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Das Büro des Präsidenten
Teheran, Iran, 9. Juli

 

»Immer ein Vergnügen, Exzellenz. Wir sehen uns bald.«

Motaki legte guten Mutes auf. Welch Unterschied ein einziger Tag machen konnte. Im Wissen, dass die Iraner in der Zwickmühle steckten, hatten sich die Russen erst letzte Woche der Idee kühl gegenüber gezeigt, Rohöl gegen Benzin zu tauschen, außer zu enorm günstigen Bedingungen zu ihren Gunsten. Sie hatten sogar angedeutet, möglicherweise den Sanktionen der UN zustimmen zu wollen. Aber mit der Sperrung der Bosporus-Passage, die Istanbul verschloss wie ein Korken die Flasche, hatte ihn nun der russische Präsident angerufen und um eine Audienz gebeten. Falls es Gott so wollte, würde Iran bald in billigem Benzin schwimmen.

Er lächelte vor sich hin. Zweifellos ein genialer Plan, der selbst beim Scheitern einen Erfolg zu verzeichnen hatte.

Er verfügte nur beschränkt über Informationen, da Braun ja in Gewahrsam war. Sicher schien aber, dass die Tschetschenen versagt hatten. Wie ironisch, dass sich die geschockten Türken nur die unbeabsichtigte Zerstörung in Panama ansehen mussten, um zu erkennen, wie katastrophal dieser Anschlag hätte ausgehen können. Die Botschaft war eindeutig, und die Türken hatten im Alleingang die Passage für allen Tankerverkehr bis auf Weiteres geschlossen. Nun, da das russische Öl weg vom Markt war, hatten sich die Rohölpreise über Nacht verdoppelt. Andere Produzenten zogen aus diesem unerwarteten Glückfall ihren Nutzen, während die russische Währung abstürzte.

Jetzt hatten die Russen also ein Problem. Und sobald das russische Benzin freizügig in den Iran fließen würde, würde sich die Ruhe bald wieder einstellen. Motakis politische Opposition würde sich auflösen, zusammen mit ihrer verrückten Forderung nach der Einstellung seines Nuklearwaffenprogramms und einer Annäherung an den Westen.

Einzig die Sache mit Braun bedauerte er. Er hätte den Deutschen gern für zukünftige Projekte genutzt. Andererseits hatte er stets mit der Möglichkeit von Brauns Verhaftung gerechnet. Aus genau diesem Grund hatte er einen Freiberufler ohne Verbindung zum Iran angeheuert und ihn obendrein noch über Rodriguez beschäftigt. Jede Spur endete in Caracas. Er lächelte erneut. Die Amerikaner hatten vielleicht den Ausdruck »glaubhafte Abstreitbarkeit« erfunden, aber erst ein Perser hatte ihn perfekt umgesetzt.

Der einzig unberechenbare Faktor war Braun selbst, den er mit diesem Anruf beseitigen würde.

 

 

Das amerikanische Krankenhaus
Istanbul, Türkei, 9. Juli

 

Langsam wachte Dugan auf und verstand nicht, warum er seine schmerzende Nase nicht berühren konnte. Durch das blendende Licht blinzelte er auf einen Mann, der sich neben ihm aus dem Stuhl erhob.

»Ganz ruhig«, sagte der Mann. »Sie sind im Krankenhaus.« Er trat zurück und machte einem Mann im weißen Kittel Platz.

»Mr Dugan«, sprach der Arzt ihn an. »Sie wären beinahe ertrunken. Zur Vorsicht blieben Sie weiter intubiert. Von diesem Schlauch werde ich Sie jetzt befreien. Für die Haltegurte möchte ich mich entschuldigen«, fuhr er fort, während er Dugans Handgelenke losband, »aber Sie versuchten ständig, den Schlauch zu entfernen. Sie erlitten auch eine Nasenfraktur, die durch die lebensrettenden Maßnahmen verschlimmert wurde. Die habe ich Ihnen gerichtet. Sie werden sich mehrere Tage unbehaglich fühlen.«

»Danke«, krächzte Dugan, nun ohne Schlauch.

Der Arzt nickte. »Gern geschehen, aber eigentlich sollten Sie Ihren russischen Freunden danken.« Er sah auf die Uhr. »Ich muss meine Runden machen. Rufen Sie mich, falls Sie etwas brauchen.«

Sein Besucher lächelte, nachdem der Doktor gegangen war. »Unbehagen ist Doktorsprache für ›tut wie verrückt weh‹.«

»Kenne ich Sie?«, fragte Dugan heiser.

»Wheeler, Jim Wheeler.« Er streckte ihm die Hand entgegen. »Kulturattaché.«

Freund oder Feind?, fragte sich Dugan und dachte an Gardner.

»Und ein Freund von Ward. Ich denke, Ihnen wurde übel mitgespielt.«

»Da sind wir schon zu zweit.« Dugan akzeptierte die Hand. »Wie war das mit den Russen?«

»Sie sind Ihnen nachgesprungen. Als das Schiff in die Luft flog, waren Sie alle unter Wasser, hundert Meter von der Explosion entfernt.

Die Russen haben Sie vor dem brennenden Benzin gerettet und dabei selbst Verbrennungen erlitten, aber keine schweren. Ein türkischer Hubschrauber hat sie dann alle drei hergebracht.«

»Geben Sie mir einen Lagebericht.«

»Sie waren zwei Tage lang außer Gefecht. Es ist schlimm, aber nicht so schlimm wie in Panama. Dreißig Tote, inklusive dem türkischen Piloten, dem Boot der Küstenwache und den Russen. Die anderen Opfer waren Passagiere auf einer Fähre, die über einer Welle abgelassenen Benzins explodierte. Viele erlitten Brandverletzungen, die Todeszahl steigt weiter.«

»Die Italiener?«

»Die haben es alle geschafft. Und der Rest ist Politik. Die Überreste des Tankers halten sich noch über Wasser. Das Feuer ist unter Kontrolle. Alle warten, bis das Schiff ausgebrannt ist, um es abzuschleppen. Die Türken haben die Passage wieder geöffnet, allerdings sind Tanker nicht länger erlaubt. Global wird diese Entscheidung von radikalen Umweltschützern unterstützt, obwohl niemand weiß, wie es in Europa ohne Öl weitergehen soll. Russland hat eine mögliche Intervention angedroht, was die NATO zum Handeln zwingen würde. Ein totales Chaos.«

Dugan nickte. »Und wie passe ich ins Bild?«

»Ein Jet steht für Sie bereit. Gardner will Sie zur Berichterstattung in Langley sehen.« Wheeler lächelte. »Aber Sie werden in London auftanken.«

Dugan lächelte zurück. »Wann?«

»Der Arzt sagt, morgen oder übermorgen, aber ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.« Wheeler ging zur Tür.

»Danke, Jim. Kann ich die Russen sehen?«

»Ich lasse sie wissen, dass Sie wach sind«, versprach Wheeler.

Minuten später erschienen die Russen in ihren Krankenhauskitteln, ein Grinsen im Gesicht. Ihre Hände waren bandagiert und ihre Kopfhaut zeigte entzündete, rote Stellen, die von Salbe glänzten.

»So, Dyed, gerade wenn ich denke, Sie sind kluger Mann, springen Sie ins Meer mit kiloschwerer Weste. Wenn Ilja hier nicht Nummer-eins-Schwimmer wäre, denke ich, Sie wären jetzt tot.«

»Sie haben recht«, nickte Dugan. Er sah den Sergeant an. »Vielen Dank.«

Der Sergeant sah beschämt aus und sagte etwas auf Russisch.

»Ilja sagt, Sie haben ihn vom Benzin gerettet, das ihn in die See waschen wollte, also sie sind quitt«, übersetzte Borgdanow.

Dugan nickte. »Ihre Verbrennungen?«

»Ist nichts, obwohl Ilja auf Narbe hofft, um Ladys zu beeindrucken, wenn er erzählt, wie tapfer er Terroristen besiegt hat.«

Der Sergeant grinste.

»Was werden Sie jetzt tun?«, fragte Dugan.

Das Gesicht des Russen bewölkte sich. »Ich weiß nicht. Ich versagt, also nichts Gutes wohl.«

»Aber Sie haben Tausenden das Leben gerettet!«

Borgdanow schüttelte den Kopf. »Die Türken haben die Passage für Tanker geschlossen. Ich versagt, bei dem was zählt, Dyed. Das Wort ›Krieg‹ geht um.«

 

 

Chirurgische Übergangsstation
Saint-Ignatius-Krankenhaus, London

 

Das leise Surren des Fußbodenreinigers schläferte die Wache den Flur hinunter beinahe ein. Leider schreckte er wieder hoch und begann auf- und abzugehen. Der Mann hinter der Poliermaschine befühlte die Spritze in seiner Tasche und verfluchte den Cop für seine Wachsamkeit. Es war kurz vor Beginn der stärker besetzten Tagschicht, die es noch schwerer machen würde, an den Deutschen heranzukommen.

Ein schriller Alarm ertönte. Der Beamte trat zur Seite, um dem medizinischem Personal Platz zu machen, das in den Raum eilte.

Der Mörder schob die Poliermaschine näher.

»Todeszeitpunkt fünf Uhr dreiundzwanzig am Morgen«, schnappte er auf.

 

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»Dann ist er also tot?«, fragte der Cop, als die Schwester aus dem Zimmer kam.

Sie nickte.

»So ein Pech. Konnte einfach nicht warten, was? Die hohen Tiere werden echt frustriert sein. Sie wollten den Mistkerl noch ordentlich in die Mangel nehmen.«

Die Schwester zuckte mit den Schultern. »Nicht Ihr Fehler.«

»Aye, aber versuchen Sie das mal meinem Sergeant zu erklären.« Er seufzte. »Na dann, am besten besorg ich mir eine Tasse Tee und mach mich an den Papierkram.«

 

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Der Killer bohnerte weiter und wartete auf seine Gelegenheit. Gerade kam er an der Tür vorbei, als die Schwester die Leiche hinausrollte. Sie ließ die Bahre unbeaufsichtigt stehen und ging zur Schwesternstation. Vorsichtig näherte er sich, hielt seine Maschine mit einer Hand fest und hob das Laken mit der anderen an, um das bleiche Gesicht darunter mit dem Foto, das er sich eingeprägt hatte, zu vergleichen.

Er grinste. Einfachster Hit aller Zeiten. Was natürlich sein Geheimnis bleiben würde, um jede Diskussion über den Rest seiner noch ausstehenden Bezahlung zu vermeiden. Er lenkte die Maschine den Flur hinunter und ließ sie neben der Tür zum Treppenhaus stehen. Er rannte die Stufen hinunter, schälte sich aus seinem Overall und kam unten in Straßenkleidern an. Beim Verlassen des Krankenhauses stopfte er den zusammengeknüllten Overall in einen Abfallkorb. Mehrere Straßen entfernt rief er eine Nummer an, um von Brauns Tod zu berichten. Dann entsorgte er das Wegwerftelefon in einen Gully.

 

 

Saint-Ignatius-Krankenhaus
London, 11. Juli

 

Nachdem die Gulfstream am Abend zuvor gegen zwanzig Uhr in Heathrow gelandet war, kam Anna an Bord marschiert und hatte Dugan offiziell »zur Berichterstattung auf Anordnung der Regierung Ihrer Majestät« in Gewahrsam genommen. Sie nahm ihn mit nach Hause und hatte ihn so angenehm gezwungen, »Bericht zu erstatten«, das ihm das Aufstehen heute Morgen schwergefallen war. Viel besser als Wasserfolter, dachte Dugan auf dem Weg zu Alex’ Zimmer.

»Es geht ihm gut, Tom. Kein Hirnschaden. Sie sagen, dass sich seine Stimmbänder mit der Zeit ebenfalls erholen werden, obwohl er weiter heiser klingen wird.« Anna zögerte. »Ich mach mir mehr Sorgen um Gillian. Sie weicht ihm nicht von der Seite. Sie isst sogar am Bett – falls sie überhaupt isst. Mrs Hogan kümmert sich um Cassie. Gillian braucht Ruhe, aber sie tut so, als ob er im Sterben läge.«

Dugan fand dies bestätigt, als er eine ungekämmte Gillian im Stuhl neben Alex unter dessen besorgtem Blick dösen sah. Alex runzelte die Stirn, als er Dugans Nasenschiene sah.

»Thomas«, krächzte er.

»Der Notizblock, Alex.« Anna zeigte auf die Schreibutensilien auf dem Nachttisch. Gillian erwachte und sprang hoch wie ein Soldat, der während seiner Wache beim Schlafen erwischt wurde.

»Mr Dugan …« Verwirrt hielt sie inne.

»Gillian«, bat Anna sie, »bitte gehen Sie heim und ruhen Sie sich aus. Harry wartet unten, um Sie zu fahren.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich unmöglich. Er könnte etwas brauchen.«

»Er wird bald entlassen werden, und wenn er Sie dann wirklich braucht, werden Sie zu erschöpft sein. Ich bestehe darauf, dass Sie sich ausruhen.«

»Ach, Sie bestehen darauf, wirklich …«, begann Gillian und fiel dann den Tränen nahe in sich zusammen. »Vielleicht … vielleicht haben Sie recht. Ich bin einfach so durcheinander …«

Alex hielt den Notizblock hoch. Die Nachricht stand in großen Blockbuchstaben da.

ANNA HAT RECHT, MEINE LIEBE. GEHEN SIE SICH AUSRUHEN. MIR GEHT ES GUT.

Mrs Farnsworth nickte und Anna umarmte sie. »Keine Sorge. Wir kümmern uns um ihn«, flüsterte sie Gillian auf dem Weg zum Aufzug zu.

»Alex«, sagte Dugan, nachdem sie gegangen waren. »Ich bin für alles verantwortlich. Wenn wir dich früher eingeweiht hätten, würdest du nicht in diesem Bett liegen. Und wenn wir diesen Schweinehunden nicht ermöglicht hätten, sich Cassie zu greifen …«

Alex schrieb frenetisch und hielt den Block hoch.

HAST DEIN BESTES GETAN. CASSIE IN SICHERHEIT. NUR DAS ZÄHLT.

Bevor Dugan antworten konnte, erschien Anna wieder, dieses Mal in Begleitung von Ward.

»Seht nur, wer gerade aus dem Aufzug stieg.« Sie lächelte, während Ward mit ausgestreckter Hand auf die Männer zulief und zunächst Alex und dann Dugan die Hand schüttelte.

Ward zog eine Augenbraue hoch. »Wie zum Teufel bricht man sich beim Ertrinken die Nase?«

»Ich hatte Hilfe. Dieses Mal russische. Ich bin eben ein Gleiche-Chance-für-alle-Boxsack.«

Ward lachte leise und wurde dann ernst. »Sie haben von Braun gehört?«

Dugan nickte. »Es bricht mir nicht unbedingt das Herz, aber was bedeutet es für uns?«

»Falls Sie mit dem ›uns‹ sich und Alex meinen, würde ich sagen, es sieht gut aus. Vor seinem Tod haben wir genug von Braun erfahren, um, kombiniert mit den Informationen, die wir aus anderen Quellen erhielten, den Plan zu entschlüsseln.« Er lächelte Anna zu. »Und mithilfe einer recht liberalen Interpretation klassifizierten wir Brauns Info als Geständnis auf dem Totenbett, was sie zu einem legalen Instrument macht. Die Panamaer ließen die Anschuldigungen gegen Sie fallen, und weder in Großbritannien noch in den USA wird Anklage gegen Sie oder Alex erhoben werden.«

»Das hat Anna mir schon erzählt«, nickte Dugan, »aber Gardner ist wirklich damit einverstanden?«

Ward lächelte erneut. »Eine Reihe weit höherer Chargen sieht sich den Fall nun genauer an. Unser guter Larry möchte bei ihnen Beifall heischen. Mit Ihrem Erfolg in der Türkei kann er Sie kaum den Wölfen zum Fraß vorwerfen, ohne wie der Penner auszusehen, der er ist.«

Wards Lächeln erlosch. »Wenn nur alles so gut gelaufen wäre.«

»Was meinen Sie?«, erkundigte sich Dugan. »Sie kennen die Wahrheit. Können Sie sich nicht an die Öffentlichkeit oder an die UN oder an den Weltgerichtshof oder an sonst wen wenden?«

»Wissen und beweisen können sind nicht das Gleiche, Tom«, betonte Anna. »Und trotz all unserer Bemühungen haben die Verschwörer ihr Ziel erreicht.«

»Nicht Venezuela«, betonte Ward. »Soweit wir feststellen konnten, wollte Rodriguez nicht den Kanal zerstören, sondern hat China nur darauf gedrängt, einen zweiten Kanal durch Nicaragua zu unterstützen. Einen, der breit genug für Supertanker ist, um sein Rohöl ohne Wettbewerbsnachteile auf den asiatischen Markt zu bringen. Dieser Plan ist ihm im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren geflogen. Ironischerweise hat sein Kumpel Motaki aus dem panamaischen Unglück seinen Vorteil gezogen. Für die Türken, die gerade so davongekommen sind, war keine große Vorstellungskraft nötig, um zu ahnen, wie schlimm das Ganze hätte ausgehen können.«

»Sie können also vor Gericht nichts beweisen«, sagte Dugan. »Na und? Sicher können Sie den Russen und Chinesen ausreichend Informationen zuspielen. Ich kann mir nicht denken, dass sie so etwas still hinnehmen.«

»Was bleibt ihnen anderes übrig, selbst wenn wir sie überzeugen könnten? Die Chinesen geben nicht mal öffentlich zu, dass sie Opfer waren, weil dies ihrer Meinung nach einem zu großen Gesichtsverlust gleichkäme. Wahrscheinlicher ist, dass sie dies intern regeln und die Verschwörer dafür zahlen lassen, was sich über Jahre hinziehen könnte. Und Motaki hat Russland in der Hand. Er braucht Russland als sicheren Überlandanbieter von Treibstoff – eine Quelle, die wir nicht mit unserer Flottenpräsenz unterbinden können. Aber Russland braucht jetzt in noch stärkerem Maße iranisches Rohöl.«

»Ich verstehe nicht, wieso das den Iran sicherer machen sollte«, meinte Dugan. »Wenn unsere Navy den Benzinfluss in den Iran stoppen kann, wieso sind wir dann nicht in der Lage, das Gleiche mit dem Rohöl zu tun, das auf Tankern aus dem Iran heraus…«

Er unterbrach sich. »Ach ja.«

»Richtig«, nickte Ward. »Niemand im Westen wird sich darüber aufregen, dass wir ein Benzinembargo gegen den Iran durchsetzen. Aber das Rohöl aus dem Iran geht entsprechend der russischen Lieferabkommen an unsere europäische Alliierten. Die Idee, iranische Rohölexporte zu stoppen, wird wenig Anklang finden, nicht solange das russische Rohöl vom Markt ist.«

Dugan dachte nach. »Vielleicht sollten wir uns dann darauf konzentrieren, das russische Rohöl wieder auf den Markt zu bringen.«

 

 

Hauptquartier des Geheimdienstes (MI5)
Thames House, London

 

»Das dürfte reichen«, schloss Dugan mit Blick auf die Ansammlung von Karten und Geheimdienstberichten auf dem Tisch vor ihm. »Das war hervorragend – weit mehr Information, als mir gewöhnlich zur Verfügung steht.«

Neben ihm kratzte sich Harry am Kopf. »Nun sagen Sie mir mal, Yank, wieso kennt sich ein Schiffsmensch so gut mit Überland-Pipelines aus?«

Dugan lächelte. »Ich bin Absolvent des Tankerhandelskurses 101 an der legendären Alex-Kairouz-Wirtschaftshochschule. Früher oder später enden beinahe alle Pipelines an einem Schiffsterminal, wo etwas in Schiffe hinein- oder aus ihnen herausgepumpt wird. Alex wurde das schon vor einer Weile klar. Das Wissen über neue Pipelines ist wichtig, um die zukünftigen Handelsrouten zu verstehen.«

»Erste Klasse, Tom«, bestätigte Anna. »An der diplomatischen Front wird es einiger Arbeit bedürfen, aber die Russen werden sich sicher darauf einlassen. Damit muss Motaki zurück auf Los – nur mit weniger Benzin und mit mehr öffentlichen Unruhen.«

»Darüber hab ich nachgedacht. Vielleicht sollten unsere russischen Freunde Motaki so viel Treibstoff wie möglich liefern.«

»Was wollen Sie damit sagen?«, erkundigte sich Ward.

»Damit will ich sagen, dass man manchmal aufpassen sollte, was man sich wünscht«, antwortete Dugan.

 

 

Flughafen Heathrow
London, 12. Juli

 

»Nochmals vielen Dank, Agent Ward«, sagte Reyes und schüttelte Wards Hand.

»Es war mir ein Vergnügen, Lieutenant. Kommen Sie gut nach Hause.«

Reyes nickte. »Könnte ich wohl einen Moment allein mit Señor Dugan sprechen?«

Ward warf Dugan einen fragenden Blick zu. Dugan zuckte mit den Schultern. »Schon in Ordnung.«

»Ähm … okay«, stimmte Ward zu. »Ich hole den Wagen und warte vor der Ankunftshalle auf Sie, Tom.«

Ward wandte sich wieder an Reyes. »Ich werde Kontakt mit Ihnen bezüglich unseres gemeinsamen Einsatzes in Ihrer Gegend aufnehmen, Lieutenant.«

Reyes nickte und Ward entfernte sich. Dugan blieb allein mit dem großen Panamaer zurück. Reyes wartete, bis er sicher sein konnte, dass Ward außer Hörweite war.

»Señor Dugan, zunächst möchte ich mich für mein bedauerliches Verhalten während unseres ersten Treffens entschuldigen«, begann er.

»Was unter den Umständen verständlich war.«

»Vielen Dank. Ich wollte mit Ihnen allein reden, da ich ein Anliegen habe, für das Sie meiner Meinung nach mehr Verständnis als unsere Kollegen aufbringen werden.«

»Aha … Und das wäre?«

»Ich weiß nicht so recht, wie ich es ausdrücken soll«, fuhr Reyes fort, »aber ich bin mit der gegenwärtigen Situation nicht ganz zufrieden. Bis zum Tod dieses Bastards Braun war ich voll an der Operation beteiligt. Ich hatte mich nur kurz im Aufenthaltsraum des Krankenhauses etwas ausgeruht und sollte sofort, nachdem er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, informiert werden, um die Vernehmung fortzusetzen. Und dann war er tot. Seither scheint es, als ob ich von dem Fall ferngehalten werde.«

»Ich bin sicher, dass Jesse …«

Reyes hielt die Hand hoch. »Bitte, Señor Dugan. Sie müssen Agent Ward nicht verteidigen. Ich weiß, er ist Ihr Freund, und ich bin sicher, dass er nur seine Arbeit tut. Aber ich erkläre Ihnen mein Problem.«

Dugan sah ihn verwirrt an und Reyes sprach weiter.

»Sehen Sie. Ich bin nur ein einfacher Polizist, kein Geheimagent. Agent Ward verspricht eine »gemeinsame Operation« gegen Rodriguez und versichert mir, ich werde daran »teilhaben«. Ich fürchte aber, dass seine Definition von Teilhabe sich von der meinigen deutlich unterscheidet.«

»Reden Sie weiter«, ermunterte Dugan ihn.

»Ich will anwesend sein, wenn wir mit Rodriguez abrechnen, aber ich befürchte, dass Agent Ward mich aufgrund meines persönlichen Verlustes als emotional zu involviert betrachtet – kurz gesagt, dass ich eine Bürde sein könnte. Der Zeitplan der Operation könnte so arrangiert werden, dass ich anderweitig beschäftigt und daher verhindert sein werde, beim wichtigsten Akt dieses Stücks anwesend zu sein.«

»Selbst wenn dem so wäre, wie kann ich Ihnen helfen?«

Reyes entnahm seiner Hemdtasche eine Visitenkarte und reichte sie Dugan.

»Nicht ändern, Señor, nur informieren. Ich weiß, dass Sie Agent Walsh – sagen wir – »recht nahe stehen«. Ich brauche allein das richtige Datum und die Zeit des Einsatzes. Falls Sie davon hören und mich anrufen, werde ich für immer in Ihrer Schuld stehen.«

Dugan machte keine Zusage. »Ich bezweifle, dass ich es erfahren werde, aber falls doch, werde ich es mir überlegen.«

Reyes streckte ihm die Hand entgegen. »Mehr kann ich nicht erwarten. Danke, Señor.«

»Was wollte Reyes denn?«, erkundigte sich Ward, als Dugan in den Wagen stieg.

»Er hat sich dafür entschuldigt, mich windelweich geprügelt zu haben. Ich versicherte ihm, das sei verständlich gewesen. Und Tatsache ist, dass ich es wirklich verstehe. Als Ginny starb, war ich bereit, den Schuldigen zu finden und ihn auf der Stelle umzubringen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie viel schwieriger es sein muss, den Verantwortlichen zu kennen und seine Rage für sich behalten zu müssen. Das muss den armen Teufel bei lebendigem Leib auffressen.«

Ward nickte. »Richtig. Hoffentlich wird ihm die venezolanische Mission Erleichterung verschaffen.«