Kapitel 41
Am nächsten Morgen meldete Lincoln sich im Fitnessstudio an. Der Typ neben ihm auf dem Laufband guckte auf einem der großen Bildschirme Zurück in die Vergangenheit. Das kam ihm vor wie ein Zeichen.
Auf dem Weg nach Hause schaute er bei der Bank vorbei, bei der Eve arbeitete. Sie hatte ihren Arbeitsplatz in einem dieser Glaskästen im Eingangsbereich.
»Hey«, grüßte sie. »Willst du etwa ein Konto eröffnen? Igitt, warum bist du denn so verschwitzt?«
»Ich hab mich im Fitnessstudio angemeldet.«
»Echt. Schön für dich. Heißt das etwa, du hörst jetzt auf mich? Ich wünschte, ich hätte dir stattdessen geraten, dir eine eigene Wohnung zu suchen. Such dir eine eigene Wohnung!«
»Darf ich dir mal eine etwas seltsame Frage stellen?«
»Dann aber schnell«, drängte sie. »All die Typen da drüben auf dem Sofa wollen nämlich tatsächlich ein Konto eröffnen.«
»Sehe ich aus wie Jason Bateman?«
»Wer ist Jason Bateman?«
»Der Schauspieler aus Silver Spoons und Der Hogan-Clan.«
»Der aus Teen Wolf?«
»Nein, das war Michael J. Fox«, korrigierte Lincoln. »Vergiss es. So ausführlich wollte ich darüber jetzt auch nicht reden.«
»Der Typ aus Teen Wolf II?«
»Ja«, sagte Lincoln. »Genau der.«
»Ja«, sagte sie, »du siehst tatsächlich ein bisschen aus wie er. Jetzt, wo du’s sagst, ja.«
Lincoln lächelte. Er hatte eigentlich gar nicht mehr aufgehört zu lächeln.
»Ist das gut?«, fragte Eve. »Willst du denn so aussehen wie Jason Bateman?«
»Das ist weder gut noch schlecht. Aber es bestätigt mir etwas.«
»Du bist viel kräftiger als Bateman.«
»Ich geh dann mal«, sagte Lincoln und machte sich auf den Weg.
»Danke, dass Sie sich für Second National entschieden haben«, rief sie ihm hinterher.
An diesem Abend dauerte es ewig, bis sich der Informatikraum leerte. Alle waren plötzlich schwer beschäftigt mit der Millennium-Sache. Kristi, mit der Lincoln sich den Schreibtisch teilte, wollte ein Probe-Silvester durchführen, um zu sehen, ob die Programmkorrektur auch funktionierte. Aber Greg meinte, wenn sie schon die Zeitung schließen und womöglich auch noch einen Stromausfall in den sechs umliegenden Gebäuden auslösen würden, dann konnten sie damit genauso gut bis zum wirklichen Jahresende warten, wenn es weniger peinlich sein würde. Die Mitglieder der internationalen Eingreiftruppe hielten sich da heraus. Sie saßen einfach nur in der Ecke, arbeiteten an dem Programm oder hackten sich vielleicht gerade ins Verteidigungsministerium ein.
Lincoln versuchte immer noch, ihnen zu helfen und ein Auge darauf zu haben, dass sie vorwärtskamen, aber sie gingen ihm aus dem Weg. Seiner Meinung nach wussten sie ganz genau, dass er keiner von ihnen war, dass er in Wirklichkeit keinen einzigen Computerkurs besucht und beim Aufnahmetest für die Uni weitaus mehr Punkte in dem Teil erreicht hatte, in dem es um Sprache ging. Die Informatikkids trugen alle No-Name-Poloshirts und Turnschuhe von New Balance und hatten den gleichen blasierten Blick. Lincoln weigerte sich, sie wegen des digitalen Farbdruckers im Obergeschoss um Hilfe zu bitten, obwohl er bei dem Mistding mit seinem Latein am Ende war. Alle paar Tage drehte diese Maschine völlig durch und fing an, sämtliche Seiten in leuchtendem Rot auszuspucken.
»Wie können wir uns auf den schlimmsten Fall vorbereiten«, maulte Kristi, »wenn wir nicht wissen, wie dieser schlimmste Fall aussieht?«
Lincoln juckte es in den Fingern, er wollte endlich den WebShark-Ordner öffnen. Er brannte sozusagen darauf, endlich einen Blick hineinwerfen zu können.
Greg erklärte, er müsse seinen Nissan nicht in den Fluss fahren, um zu wissen, dass das eine absolute Scheißkatastrophe wäre.
»Das kann man doch gar nicht vergleichen«, äußerte Kristi, und dann bat sie Greg, doch nicht solche Ausdrücke zu benutzen. In diesem Moment wünschte sich Lincoln sogar, dass das System am ersten Januar um 00:01 Uhr tatsächlich den Geist aufgeben und auf spektakuläre Art und Weise kollabieren würde. Und dass er gefeuert und von einem aus der Eingreiftruppe ersetzt werden würde, dem Bosnier wahrscheinlich. Aber zunächst wollte er den WebShark-Ordner durchsehen. Und zwar jetzt sofort.
Vielleicht musste er auch gar nicht warten, bis alle gegangen waren … es war ja kein Geheimnis, dass er den Ordner durchsah. Das ist schließlich nichts Schlimmes, redete er sich ein, der WebShark-Ordner gehört immerhin zu meinem Job. Was er umgehend als eine so billige Rechtfertigung erkannte, dass er beschloss, den Ordner überhaupt nicht zu öffnen, auch nicht, nachdem alle nach Hause gegangen waren.
Als er ihn dann schließlich doch anklickte, irgendwann nach Mitternacht, nahm er sich vor, nicht wieder so eine Enthüllung wie in der vorherigen Nacht zu erwarten. Wie standen denn schon die Chancen, dass Beth erneut über ihn sprechen würde? Dass sie ihn wiedergesehen hatte? Und wenn sie ihn gesehen hatte, hatte sie dann wohl bemerkt, dass er ein schickes Hemd trug und am Nachmittag zwanzig Minuten darauf verwendet hatte, sich die Haare zu kämmen?