Kapitel 19

Beth Fremont

Jennifer Scribner-Snyder

: Mi., 22. 09. 1999, 14:38 Uhr

Di-diiee-di-diiiee

Di-diiee-di-diiiee.

Was ist das denn?

Das ist der Süße-Typen-Alarm.

Hört sich an wie ein Vogel.

Hier arbeitet ein echt süßer Typ.

Nein, wohl eher nicht.

Ja, das war auch meine erste Reaktion. Ich dachte, das ist bestimmt einer von auswärts, vielleicht jemand, der hier irgendwas reparieren soll, oder vielleicht ein Konsultant. Deshalb hab ich ja auch zwei ratifizierte Sichtungen abgewartet, bevor ich den Süße-Typen-Alarm ausgelöst habe.

Ist dieser Süße-Typen-Alarm irgendwas, das du dir in der achten Klasse mit deinen Freundinnen ausgedacht hast? Muss ich Latzhosen von Guess tragen, um das verstehen zu können?

Außerdem – wer hat das ratifiziert?

Ich höchstpersönlich. Ich bin durchaus in der Lage, einen süßen Typen zu erkennen, wenn ich ihn vor mir sehe. Weißt du noch, als ich dir von dem niedlichen Büroboten erzählt habe? (Und das mit dem Alarm hab ich mir gerade eben ausgedacht. Erschien mir unumgänglich.)

Oh, der Bote war wirklich niedlich.

Und genau deshalb ist er dann irgendwann auch wieder verschwunden. Schönheit hält sich hier nicht lange, ich weiß auch nicht, warum. Dieses Büro unterliegt einem Anti-Schönheits-Fluch.

Aber du siehst doch gut aus.

Hab ich mal. Früher. Bevor ich in dieser Fabrik des Unschönen angefangen habe. Schau dich doch mal um. Wir Journalisten gehören einer unansehnlichen Zunft an.

Matt Lauer ist nicht unansehnlich.

Na ja, das ist Ansichtssache. (Und ich kann nicht fassen, dass du mir direkt mit Matt Lauer kommst. Hast du Brian Williams mal gesehen?) Egal, Fernsehjournalisten zählen sowieso nicht, immerhin ist es ihr Job, gut auszusehen. Aber es gibt überhaupt keinen Grund dafür, im Printjournalismus attraktiv zu sein. Es ist den Lesern egal, wie du aussiehst. Vor allem meinen Lesern. Und wenn ich das Büro verlasse, dann nur, um im Kino im Dunkeln zu sitzen.

Jetzt, wo du es erwähnst – ich hab schon seit drei Jahren fürs Büro keinen Lippenstift mehr aufgelegt.

Und du bist trotzdem noch zu süß für die Redaktion.

Das war jetzt aber mal ein vernichtendes Lob.

Erzähl mir lieber mehr über diesen süßen Typen, den du dir da einbildest.

Da gibt es nicht viel zu erzählen – mal abgesehen von seiner umwerfenden Niedlichkeit.

Umwerfend?

Er ist unglaublich groß. Und wirkt so stark. Wie diese Typen, bei denen du den Eindruck hast, du bemerkst sie schon lange, bevor du sie siehst, weil sie dir im Licht stehen.

Hast du ihn so bemerkt?

Nein, das erste Mal ist er mir im Flur aufgefallen. Und dann hab ich ihn am Wasserspender entdeckt – und mir gedacht: Wow, dieser Typ, der da einen Schluck Wasser trinkt … ist aber mal alles andere als nur ein Schluck Wasser in der Kurve.

Details, bitte.

Männlich. Irgendwie quadratisch. Harrison-Ford-mäßig. Einer von diesen Typen, die man sich bei einer Geiselnahme als Unterhändler vorstellt oder die bei einer Explosion durch die Luft fliegen.

Findest du es nicht unerhört, dass ich in einer festen Beziehung lebe und trotzdem Typen am Wasserspender ins Auge fasse?

Nein. Wie sollte man denn bitte hier einen süßen Typen ignorieren? Das ist doch ungefähr so, als würde man hier eine Brieftaube entdecken.

Eine Brieftaube mit niedlichem Hintern.

Was soll das denn jetzt?

Ich nehm dich doch nur auf den Arm. Ich hab mir seinen Hintern gar nicht angeschaut. Irgendwie fällt mir das immer zu spät ein.

Ich mache mich jetzt mal wieder an die Arbeit.

Du kommst mir ein bisschen gereizt vor. Ist alles in Ordnung bei dir?

Alles bestens.

Siehst du, genau das meinte ich. Richtig schnippisch.

Okay, es ist nicht alles in Ordnung. Aber es ist mir viel zu peinlich, um darüber zu reden.

Dann rede nicht, tippe es einfach.

Aber nur, wenn du auf keinen Fall wiederholst, was ich dir jetzt erzähle. Sonst stehe ich als total hysterisch da.

Mache ich nicht. Versprochen. Ehrenwort, Hand aufs Herz etc.

Okay. Aber das ist so bescheuert. Noch bescheuerter als sonst. Gestern Abend war ich im Einkaufszentrum, bin allein rumgebummelt, hab versucht, kein Geld auszugeben und nicht an leckere Zimtschnecken zu denken … und dann bin ich an einem Baby-Gap vorbeigekommen. Ich war bei Gap noch nie in der Kinderabteilung, also hab ich mir gedacht, ich schau mich da mal kurz um. Nur so zum Spaß.

Klar. Nur so zum Spaß. Das kommt mir doch sehr bekannt vor. Also …

Also … schlendere ich so durch den Laden und schaue mir winzige Caprihosen und Pullis an, die mehr kosten als … na, ich weiß auch nicht, eben mehr, als sie sollten. Und dann kann ich mich gar nicht mehr von diesem albernen, winzigen Pelzmantel losreißen. Einem Pelzmantel, wie ihn jedes Baby braucht, um ins Ballett zu gehen. In Moskau. So um 1918 herum. Passend zu der winzig kleinen Perlenkette.

Und da stehe ich also und schaue mir diesen absolut grotesken Mantel an, und eine Verkäuferin kommt auf mich zu und meint: »Ist der nicht entzückend? Wie alt ist Ihre Tochter denn?« Und ich sage: »Oh, nein, sie ist gar nichts. Noch nicht.«

Und sie fragt: »Wann ist es denn so weit?«

Und ich antworte: »Im Februar.«

Wow.

Ich weiß. Ich hab einfach gelogen. Wenn ich wirklich schwanger wäre, dann würde ich mich nicht bei Gap rumtreiben, dann würde ich in einem dunklen Zimmer sitzen und heulen.

Also erklärt mir die Verkäuferin: »Dann brauchen Sie einen für die nächste Saison, Größe 6–12 Monate. Diese Mäntel sind ein echtes Schnäppchen. Die haben wir heute erst runtergesetzt.«

Und ich hab ihr zugestimmt, dass 32,99 $ für einen falschen Pelz tatsächlich ein unwiderstehliches Angebot ist.

Du hast Babyklamotten gekauft? Was hat Mitch denn dazu gesagt?

Gar nichts! Ich hab sie auf dem Dachboden versteckt. Ich kam mir vor, als würde ich eine Leiche beseitigen.

Wow. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Heißt das vielleicht, dass du an der Baby-Front weich wirst?

Ich fürchte, das bedeutet wohl eher, dass ich langsam weich in der Birne werde. Ich erkenne darin eine psychische Störung, die im direkten Zusammenhang mit meiner allgemeinen Baby-Psychose steht. Ich habe immer noch Panik davor, schwanger zu werden. Aber inzwischen kaufe ich Klamotten für das Kind, vor dem ich mich fürchte, und weißt du was? Es ist ein Mädchen.

Wow.

Ich weiß.

Liebe auf den zweiten Klick
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