30

Das Heck des Hauptdecks
Eingang zum Lenkgetrieberaum

 

»Lassen Sie mich los, Sie Arschlo…« Dugan stolperte, nachdem sie ihn losgelassen hatten.

»Vorsicht, Dugan«, sagte Borgdanow, »und nennen Sie mich nicht Arschloch.«

Dugan schluckte eine Erwiderung. Der Blick an Land über Borgdanows Schulter hinweg versetzte ihm einen Schock. Sie hatten die Geschwindigkeit erhöht.

»Das ist Tür zum Getrieberaum?«, fragte Borgdanow.

Dugan nickte. »Es gibt noch einen Eingang vom Maschinenraum her.«

»Ilja geht zuerst«, bestimmte Borgdanow und nickte dem Sergeant zu. Auf dem Weg nach unten überdachte Dugan die Lage. Bei dieser Geschwindigkeit würde ihm die Zeit für den Zugriff auf die Bedienungselemente fehlen, die sicher sowieso in Italienisch waren. Selbst wenn er die Kontrolle übernehmen könnte, würde er blind steuern. Er war gerade zur Einsicht gekommen, dass dies wohl eine seiner dümmeren Ideen gewesen war, als der Sergeant beim Geräusch von Stimmen unter ihnen plötzlich innehielt.

Italienische Stimmen.

Dugan schob ihn zur Seite und eilte die letzten Stufen hinunter. In einen Drahtverschlag gesperrt stand die Crew auf einem Berg von Schiffstauen und jubelte ihnen bei ihrer Ankunft zu.

»Wir müssen sie befreien. Sie können uns helfen.«

Borgdanow zielte auf das Vorhängeschloss, aber Dugan schob die Waffe nach unten. Er zeigte auf die Stahlschotten um sie herum. »Querschläger«, warnte er.

Ein Mann deutete durch den Drahtverschlag. »Martello – Hammer – da.«

Dugan hinkte zu einer Werkbank und kehrte mit einem kurzstieligen Vorschlaghammer zurück. Er hob den Hammer an, aber Borgdanow entriss ihn ihm und zerstörte das Schloss mit einem einzigen Schlag. Die Italiener stolperten lachend und schreiend heraus, während der Kapitän Dugans Hand schüttelte. Bei dieser Lautstärke waren Erklärungen unmöglich. Der russische Major improvisierte und schnappte sich ein Crewmitglied.

»Ruhe, oder ich ihn umbringe!«, rief er in die eintretende Stille.

»Captain«, erklärte Dugan, »die Terroristen werden das Schiff in weniger als zehn Minuten auf Grund setzen und in die Luft jagen. Es wird Tausende von Opfern geben. Auch von uns wird keiner entkommen. Sie müssen uns helfen zu verhindern, dass das Schiff auf Grund läuft.«

Nachdem dies von englischsprechenden Crewmitgliedern übersetzt war, brach erneutes Chaos aus.

»Zitto!«, befahl der Kapitän und stellte damit die Ruhe wieder her. Er wandte sich an Dugan.

»Wie können wir helfen, Signore?«

Dugan nickte Richtung Lenkgetriebe. »Der Chief soll die Notfallsteuerung in Betrieb setzen.«

»Der Chefingenieur wird von den Terroristen festgehalten. Der Erste Ingenieur ist hier.« Er winkte den Mann heran, der auf den Hammer gezeigt hatte.

»Si, Commandante.« Der Mann eilte zum Lenkgetriebe.

»Was sonst?«, erkundigte sich der Kapitän.

»Steuern Sie nach backbord. Und« – Dugan wies auf die Maschinenraumtür – »blockieren Sie diese Tür. Vielleicht sollten Sie sie verkeilen. Die Terroristen könnten Sprengstoff …«

Der Kapitän unterbrach ihn. »Signore. Ich schlage vor, dass Sie uns diese Probleme überlassen, während Sie sich darauf konzentrieren, uns am Leben zu halten?«

Dugan nickte beeindruckt.

»Grazie«, bedankte sich der Kapitän und fing an, Befehle zu erteilen. Augenblicklich bildete die Crew eine Kette vor dem Tauverschlag und reichte schwere Seile von Hand zu Hand weiter, um sie vor der Tür aufzutürmen.

Echt klug, dachte Dugan. Das könnte funktionieren.

 

 

Auf dem A-Deck
In der Nähe des Frachtkontrollraumes

 

Aslan deaktivierte seine Sprengfalle und schlich vorsichtig die Treppen zum Triebwerkraum hinunter. Er stand schon beinahe im Raum, als der Granatenkopf gegen die entfernte Schotte schepperte. Erschrocken duckte er sich und sah sich um. Die Granate riss ihm den Kopf ab.

 

 

Lenkgetrieberaum

 

Der Berg voller Taue sah wie ein riesiger Gordischer Knoten aus, der vom Boden bis hoch über den Türrahmen reichte. Eine unüberwindliche Barriere. Borgdanow nickte zufrieden.

»Terroristen müssen jetzt über Deck kommen. Aber wir müssen sie ohne großen Kampf töten.« Borgdanows Gesichtsausdruck verdunkelte sich. »Ich Sorge, dass Kugeln nach vorn gehen und Funken machen werden.«

Dugan nickte. »Ich auch, aber ich habe eine Idee.«

Beim dumpfen Schlag der Explosion im Triebwerkraum zuckten sie zusammen.

»Und da waren es nur noch drei«, sagte Dugan mit grimmiger Freude.

Borgdanow warf ihm einen abschätzenden Blick zu.

»Sie sind kein so dummer Mann, Dyed.« Ohne Spott. »Erzählen Sie mir Idee.«

 

 

Navigationsbrücke

 

»Was ist da explodiert?«, wollte Basaev über das Funkgerät wissen.

»Nichts im Maschinenraum«, berichtete Doku.

»Verstanden, Doku«, bestätigte Basaev. »Aslan, melde dich.«

Nach mehreren Fehlversuchen teilte Basaev den anderen mit: »Aslan ist uns ins Paradies vorangegangen. Doku, wie ist deine Situation?«

»Keine Veränderung. Aber die Tür bewegt sich ein wenig, als ob jemand gegen sie drückt.«

»Verstanden, Doku. Shamil. Gefahren von außerhalb?«

»Nein«, antwortete Shamil, »aber was machen die Ungläubigen?«

»Dumme Spiele spielen, während die Zeit davonläuft. Allah wird bald auf ihre Seelen speien.«

 

 

Maschinenüberwachungsraum
M/T Contessa di Mare

 

Der Schweiß tropfte dem Chefingenieur von der Nase. Er zögerte, da er die Rückkehr des Beduino befürchtete.

Sie sahen nicht wie Araber aus, aber wer sonst würde sich selbst in die Luft jagen? Er konzentrierte sich wieder auf die Arbeit an einer Schraube, die er mittels des Stahlmaßes in seiner Tasche, das die Terroristen übersehen hatten, zu lockern versuchte. Er werkelte mit seinem ungewöhnlichen Schraubenzieher und ermunterte die Schraube in Gedanken, sich zu drehen, bevor die Kante des Maßes sich verbog. Falls er die Halteschiene entfernen konnte, wäre er in der Lage, sich zu befreien.

Trotz ihrer Drohungen ließ er sich nicht beirren. Jeder Cretino konnte sehen, dass die Beduini sowieso beabsichtigten, sie alle hochgehen zu lassen. Der Chefingenieur war kein Idiot. Die Sauerstoffmesser in den Frachttanks zeigten einundzwanzig Prozent an. Die Gebläse liefen im Frischluft-Modus. Niemand würde einen beladenen Tanker in solch einen Zustand versetzen, es sei denn, er beabsichtigte eine Explosion.

Die Schraube gab nach, und er begann mit der nächsten, als er einen dumpfen Schlag vernahm. Würde das die Terroristen zurückbringen, was immer es auch gewesen war? Er unterdrückte seine Angst und arbeitete weiter.

 

 

Hauptdeck, am Heck

 

Dugan sah zwei kräftigen Seeleuten zu, die unter der Aufsicht des Kapitäns eine quadratische Stahlplatte die Treppe hochschleppten. Das verdammte Ding wiegt sicher über zweihundert Pfund, dachte er und hoffte, dass dies keine Zeitverschwendung war.

Die Russen verbargen sich rechts und links hinter der Maschinenverkleidung und beobachteten mithilfe von Handspiegeln den Bug. Freiwillige der Crew gingen am Heck in Deckung. Elf Italiener plus Dugan verteilten sich in sechs Gruppen, bewaffnet mit allem von Werkzeugen bis hin zu faustgroßen Schraubbolzen. Dugan nickte seinem Partner, dem Zweiten Offizier, zu, der sich hinter einen Anlegepoller duckte.

Beim Kreischen von Stahl auf Stahl fuhr Dugan zusammen. Nachdem es ihnen gelungen war, die Stahlplatte auf das Deck zu hieven, zogen die Seeleute sie steuerbord Richtung Reling und lehnten sie gegen ein Schwanenhalsentlüftungsrohr. Einer von ihnen rannte in den Schutz des Maschinengehäuses zurück, der andere ließ sich hinter der Platte fallen, während vor ihm mehrere Kugeln vom Stahl abprallten. Der Mann warf eine Schlinge über die Platte nach vorn, die etwa zwölf Zentimeter über dem Deck auspendelte. Dann sicherte er das Seil um das aufrecht stehende Lüftungsrohr herum und verhinderte damit erfolgreich das Verrutschen der Stahlplatte.

»Tutto pronto, Commandante«, rief der Mann.

»Bravo, Mario«, lobte der Kapitän hinter dem Schutz des Maschinengehäuses hervor. »Uno … Due … Tre … Ora!«

Bei drei tauschten sie so schnell wie möglich die Plätze. Der Kapitän duckte sich hinter der Platte und spähte steuerbord. Er nickte Dugan zu.

Wie zum Teufel will er das Schiff von dort aus steuern?, fragte sich Dugan.

Dugans Gesichtsausdruck veranlasste den Kapitän, auf den Ersten Offizier zu zeigen, der sich neben der Luke für die kleinen Taue hinter der Maschinenverkleidung verbarg. Dugan lächelte.

 

 

Navigationsbrücke

 

»Shamil. Warum hast du geschossen?«, fragte Basaev.

»Die Italiener planen etwas am Heck.«

»Feuere ab und an auf sie. Halte sie zurück. Und sorg dich nicht zu sehr. Der Erfolg ist nahe.«

 

 

Hauptdeck, am Heck

 

Der Alarm war weithin vernehmbar, als der Erste Ingenieur die Steuerung umstellte.

»Tutti pronti, Commandante!«, meldete der Erste Offizier.

Der Kapitän erteilte einen Steuerbefehl, den der Erste Offizier nach unten an den Mann im Kabelraum weitergab, der ihn durch den Drahtverschlag an den Ersten Ingenieur übermittelte.

Die Vibration unter Dugans Füßen veränderte sich, sobald das Ruder griff.

Navigationsbrücke

 

»Ich … Ich … habe nichts getan«, beteuerte der verstörte Steuermann, als Basaev ihm nach dem Ertönen des Alarms die Beretta unter das Kinn drückte.

»Lassen Sie den Jungen in Ruhe«, sagte der Lotse und stellte den Alarm ab.

Basaev drehte sich zu dem Türken um. »Was ist passiert?«

»Offenbar haben sie das Notfallsteuerungssystem aktiviert.«

»Schalten Sie die Steuerung wieder um, oder Sie werden sterben«, fuhr Basaev ihn an, »genau wie Ihre Familie.«

Der Türke zuckte mit den Schultern. »Meine Familie ist auf Urlaub in Zypern. Mir ging schnell auf, dass das eine leere Drohung ist. Und die Russen kontrollieren die Steuerung am Ausgangspunkt. Daran kann ich nichts ändern, selbst wenn ich wollte.«

Basaev verfolgte die Backbordwendung des Bugs und überdachte die Erfolgschancen der Russen. Neben ihm bewegte sich etwas.

»Stopp!« Mit erhobener Pistole brachte er den fliehenden Steuermann zum Stehen. Plötzlich aber wurden Basaevs Arme von hinten umklammert.

»Lauf, Junge!«, rief der Türke, der Basaev fest an sich gepresst hielt, während der Seemann die Brückennock hinunterfloh.

 

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Auf der Brückennock drehte sich Shamil als Reaktion auf die Rufe und Fußtritte hinter sich um. Der junge Seemann raste an ihm vorbei und sprang über die Reling. Allein sich im Wasser ausbreitende Kreise boten Shamil den Beweis, dass der Seemann tatsächlich an ihm vorbeigekommen war. Schüsse veranlassten ihn, ins Ruderhaus zurückzukehren, wo er sah, wie Basaev den in den Bauch geschossenen Türken aufs Deck warf.

»Ein langsamer und schmerzhafter Tod, du Hure der Ungläubigen«, höhnte Basaev. »Leider wird unsere Ankunft im Paradies deine Pein verkürzen. In der verbleibenden Zeit bitte Allah um Erleuchtung.«

Basaev spuckte auf den sterbenden Türken und begab sich auf die Brückennock.

Shamil folgte Basaev nach draußen. »Wer steuert?«

»Die Russen.« Basaev zeigte auf die improvisierte Steuerbrücke und sah dann auf Sultanahmet, das vor ihnen lag. Der Bug war nun auf Atatürks Statue gerichtet.

»Aber warum so vorsichtig?«, dachte er laut. Dann lächelte er. »Ihre Sicht ist eingeschränkt und sie fürchten, dass eine drastische Kursänderung uns auf den ursprünglichen Kurs zurückbringen wird. Uns bleibt also immer noch Zeit, uns um sie zu kümmern. Shamil. Nimm die restlichen Granaten. Triff dich mit Doku. Ihr greift von beiden Seiten her an. Koordiniert euch über das Funkgerät. Vor einem Granatenhagel können sie sich nicht verstecken. Sobald sie sich in das Lenkgetriebehaus zurückgezogen haben, wird es zu ihrem Sarg. Eure Granaten in der geschlossenen Stahlkiste werden sie vernichten. Doku soll den ungläubigen Ingenieur an Deck festsetzen«, fuhr Basaev fort. »Nach eurem Angriff werden wir ihn zwingen, die Steuerung wieder umzulegen oder, falls dazu die Zeit fehlt, von dort aus zu steuern. Ich gebe euch Feuerschutz, um die Ungläubigen zu beschäftigen, während Doku und du eure Positionen einnehmt.«

»Granaten und Kugeln auf dem Hauptdeck werden die Dämpfe zu früh entzünden«, gab Shamil zu bedenken.

»Mit Gottes Hilfe wird der Wind das Heck klären. Und uns bleibt keine Alternative.«

Shamil ging, um die Granaten zu besorgen, während Basaev in sein Funkgerät sprach.

»Doku«, wies Basaev ihn an. »Triff Shamil an Deck. Bring den ungläubigen Ingenieur mit. Shamil wird dir alles erklären.«

»Ja, Khassan.«

Basaev kehrte ins Ruderhaus zurück, um ein Sturmgewehr zu holen. Dort empfingen ihn weitere Alarmgeräusche und aufleuchtende Anzeigen.

»Beim Barte des Propheten. Was ist denn jetzt los?«

 

 

Maschinenkontrollraum

 

Der Chefingenieur lockerte die Schiene und zog den Ring seiner Handschellen über sie. Das schrille Warnsignal, das das Versagen der Steuerung ankündigte, brachte sein Herz zum Rasen. Dann stoppte der Alarm abrupt, und die Kontrolllampen des Leitstands zeigten lokale Steuerkontrolle an. Seine Schiffskollegen.

Er hielt inne und überlegte, wie sein Plan, das Schiff lahmzulegen, seine Schiffskameraden beeinträchtigen würde. Und ihm fehlte immer noch die Eingebung, wie er die Beduini anlocken und dann an ihnen vorbei entkommen konnte.

Er stellte die Gebläse zu den Frachttanks hin ab und zerstörte alle Regler mit einem Feuerlöscher, den er vom Schott gerissen hatte. An der Konsole stellte er die Motoren ab und schwang den Feuerlöscher in einem Bogen gegen den hochstehenden Hebel, was den Feuerlöscher stark verbog und das Schutzgehäuse der Anzeige zerstörte. Sekunden später duckte er sich im Maschinenraum und beobachtete das Kontrollraumfenster.

 

 

Hauptdeck, achtern

 

Beim Blick über die Steuerbordseite auf die offene See hinaus sah der Kapitän, wie der Steuermann elegant ins Wasser eintauchte. Sekunden später kam er direkt neben dem Heck wieder an die Oberfläche.

»Bravo, Salvatore!«, rief er aus und wurde mit einer erhobenen Faust belohnt.

»Martucci è sfuggito!«, schrie der Kapitän auf die Jubelschreie der Crew hin.

 

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»Was war denn das?«, erkundigte sich Dugan. Borgdanow hatte weiterhin mit seinem Spiegel den Bug im Auge.

Der Russe drehte sich nicht um. »Ihr Kamerad ist von Brücke entkommen.«

»Gut«, nickte Dugan geistesabwesend. »Wann werden sie kommen?«

»Bald, Dyed. Sie sollen in Position gehen.«

Dugan rührte sich nicht.

»Denken Sie daran. Lassen Sie den Stift drin.«

»Zwar Ihr Plan, Dyed, aber ich kein Idiot«, rügte Borgdanow ihn, Augen auf den Spiegel. »Sie suchen Deckung«, wiederholte der Russe.

Dugan nickte und verschwand hinter einem Tanklüftungsschacht, der allerdings nur wenig Deckung bot. Er ging in die Knie, fühlte das Vibrieren der starken Motoren unter sich und wünschte sich, die Terroristen würden bald erscheinen. Er rieb sich sein verletztes Bein. Plötzlich stoppte die Vibration.

»Mittschiffs!«, rief der Kapitän und passte sich dem Stopp der Maschine mit einer schnellen Folge von Befehlen an. Seine Anordnungen wechselten zwischen Mittschiffs und einem vorsichtigen linken Seitenruder ab, was den Bug weiter nach Backbord manövrierte, ohne dass sie an Geschwindigkeit verloren. Der Mann weiß, was er tut, dachte Dugan.

 

 

Navigationsbrücke, M/T Contessa di Mare
Einen Kilometer vor Sultanahmet

 

»Er ist weg«, ließ Doku ihn wissen. »Er hat alles gestoppt und die Kontrollanlage unbrauchbar gemacht!«

Basaev konnte sehen, wie sich der Bug backbord drehte. Die Geschwindigkeit lag bei sechs Knoten und verringerte sich beständig.

»Was soll ich tun?«, wollte Doku wissen.

»Lass ihn. Triff Shamil auf dem Hauptdeck. Entferne alle Sprengladungen im Maschinenraum, außer der an der Tür zum Lenkgetriebe, und bring sie mit.«

»Khassan«, unterbrach ihn Shamils Stimme. »Wie können wir die Steuerung ohne den ungläubigen Ingenieur umstellen?«

»Indem wir die anderen töten und das Seitenruder hart nach rechts drehen; das kann nicht schwierig sein. Allah hat uns ein Ziel beschert, dass wir nicht verfehlen können. Melde dich, wenn du so weit bist, nach achtern zu gehen.«



Hauptdeck, achtern
M/T Contessa di Mare
700 Meter nördlich von Sultanahmet

 

Dugan kauerte sich nieder, als automatisches Waffenfeuer das Heck auf der Steuerbordseite überzog. Abrupt hielt der Beschuss inne. Er verspannte sich, als er den Zwei-Noten-Pfiff »Es geht los« von Borgdanow hörte.

 

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Borgdanow war begeistert. Die Angriffsroute der Terroristen war leicht zu durchschauen. Außentreppen ragten an beiden Seiten der Maschinenverkleidung hoch und schützten damit die dahinterliegenden Schotten vor dem Einblick der Russen. Das würden die Terroristen nutzen, um sich auf beiden Seiten entlang der Schotten anzuschleichen und nahe den Stufen ihren Angriff zu koordinieren. Darauf zählte er. Tatsächlich war von dieser Annahme alles abhängig. Allein die Frage nach dem ›Wann‹ hatte ihm zugesetzt. Jetzt hatte er seine Antwort.

Die Schüsse steuerbord waren offensichtlich dazu gedacht, ihre Köpfe unten zu halten, während sich von dieser Seite aus einer der Terroristen näherte. Der dritte Fanatiker würde dem backbordseitigen Angreifer ebenfalls Feuerschutz geben. Und sobald das vorbei war, waren beide Attentäter in Position.

Borgdanow lächelte. Und dann die Überraschung.

Als der Beschuss steuerbord stoppte, sah Borgdanow seinen Sergeant an. Der nickte. Leise pfiff Borgdanow den anderen zu. Mit einer Granate in der Hand lehnte er sich zurück.

 

 

Steuerbord, hinteres Brückendeck

 

»Doku«, informierte Basaev ihn. »Shamil ist vor Ort. Du bist dran. Ich gebe dir Deckung.«

»Jawohl, Khassan«, erklärte Doku und bereitete sich auf seinen Spurt nach achtern vor.

 

 

Hauptdeck, achtern
M/T Contessa di Mare
500 Meter nördlich von Sultanahmet

 

»Los!«, schrie Borgdanow, sobald die Waffe vom Bug her schwieg. Die Russen warfen Granaten, Stifte intakt, auf das Deck, direkt vor die Verstecke der Terroristen. Den Tod zu ihren Füßen und ohne Möglichkeit, sich zurückzuziehen, gaben die Tschetschenen ihre Deckung auf. Im gleichen Augenblick wurden Dugan und die Crew aktiv. Mit aller Kraft stieß jeder der Männer einen Schrei aus, lief ungedeckt ins Freie, ließ seine Geschosse hageln und tauschte dann mit seinem Partner die Seite.

Die Vielzahl der Gegner lähmte die Angreifer, ebenso der Aufprall um sie herum von etwas, was sie für Granaten hielten. Aus halber Deckung erledigten die Russen die verwirrten Tschetschenen mit einfachen Dreierschüssen. Als sich Basaev einen Augenblick später steuerbord auf der Brückennock zeigte, brachte ihn ein Schuss von Borgdanow zum Stolpern und trieb ihn zurück.

Die Italiener versammelten sich jubelnd, bevor der Kapitän sie zum Schweigen brachte. Lächelnd sah er steuerbord auf den sich erweiternden Horizont des offenen Meeres hinaus.

»Paulo«, rief er dem Zweiten Offizier zu. »La zattera! Subito! Das Rettungsboot – schnell.«

Der Mann befolgte die Anordnung. Der Kapitän gab dem Ersten Ingenieur weitere Anweisungen und trat dann an Dugans Seite.

»Ich denke, wir werden die Landspitze verfehlen. Die Strömung ist trickreich, aber mehr können wir nicht tun. Ich erteilte den Befehl, das Seitenruder mittschiffs festzustellen, und …«

»Commandante«, sprach ihn der Erste Offizier an. »Il capo macchinista viene.«

Der Chefingenieur kam um die Ecke. Die Handschellen lagen weiter um seine Gelenke.

»Bravo, Directore«, lobte der Kapitän und umarmte den Ingenieur. Dann zeigte er nach achtern, wo der Erste Offizier die Namen der Männer notierte, die über Bord sprangen und auf das auf dem Wasser hüpfende Rettungsboot zuschwammen.

Der Kapitän wandte sich erneut an Dugan. »Falls der Beduino lebt, wird er das Schiff hochgehen lassen. Wir sollten gehen, Signori.« Dugan nickte und sah dem Kapitän neidisch zu, wie er seinen Männern über Bord folgte.

Dugan wandte sich an Borgdanow. »Denken Sie, er lebt noch?«

Borgdanow zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn getroffen. Wie schwer, weiß ich nicht.«

Dugan duckte sich hinter der improvisierten italienischen Steueranlage. Er sah auf Sultanahmet hinüber und versuchte, die Schiffsgeschwindigkeit einzuschätzen. Dann zog er sich wieder zu den Russen zurück.

»Schwer zu sagen, wie nahe wir der Landzunge kommen. Aber ich schätze, innerhalb der nächsten fünf Minuten werden wir ihr am nächsten sein. Falls das Arschloch noch lebt und die Explosion auslösen kann, wird er es dann tun. Am besten kann er die Distanz wohl von der Brückennock steuerbord einschätzen.«

»Gut, Dyed«, nickte Borgdanow, schon zur Steuerbordseite unterwegs. »Wir gehen.«

»Moment«, warnte Dugan. »Die Steuerbordtreppen sind zu gefährlich. Nehmen Sie die Backbordtreppen hoch zum Brückendeck. Dann können Sie durch oder um das Steuerhaus herum angreifen.«

Borgdanow nickte und unterrichtete den Sergeant auf Russisch. Der Sergeant rannte geduckt entlang der Backbordseite los, dicht gefolgt von Dugan.

 

 

Steuerbord, hinteres Brückendeck
M/T Contessa di Mare
300 Meter nördlich von Sultanahmet

 

Basaevs Kopf schmerzte dort, wo die russische Kugel ihn gestreift hatte. Er wischte sich das Blut aus den Augen und kroch auf dem Bauch in den hinteren Teil der Brückennock, um über sie hinauszusehen. Das Deck war leer. Allein Shamils Leiche lag dort. Schaum markierte die Wellen hinter einem Rettungsboot, das hinter dem Tanker Italiener in sich aufnahm. Wo waren die Russen?

Er wusste es. Sie kamen. Sie kamen immer.

Basaev studierte die jetzt geradeaus laufende Spur des Schaums, die den Wellengang anzeigte. Vorsichtig erhob er sich und sah auf Sultanahmet hinüber. Gedanklich verband er die beiden Linien. Der Bug zeigte auf das Meer hinaus, aber die Strömung schob das Schiff steuerbord. Vielleicht konnte es doch noch das Land streifen. So Gott es wollte, würde er Erfolg haben. Solange er nur die Russen in Schach halten konnte.

Er stellte das Sturmgewehr auf Einzelschussmodus und rannte backbord zur Laufbrücke hinter dem Steuerhaus. Dort schoss er mit nach unten gerichteter Waffe in schneller Folge die Metallbefestigungen ab, die den Aluminiumgitterrost sicherten. Dann riss er Teile des Rostes hoch und warf sie scheppernd weit unten auf ein Deck hinunter. In weniger als einer Minute hatte er einen breiten Abgrund hinter dem Steuerhaus geschaffen. Damit war der Zugang zur Brückennock steuerbord und zur einzigen Leiter, die hoch zum Steuerhaus führte, blockiert.

Als Nächstes warf er backbord die schwere Schiebetür des Steuerhauses zu und verriegelte sie. Nun konnten sie ihn weder durch noch über noch um das Steuerhaus herum steuerbord auf der Brückennock erreichen. Die Außentüren des Deckshauses als auch die Türen zum zentralen Treppenhaus waren auf den höheren Ebenen noch mit Sprengladungen versehen. Und falls sie steuerbord versuchen sollten, die externen Stufen hochzukommen, boten sie ihm ein leichtes Ziel, auf das er durch die offenen Tritte der Treppe hindurch schießen konnte. Dort konnte er sie eine gute Stunde in Schach halten. Er würde nur Minuten brauchen.

Basaev positionierte sich am oberen Absatz der Treppe. Sein Gesicht war dem Land zugewandt, sein Rücken dem Steuerhaus. Seine Augen wanderten zwischen dem Treppenaufgang und dem bevölkerten Landstrich hin und her, während Sultanahmet immer näher kam.

 

 

Hauptdeck
Backbordseite des Deckshauses
M/T Contessa di Mare
160 Meter von Sultanahmet entfernt

 

Beim Klang von Schüssen, gefolgt von einem metallischen Klingeln hinter dem Deckshaus, fuhr Dugan zusammen.

»Okay, offensichtlich lebt er noch.«

»Was macht der Irre?«

Borgdanow hörte, wie sich die Schiebetür zwei Decks über ihnen hart schloss.

»Er bereitet sich auf uns vor. Vielleicht ist es Zeit für Plan B. Versuchen wir die Stufen im Innern.«

Borgdanow nickte und ließ einen Schwall Russisch ab. Der Sergeant schlich sich zur Deckshaustür und öffnete sie sehr langsam.

Stockstill zeigte er auf einen dünnen Draht im schmalen Bereich der offenen Tür.

Borgdanow fluchte. »Sprengstofffalle.«

»Können Sie den Draht nicht durchtrennen? Sie entschärfen?«

»Da, aber man muss vorsichtig sein. Und wo eine ist, sind mehr. Keine Zeit. Müssen jetzt los. Sofort«, bestimmt er und folgte den äußeren Stufen nach oben.

 

 

Die Brückennock, Steuerbord
M/T Contessa di Mare
Sultanahmet, 33 Meter vom Ufer entfernt

 

Die Menschenmenge zeigte auf das sich nähernde Schiff. Die Anwohner waren seit Langem daran gewöhnt, die Schiffe so nahe zu erleben, und die Touristen folgten ihrem Beispiel. Basaevs Hoffnung, auf Grund zu laufen, erlosch jedoch kläglich, als das Wasser, das zwischen Ufer und Schiffsrumpf gefangen war, den Tanker abfederte und ihn zum Ausscheren veranlasste.

Basaev hob den Zünder hoch. Einige in der Menge missdeuteten dies als ein Winken, aber diejenigen, die ganz vorn standen, sahen das blutige Gesicht und die Waffe und versuchten sich noch ihren Weg durch die Menge nach hinten zu bannen, als sein Schrei ertönte.

«Aallaaahuuu Aak…«

Basaevs Handgelenk schlug gegen die Reling. Der Zünder fiel über Bord. Der Lotse rollte von seinem Arm hinunter zurück aufs Deck und beendete lächelnd Basaevs Ausruf: »Akbar.«

»Was hast du getan, du Exkrement des Satans?«

»Wie … vorgeschlagen … Allah angefleht. Um … um … Stärke gebeten, einen Mörder zu stoppen … in Seinem Namen.«

Außer sich vor Zorn feuerte Basaev so lange in das Gesicht des Türken, bis es kein Gesicht mehr gab. Er sah auf die Landzunge zurück und verfolgte, wie sich der Abstand vergrößerte, während am Ufer die Fliehenden auf die Unbedarften trafen, die sich nach vorn drängten, um eine bessere Sicht zu bekommen. Er wollte nach einer Granate greifen, erinnerte sich dann aber, das Shamil sie alle mitgenommen hatte. Also eilte er vorwärts und lehnte sich über den Windschutz hinaus, um das Hauptdeck mit Kugeln zu übersäen. Er lächelte den Funken zu, die seine Salven im Rohrlabyrinth entfachten, so lange, bis seine Waffe verstummte. Er hatte sein Magazin an den Türken verschwendet.

 

 

Brückennock, Steuerbord

 

Dugan erreichte die backbordseitige Brückennock unmittelbar hinter dem Russen, gerade als Maschinengewehrfeuer auf der Brückennock gegenüber ertönte. Durch das Seitenfenster des Steuerhauses sahen sie, wie der Terrorist wild auf etwas zu seinen Füßen schoss. Sie duckten sich, bevor er sie sehen konnte, und der Sergeant rannte nach vorn. Er versuchte die Schiebetür ins Steuerhaus zu öffnen, drehte sich dann aber zu Borgdanow um und schüttelte den Kopf.

Borgdanow nickte und rannte nach hinten, die anderen dicht auf seinen Fersen. Sie umrundeten das Steuerhaus und hielten abrupt vor dem weiten Loch inne, das einst ein Catwalk war.

Erneutes Waffenfeuer brach aus, als sie an ihren Ausgangspunkt zurückkehrten. Sie beobachteten, wie sich der Terrorist über die Windabdeckung lehnte und das Hauptdeck mit einem Kugelhagel überzog.

»Mein Gott. Er wird die Dämpfe entzünden. Erschießen Sie den Bastard durchs Fenster!«, schrie Dugan.

Dugan zog sich vom Fenster zurück, während die Russen in voller Automatik das Feuer aus ihren Maschinengewehren auf den Terroristen eröffneten. Die Brückenfenster bestanden aus laminiertem, doppeltverglastem und verstärktem Sekuritglas, das Orkanwinden trotzte. Unter dem Kugelhagel zersplitterte das Glas backbord in ein Spinnennetz. Die Kugeln durchquerten das Steuerhaus und trafen mit dem gleichen Ergebnis auf das Glas gegenüber. Von diesem Effekt abgelenkt, schossen die Russen einfach wahllos weiter. Das von Kugeln zerstörte Glas hing aber weiter widerspenstig im Rahmen und verwehrte ihnen die Sicht auf ihr Ziel.

 

 

Steuerbord, Brückennock
M/T Contessa di Mare
Das Marmarameer
330 Meter südlich von Sultanahmet

 

Basaev griff in seine Tasche, fand aber kein volles Magazin mehr. Dann griff er nach seiner Beretta, während er den ungläubigen Ingenieur verfluchte, der die Gebläse gestoppt hatte. Der Wind hatte die Dämpfe verteilt, und die noch existierenden, unsichtbaren Nester zu treffen war reines Glücksspiel. Er feuerte methodisch und platzierte seine Schüsse nun um die am nächsten gelegene Frachttanköffnung herum, in der Hoffnung, die Dämpfe doch noch zu entzünden.

Basaev zuckte zurück, als durch das Brückenfenster ein wahrer Kugelhagel eindrang. Glasteilchen übersäten seinen Hals und eine Gesichtshälfte. Aber keine der Kugeln fand ihr Ziel. Ungeachtet der Bedrohung, die von den Russen ausging, nahm er sein bedächtiges Schießen wieder auf.

 

 

Backbord, Brückennock

 

»Ich brauche klares Ziel«, sagte Borgdanow. Er und der Sergeant luden neue Magazine nach, während sich das Feuer steuerbord ungehindert fortsetzte. Borgdanow rief dem Sergeant Instruktionen zu. Der konzentrierte seinen Beschuss auf die Rahmen der Fenster, während Borgdanow abwartete. Innerhalb weniger Sekunden fiel das Glas aus dem Backbordfenster, und kurz danach dann auch aus dem Steuerbordfenster. Borgdanow feuerte einen Dreierschuss. Der Terrorist zuckte zusammen und fiel unterhalb der Öffnung des Fensters außer Sicht.

Dugan wurde von Erleichterung überflutet, die sich schnell legte, als er nach vorne sah. Sie waren aus der Meerenge heraus, außerhalb der Einfahrtsrinne in den Kanal, bewegten sich jetzt aber mit drei Knoten Geschwindigkeit auf die Ankerreede zu, die voller Schiffe war, die auf einen Lotsen warteten. Er sah nach achtern. Sie waren weit genug von Sultanahmet und seinem Touristentrubel entfernt. Als er die Russen hörte, drehte er sich um und sah, wie der Sergeant sich durch das zerstörte Fenster drängen wollte.

»Halt«, rief er. »Wo zum Teufel will er denn hin?«

»Ilja geht, um Terrorist zu checken«, erklärte Borgdanow.

»Keine Zeit«, zeigte ihm Dugan. »In zwei Minuten werden wir auf eines dieser Schiffe auffahren. Das wird mehr als genug Funken geben. In ihrem Zustand geht sie dann zweifelsfrei hoch. Und wir müssen dann so weit wie möglich von ihr weg sein.«

»Aber Terrorist …«

»Lassen Sie ihn. Wir sind an Sultanahmet vorbei und haben einer enormen Anzahl von Menschen das Leben gerettet. Selbst wenn sie jetzt hochgeht, wird sie den Kanal nicht blockieren. Wir haben keinen Antrieb, keine Steuerung und keine Zeit. Wenn wir hier bleiben, sind wir tot. So einfach ist das.«

Der Russe zögerte, während Dugan über die Reling hinweg die Tiefe ihres möglichen Falls ins Wasser studierte. Er verwarf diese Idee und eilte Richtung Stufen.

»Aber wir müssen was tun«, warf Borgdanow ein.

»Oh ja«, bestätigte Dugan auf dem Weg die Treppe hinunter. Der Adrenalinstoß ließ ihn sein verletztes Bein vergessen. »Rennen Sie, als sei der Teufel hinter Ihnen her.«

So schnell wie ihn seine Beine trugen, stürzte er nach unten. Hinter ihm hörte er die Stimmen der Russen, die einen lautstarken Disput auszutragen schienen. Auf halbem Weg zum Hauptdeck hörte er schnelle russische Stiefel über sich, die ihm die Stahlstufen hinunter nacheilten.

 

 

Steuerbord, Brückennock
M/T Contessa di Mare

 

Basaev lag in einer Blutlache auf dem Rücken, die Beretta im beidhändigen Griff auf das Fenster gerichtet. Der russische Abschaum würde bald erscheinen, und er dankte Allah, dem Gnädigen, für die Gelegenheit, noch einen von ihnen zur Hölle schicken zu dürfen, bevor er starb.

Aber sie kamen nicht. Stattdessen hörte er ihre Rufe durch die zerstörten Fenster, gefolgt vom Geräusch schwerer Stiefel auf Stahlstufen, zunächst laut, dann leiser werdend. Er lächelte. Der Abschaum war am Fliehen. Er schob sich die Pistole in den Hosenbund und griff nach dem Handgriff unter der Windabdeckung.

Beim Hochziehen verbiss er sich die Schmerzen.

 

 

Hauptdeck, Backbord

 

Dugan krabbelte bereits über die Reling, als die Russen das Hauptdeck erreichten. Er wartete und rief ihnen zu, sich zu beeilen.

»Warten Sie, Dyed!«, schrie Borgdanow ihm beim Anlauf auf die Reling zu.

Von wegen warten, Ivan, mein Einsatz ist beendet, dachte Dugan und ließ sich fallen.

Er traf mit den Füßen zuerst auf das Wasser auf und tauchte tief ein, spreizte die Arme im langsamen Aufstieg und stieß sich dann nach oben. Er kam nur langsam voran und sank sofort wieder nach unten, sobald er nur ein wenig nachließ. Die kugelsichere Weste. Er trat hart, riss sich den Helm ab und suchte die Weste nach den Klettverschlüssen ab. Er fand einen und riss ihn auf, um die Weste abzustreifen. Trotz seines verzweifelten Wassertretens sank er schnell. Keine Zeit, dachte er und tauchte nach unten, um die Weste mit Hilfe der Schwerkraft wie ein T-Shirt auszuziehen. Seine Hoffnung stieg, als sie ihm über den Kopf rutschte. Die verwandelte sich aber schnell in Panik, als die Weste seine Arme fesselte.

Seine Lungen standen kurz vor dem Platzen und Eispickel hämmerten auf seine Ohren ein, als er sich endlich freikämpfen konnte, um mit kräftigen Schlägen an die Oberfläche zu schwimmen. Aber er war zu tief unten, zu müde und zu alt. Unfähig, den Atemreflex zurückzuhalten, schluckte er Wasser. Sein Kehlkopf verkrampfte und schloss sich. Seine Panik verging, beinahe so, als ob er desinteressiert von einem sicheren Ort aus zusehen würde. Sein Leben spulte sich nicht vor seinen Augen ab, genauso wenig konnte er ein weißes Licht sehen. Da war allein die wachsende Dunkelheit, unterbrochen von einem letzten, bewussten Gedanken.

Himmel, Dugan. Welch schwachsinnige Art zu sterben.

 

 

Steuerbord, Brückennock

 

Basaev lehnte sich gegen den Windschutz und starrte auf Sultanahmet zurück, ein mehrfarbiger Teppich mit undeutlichen Details. Er war nun ruhig, akzeptierte den Willen Allahs. Hatte der Türke recht gehabt?, fragte er sich nun. War der Hass sein Glaube? Er fühlte sich erschöpft. Die Beretta lag ihm schwer in der Hand, als er sich umdrehte und über den Windschutz hinaus auf die Luke des nächsten Frachttanks zielte.

»Allahu Akbar«, seufzte er sanft und feuerte. Die Waffe schlug in seiner Hand zurück. Er ließ sie fallen, sah ihr zu, wie sie nach unten auf das Deck fiel, beinahe wie in Zeitlupe. Ihren Aufschlag zu sehen blieb ihm versagt, da er endlich sein Ziel erreicht hatte. Eine große Explosion schüttelte das Schiff, warf seinen zerschundenen Körper gen Himmel und erlöste ihn von den Schmerzen in seinem Herzen. War das nicht tatsächlich das Paradies?