich versuche hier, eine Ersatzschwangerschaft zu durchleben.
Von Jennifer an Beth: Tut mir leid. Das war nicht so geplant. Wahrscheinlich suche ich dieses Wochenende die Farbe für das Kinderzimmer aus, willst du da mitkommen?
Von Beth an Jennifer: Du weißt doch, dass ich mitkommen will. Und dass ich nicht kann. Dieses Wochenende ist die große Hochzeit.
Von Jennifer an Beth: Oh, stimmt. Freust du dich schon?
Von Beth an Jennifer: Ich freue mich darauf, dass es bald vorbei ist.
Von Jennifer an Beth: Weiß Kiley eigentlich, wie stinkig ihre Trauzeugin ist?
Von Beth an Jennifer: Die ist so schrecklich glücklich, viel zu sehr, um so was zu bemerken.
Am Sonntag hab ich mein Kleid abgeholt. Es ist unglaublich hässlich, vor allem an mir, und ich hab immer noch keine Möglichkeit gefunden, meine Oberarme so zu bedecken, dass auch Kiley es für gut befindet.
Von Jennifer an Beth: Deine Arme sind ganz wunderbar.
Hatte die Hochzeit nicht ein Millennium-Motto? Steht das noch?
Von Beth an Jennifer: So war es geplant. Kiley wollte 2000 Papierkraniche falten, um sie bei dem Empfang zu verstreuen, hat dann aber bei 380 Stück aufgegeben. Jetzt ist das Thema Winter-Wunderland. (Daher wahrscheinlich auch die trägerlosen Kleider, nehme ich mal an.)
Übrigens glaube ich, dass du meine Arme nur wunderbar findest, weil ich sie immer bedeckt halte und die hohe Kunst der Ablenkung beherrsche. All meine Klamotten sind darauf ausgelegt, den Blick von meiner Arm- und Schulterpartie abzuwenden.
Von Jennifer an Beth: Wenn ich jetzt so drüber nachdenke – wir kennen uns bereits seit über sechs Jahren, und ich hab dich noch nie im Badeanzug gesehen. Oder in einem Trägertop.
Von Beth an Jennifer: Und das ist kein Zufall, meine Liebe. Ich hab die Arme einer sizilianischen Großmutter. Arme, mit denen man Oliven pflücken und gehaltvolle Tomatensoßen umrühren kann. Arme, perfekt, um Wassereimer vom Bach zum Hof zu tragen.
Von Jennifer an Beth: Hat Chris deine Schultern schon mal gesehen?
Von Beth an Jennifer: Er hat sie schon mal gesehen. Aber er hat sie nicht gesehen.
Von Jennifer an Beth: Verstehe. Auch wenn ich nicht verstehe.
Von Beth an Jennifer: Keine ärmellosen Nachthemden. Kein direktes Sonnenlicht. Wenn ich aus der Dusche komme, rufe ich manchmal: »Oh, guck mal, ein Luchs!«
Von Jennifer an Beth: Ich wette, darauf fällt er jedes Mal rein.
Von Beth an Jennifer: Wir reden hier von Chris. Gelegentlicher Drogenkonsum ist da ein nicht zu vernachlässigender Faktor.
Wie auch immer, ich hab jedenfalls eine schicke Strickjacke gekauft, von der ich dachte, dass ich sie zu meinem Brautjungfernkleid tragen könnte, aber Kiley fand sie zu »altmodisch«, und außerdem ist es wohl nicht der richtige Grünton. Und dann hat sie gesagt: »Mein Gott, Beth, niemand wird auf deine Arme achten.«
Und meine Mutter meinte: »Sie hat recht, Beth, alle Augen werden auf die Braut gerichtet sein.«
Was mich total wütend gemacht hat! Warum hat mich das bloß so wütend gemacht? Es stimmt ja. Aber ich hab die ganze Zeit nur gedacht, wenn sowieso niemand auf mich achten wird, warum darf ich denn dann nicht meine Scheißjacke tragen? Wir waren bei Victoria’s Secret. Hatte ich schon erwähnt, dass wir gerade bei Victoria’s Secret waren? Meine Schwester war nicht mit ihrem trägerlosen BH zufrieden, also mussten wir alle zu Victoria’s Secret. Ich bin mit meinem trägerlosen BH auch nicht zufrieden. Weil ich nicht mit meinem trägerlosen Kleid zufrieden bin.
Während Kiley BHs anprobiert hat, hat meine Mutter mir den Arm getätschelt und gemahnt: »Schätzchen, das ist Kileys großer Tag, spiel einfach mit.« Und habe ich schon erwähnt, dass keine dieser Frauen fette Arme hat? Die hab ich von der Mutter meines Vaters, meiner eigenen italienischen Großmutter, einer Frau, die inzwischen längst tot ist, in ihrem Leben aber nie gezwungen wurde, ein trägerloses Kleid zu tragen.
Von Jennifer an Beth: Ich kann mit dem Baby-Shopping auch bis nächste Woche warten.
Von Beth an Jennifer: Würdest du das für mich tun?
Von Jennifer an Beth: Natürlich. Und wenn du willst, darfst du dabei sogar deine hässlich grüne Strickjacke tragen.
Geht Chris mit dir zu der Hochzeit?
Von Beth an Jennifer: Und zur Generalprobe. Und zum Brunch am Sonntag. Er hat verkündet, dass ich bei Veranstaltungen, die irgendwas mit Hochzeiten zu tun haben, besser nicht allein gehen sollte. Er meinte: »Jedes Mal, wenn du über solche Sachen redest, bist du ganz durcheinander.« Was mich natürlich zum Weinen gebracht hat. Er ist ziemlich gut, wenn ich weine. Das macht ihn nicht nervös.
Von Jennifer an Beth: Gut gemacht, Chris.
Von Beth an Jennifer: Ich weiß. Fünf Sterne. Er hat mir sogar erlaubt, ihm ein neues Jackett und eine vernünftige Hose zu kaufen. So eine richtige Anzughose. Wie bei einem Anzug. Aber das Wort darf ich nicht mal erwähnen. Na ja, normalerweise darf ich ihm ja überhaupt keine Klamotten kaufen.
Von Jennifer an Beth: Ich bin erleichtert zu hören, dass du nicht diejenige bist, die diese hautengen Jeans für ihn aussucht. Was macht er denn mit seinen Haaren? Bindet er die zu einem Pferdeschwanz zusammen?
Von Beth an Jennifer: Mit seinen Haaren kann man nichts machen. Außer hoffen, dass Gott unsere Gebete erhört.
Hey, weißt du was? Dieses ganze Gerede über meinen süßen Freund lässt mich meine anderen süßen Gelüste vergessen.
Von Jennifer an Beth: So sollte es ja auch sein.