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M/T Contessa di Mare
Im Schwarzen Meer
Nördlich des Turkeli-Leuchtturms

 

Der Tag brach an und Basaev konnte sehen, wie sich Radarpunkte in Schiffe verwandelten, die sich dem Bosporus näherten. Auf der Brückennock zog sich sein Magen beim Anblick des Tankers, der sie überholte, zusammen. Ein Mitbewerber um den ersten, nach Süden führenden Platz. Eine Stelle, die er einnehmen musste, um sein Ziel genau dann zu erreichen, wenn es von ungläubigen Touristen und hündischen Türken nur so wimmeln würde.

Bevor die Türken 1994 im Alleingang anfingen, den zunehmenden Tankerverkehr zu regulieren, war die Passage durch den Bosporus »ohne Verzögerung oder Beschränkung« jahrzehntelang garantiert. Obwohl ihre nördlichen Nachbarn immer noch protestierten, drängten viele Türken auf ein totales Verbot von Tankern. Westeuropa, das nach russischem Öl hungerte, verhielt sich neutral. Ein Kompromiss entwickelte sich. Die Anliegerstaaten am Schwarzen Meer weigerten sich, die türkischen Regeln zu akzeptieren, befolgten sie aber dennoch, und die Türken ließen die Tanker, die den Anordnungen folgten, passieren. Ein Kompromiss, den Basaev, so Gott wollte, beenden würde. Er ging zum Funkgerät.

»Turkeli-Kontrolle, hier spricht die Contessa di Mare. Ende.«

»Sprechen Sie, Contessa di Mare

»Unsere erwartete Ankunftszeit ist sieben Uhr früh. Wir erbitten die Genehmigung zur Durchfahrt. Ende.«

»Sie sind früh«, kam die Antwort, »Ihr Vierundzwanzig-Stunden-Ber…«

»Kontrolle, hier spricht der Tanker Svirstroy«, sagte eine russische Stimme. »Die Contessa befindet sich nicht am Meldepunkt. Wir werden vor ihr ankommen und den ersten Platz beanspruchen. Ende.«

»Contessa, hier spricht Kontrolle. Sie sind für den Transit freigegeben. Sie erreichen die Kavak-Lotsen auf Kanal einundsiebzig. In der Passage benutzen Sie zwölf, aber wechseln Sie am Anadolu-Leuchtturm auf dreizehn. Ende.«

»Kontrolle, Contessa di Mare hier. Ich verstehe und werde …«

»Svirstroy an Kontrolle. Ich protestiere. Wir waren eindeu…«

»Kontrolle an Svirstroy. Setzen Sie den Anker. Sie sind als Nächstes dran. Vorausgesetzt, Sie befolgen die Anweisungen.«

Basaev lächelte. »Danke, Kontrolle. Contessa di Mare, Ende.«

»Sichere Durchfahrt, Captain. Turkeli-Kontrolle Ende.«

 

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Basaev beobachtete von der Brückennock aus, wie der Lotse an Bord kletterte und dann im Ruderhaus auf Shamil wartete, der als Dritter Offizier verkleidet den Lotsen nach oben begleiten würde. Er sah auf den Steuermann. Der junge Italiener verhielt sich wie der Chefingenieur im Maschinenkontrollraum. Ihm war klar, dass der kleinste Fehler den Tod seiner Schiffskameraden bedeuten konnte.

Der Lotse trat ein, stellte sich vor und reichte sowohl Basaev als auch Shamil seine Visitenkarte. Shamil begab sich unter dem Vorwand in den Kartenraum, den Namen des Mannes in das Logbuch einzutragen. Basaev blieb bei dem Lotsen, um eine Transit-Checkliste durchzugehen.

Im Kartenraum gab Shamil den Namen des Lotsen in einen Laptop ein, den ihnen die Iraner zur Verfügung gestellt hatten. Lächelnd druckte er die Information aus, zog eine Pistole aus der Schublade und trat hinter dem Lotsen auf die Brücke. Er presste die Waffe gegen den Hinterkopf des Mannes.

»Das ist eine Waffe, Captain«, informierte ihn Shamil. »Hände hoch, langsam.«

Der Lotse gehorchte. Basaev nahm ihm sein Funkgerät und sein Handy ab. Dann überreichte Shamil Basaev die Information.

»Sehr gut, Captain … Akkaya«, bestätigte Basaev beim Blick auf die Seiten. »Und Ihre Frau und Ihre Tochter sind wunderschön.« Er zeigte ihm die Fotos.

»Shamil hat einen Anruf getätigt«, log Basaev. »Unsere Kollegen an Land werden Ihre Familie besuchen. Ihre Sicherheit liegt in Ihren Händen. Werden Sie kooperieren?«

Kreidebleich nickte der Lotse. Basaev zeigte ihm an, er könne die Hände herunternehmen.

»Also gut.« Basaev sprach Türkisch. »Verfahren und berichten Sie wie gewöhnlich. Keine Tricks. Ich spreche Ihre Sprache.« Der Mann nickte.

»Gut, Captain Akkaya, Sie haben die Brücke.«

Der Lotse übernahm, und Basaev hob das Konsolentelefon an.

»Maschinenraum«, meldete sich Aslan.

»Aslan. Stell die Gebläse an.«

 

 

Im Flug über dem Schwarzen Meer
Nahe dem Bosporus

 

Dugan sah auf die türkische Küste hinunter, als eine Welle von aufgeregtem Russisch über seine Kopfhörer dröhnte, gefolgt von einem dreiseitigen Austausch zwischen Borgdanow und den Hubschrauberpiloten. Endlich sah Borgdanow besorgt auf den anderen Helikopter hinüber und gab ein resigniertes »da« von sich. Der andere Hubschrauber drehte auf die offene See hin ab.

»Was ist denn?«, fragte Dugan.

»Niedriger Treibstoff-Alarm beim anderen Hubschrauber. Nur noch zwanzig Minuten Flugzeit. Wird den Bosporus nicht mit uns erreichen.«

Verwirrt sah Dugan auf die nahe Küste. »Warum fliegt er dann auf das Meer hinaus?«

»Er hat keinen Amerikaner«, erklärte der Russe. »Wäre großes Problem, wenn er landet in Türkei. Ich sage ihm, er soll weit in See rausfliegen, sicher sein, dass er in internationalen Wassern ist. Er hat Zeit genug, hinzukommen und zu schweben, während Crew das Rettungsboot ablässt. Dann wird er notwassern. Ein Boot ist schon auf Weg, um Männer abzuholen.«

Dugan war immer noch verwirrt. »Warum hat er weniger Treibstoff als wir?«

»Weil er Minuten am Treffpunkt schwebte, während wir Sie einsammelten. Und ein primäres Angriffsteam hat eine schwerere Ladung – fünf Männer mehr, mit ihren Waffen. Meist macht das kaum Unterschied, aber mit dem Wind …« Der Russe sprach wieder in sein Mikrofon, und Dugan sah den Piloten bestätigend nicken. Der Hubschrauber senkte sich und näherte sich knapp über der Wasseroberfläche der türkischen Küste.

»Türkischer Radar wird uns bald entdecken«, sagte der Russe, »aber wir fliegen niedrig, um zu verzögern. Sie an Bord, also landen wir, falls nötig.« Er lächelte. »Angenommen, Türken schießen uns nicht erst ab und fragen dann.«

 

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Zehn Minuten später, als Dugan zur Linken die türkische Küste vorbeirasen sah, folgte einem ohrenbetäubenden Alarm ein weiterer russischer Redeschwall in seinem Kopfhörer.

»Treibstoffalarm«, erklärte Borgdanow. »Pilot sagt, zwanzig Minuten, nicht mehr.«

»Landen wir?«

»Njet. Wir sind nah dran. Werden die Mission beenden.«

Beim Anblick von Dugans besorgtem Gesicht lächelte er.

»Keine Sorgen machen, Dyed«, tröstete er ihn. »Immer diese Piloten übertreiben Gefahr.«

Gerade wollte Dugan dies anzweifeln, als sein Telefon vibrierte.

»Jesse. Gott sei Dank. Reden Sie.«

»Ich rief die Türken direkt an. Der Bosporus-Lotse ging vor einer Stunde an Bord. Ein türkisches Küstenwachboot nähert sich, aber ein Hubschraubereinsatz braucht seine Zeit. Ich informierte die Türken, dass die Russen im Anflug sind. Sie wollen Ihre Hilfe.«

»Vor einer Stunde? Sie müssen bereits halbwegs durch die Passage sein. Was ist denn nun das verdammte Ziel?«

»Braun gab es eben preis. Sultanahmet, zwischen dem Atatürk-Platz und dem Eminönü-Fährenterminal.«

Sultanahmet, ein beengter Platz voller Attraktionen – der Topkapi-Palast, die Atatürk-Statue, der Große Bazar, die Sultanahmet-Moschee – alle angesiedelt um das belebte Fährenterminal herum, und an einem schönen Sommermorgen sicher stark besucht.

»Haben die Russen einen Plan?«, wollte Ward wissen.

»Ja. Für das Abfangen auf hoher See. Und was jetzt?«, fragte Dugan, während der Treibstoffalarm erneut losging.

 

 

Im Flug
Über dem nördlichen Teil der Bosporus-Passage

 

Dugan konzentrierte sich nach dem Überflug der Fatih-Mehmet-Brücke nach vorn.

»Da«, zeigte Dugan. »Bleiben Sie hoch und schweben Sie.«

Südlich, beinahe schon an der ersten Bosporus-Brücke, lag ein Tanker mit einem grünen Rumpf und dem Besitzernamen Barbiero in weißen Buchstaben an seiner Seite. Ein Boot näherte sich der Lotsenleiter auf der Steuerbordseite des Schiffes. Eine Person erschien auf der Brückennock, die etwas bei sich trug.

»Panzerfaust«, stellte Borgdanow fest, als das Boot in einem Feuerball hochging. Dugan saß da wie betäubt. Der Russe schüttelte ihn am Arm.

»Dugan. Ich fragte, wie lange bis Ziel?«

Dugan sah an der ersten Bosporus-Brücke vorbei in Richtung Topkapi-Palast und kalkulierte kurz.

»Die volle Hafengeschwindigkeit von acht Knoten vorausgesetzt, wird sie die Brücke in zehn Minuten passieren. Dann vielleicht noch fünfundzwanzig bis zum Ziel. Haben Sie einen Plan?«

Borgdanow schüttelte den Kopf. »Nur, dass wir an Bord abseilen und versuchen, Fanatiker zu töten. Wenn nicht töten können, lösen wir Explosion aus und springen ins Wasser. Einige Leute sterben, aber vielleicht nicht so viele.«

»Was ist mit den Granatwerfern?«

»Ich glaube, kein Problem. Wie weit vom Brückendeck bis Bug von Schiff?«

»Vierhundertfünfzig, vielleicht vierhundertsechzig Fuß, mehr oder weniger …«

»Njet. In Metern, Dugan. In Metern.«

»Tut mir leid«, sagte Dugan. »Circa einhundertvierzig Meter. Warum?«

»Weil Panzerfaust nur auf achtzig Meter akkurat ist. Das lernten wir in Afghanistan, wo unsere Hubschrauber keine Probleme hatten, bis Amerikaner den Ungeheuern Stingerraketen gaben.«

Er starrte ihn an und fuhr dann fort. »Diese Barbaren werden nicht riskieren, Schiff mit wildem Panzerfaustschuss über Deck so nahe vor totalem Erfolg in die Luft zu jagen. Wir fliegen großen Kreis, verstecken uns hinter Brücke und überraschen sie mit Sprung auf Bug des Schiffes. Danach?« Er zuckte die Schultern.

Toller Plan, dachte Dugan. Der Treibstoffalarm schlug wieder an.

 

 

Schwebend
Südlich der ersten Bosporus-Brücke

 

Der Alarm tönte weiter, während sie hinter dem Pfeiler schwebten.

»Werden sie angreifen, sobald Sie entern?«, fragte Dugan.

Borgdanow sah von seinen Vorbereitungen hoch. »Njet. Sie wissen, wir müssen zu ihnen kommen. Zwei werden sicher Maschinenraum verteidigen und zwei auf der Brücke. Vielleicht einige versteckte Sprengladungen.« Er hob die Augenbrauen an. »Sie haben Idee, Dyed?«

»Sultanahmet liegt am südlichen Passageneingang. Sie könnten die Schiffsbrücke auf Notfallsteuerung umstellen und den Kurs des Schiffs in das Marmarameer umleiten.«

Borgdanow sah ihn zweifelnd an. »Terroristen stoppen den Motor.«

»Aber dann befindet sie sich schon auf ihrem neuem Kurs. Ein beladener Tanker ist nicht so schnell zu stoppen.«

Borgdanow zögerte. »Wir kennen uns mit Steuereinheit dort nicht aus, Dyed. Dafür müssen Sie kommen. Sie tun das?«

Vor seinem geistigen Auge sah Dugan verbrannte Leichen in den Ruinen von Sultanahmet, während ihm der nervtötende Alarm seine limitierten Möglichkeiten aufzeigte. Dann ging er besser kämpfend unter. Er schluckte und nickte.

Borgdanow grinste. »Gut. Dann ist unnötig, dass Ilja Sie an schmerzhafter, aber unwichtiger Stelle anschießt. Sie kommen mit mir. Wie sagen Sie … Tandemsprung.«

Na prima, dachte Dugan.

 

 

M/T Contessa di Mare
In südlicher Richtung
Nördlich der ersten Bosporus-Brücke

 

»Bist du sicher, Shamil?«

»Ich hab ihn gesehen, als ich die Granate abfeuerte, hab ihn dann aber wieder verloren. Glaubst du, ich kann einen Russen nicht erkennen?«

»Vergib mir«, bat Basaev. »Ich war überrascht. Wenn sich die Türken jetzt mit dem russischen Abschaum verbünden, dann strafe ich sie mit einem Lied im Herzen.«

Basaev hob sein Fernglas an und sah sich um.

Er reichte Shamil das Glas. »Die Wasseroberfläche direkt hinter der Brücke.«

»Ich sehe nur Wellen«, meinte Shamil.

»Oder eine Fallböe?«

Shamil folgte ihm zur Brückennock. Neben allen sie umgebenden Geräuschen konnten sie das Schlagen von Rotorblättern hören.

»Er versteckt sich hinter dem Brückenpfeiler«, stellte Shamil fest.

Basaev nickte. »Ein Überfall.«

»Und jetzt?«

Basaev lächelte. »Allah sei Dank für russische Ziele. Nimm die Stinger mit aufs Brückendeck und ziele auf den hinteren Teil des Hubschraubers, wie es uns die Iraner gelehrt haben. Er wird trudeln und abstürzen.«

Shamil grinste und eilte davon. Basaev rief den Kontrollraum an.

»Doku«, informierte Basaev ihn. »Wir werden angegriffen. Ich übertrage die Maschinenkontrolle an dich. Sie wissen von uns, wir müssen nicht länger den Regeln folgen. Geh auf Seegeschwindigkeit, schick Aslan in den Frachtkontrollraum, um die Zündung vorzubereiten, und aktiviere die Sprengfallen an allen Türen des Maschinenraums.«

»Sofort«, bestätigte Doku.

Basaev rief Shamil zu, der schnell vorbeihastete.

»Nimm dir Zeit, um gut zu zielen. Einige von ihnen auf dem Deck stellen eine geringere Gefahr für uns da als ein brennender Hubschrauber.«

Shamil nickte genervt.

Basaev grinste. »Warum solltest du denn den ganzen Spaß haben?«

Shamil erwiderte sein Grinsen und eilte davon.

 

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Dugan stand verängstigt da, als ihm der Wind und der Lärm um die Ohren heulten. Der Major schrie ihm ins Ohr.

»Bei ›fertig‹ legen Sie Arme um meinen Hals und Beine um meinen Körper wie Liebhaber. Bei ›los‹, springe ich. Keine Angst. Ich kontrolliere alles.« Dugan nickte stumm. »Ilja geht zuerst und wird Seil halten. Wenn wir landen, löse ich hier« – er hielt Dugans Hand auf den Karabinerverschluss – »und wir trennen uns. Schnell. Verstanden?«

Dugan nickte erneut. Er wunderte sich immer noch über seine Dummheit, als der Sergeant bereits verschwunden war. Sekunden später stürzte er nach unten, verzweifelt an Borgdanow geklammert.

»Lassen Sie meinen Arm los, Idiot! Ich kann Geschwindigkeit nicht kontrollieren«, schrie der Russe.

Zur Verdeutlichung seines Punktes hämmerte er seinen Helm in Dugans zerschlagenes Gesicht. Dugans Hand fuhr an seine Nase, und Borgdanow stoppte ihren Fall abrupt und knapp über dem Deck. Dugans Beine traten sich frei, aber das Paar steckte, sich drehend, in seiner Sprungausrüstung fest. Sie schlugen hart auf dem Deck auf, Borgdanow obenauf.

Nach Luft schnappend lag Dugan da, während der Russe frenetisch an dem verdrehten Seil werkelte.

 

 

Laufbrücke
M/T Contessa di Mare
An der Ersten Bosporus-Brücke vorbeiziehend

 

Sitzend wartete Shamil mit der Stinger auf seiner Schulter auf die näherkommende Brücke. Als der Bug am Brückenpfeiler vorbeizog, tauchte ein Mann in seiner Sicht auf. Der Hubschrauber war noch nicht zu sehen. Der Mann landete problemlos auf dem Hauptdeck, direkt hinter dem erhöhten Vorschiff. Dort hielt er zwei Männern, die ihm folgten, das Seil straff. Sie fielen schneller und ohne Eleganz, in einem Durcheinander von fuchtelnden Gliedmaßen.

Shamil konnte jetzt die Hubschrauberkufen ausmachen und wartete ungeduldig. Da war er. Er zielte er auf den Heckrotor und feuerte. Ein Feuerball entflammte. Einen Moment lang verspürte er Panik, als ein brennendes Teil nach unten und nur knapp am Bug vorbei ins Meer stürzte. Der Hubschrauber trudelte davon und schleuderte schwarz gekleidete Russen in den Tod.

»Allahu Akbar!«, rief er aus.

 

 

Am Bug
M/T Contessa di Mare

 

Der Sergeant ließ das Seil los und sprang zurück, als die beiden Männer auf das Deck stürzten.

Dann beobachtete er, wie sich das Seil nach der Explosion und dem Abdrehen des Hubschraubers langzog und ein Wirrwarr von verschlungenen Gliedmaßen und verknoteten Stricken Richtung Reling hinter sich herzog. Mit einer Hand griff der Sergeant nach dem Seil und ließ sich mitziehen, während er mit seiner freien Hand ein Messer zog und damit am Seil sägte. Nur wenige Meter vor der Reling gab das Seil nach, und die Männer stürzten ausgepumpt zu Boden.

Er erholte sich als Erstes, zerschnitt sogleich die verhedderten Seile zwischen beiden Männern und zog Borgdanow an seiner Weste unter den Schutz des Rohrleitungssystems. Beim Umdrehen sah er, wie der Amerikaner ihnen hinkend folgte.

 

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Dugan war sich nicht sicher, ob seine Nase oder seine aufgeschürften Beine mehr schmerzten. Die Russen schienen unverwüstlich. Sie berieten mit zusammengesteckten Köpfen, ihre Augen mit unverhohlenem Hass auf das Heck gerichtet.

»Okay«, verkündete Borgdanow. »Wir gehen zurück, Ilja zuerst, dann Sie, Dugan, und ich gebe Feuerschutz. Dann deckt Ilja mich. Dann weiter so.«

»Feuerschutz? Riechen Sie das Benzin?! Mündungsfeuer wird uns alle in die Hölle jagen!«

»Aber Terroristen feuern Panzerfaust und Stinger.«

»Ja«, sagte Dugan, »hoch hinaus. Dämpfe liegen unten auf dem Deck. Ein Schuss auf der Brücke wird sie nicht entzünden. Das Boot ist weit vom Tanker entfernt explodiert, und der Hubschrauber war in der Luft. Außerdem hat sein Abwind die Gase verteilt.«

»Das sagen Sie jetzt? Wie töten wir Terroristen?«

»Hier können Sie nicht schießen, drinnen schon. Die Luftzufuhr ist hoch, und drinnen garantieren Gebläse einen Überdruck, damit keine Gase eindringen können.« Dugan sah auf die Bewegung des Wassers. »Und wir haben eine gute Brise. Das offene Deck am Heck dürfte daher okay sein, solange Sie nicht in diese Richtung schießen. Ein irregeleiteter Funke hier im Frachtbereich könnte tödlich sein.«

»So. Wir gehen schnell und hoffen, Terroristen wollen keine Funken.«

Borgdanow redete russisch, und der Sergeant hastete nach hinten.

»Warten Sie«, rief Dugan. Zu spät.

 

 

Navigationsbrücke
M/T Contessa di Mare

 

Basaev hob das Fernglas und beobachtete, wie der Hubschrauber durch den Sommerhimmel Richtung Sultanahmet taumelte und dabei Russen verlor. Er lachte laut auf, als er kurz vor der Küste ins Meer fiel, winzige Figuren an Land zur Uferkante liefen und wie Motten in die Flammen glotzten. Nur noch mehr Leute in der Todeszone.

»Gut gemacht«, lobte er Shamil bei seiner Rückkehr. »Nur drei haben es aufs Schiff geschafft. Einer ist verletzt. Sie verstecken sich unter den Rohren.«

»Ich weiß. Was nun?«

»Wir werden ihnen etwas zum Nachdenken geben.« Basaev rief den Kontrollraum an.

»Aslan, alles bereit?«

»Ich muss nur noch die Pumpen anwerfen.«

»Unsere Verteidigungsvorkehrungen?«

»Alle Außentüren auf diesem Deck sind verrammelt. Mich können sie nur über das Deckshaus auf dem Hauptdeck durch das zentrale Treppenhaus erreichen. Und die Tür aus dem Treppenhaus auf dieses Deck habe ich auch scharf gemacht. Sie wird ihnen ins Gesicht explodieren. Die Überlebenden übernehme ich.«

»Dann lock sie zu dir«, forderte ihn Basaev auf. »Lass das Benzin früher ab. Vielleicht werden sie versuchen, dich zu stoppen.«

»Aber es wird uns wie eine Lunte folgen.«

»Umso größer die Zerstörung«, meinte Basaev. »Unwahrscheinlich, dass sich etwas entzündet, bevor wir unser Ziel erreichen, und falls doch, wird der Schub der Maschinen unsere Aufgabe erledigen, egal ob wir am Leben sind oder tot.«

»In Ordnung, Khassan«, erklärte Aslan unsicher.

»Sieh vom Fenster aus zu, Aslan. Lass das Benzin ab, sobald sie sich zwischen dem Leitungsrohr und der Reling befinden. Wasch sie über Bord.«

»So wird es geschehen, mein Bruder«, bestätigte Aslan.

Shamil gab einen Warnruf von sich.

»Aslan«, sagte Basaev, »aufgepasst. Sie kommen. Backbord.«

 

 

Das Hauptdeck
M/T Contessa di Mare

 

Dugan sah um einen Decksschrank herum. Der Sergeant duckte sich hinter eine Tanköffnung, Borgdanow versteckte sich hinter einer Winsch. Um Zeit zu sparen, hatten die Russen die weniger verbaute Route entlang der Reling statt über das Rohrlabyrinth binnenbords gewählt. Wie Dugan befürchtet hatte, war dem Sergeant die Deckung ausgegangen. Ihm blieb nur ein langer Spurt entlang der Reling, vorbei an den Frachtleitungsrohren.

Der Sergeant machte Anstalten loszulaufen, gerade als sich Dugans Nackenhaare beim Dröhnen der Hydraulik und dem Geräusch der sich füllenden Rohrleitung sträubten. Sein Warnschrei ging im wachsenden Lärm der Frachtpumpen unter. Laut schreiend und hinkend rannte Dugan hinter dem Sergeant her. Auf gleicher Höhe mit dem Verteilerkopf erlaubte ein glücklicher akustischer Zufall dem Russen, Dugans Zurufe aufzuschnappen. Er hielt inne und drehte sich um, nicht wissend, dass das tröpfelnde Benzin in der Auffangschale neben ihm einen bevorstehenden Strom ankündigte. Dugan griff sich den Russen und warf sich nach hinten. Sie schlugen hart auf dem Deck auf, als ein Benzinstrom von knapp zwanzig Zentimetern Breite über die Stelle hinwegschoss, an der sie gerade noch gestanden hatten.

»Runter von mir, Sie Trottel!« Dugan hielt sich nahe am Boden, während er unter dem Russen hervorkroch. Auf den Ellbogen schob er sich weiter nach hinten, um dem Benzinstrom zu entkommen, der sich vor ihnen ergoss, und der auf dem Weg über Bord die Reling und das Deck überflutete. Als er außer Reichweite war, stand er auf und überblickte die Situation.

Als Borgdanow neben ihm erschien, sah er gerade nach Steuerbord.

»Wir hätten direkt binnenbords gehen sollen. Versuchen wir es jetzt auf meine Art«, schlug Dugan vor. Er hinkte ohne sich umzusehen auf den Schutz zu, den ihnen die mittleren Rohrleitungen boten. Er zwängte sich über und um das Gewirr der Rohre herum nach achtern hin durch, zerkratzte seine Schienbeine und schlug in seiner Eile wiederholt mit seinem Helm an, während die größeren Russen sich bemühten, mit ihm Schritt zu halten.

 

 

Navigationsbrücke

 

»Ich kann sie nicht sehen.«

»Keine Sorge, Shamil«, beruhigte ihn Basaev. »Unsere Verteidigung ist gut. Es sind nur wenige, denen wenig Zeit bleibt.« Er pausierte. »Je nachdem, was sie vorhaben, wirst du entweder Aslan oder Doku helfen. Bewach jetzt die Außentreppen und pass auf Boote oder Flugzeuge auf. Nimm ein Funkgerät mit. Die Türken wissen, dass wir hier sind, und ich bezweifle, dass sie tschetschenisch sprechen.«

Er zeigte Richtung Sultanahmet. »Wir sehen uns im Paradies.«

 

 

Das Hauptdeck
Backbordseite des Deckshauses

 

Dugan stand auf der Seite des Deckshauses und sah zu, wie sich das Benzin im Wasser hinter dem Schiff ausbreitete.

»Dugan! Wir müssen zum Lenkgetriebe. Jetzt«, übertönte Borgdanow die Hydraulik.

»Wir müssen das Benzin stoppen«, schrie Dugan zurück.

»Njet. Ist ein Verzögerungstrick der Terroristen.«

»Passen Sie auf, Sie Schwachkopf. Sollte es ihnen gelingen, die Meerenge zu überfluten, kann nur ein einziger Funke alles entzünden. Auf den Fähren da draußen befinden sich Hunderte von Menschen. Die sind wichtiger.«

Ohne zu warten betrat Dugan das Deckshaus, gefolgt von den Russen. An der Haupttreppe hielt er inne und deutete dem Sergeant an, die Treppenhaustür zu bewachen. Dann folgte er den Geräuschen einen Korridor entlang, Borgdanow dicht hinter ihm. Der Lärm im Triebwerkraum war ohrenbetäubend. Dugan schrie Borgdanow ins Ohr.

»Sie bringen eine Sprengladung an der Tür an. Ich stoppe die Triebwerke. Wir verschwinden. Okay?«

Borgdanow nickte und befestigte eine Granate an der Tür. Er nickte erneut, und nachdem Dugan einige Knöpfe gedrückt hatte, trat Stille ein. Sie eilten nach draußen. Borgdanow wickelte um den inneren Türknauf eine Schnur zur Granate hin und schloss dann die Tür.

Auf dem Weg zurück gesellte sich der Sergeant wieder zu ihnen. Rückwärtsgehend folgte er ihnen, die Waffe auf die Treppenhaustür gerichtet. Draußen tropfte nur noch ein Rinnsal von Benzin aus dem Leitungsrohr.

»Das wird sie ablenken«, meinte Dugan. »Was gut ist, da wir jetzt ungedeckt bis hinter zum Heck laufen müssen. Hier unten werden sie nicht zögern, auf uns zu schießen.« Hinkend setzte er zum Lauf nach Achtern an, bevor ihn die Russen einholten, ihn auf beiden Seiten unter den Armen anhoben und mit ihm nach hinten rasten.

 

 

Navigationsbrücke

 

Basaev überlegte, ob er seine beiden Gefangenen töten sollte. Zumindest der türkische Lotse verstand zwischenzeitlich ihre Absichten und könnte einen verzweifelten Versuch unternehmen. Seine Gedanken wurden von dem traurigen Stöhnen der sterbenden Hydraulik unterbrochen. Er eilte zum Fenster, nur um Zeuge des verebbenden Benzinstroms zu werden.

»Aslan«, fragte er in das Funkgerät, »wieso hast du aufgehört?«

»Das hab ich nicht. Sie müssen die Triebwerksaggregate abgestellt haben.«

»Stell sie wieder an. Wir müssen das Feuer schüren.«

»Schon versucht, aber sie haben die Triebwerke auf lokale Kontrolle umgestellt. Sie können nur vom Triebwerkraum aus neu gestartet werden. Vielleicht versuchen sie, mich in einen Hinterhalt zu locken«, gab Aslan zu bedenken.

Shamil unterbrach sie. »Alle Russen sind zum Heck gerannt.«

Basaev verdaute das. Was wollten die Russen dort?

»Doku«, bellte er. »Hast du das gehört?«

»Ja, Khassan«, bestätigte Doku aus dem Maschinenraum.

»Ist der ungläubige Ingenieur gesichert?«

»Mit den Händen an die Konsole gefesselt.«

»Lass ihn dort. Die Russen werden dich vom Lenkgetrieberaum aus angreifen. Versteck dich. Sei sicher, dass du ein ungehindertes Schussfeld hast, um jeden Überlebenden der Sprengfalle an der Tür zu töten. Warn den Ungläubigen, die Motoren volle Fahrt voraus zu halten, wenn er nicht am Tod seiner Schiffskollegen schuld sein will.«

»Verstanden«, bestätigte Doku.

«Aslan«, sagte Basaev, »das Anhalten der Triebwerke war nur ein Ablenkungsmanöver, um den Russen zu erlauben, nach Achtern zu fliehen. Bring das Benzin wieder zum Fließen, und wirf danach achtern einige Granaten in den Lenkgetrieberaum. Unsere russischen Freunde werden zwischen dir oben und Doku unten im Maschinenraum gefangen sein.«

»Verstanden«, versicherte Aslan.

Basaev drehte sich um und sah die Augen des Lotsen auf ihn gerichtet.

»Sie haben Glück«, sagte Basaev. »Sie werden Zeuge von Allahs Werk.«

»Mord ist nicht Allahs Werk. Der Gott, dem Sie dienen, ist Ihr eigener, verzerrter Hass.«

Basaev brachte ihn mit der Faust ins Stolpern, aber der Türke fing sich wieder. Voll unbändigem Zorn schrie Basaev ihn an: »Gesprochen wie ein Weib, Hure der Kreuzritter.«

Der Lotse blieb ruhig. »Besser als von Fanatikern regiert zu werden. Da ziehe ich den Tod vor.«

»Ein Wunsch, den ich gewähren kann.« Basaev zog die Pistole. Der Türke lächelte.

»Der Tod amüsiert Sie?«, fragte Basaev.

»Ihre Arroganz amüsiert mich. Diese Russen sind klüger, als Sie denken.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

Er lächelte erneut. Basaev versetzte ihm einen Schlag mit der Pistole, der ihn zu Boden warf. Mit zitternden Fingern zielte er auf den Kopf des Türken, drückte aber nicht ab. Irgendetwas fühlte sich falsch an. Und vielleicht brauchte er diese türkische Hure noch.