7

Die Büros der Phoenix-Schifffahrtsgesellschaft
1. Juni

 

»Wie viele noch?«, fragte Dugan ins Gegensprechgerät.

»Nur noch eine, Sir«, informierte ihn Mrs Coutts. »Eine Ms Anna Walsh, in zehn Minuten.«

»Schicken Sie sie bitte direkt rein«, forderte Dugan sie auf.

Er machte sich Gedanken. Hatte er ein Signal verpasst? Ward hatte ihm versichert, er würde die Agentin sofort erkennen, und dann müsse er nur »ihrem Beispiel folgen«, was immer das auch heißen sollte. Falls die letzte Bewerberin nicht die Agentin war, dann hatte Dugan die Sache total vermasselt.

Er sah aus seinen Fenstern entlang der Themse auf den Albert-Kai hinaus und wunderte sich erneut, wieso Alex darauf bestanden hatte, dass er sein Büro benutzte. Insbesondere, da er mit der Anstellung einer neuen Sekretärin nicht einverstanden und irritiert war, als Dugan es durchsetzte.

 

image

 

Braun hielt sich einige Türen weiter unten in seinem Büro auf und überprüfte Terminpläne, während er mit einem Ohr zuhörte.

Die Vorstellungsgespräche fanden auf sein Drängen hin in Kairouz’ Büro statt. Er wollte ein Gefühl für den Amerikaner bekommen, und es war weit einfacher, Dugan dorthin umzusiedeln, als dessen vorläufiges Büro im Konferenzzimmer mit Abhörgeräten auszustatten. Er war erfreut, dass Dugan auf eine Sekretärin bestand. Je mehr er sich auf solche Details fixierte, desto weniger Zeit hatte er, sich einzumischen. Und vielleicht stellte er ja jemanden ein, der einen zweiten Blick wert war. Braun hatte seine eigenen Pläne für eine Spielgefährtin bedauerlicherweise auf Eis legen müssen. Jemanden in der Nähe zu haben, der nicht Teil des Planes war, war zu gefährlich, und er wollte das Team nicht erweitern. Er lächelte. Vielleicht würde Dugan ihm aushelfen.

 

image

 

»Treten Sie näher, Ms Walsh«, lud Dugan sie ein und führte die Kandidatin zur Couch hinüber.

Sie war um die ein Meter sechzig groß, mit schulterlangem, goldbraunem Haar, grünen Augen und Sommersprossen auf der Nase, und sah viel jünger als die angegebenen achtunddreißig Jahre aus. Ein gut geschnittener Wollrock reichte ihr nicht ganz bis ans Knie und betonte ihre Beine, die in dunkle Seide gehüllt waren. Der Ausschnitt ihrer Designerbluse war tief. Sie strahlte eine starke Sexualität aus.

Sie lächelte. »Mein Lebenslauf, auf dem neuesten Stand.« Sie reichte Dugan mehrere Seiten.

Er setzte sich im Stuhl zurück und las die angeheftete Notiz.

Möglicherweise unter Audio- oder Videoüberwachung. Folgen Sie meinem Beispiel. Müssen Eindruck vermitteln, ich bin Flittchen und Sie heuern nach Aussehen an. Stellen Sie mich am Ende sofort ein.

Dugan nickte. »So, Ms Walsh. Erzählen Sie mir von sich.«

Ihr Auftritt war faszinierend. Bei der Tippgeschwindigkeit schlug sie wiederholt die Beine übereinander; bei der Tabellenkalkulation und der Software lehnte sie sich nach vorn und lächelte. Zu dem Zeitpunkt hörte er nicht länger hin. Zu spät erst fiel ihm auf, dass sich ihre Lippen nicht länger bewegten.

»Ja … sehr beeindruckend, Ms Walsh«, nickte er verwirrt und blätterte eine Seite um, um Zeit zu schinden.

»Entschuldigen Sie, wenn ich vom Thema ablenke, Mr Dugan«, warf sie ein, »aber Ihr Büro ist wunderbar.«

»Ich borge es mir nur vom Generaldirektor. Meines ist noch nicht fertig.«

»Dennoch, es ist sehr angenehm. Und das Sofa ist so bequem.« Sie lächelte. »Werden Sie auch so eines haben?«

»Warum stelle ich Sie nicht ein, und Sie testen es dann?«

»Liebend gern«, versicherte sie, »natürlich wäre das vom Gehalt abhängig. Der angedeutete Rahmen liegt unter meinen Erwartungen. Besteht da etwas Flexibilität?«

»Wir könnten etwas höher gehen«, erklärte Dugan sich bereit. »Wie wäre es mit zehn Prozent?«

»Ein Anfang, bis Sie mit meinen … Diensten … zufrieden sind. Sie lächelte. »Dann erwarte ich eine fünfundzwanzigprozentige Steigerung.«

Dugan stand auf und streckte ihr die Hand entgegen. »Willkommen an Bord, Ms Walsh.«

Anna erhob sich ebenfalls. »Anna, bitte.«

»Also schön, Anna. Machen wir uns an die Arbeit.«

 

image

 

Mrs Coutts sah Anna vernichtend an, bevor sie sich an Dugan wandte. »Und wann soll sie anfangen, Sir?«, erkundigte sie sich mit Eis in der Stimme.

»Wenn möglich schon morgen«, erwiderte Dugan. »Wir lassen sie mein neues Büro einrichten.«

Mrs Coutts sah aus, als ob sie jemand geohrfeigt hätte.

»Natürlich unter Ihrer Aufsicht«, fügte Dugan hinzu, aber der Schaden war bereits angerichtet.

»Sehr gut, Sir. Kommen Sie, Ms Walsh«, forderte Mrs Coutts sie auf. Anna eilte ihr nach. Dugan fragte sich, wie er die Dinge mit Mrs Coutts wieder ins Reine bringen konnte.

 

image

 

Braun stand in seiner Tür und bewunderte Annas davoneilendes Hinterteil. Absolut perfekt. Und mehr als ausreichend, um Dugan abzulenken. Und sobald Dugan aus dem Weg war, würde er das Gehalt der Nutte verdoppeln, falls sie sich entgegenkommend zeigen sollte. Schließlich war es ja nur das Geld von Kairouz.

 

 

M/T Asian Trader
Sembawang-Schiffswerft, Singapur, 1. Juni

Medina lehnte sich gegen die Reling und trieb seine Schiffskameraden in Gedanken in ihren »landfeinen« Kleidern die Gangway hinunter. Das Schiff lag nun in einem nassen Dock, das Hauptdeck hoch über dem Kai, ihre Tanks so gut wie leer. Der zweite Offizier lächelte und winkte Medina zu, sagte dann etwas zu dem Mann neben ihm, der den Kopf schüttelte und lachte, zweifelsfrei nach einem Witz zu Lasten Medinas.

Lass sie nur lachen, dachte Medina; er würde als Letzter lachen.

Er hatte sich freiwillig für die Nachtwachen gemeldet, da er angeblich Singapur am Tag erkunden wollte. Diese Tage verbrachte er dann in Internet-Cafés und, je weiter sich die Pläne entwickelten, in den Elektronikgeschäften des Sim Lim Towers. Nachmittags schlief er, in Vorbereitung auf seine einsamen Abende an Bord. Oder beinahe einsam. Die Nachtschicht der Werft setzte sich aus den Kranken, den Lahmen und den Faulen zusammen – die sich auf der Suche nach einem Schlafplatz die Gangway hochschlichen und dann unauffindbar blieben, außer als Arbeitsstunden auf der Rechnung der Schiffswerft. Solange der Amerikaner Dugan noch dagewesen war, hatte sich die Lage problematischer dargestellt. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, zu den unmöglichsten Zeiten zu erscheinen, um den Fortschritt zu begutachten. Aber nun, gegen Ende der Zeit in der Werft und mit dem kleinen Italiener als Boss, waren die Dinge während der Nachtwache leichter abzuschätzen.

Medina kletterte die Stufen zur Brücke hoch und begann von dort aus einen langsamen Deck-für-Deck-Abstieg. Er durchwanderte jeden Gang, um sicherzugehen, dass alle an Land waren. Dann besuchte er den Maschinenraum, in dem er in allen Ecken dösende Werftarbeiter fand, und lief das Hauptdeck von Heck zu Bug ab, ohne jemanden zu entdecken. Zufrieden zog er sich in seine Kabine zurück und verschloss die Tür, bevor er in seinem Wandschrank wühlte.

Er platzierte zwei Gegenstände auf seinem Bett und sah sie an, immer noch verwundert, dass man von ihm erwartete, solch einen mächtigen Schlag mit solch schmächtigen Waffen auszuführen. Eine uralte Makarov-Pistole mit einem einzigen Ladestreifen und eine noch unbestückte Märtyrerweste waren seine einzige Ausrüstung. Sein Kontakt hatte ihm diese Dinge überreicht und gesagt »Allah wird dich leiten«. Dann war er gegangen. Medina war unsicher und zitternd im Gedanken an ein mögliches Versagen zurückgeblieben.

Jetzt belächelte er seine ursprünglichen Zweifel. Allah hatte sich in Seiner Führung als großzügig erwiesen. Hatte ihm Allah nicht vor Jahren das Interesse an elektronischen Geräten gegeben und dann Medinas Augen auf den Schwachpunkt des Kanals gelenkt? Und verkündete der Heilige Koran nicht, dass David Goliath mit einem einzigen Stein erschlagen hatte?

Medina schloss seine Schreibtischschublade auf und zog zwei in Plastik verpackte Bündel hervor, die letzten von insgesamt zwölf, die noch nicht angebracht waren. Jedes hatte etwa die Größe einer Zigarettenpackung, aus der ein Antennenkabel hervortrat. Beide enthielten sowohl den Sprengstoff aus der Märtyrerweste als auch einen Zünder, einen winzigen Fernbedienungsschaltkreis, seine eigene Erfindung, eine Neun-Volt-Batterie, und einen kleinen, aber kraftvollen Magneten. Tatsächlich war ihre zerstörerische Kraft gering, aber jede würde einen signifikanten Blitz auslösen. Und das war alles, was er brauchte.

Medinas Mund war trocken. Morgen würde das Boot in das Ladedock der Raffinerie verlegt werden. Seit Dugans Abreise hatte er großartige Fortschritte gemacht, aber heute Nacht musste er fertig werden. Er verstaute die Ladungen in seinen vorderen Hosentaschen, legte sich eine Gürteltasche um und machte sich auf dem Weg zum Hauptdeck.

Die Werft war ruhig, außer den entfernten Rufen und den Blitzen der Schweißgeräte aus dem Trockendock. Dennoch fühlte sich Medina im gleißenden Licht der Decklampen nackt. Er atmete tief durch und zwang sich, gemächlich das Deck entlang zum Entlüftungsschacht des Ballasttanks Nummer eins zu gehen. In der Nähe des Schachtes sah er sich kurz um und zog dann eine Spule Draht und einen Drahtschneider aus seiner Bauchtasche. Langsam, um das Verbiegen des Drahtes zu verhindern, rollte er ihn ab und schob ihn das Entlüftungsrohr hinunter. Sobald eine ausreichende Länge in den Tank hinunterreichte, schnitt er den Draht durch, bog das freie Ende unter die Öffnung des Schachtes und wickelte es sicher um einen Bolzenkopf. Es war praktisch unsichtbar.

Dann trat er vor die Einstiegsluke und starrte in das schwarze Loch. Jemand hatte die provisorischen Lampen entfernt. Er zog ein elastisches Kopfband aus seiner Gürteltasche und steckte eine kleine Taschenlampe als Kopfleuchte hinein, um die Hände frei zu haben und seinen Weg die Leiter hinunter beleuchten zu können. Er verließ die Leiter auf dem obersten horizontalen Trägerbalken und arbeitete sich nun durch den Tank vor, einen von zwölf, die die Doppelhülle zwischen den Ladetanks und dem Meer bildeten. Dabei zählte er die Spanten, die das Gerippe des Schiffes ausmachten. Als er seine Position erreicht hatte, sah er hoch und lächelte, als seine Taschenlampe die Schachtöffnung mitsamt seinem so gut wie unsichtbaren, nach unten hängenden Draht beleuchtete.

Stützbalken führten am inneren Schiffsrumpf wie weit auseinandergezogene Regalbretter oder wie die Stufen der Leiter eines Riesen nach oben. Medina erklomm diese, um sich unter großer Anstrengung an die Unterkante des Hauptdecks hochzuziehen. Mit einer Hand hielt er sich am oberen Balken fest, die Füße fest auf dem darunter verankert, während er die Sprengladung Richtung Schiffswand hielt. Ein erleichtertes Grunzen entfuhr ihm, als der Magnet die Ladung zum Stahl hin anzog. Er untersuchte deren Platzierung. Die Ladung saß auf dem höchsten Balken, wie ein Kästchen ganz hinten auf einem Regal, unsichtbar für jeden, der nicht wie Medina die Spanten hochklettern würde.

Unter dem Schacht fischte er nach dem Draht und verflocht ihn mit der Antenne des Sprengsatzes. Mit zitternden Händen sicherte er das Ganze dann mittels eines winzigen Drehverbinders. Der Schweiß stand ihm im Gesicht und sein Overall war durchnässt. Mit dem Rücken seiner freien Hand wischte er sich über die Augen und bestaunte im Schein der kleinen Lampe sein Werk. Perfekt, dachte er, und machte sich an den Abstieg.

Bumm. Das scharfe Geräusch von Stahl auf Stahl ließ Medinas Atem stocken. Bewegungslos verharrte er und vernahm weiteren Lärm, der Aktivitäten auf dem Hauptdeck über ihm anzeigte. Nachdem er sich beruhigt hatte, setzte er seinen Abstieg, nun schneller, fort. Zurück auf dem untersten Längsspanten bewegte er sich achtern, ohne genauen Plan. Sollte er nach oben gehen? Dort musste er an der Trennwand zwischen diesem Tank und dem danebenliegenden Frachttank noch ein winziges Loch bohren und wieder dichtmachen. Aber was ging auf dem Hauptdeck vor? Was, wenn sie die Einstiegsluke versiegelten? Niemand wusste, dass er hier war. Er wäre gefangen, würde verhungern oder, sobald sie die Ballasttanks füllten, ertrinken.

Medina holte tief Luft und versuchte, seine Angst unter Kontrolle zu bekommen. Seine Hand fiel auf die Bauchtasche, in der er den kleinen schnurlosen Akkubohrer fühlen konnte. Er nahm allen Mut zusammen und überquerte den Tank zur anderen Seite, zum Ladetankschott hin.

Zwanzig Minuten später schob Medina vorsichtig den Kopf aus der Einstiegsluke und überblickte das Hauptdeck.

Wer immer sich auch dort aufgehalten hatte, war verschwunden. Er zog sich durch die Luke hoch und stand auf dem Deck.

Seine Beine schmerzten vom Klettern, aber das Gewicht der letzten Ladung drückte ihm auf die Tasche, und er zwang sich, weiterzumachen. Eine halbe Stunde später verließ er den letzten Ballasttank, verschwitzt und schmutzig, aber triumphierend. Dann begab er sich zum Deckshaus, in den Frachtkontrollraum, wo er eine Konsole, die als ›Mariner Tek-Modell BT 6000-Ballasttank-Gaserkennungs-System‹ gekennzeichnet war, ansteuerte.

Nachdem er den Strom zur Konsole abgestellt hatte, öffnete er sie. Nun kam die einfachste Übung. Er hatte tagelang die Schaltbilder der technischen Anleitung studiert und kannte sie in- und auswendig. Mithilfe einer Spitzzange und einer Drahtrolle aus seiner Bauchtasche flogen seine Finger nur so, während er Steckbrücken verdrahtete und sie so zwischen der existierenden Verkabelung versteckte, dass nichts außer der Reihe zu sein schien. Er trat einen Schritt zurück und bewunderte seine Arbeit, bevor er die Konsole wieder verschloss und das System startete.

Grüne Lichter glühten, bezeugten, dass alle Ballasttanks sicher und gasfrei waren. Er lächelte. Diese Lichter würden, unabhängig vom Zustand der Tanks, grün bleiben, das wusste er. Er fuhr das System herunter und sang dann leise vor sich hin, als er auf eine wohlverdiente Dusche in seine Kabine zurückkehrte.

 

 

Die Büros der Phoenix-Schifffahrtsgesellschaft
London, 3. Juni

 

Beim Geruch der frischen Farbe rümpfte Dugan die Nase. Entgegen Alex’ Einwand arbeitete er Vollzeit, obwohl sein neues Büro noch nicht fertig war. Die Verwandlung des Lagerraumes in eine Bürofläche war so gut wie abgeschlossen. Während des ganzen Prozesses hatte sich Anna genauestens an die Anweisungen von Mrs Coutts gehalten, womit es ihr gelang, die Antipathie der älteren Dame zu überwinden.

Unglücklicherweise halfen selbst Mrs Coutts Hinweise auf adäquate Kleidung, die Anna ebenfalls befolgt hatte, nicht gegen ihre Sinnlichkeit. Die erfahrene Sekretärin schloss daraus, dass das arme Kind dazu bestimmt war, wie ein Flittchen auszusehen, ohne dass daran etwas zu ändern sei.

»Das sind die letzten, Tom«, verkündete Anna, als sie eine Anzahl Ordner auf seinen Schreibtisch fallen ließ.

»Danke. Die Computer?«

Anna seufzte. »Ich habe Sutton heute schon vier Mal darauf angesprochen.«

»Okay. Bleiben Sie an ihm dran«, forderte Dugan sie auf.

Als Anna ging, erlaubte sich Dugan einen kurzen Blick auf ihre gutgeformte Rückseite, bevor er sich zurück an die Arbeit zwang. In der obersten Akte fand er eine Notiz.

Dugan, laden Sie mich heute Abend zum Essen ein. Wir müssen reden.

Dugan steckte die Nachricht ein. Das wurde ja auch Zeit. Ward hatte gesagt, Anna würde Kontakt aufnehmen. Bisher hatte es den nicht gegeben. Er fühlte sich isoliert und zum ersten Mal in Alex’ Gegenwart unbehaglich.

Er drückte auf die Taste der Gegensprechanlage.

»Ja, Tom?«

»Können Sie heute länger bleiben? Sie müssen mir vielleicht noch mehr Akten raussuchen. Dafür revanchiere ich mich dann mit einem Abendessen. Suchen Sie sich ein Restaurant aus.«

Sie lachte. »Das beste Angebot, das mir heute bislang untergekommen ist. Bringen Sie Ihre Gold-Card mit.«

»Kein Problem. Danke.« Als Nächstes rief Dugan Alex an.

»Ja, Thomas?« Alex nutzte seine Rufnummernerkennung.

»Alex, ich werde Überstunden machen. Bitte entschuldige mich bei Mrs Hogan.«

Alex zögerte. »Ich habe auch noch was zu tun. Sie wird uns etwas warmstellen.«

»Alex, nicht nötig. Ich habe …«

»Kein Problem, Thomas. Ich rufe nur kurz zu Hause an …«

»Alex. Ich habe andere Pläne.«

Die Stille wuchs. »Also gut.« Alex gab schließlich nach. »Dann sehen wir uns morgen.«

Dugan legte auf, vom Benehmen seines Freundes beunruhigt. Er seufzte und kehrte wieder zu seiner Akte zurück.

 

image

 

»Es ist neunzehn Uhr«, bemerkte Anna von der Tür aus. »Mich verhungern zu lassen ist unproduktiv. Ich bin verträglicher auf vollen Magen.«

Dugan erhob sich sofort. »Tut mir leid. Mir lief die Zeit davon. Haben Sie sich für ein Restaurant entschieden?«

Anna nickte und sammelte ihre Sachen ein. Als sie gingen, deutete sie auf das Licht, das unter einer Tür sichtbar war. »Captain Braun arbeitet länger.«

Dugan zuckte mit den Schultern. »Er ist immer noch hier, wenn ich gehe.«

 

image

 

Na endlich, dachte Braun, irritiert von Kairouz’ Versagen, Dugan zu kontrollieren. Nicht, dass er sich übermäßig Gedanken machte. Die Überstunden waren ein offensichtlicher Trick, die Schlampe anzumachen. Hatte ja lang genug gedauert.

Braun lächelte. Falls sie was miteinander anfingen, wäre es vielleicht interessant, ihre Wohnung zu verwanzen.

 

image

 

Anna hörte zu, während Dugan redete. Nachdem sie mit einem schnellen Händedruck und einem kaum merklichen Kopfschütteln seine Versuche abgewehrt hatte, Geschäftliches zu besprechen, hing sie an jedem seiner Worte. Sie verdiente einen Oscar. Obwohl er wusste, dass sie Theater spielte, genoss er den Abend.

»Einen Nachtisch?«, erkundigte sich der Ober.

Dugan sah Anna fragend an.

»Ich bin voll«, wehrte sie ab. »Wie wäre es mit einem Kaffee bei mir?«

Dugan bat um die Rechnung.

Im Taxi kroch Anna auf seinen Schoss und küsste ihn. Den ganzen Weg zu ihrem Gebäude ließ sie nicht von ihm ab.

Dugan stieg aus dem Taxi aus, unfähig, seine Erregung vor dem grinsenden Taxifahrer zu verbergen. Anna zog ihn mit einem heißen Kuss ins Foyer und machte kichernd im Aufzug mit Küsschen auf seinen Hals weiter. Sie manövrierte ihn zu ihrer Tür und fand dann endlich den richtigen Schlüssel, bevor sie ihn, ihre Lippen auf seinen, nach drinnen schob und die Tür mit dem Fuß hinter ihnen zuschob. Dann war alles vorbei.

»Setzen Sie sich.« Sie zeigte auf ein Sofa, während sie ein Sicherheitsschloss vorschob und in einem Stuhl Platz nahm.

Dugan blieb im Eingangsbereich stehen, total verwirrt.

»Sie wussten doch sicher, dass das nicht echt war?«, fragte sie.

Er sah an sich herunter. »Ein Teil hegte Hoffnung.«

Ihre Miene wurde kalt. »Tja, die Hoffnung blühet ewiglich. Setzen Sie sich.«

Dugan folgte ihrer Anweisung. »Okay. Und was jetzt?«

Sie lenkte ein. »Zunächst mal, tut mir leid, wenn ich übertrieben habe. Wir wissen nicht, wie sorgfältig wir beobachtet werden. Ich war mir nicht sicher, ob sie es vortäuschen könnten. Deshalb musste ich Sie erregen.«

»Das ist Ihnen gelungen.«

Anna verfärbte sich. »Damit wir uns verstehen, Mr Dugan, ich bin glücklich verheiratet. Ich verhalte mich Ihnen gegenüber professionell und erwarte das Gleiche von Ihnen.«

»Verheiratet? Echt? Kann nicht einfach sein.«

»Das geht Sie nichts an.«

»Sie haben recht. Tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Sehen wir das einfach aus Tarnungsgründen als unseren ersten Streit an und belassen es dabei.«

Sie ignorierte seinen Sarkasmus. »Der heutige Abend hat unsere Deckung etabliert. Hier ist der einzige Ort, an dem wir ungehindert sprechen können. Diese Wohnung wird täglich auf Wanzen abgesucht. Gehen Sie davon aus, dass Sie überall sonst unter Beobachtung stehen, insbesondere in Ihrem Büro.«

»Sind Sie sicher?«

»Einer unserer verdeckten Ermittler in der Reinigungsstaffel hat das überprüft. Unsere und Kairouz’ Büros sind verwanzt. Von Brauns Büro aus.«

»Braun hat also das Sagen. Und er hört Alex ab, der daher offensichtlich nichts mit der Sache zu tun hat.«

»Er hängt mit drin. Vielleicht benutzt er Braun, um seine Unschuld glaubwürdig zu machen.«

»Ich kann nicht glauben, dass Alex freiwillig terroristische Aktivitäten unterstützen würde.«

Anna hielt sich zurück. »Wir werden sehen. Jedenfalls werden wir uns hier absprechen. Als Liebespaar wird es natürlich sein, an den Abenden herzukommen oder sogar am Nachmittag auf ein Schäferstündchen zu verschwinden. Wir werden Aufmerksamkeit, aber keinen Verdacht erregen.«

»Aber wird dann, wer immer auch dahinter steckt, nicht auch diese Wohnung abhören wollen?«

»Darum kümmern wir uns. Ich werde Sie, wenn und falls es nötig wird, darüber informieren.«

Dugan reagierte gereizt. »Lassen Sie mich wissen, sobald ich vertrauenswürdig genug bin.«

»Tom, wir haben verschiedene Aufgaben. Sie müssen nicht gleich beleidigt sein.«

Er besann sich. »Tut mir leid, dass ich überreagiert habe. Lassen wir die Streiterei und bleiben wir einfach bei Tom und Anna.«

»Einverstanden. Vorausgesetzt, Sie hören auf, so verdammt dreist zu sein.«

Dugan lächelte. »Aber das ist doch meine liebenswerteste Eigenschaft.«

Sie schüttelte den Kopf und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Danach machten sie es sich bequem, um ihre Strategie zu diskutieren.

»Ich muss zugeben, dass Alex sich merkwürdig benimmt«, ließ Dugan Anna wissen. »Er strengt sich übermäßig an, meine Bürozeiten kurz zu halten. Wir treffen jeden Morgen spät ein, und Punkt fünf schickt er mich nach Hause. Das sieht ihm gar nicht ähnlich; der Mann ist ein Arbeitstier. Braun muss ihn irgendwie unter Druck setzen, vielleicht durch Drohungen gegen Cassie.«

Anna sah skeptisch aus. »Ich sah Kairouz’ Akte. Nicht leicht, ihn einzuschüchtern. Nachdem seine ganze Familie dem libanesischen Bürgerkrieg zum Opfer gefallen war, kam er als mittelloser Jugendlicher ohne Perspektiven nach London, wo es ihm gelang, eine wichtige Schifffahrtsgesellschaft aus dem Boden zu stampfen. Jetzt ist er reich und hat Verbindungen. Falls er bedroht wird, warum wendet er sich nicht an die Behörden?«

»Das weiß ich nicht. Aber Alex Kairouz ist kein Terrorist.«

Anna seufzte. »Fangen wir mit dem an, was wir wissen. Dieser Farley erschien unmittelbar nach Brauns Anstellung auf der Bildfläche. Wir können davon ausgehen, dass er beteiligt ist, genau wie dieser Computermensch. Die Angestellten reden darüber, dass Braun die gesamte IT-Abteilung aufgelöst hat, bevor er Sutton unmittelbar nach seinem Eintritt in die Firma reinbrachte. Wir werden nie zuverlässigen Computerzugriff haben.«

»Das größte Problem wird es sein, uns umzusehen, ohne Verdacht zu erregen. Wenn Braun Alex irgendwie unter Druck setzt, muss er verdammt klug sein. Wir sollten vermeiden, ihn vorzuwarnen.«

Anna lächelte. »Das Einzige was wir brauchen, ist ein Motiv. Sie haben ein glaubwürdiges.«

Verwirrt sah Dugan sie an.

»Denken Sie nach«, erklärte Anna. »Sie und Braun sind Rivalen. Wir schnüffeln unter dem Deckmantel, eine Inkompetenz oder ein Fehlverhalten Brauns bloßstellen zu wollen, damit Sie ihn bei Alex anschwärzen können. Selbst wenn wir erwischt werden, sieht es nur wie betriebsinterne Politik aus.«

Dugan nickte beeindruckt. »Ziemlich clever.«

Anna lächelte über das Kompliment und verbrachte die nächste halbe Stunde damit, Dugan in der Ausarbeitung ihrer Tarnung zu unterweisen. Um Mitternacht ließ sie ihn gehen.

»Wir müssen den Schein wahren«, flüsterte sie ihm in der Tür zu und schickte ihn mit einem heißen Kuss von dannen.

 

image

 

Braun sank im Fahrersitz zurück. Gerade noch hätte er darauf gewettet, dass der Yankee die Nacht mit ihr verbringen würde, als Dugan aus dem Gebäude trat. Ich habe ihn überschätzt, dachte Braun. Sobald er weg vom Fenster ist, wird die Schlampe einen echten Mann zu schätzen wissen.