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M/T Asian
Trader, Südchinesisches Meer,
Ziel: Panama, 16. Juni
Medina joggte das Deck hinunter. Nach zwei Wochen auf See hatte er seine Routine etabliert. Die Nachmittagssonne schien warm auf seinen Rücken, als er sich nahe eines Ballasttankschachtes für seine obligatorischen Liegestütze fallen ließ. Sein Training erregte keinerlei Aufmerksamkeit mehr, außer Scherzen über seinen Verstand. Der perfekte Weg, die Entwicklung unentdeckter Ereignisse unter Deck zu beobachten.
Mittlerweile hatte sich das Benzin durch das Styropor gefressen, davon war er überzeugt. In Gedanken sah er, wie das Benzin entlang der Schotten der leeren Ballasttanks blutete und sich dabei verflüchtigte. Die tägliche Erhitzung des Decks zwang die sich ausdehnende Luft der leeren Tanks dazu, durch die Schächte zu entweichen. Nachts kühlte das Seewasser um den äußeren Schiffsrumpf herum die Luft ab und kehrte damit den Prozess um. Sauerstoffreiche Seeluft wurde eingesaugt. Jeden Tag entkamen Gase, aber die meisten würden erhalten bleiben und, während sie durch die Zyklen hindurch regelmäßig »atmeten«, langsam alle Tanks von unten nach oben füllen und ihren Inhalt in explosive Dämpfe verwandeln.
Mit jeder Liegestütz drückte er die Nase nahe ans Deck und nahm den schwachen Geruch auf, der dem Schacht entkam und unsichtbar auf dem Deck lag, bevor eine Brise ihn davonblies. Er lächelte. Die Tanks reiften, und die Möglichkeit der Entdeckung war so schwach wie die Brise, die die Dämpfe zerstreute. Sein Plan würde funktionieren, Inschallah.
Sterling-Akademie
Westminster, London, 17. Juni
Der Wagen stoppte abrupt. Farley beobachtete Gillian Farnsworths Gesicht im Spiegel und war enttäuscht, dass sie seine Provokation ignorierte. Gillian ging in die Schule und kam mit einer mürrisch aussehenden Cassie zurück.
»Fahren Sie uns zum Arzt und warten Sie«, wies sie ihn an. »Wir sollten gegen vierzehn Uhr dreißig fertig sein.«
Farley grunzte und raste mit quietschenden Reifen davon, während er sich die Verwandlung der Frau in den letzten beiden Tagen durch den Kopf gehen ließ. Sie hatte ihre Abneigung nie verborgen oder gezögert, ihn herauszufordern, stets aber mit einem Unterton der Furcht, trotz ihrer tapferen Worte. Jetzt war sie anders, selbstbewusster. Eine unmerkliche Veränderung, eher empfunden als ausgesprochen, hatte stattgefunden. Sollte er das Braun mitteilen? Diesen Gedanken verwarf er, da er sich dessen spöttischer Reaktion sicher sein konnte.
Stotternd brachte er den Wagen zum Stehen. Die Haushälterin ignorierte ihn und drängte Cassie aus dem Wagen. Dich erwisch ich schon noch, dachte er, während sie in das Gebäude eilten. Vielleicht würde er die alte Hexe zum Zusehen zwingen, während er den Spasti vögelte. Wäre das nicht nett?
»Warum muss ich gestochen werden?«, jammerte Cassie, als sich der Fahrstuhl im dritten Stock öffnete.
»Es ist deine Grippeschutzimpfung«, log Mrs Farnsworth. »Und jetzt raus mit dir.«
Sie wurden erwartet und in ein Untersuchungszimmer geführt, in dem eine Schwester Cassies Vitalparameter notierte. Mrs Farnsworth wurde in das Zimmer des Arztes geschickt. Neben dem Arzt saß Anna Walsh.
»Doktor, könnte ich wohl mit Mrs Farnsworth alleine sprechen?«
Er lächelte. »Aber sicher. Ich sehe nach Cassie.«
»Sie wissen, was los ist?«, erkundigte sich Anna, nachdem der Arzt gegangen war.
»Mr Kairouz hat mir erklärt, dass Sie von MI5 sind. Ich gehe davon aus, dass Sie Cassie in Sicherheit bringen werden.«
»So einfach ist das nicht«, antwortete Anna. »Cassie aus dem Haus zu entfernen macht es offensichtlich, dass Alex mit uns kooperiert, aber wir haben nicht genug Beweise, um Braun oder Farley festzunehmen. Sehr wahrscheinlich wären Sie alle weiterhin in Gefahr.«
Sie lehnte sich nach vorn und senkte ihre Stimme. »Wir müssen aus den gegebenen Umständen das Beste machen. Und zwar folgendermaßen …«
Teheran, Iran
17. Juni
Motaki sorgte sich. Der Benzinmangel fraß seine politische Unterstützung wie Krebs auf. Ehemalige Verbündete zogen sich zurück, Gerüchte gingen um, und sogar Imam Rahmani stand unter Druck. Was für eine Ironie, dachte er. Nachdem er so erfolgreich den Import von Materialien für das Nuklearprogramm arrangiert hatte, wurde sein Plan jetzt durch etwas so Prosaisches wie Benzin unterminiert. Aber mit Gottes Hilfe würde sich das bald ändern. Die Gegensprechanlage meldete sich.
»Ja, Ahmad?«
»Tut mir leid, Sie zu stören, Sir, aber Präsident Rodriguez ist am Telefon.«
Er seufzte seinen Dank.
»Mr President. Nett von Ihnen zu hören.«
»Guten Tag, mein Freund. Geht es Ihnen gut?«
Motaki hielt seine Ungeduld im Zaum. »Ja, danke. Was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um … unser Projekt. Mein Bericht steht noch aus, und …«
Kamelmist im Hirn, dachte Motaki. Nicht auf einer offenen Leitung!
»Ja, die Kraftstofflieferungen«, unterbrach ihn Motaki. »Ich werde Ihnen ein Update über gesicherte Wege zukommen lassen.«
»Schön …«, sagte Rodriguez. »Es ist nur, ich höre so gut wie nichts, und …«
»Gar kein Problem, mein Freund.« Still verfluchte er Braun. »Sonst noch etwas?«
»Nein, nein. Danke«, verabschiedete sich Rodriguez höflich.
Mit gerunzelter Stirn tippte Motaki eine knappe Nachricht in seinen Computer.
Die Büros der
Phoenix-Schifffahrtsgesellschaft
London, 17. Juni
Braun kam vom Mittagessen zurück und fand eine offensichtliche Spam-E-Mail. Er entschlüsselte die verborgene Nachricht, die er mittels eines Videoclips von einer Pornoseite runtergeladen hatte.
Von unserem Freund kontaktiert. Schicken Sie ihm Update, um Wiederholung zu vermeiden.
Dieser blöde Venezolaner. Genau wie Motaki verfügte Rodriguez über ein gesichertes Sat-Telefon. Um überflüssigen Gebrauch zu vermeiden, hatte Braun darauf aber nur den Erhalt von Nachrichten ermöglicht. Da er Probleme mit Rodriguez vorhergesehen hatte, hatte Braun ihm auch nur Zugang zu einer einzigen, allein für ihn bestimmten Pornowebseite gewährt, um ihn von der echten Operation zu isolieren.
Trotzdem hatte er sich als Plage herausgestellt, hatte Braun regelmäßig mit hirnlosen Nachrichten und Vorschlägen überschüttet, die der Deutsche nicht mal mehr herunterlud. Der Idiot musste Motaki über einen Festnetzanschluss kontaktiert haben. Er hatte die Dummheit des Venezolaners unterschätzt.
Caracas, Venezuela, 17. Juni
Rodriguez nahm das Sat-Telefon beim sechsten Klingeln auf.
»Mr President«, meldete sich Braun, »vergeben Sie mir. Ich habe auf Updates gewartet, bevor ich Ihnen Bericht erstatten wollte.«
»Sie tun gut daran, sich zu erinnern, wer hier das Kommando hat, Braun. Berichten Sie.«
Braun unterdrückte ein Lachen. »Jawohl, Sir. Die China Star lief auf Kharg ein, und unsere tschetschenischen Freunde …«
»Ja, ja«, unterbrach Rodriguez ihn. »Was ist mit Panama?«
»Die Asian Trader ist von Singapur aus auf dem Weg. Alles läuft nach Plan.«
»Denken Sie daran«, warnte Rodriguez. »Geringfügiger Schaden. Und auf uns darf kein Verdacht fallen.«
»Keine Sorge, Sir. Unser Mann kann nur sich selbst und die in seiner unmittelbaren Umgebung umbringen, aber nicht mehr anrichten. Selbst wenn er überleben sollte, weiß er von nichts.«
»Steht der 4. Juli immer noch fest?«
»Ja, Mr President«, bestätigte Braun. »Gibt es noch etwas, Sir?«
»Nein. Das war alles, Karl, aber versäumen Sie nicht, mich weiter auf dem Laufenden zu halten.«
»Sie können sich darauf verlassen, Sir.«
»Danke, Karl. Das war alles.«
Braun schüttelte den Kopf und legte auf. Eingebildeter Affe.
CIA-Hauptquartier
Langley, Virginia, 17. Juni
»Heute schon irgendwelche Bösewichter erwischt?«, erkundigte sich eine bekannte Stimme.
Ward lachte leise. Es war Mike Hill, der für die National Security Agency (NSA) arbeitete, deren Aufgabe das globale Schnüffeln war.
»Noch nicht, Mike, aber der Tag ist jung. Was gibt’s?«
»Sie kennen das Gebäude, das die Briten in London überwachen und dessen abgehörte Informationen sie mit uns teilen?«
»Ja, die Phoenix-Schifffahrtsgesellschaft. Was ist mit ihr?«
»Und wir überwachen den Irren in Caracas. Heute Morgen erhielt El Presidente einen chiffrierten Sat-Telefonanruf. Raten Sie mal woher?«
»Von der Phoenix-Schifffahrtsgesellschaft?«
»Bingo, Bruder. Die Briten hatten zwar den Anrufer, aber nicht das Ende in Caracas. Wir haben unseren Cousins natürlich geholfen, die uns ungemein dankbar waren, obwohl sie es gut hinter ihrer britischen Reserviertheit verbergen konnten.«
Ward grinste. »Okay, Hill. Ich verstehe schon.«
»Mann, Nerds werden nie geschätzt. Jedenfalls, die schlechte Nachricht ist, wir konnten den Anruf nicht entschlüsseln.«
»Na ja, allein diese Verbindung ist ein Schritt nach vorn«, meinte Ward.
»Klar, aber wir haben noch einige Tricks auf Lager. Vorher rief El Presidente im Iran an, ziemlich dümmlich auf einer normalen Standleitung. Wir haben einen Präsident Motaki auf Band, der sich bei der Erwähnung eines ›Projektes‹ und El Presidentes Mangel an ihm zustehenden Updates beinahe in die Hosen gemacht hat. Motaki sagt ›keine Sorge‹, und presto, El Presidente bekommt einen Anruf aus London.« Hill hielt inne. »Ein vernünftiger Mann könnte auf eine Beziehung zwischen dem Iran und Venezuela über die Phoenix-Schifffahrtsgesellschaft schließen.«
»Ausgezeichnet«, lobte Ward. »Bei unserem nächsten Treffen, mein Freund, spendiere ich die Getränke.«
»Seien Sie nicht so geizig. Sie haben ein Spesenkonto. Ich will ein Abendessen.«
»Selbstverständlich«, stimmte Ward zu.