12

Anna hielt sich während der Taxifahrt zurück, während Dugan überlegte, wie er dem Team die Nachricht beichten sollte. Als sie in der Wohnung eintrafen, fehlte ihm immer noch die Lösung.

»Na, wie ist es gelaufen?«, wollte Lou wissen.

»Gut, denke ich«, sagte Anna. »Tom, hast du etwas von Alex erfahren?«

Behutsam setzte er an. »Wir haben über die China Star gesprochen. Er denkt …«

»Verdammt noch mal, Dugan«, fluchte Lou. »Sie sollten doch nicht …«

Anna bedeutete Lou zu schweigen und forderte Dugan auf, fortzufahren. Er holte tief Luft und machte reinen Tisch. Absolute Stille folgte.

»Nicht zu fassen«, schnappte Lou. »Sie haben einem Hauptverdächtigen unsere Operation verraten.«

»Er ist das Opfer«, argumentierte Dugan. »Wie viele Beweise brauchen Sie denn noch?«

»Mehr als ein schwachsinniges Märchen«, konterte Lou.

»Unsinn. Erst denkt er sich eine Geschichte samt Video aus und wartet dann Wochen, um sie zu präsentieren? Niemals. Er kann uns helfen, und ich entschied mich, ihn einzuweihen.«

Anna explodierte. »Du hast entschieden! Mit welcher verdammten Berechtigung? Ich bin die leitende Agentin, nicht du. Du hättest das zumindest mit mir diskutieren können, bevor du auf einem weißen Ross einreitest, um den edlen Ritter zu spielen.«

»Alles ging so schnell«, verteidigte sich Dugan. »Ich war mir nicht sicher, ob ich noch eine Chance bekommen würde. Vielleicht hätte ich es zuerst besprechen sollen, aber was geschehen ist, ist geschehen.«

»Ja, Tom. Das hättest du wohl.« Annas Stimme war eiskalt.

Harry mischte sich ein. »Warten Sie, wir können Kairouz’ Geschichte überprüfen. Telefonprotokolle werden die Anrufe bei Scotland Yard und bei der Sicherheitsfirma bestätigen, und unter Zuhilfenahme des ›Official Secrets Act‹ können wir die Sicherheitsfirma vernehmen. Sollten sich seine Angaben bestätigen, bezweifle ich, dass er uns ein Märchen auftischt. Die British Telcom hat eine Nachtschicht. Wir können die Anrufe sofort überprüfen.«

Dugan warf Harry einen dankbaren Blick zu.

»Machen Sie das«, wies Anna ihn an, und Harry wählte. Kurz danach legte er auf und nickte.

»Die Telefonunterlagen untermauern Kairouz’ Geschichte.«

»Okay«, entschied Anna. »Mit der Sicherheitsfirma beschäftigen wir uns morgen. Aber wir müssen Ward informieren.« Vernichtend sah sie Dugan an. »Ich denke, das wird dich deinen Job kosten, Tom.«

Dugan nickte resigniert, drückte eine programmierte Nummer auf seinem Sat-Telefon und legte es in Freisprecheinrichtung auf den Tisch.

 

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Fünf Zeitzonen entfernt klingelte das Telefon. Ward arbeitete spät. Er erkannte Dugans Nummer.

»Moment, Tom«, sprach er in sein Sat-Telefon, während er nach dem Bürotelefon griff.

Gardner bestand darauf, bei Anrufen von Agenten im Einsatz anwesend sein, tatsächlich erregte es aber seinen Zorn, außerhalb der Bürostunden gestört zu werden. Ward schützte sich daher, indem er eine Nachricht auf Gardners Bürotelefon hinterließ, um den Kontaktversuch zu dokumentieren. Gardner arbeitete selten nach Büroschluss, deshalb bevorzugte Ward diese Zeit, um mit seinen Agenten ohne Einmischung des Chefs reden zu können.

»Gardner«, kam die Antwort. Mist, dachte Ward.

»Ja, Larry. Dugan ist am Apparat. Sind Sie interessiert?«

»Verdammt. Ja. Kommen Sie rüber.« Gardner legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten.

Ward versprach Dugan, sofort zurückzurufen und ging dann in Gardners Büro. Gardner trug einen Frack.

»Sie sehen aber flott aus«, kommentierte Ward.

»Ich bin in zwanzig Minuten mit den Gunthers in der Symphonie verabredet. Der Anruf ist hoffentlich wichtig.«

Ward verstand. Image aufpolieren. Senator Gunther war Vorsitzender des Geheimdienstkomitees im Senat. Gardner würde seine Verspätung damit erklären, dass er schnell noch mal im Büro hatte vorbeifahren müssen, um ein Problem zu lösen. Gardner, der Unentbehrliche.

Gardner zeigte auf den Konferenztisch. »Nutzen Sie die Freisprechanlage.«

»Hallo, Tom. Larry Gardner ist hier bei mir. Sie sind auf Lautsprecher.«

Dugan zögerte. »Hallo, Jesse. Hallo, Larry. Ich habe …«

»Machen Sie’s kurz, Dugan«, forderte Gardner ihn auf. »Ich bin spät dran.«

Dugan hatte Gardner nicht erwartet. Wieder begann er mit der China Star, um Zeit zu schinden.

»Es gibt verdächtige Aktivitäten um ein Schiff namens China Star, die momentan auf Kharg belad…«

»Wo?«, fragte Gardner.

»Die Insel Kharg, im Iran«, erklärte Ward. »Sprechen Sie weiter, Tom.«

»Falls etwas an der Sache dran ist«, fuhr Dugan fort, »ist das wahrscheinlichste Ziel die Straße von Malakka in der Nähe von Singapur.«

»Wann schifft sie aus?« Ward machte sich Notizen.

»Unbekannt«, sagte Dugan. »Ich bleibe dran, aber Sie könnten eventuell die Satellitenüberwachung veranlassen …«

»Kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten, Dugan«, unterbrach Gardner ihn. »Was sonst? Oder haben Sie uns nur angerufen, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass ein Schiff ›vielleicht‹ verdächtig sein könnte und womöglich tagelang den Hafen nicht verlassen wird?«

Nach einer langen Pause fing Dugan so schnell zu reden an, als ob er die Ereignisse der vergangenen Stunden möglichst schnell loswerden wollte, bevor ihn jemand unterbrach. Diese Sorge war unbegründet; sowohl Ward als auch Gardner waren sprachlos. Gardner erholte sich zuerst.

»Sie haben verflucht noch mal was getan?« Gardner stieß eine Beschimpfungstirade aus, die nur von der Liste der Verletzungen des Patriot Act unterbrochen wurde, die Dugan begangen hatte. Dann sah er Ward an.

»Gott verdammt, Ward, wo zum Teufel steckt diese dumme britische Schnecke, die diesen Idioten beaufsichtigen sollte?«

Dugan unterbrach ihn, bevor Ward antworten konnte.

»Hören Sie zu, Larry, ganz ruhig. Ich habe bereits erklärt, dass Alex Kairouz kein …«

»Das können Sie nicht entscheiden, Sie Schwachkopf. Überlassen Sie das den Geheimdienstprofis.«

Dugan verlor die Kontrolle. »›Geheimdienstprofi‹? Sie? Sie sind nicht mal in der Lage, einen Elefanten in drei Meter hohem Schnee zu finden.«

»Sie sind erledigt, Sie Arschloch«, kam Gardners Stimme durch den Lautsprecher. »Sie haben die Operation preisgegeben. Ich werde die Briten anweisen, Sie zu verhaften. Sie und Kairouz werden sich in Gitmo eine Zelle teilen.«

»Mr Gardner«, meldete sich Anna zu Wort, »die Operation ist in keinem Fall gefährdet.«

»Wer spricht da?«, forderte Gardner. »Verdammt, Ward, diese Leitung sollte gesichert sein.«

»Wir sind vollkommen sicher«, antwortete Anna. »Ich bin Agentin Anna Walsh, auch als die ›dumme britische Schnecke‹ bekannt.«

Scheiße, kann es noch schlimmer kommen?, dachte Ward, als Gardner mit offenem Mund dastand.

»Ich beabsichtige nicht, diese Operation abzubrechen, und erwarte weiter Ihre Unterstützung, Mr. Gardner. Natürlich nehmen wir standardmäßig alle Gespräche auf, so wie Sie das sicher auch tun. Sollten Sie in irgendeiner Weise gegen Mr Dugan vorgehen, werde ich um eine offizielle Überprüfung bitten, diese Unterhaltung eingeschlossen. Dugans Bemerkungen waren unbeherrscht, aber er wurde provoziert, und Ihre Ausdrucksweise war ausgesprochen unflätig. Und, während ich Ihr Talent bewundere, meine Nationalität, mein Geschlecht und meinen Charakter mit nur zwei Worten in den Schmutz zu ziehen, war Ihre Terminologie dennoch sehr anstößig. Ich denke, unsere Vorgesetzten werden da einer Meinung sein, sollte es so weit kommen. Machen wir also weiter?«

»Ja, natürlich«, stotterte Gardner. »Ähm … was schlagen Sie vor?«

»Wir werden einen Weg finden, mit Kairouz zu kommunizieren, und ich werde überdies das Mädchen und ihre Nanny beschatten lassen, um, falls nötig, einzugreifen«, bestimmte Anna.

»Warum? Das könnte Braun warnen.«

»Die Risiken sind minimal. Es wird Kairouz Sicherheit geben, und es ist der richtige Weg.«

»Eine Verschwendung von Kapazitäten«, murrte Gardner.

»Britische Kapazitäten, die britische Bürger schützen, auf Anweisung einer Repräsentantin Ihrer Majestät. Das bin ich«, erwiderte Anna.

»Ähm … wie Sie meinen. Sonst noch etwas?«

»Nein, es sei denn, Sie oder Agent Ward möchten noch etwas diskutieren.«

»Nein.« Gardner legte auf, ohne Ward anzusehen, der zwar viel zu sagen hatte, aber nicht im Beisein Gardners.

 

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»Das war unglaublich, Anna. Danke«, sagte Dugan.

»Na ja. Diese Pflaume von Gardner hat mich noch mehr als du gereizt, was ich vor zwanzig Minuten nicht für möglich gehalten hätte.«

Harry grinste. »Ich denke, der Yank hat was wettgemacht. Mir gefielen die ›drei Meter Schnee‹. Das Gesicht des Schwachkopfs hätte ich gern gesehen.«

Die Männer lachten, während sich Anna das Lächeln mit Mühe verkneifen konnte.

 

 

CIA-Hauptquartier
Langley, Virginia

 

»Wie konnten Sie das so außer Kontrolle geraten lassen, Ward? Dugan hat gerade die ganze Operation hochgehen lassen, nur um seinen Turbankumpel zu schützen. Er ist schmutzig. Hetzen Sie ihm die Finanzleute auf den Hals: Bankkonten, E-Mails, Telefonunterlagen, Beteiligung an ausländischen Firmen, einfach alles.«

»Dugans komplette Finanzen liegen schon seit Jahren offen«, versicherte Ward. »Er braucht kein Geld. Ich teile Ihre Bedenken hinsichtlich seiner Vorgehensweise, aber wenn Walsh und ihr Team damit keine Probleme haben, müssen wir das respektieren. Außerdem, falls Dugan uns auf Grund setzen wollte, würde er es unauffälliger tun.«

»Nur weil er die Teekuchenknusperer übertölpelt hat, heißt das noch lange nicht, dass er kein Verräter ist.«

»Gut, okay. Sie sind wütend, aber beruhigen Sie sich erst mal und genießen Sie Ihren Abend.«

Die Erinnerung an seine soziale Verpflichtung hatte den geplanten Erfolg. Gardner war nichts wichtiger, als sich mit der machthabenden Elite sehen zu lassen.

Er nickte und erhob sich. Ward gelang eine leichte Stichelei.

»Viel Spaß beim Ballett mit dem Kongressabgeordneten Gaynor.«

»Es ist die Symphonie mit Senator Gunther«, korrigierte Gardner.

Ward zuckte mit den Schultern. »Ach so.«

Gardner stolzierte, entsetzt von Wards Ignoranz, davon. Kein Wunder, dass der immer noch Agent war.

Minuten später saß Ward am Computer und beantragte einen Überflug über die Insel Kharg im Iran, mit speziellem Augenmerk auf die China Star. Gardner gegenüber hatte er die Satellitenüberwachung nicht erwähnt, da der Mann dies sicher als Dugans Idee abgetan hätte. Ohne gefragt zu werden, konnte er sie nicht ablehnen.