Kapitel 46
Von: Beth Fremont
An: Jennifer Scribner-Snyder
Gesendet: Frei., 03. 12. 1999, 13:35 Uhr
Betreff: Es gibt keinen Grund für die Existenz kleiner Menschen
Warum fliegen die großen Typen immer auf kleine Frauen? Nicht einfach nur Frauen, die nicht allzu groß sind, eher … winzige Frauen. Polly Pockets. Die größten Männer stürzen sich immer-immer-immer auf die kleinsten Frauen. Immer.
Das kommt mir vor, als wären sie so in ihre Größe vernarrt, dass sie mit jemandem zusammen sein wollen, der sie noch größer wirken lässt. Jemand, den sie überragen können. Ein kleines Püppchen, mit dem sie sich noch größer und stärker fühlen.
Jedes Mal, wenn ich einen großen Typen mit einem wirklich kleinen Mädchen sehe, dann habe ich Lust, ihn mit den Worten zur Seite zu nehmen: »Du bist dir schon darüber im Klaren, dass deine Söhne niemals Basketball spielen werden, oder?«
Das wäre ja auch nicht so schlimm, wenn die kleinen Männer total auf große Frauen fliegen würden. Aber dem ist leider nicht so. Die wollen nichts mit uns zu tun haben.
Von Jennifer an Beth: Geht es hier um Chris? Fährt der zweigleisig mit Holly Hunter?
Von Beth an Jennifer: Holly Hunter?
Von Jennifer an Beth: Das ist die einzige kleine Frau, die mir gerade einfällt. Oder wie wär’s mit Rhea Perlman?
Von Beth an Jennifer: Und außerdem, »zweigleisig«? Wer sagt denn so was, bitte?
Von Jennifer an Beth: Jetzt geh nicht auf mich los. Ich bin nicht diejenige, die sich heimlich mit Crystal Gayle trifft.
Von Beth an Jennifer: Crystal Gayle ist nicht klein.
Von Jennifer an Beth: Ich dachte, deshalb würden ihre Haare so lang aussehen.
Von Beth an Jennifer: Ich rede auch gar nicht von Chris. Chris interessiert sich für niemanden, mich eingeschlossen. Ich rede über Meinen süßen Typen.
Von Jennifer an Beth: Der Küchenrollen-Kerl? Betrügt der dich etwa mit Mary Lou Retton?
Von Beth an Jennifer: Schlimmer. Während der Nachtschicht hab ich gesehen, wie er sich mit dieser Emilie unterhalten hat.
Von Jennifer an Beth: Die kleine Blonde?
Von Beth an Jennifer: Genau die.
Von Jennifer an Beth: Und die ist auch nicht einfach nur klein. Die sieht aus wie eine ganz normale Person, die einfach nur geschrumpft wurde, sodass alles immer noch perfekte Proportionen aufweist. So was würde man auch in einem aufwändig gestalteten Puppenhaus finden, so winzig und dennoch naturgetreu.
Hast du mal ihre Taille gesehen? Die ist beinahe nicht existent.
Von Beth an Jennifer: Deren Taille könnte ich mit einer Hand umfassen. Wenn ich mir neben der schon stark und maskulin vorkomme, wie muss sich Mein süßer Typ dann erst fühlen?
Von Jennifer an Beth: Sie ist die reinste Liliputanerin.
Von Beth an Jennifer: Die würden sie nicht in die Wildwasserbahn einsteigen lassen.
Von Jennifer an Beth: Weißt du, was mich an ihr stört? Dass ihr Name auf »ie« endet. Jeder weiß doch, dass man Emily mit Ypsilon schreibt. Dieses »ie« ist überhaupt nicht süß. Es macht dich nicht einzigartig. Es unterscheidet dich nicht von allen Emilys dieser Welt. Es ist einfach nur verwirrend.
Von Beth an Jennifer: Ihre Eltern fanden die Idee wahrscheinlich originell. Das ist doch nicht ihre Schuld.
Von Jennifer an Beth: Klar, ganz anders als ihr winziger, kleiner, perfekter Körper.
Wann hast du sie denn zusammen gesehen?
Von Beth an Jennifer: Gestern Abend. Ich hab gerade noch eine Kritik fertig geschrieben und bin rüber zu den Korrektoren gegangen, damit sie einen Blick darauf werfen. Und da standen sie dann. Und haben sich unterhalten. Vor aller Augen.
Von Jennifer an Beth: Vielleicht haben sie ja über die Arbeit gesprochen?
Von Beth an Jennifer: Was denn für Arbeit? Er gehört doch gar nicht zu den Korrektoren? Was, zum Teufel, macht er überhaupt? Ich glaube nicht, dass er aus der Werbeabteilung ist – er trägt nämlich Cargohosen. Wer arbeitet denn sonst noch nachts? Vielleicht gehört er zur Security. Oder er ist einer von den Pförtnern.
Von Jennifer an Beth: Vielleicht hat er ja an den Druckermaschinen gearbeitet. Die Reparaturtypen waren gestern da.
Von Beth an Jennifer: Er ist keiner von den Druckerleuten. Die tragen nämlich alle Blaumann und einen Schnäuzer. Außerdem hat er sich mit Emilie nicht über die Arbeit unterhalten. Sie hat gelacht und ihren blonden Pferdeschwanz herumgewirbelt wie ein Schulmädchen.
Von Jennifer an Beth: Hat er denn gelacht?
Von Beth an Jennifer: Nicht so richtig. Er war weitestgehend damit beschäftigt, sie zu überragen. Und zu lächeln. Oh, verflucht seist du, Mini-Emilie, du kleine Verführerin.
Von Jennifer an Beth: Heißt das, wir müssen jetzt anfangen, ihn Emilies süßen Typen zu nennen?
Von Beth an Jennifer: Niemals!
Von Jennifer an Beth: Zum Glück gibt es ja schon einen unglaublich großen Typen in deinem Leben, der kein Däumelinchen-Syndrom hat.
Von Beth an Jennifer: Versuchst du gerade, mir ein schlechtes Gewissen zu machen? Du magst Chris ja nicht mal.
Von Jennifer an Beth: Sorry. Das hab ich von meiner Mutter. Ich muss einfach jede Gelegenheit nutzen, anderen Schuldgefühle einzureden. Auf der anderen Seite ist Chris ja nun mal dein Freund.
Von Beth an Jennifer: Ach, komm schon. Es ist ja nicht so, als würde ich ihn betrügen.
Von Jennifer an Beth: Ich denke, ich wäre schon sehr verletzt, wenn ich herausfinden würde, dass Mitch jemanden als »Mein süßes Mädchen« bezeichnet.
Von Beth an Jennifer: Das ist was anderes. Mitch arbeitet an einer Highschool. Mit richtigen Mädchen.
Von Jennifer an Beth: Du weißt schon, was ich meine.