Kapitel 19
Von: Beth Fremont
An: Jennifer Scribner-Snyder
Gesendet: Mi., 22. 09. 1999, 14:38 Uhr
Betreff: Di-diiee-di-diiiee
Di-diiee-di-diiiee.
Von Jennifer an Beth: Was ist das denn?
Von Beth an Jennifer: Das ist der Süße-Typen-Alarm.
Von Jennifer an Beth: Hört sich an wie ein Vogel.
Von Beth an Jennifer: Hier arbeitet ein echt süßer Typ.
Von Jennifer an Beth: Nein, wohl eher nicht.
Von Beth an Jennifer: Ja, das war auch meine erste Reaktion. Ich dachte, das ist bestimmt einer von auswärts, vielleicht jemand, der hier irgendwas reparieren soll, oder vielleicht ein Konsultant. Deshalb hab ich ja auch zwei ratifizierte Sichtungen abgewartet, bevor ich den Süße-Typen-Alarm ausgelöst habe.
Von Jennifer an Beth: Ist dieser Süße-Typen-Alarm irgendwas, das du dir in der achten Klasse mit deinen Freundinnen ausgedacht hast? Muss ich Latzhosen von Guess tragen, um das verstehen zu können?
Außerdem – wer hat das ratifiziert?
Von Beth an Jennifer: Ich höchstpersönlich. Ich bin durchaus in der Lage, einen süßen Typen zu erkennen, wenn ich ihn vor mir sehe. Weißt du noch, als ich dir von dem niedlichen Büroboten erzählt habe? (Und das mit dem Alarm hab ich mir gerade eben ausgedacht. Erschien mir unumgänglich.)
Von Jennifer an Beth: Oh, der Bote war wirklich niedlich.
Von Beth an Jennifer: Und genau deshalb ist er dann irgendwann auch wieder verschwunden. Schönheit hält sich hier nicht lange, ich weiß auch nicht, warum. Dieses Büro unterliegt einem Anti-Schönheits-Fluch.
Von Jennifer an Beth: Aber du siehst doch gut aus.
Von Beth an Jennifer: Hab ich mal. Früher. Bevor ich in dieser Fabrik des Unschönen angefangen habe. Schau dich doch mal um. Wir Journalisten gehören einer unansehnlichen Zunft an.
Von Jennifer an Beth: Matt Lauer ist nicht unansehnlich.
Von Beth an Jennifer: Na ja, das ist Ansichtssache. (Und ich kann nicht fassen, dass du mir direkt mit Matt Lauer kommst. Hast du Brian Williams mal gesehen?) Egal, Fernsehjournalisten zählen sowieso nicht, immerhin ist es ihr Job, gut auszusehen. Aber es gibt überhaupt keinen Grund dafür, im Printjournalismus attraktiv zu sein. Es ist den Lesern egal, wie du aussiehst. Vor allem meinen Lesern. Und wenn ich das Büro verlasse, dann nur, um im Kino im Dunkeln zu sitzen.
Von Jennifer an Beth: Jetzt, wo du es erwähnst – ich hab schon seit drei Jahren fürs Büro keinen Lippenstift mehr aufgelegt.
Von Beth an Jennifer: Und du bist trotzdem noch zu süß für die Redaktion.
Von Jennifer an Beth: Das war jetzt aber mal ein vernichtendes Lob.
Erzähl mir lieber mehr über diesen süßen Typen, den du dir da einbildest.
Von Beth an Jennifer: Da gibt es nicht viel zu erzählen – mal abgesehen von seiner umwerfenden Niedlichkeit.
Von Jennifer an Beth: Umwerfend?
Von Beth an Jennifer: Er ist unglaublich groß. Und wirkt so stark. Wie diese Typen, bei denen du den Eindruck hast, du bemerkst sie schon lange, bevor du sie siehst, weil sie dir im Licht stehen.
Von Jennifer an Beth: Hast du ihn so bemerkt?
Von Beth an Jennifer: Nein, das erste Mal ist er mir im Flur aufgefallen. Und dann hab ich ihn am Wasserspender entdeckt – und mir gedacht: Wow, dieser Typ, der da einen Schluck Wasser trinkt … ist aber mal alles andere als nur ein Schluck Wasser in der Kurve.
Von Jennifer an Beth: Details, bitte.
Von Beth an Jennifer: Männlich. Irgendwie quadratisch. Harrison-Ford-mäßig. Einer von diesen Typen, die man sich bei einer Geiselnahme als Unterhändler vorstellt oder die bei einer Explosion durch die Luft fliegen.
Findest du es nicht unerhört, dass ich in einer festen Beziehung lebe und trotzdem Typen am Wasserspender ins Auge fasse?
Von Jennifer an Beth: Nein. Wie sollte man denn bitte hier einen süßen Typen ignorieren? Das ist doch ungefähr so, als würde man hier eine Brieftaube entdecken.
Von Beth an Jennifer: Eine Brieftaube mit niedlichem Hintern.
Von Jennifer an Beth: Was soll das denn jetzt?
Von Beth an Jennifer: Ich nehm dich doch nur auf den Arm. Ich hab mir seinen Hintern gar nicht angeschaut. Irgendwie fällt mir das immer zu spät ein.
Von Jennifer an Beth: Ich mache mich jetzt mal wieder an die Arbeit.
Von Beth an Jennifer: Du kommst mir ein bisschen gereizt vor. Ist alles in Ordnung bei dir?
Von Jennifer an Beth: Alles bestens.
Von Beth an Jennifer: Siehst du, genau das meinte ich. Richtig schnippisch.
Von Jennifer an Beth: Okay, es ist nicht alles in Ordnung. Aber es ist mir viel zu peinlich, um darüber zu reden.
Von Beth an Jennifer: Dann rede nicht, tippe es einfach.
Von Jennifer an Beth: Aber nur, wenn du auf keinen Fall wiederholst, was ich dir jetzt erzähle. Sonst stehe ich als total hysterisch da.
Von Beth an Jennifer: Mache ich nicht. Versprochen. Ehrenwort, Hand aufs Herz etc.
Von Jennifer an Beth: Okay. Aber das ist so bescheuert. Noch bescheuerter als sonst. Gestern Abend war ich im Einkaufszentrum, bin allein rumgebummelt, hab versucht, kein Geld auszugeben und nicht an leckere Zimtschnecken zu denken … und dann bin ich an einem Baby-Gap vorbeigekommen. Ich war bei Gap noch nie in der Kinderabteilung, also hab ich mir gedacht, ich schau mich da mal kurz um. Nur so zum Spaß.
Von Beth an Jennifer: Klar. Nur so zum Spaß. Das kommt mir doch sehr bekannt vor. Also …
Von Jennifer an Beth: Also … schlendere ich so durch den Laden und schaue mir winzige Caprihosen und Pullis an, die mehr kosten als … na, ich weiß auch nicht, eben mehr, als sie sollten. Und dann kann ich mich gar nicht mehr von diesem albernen, winzigen Pelzmantel losreißen. Einem Pelzmantel, wie ihn jedes Baby braucht, um ins Ballett zu gehen. In Moskau. So um 1918 herum. Passend zu der winzig kleinen Perlenkette.
Und da stehe ich also und schaue mir diesen absolut grotesken Mantel an, und eine Verkäuferin kommt auf mich zu und meint: »Ist der nicht entzückend? Wie alt ist Ihre Tochter denn?« Und ich sage: »Oh, nein, sie ist gar nichts. Noch nicht.«
Und sie fragt: »Wann ist es denn so weit?«
Und ich antworte: »Im Februar.«
Von Beth an Jennifer: Wow.
Von Jennifer an Beth: Ich weiß. Ich hab einfach gelogen. Wenn ich wirklich schwanger wäre, dann würde ich mich nicht bei Gap rumtreiben, dann würde ich in einem dunklen Zimmer sitzen und heulen.
Also erklärt mir die Verkäuferin: »Dann brauchen Sie einen für die nächste Saison, Größe 6–12 Monate. Diese Mäntel sind ein echtes Schnäppchen. Die haben wir heute erst runtergesetzt.«
Und ich hab ihr zugestimmt, dass 32,99 $ für einen falschen Pelz tatsächlich ein unwiderstehliches Angebot ist.
Von Beth an Jennifer: Du hast Babyklamotten gekauft? Was hat Mitch denn dazu gesagt?
Von Jennifer an Beth: Gar nichts! Ich hab sie auf dem Dachboden versteckt. Ich kam mir vor, als würde ich eine Leiche beseitigen.
Von Beth an Jennifer: Wow. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Heißt das vielleicht, dass du an der Baby-Front weich wirst?
Von Jennifer an Beth: Ich fürchte, das bedeutet wohl eher, dass ich langsam weich in der Birne werde. Ich erkenne darin eine psychische Störung, die im direkten Zusammenhang mit meiner allgemeinen Baby-Psychose steht. Ich habe immer noch Panik davor, schwanger zu werden. Aber inzwischen kaufe ich Klamotten für das Kind, vor dem ich mich fürchte, und weißt du was? Es ist ein Mädchen.
Von Beth an Jennifer: Wow.
Von Jennifer an Beth: Ich weiß.