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Anna Walsh’ Wohnanlage
London, 22. Juni

 

»Eine ganze Woche, seit Jesse die Verbindung vom Iran zu Venezuela hergestellt hat«, meinte Dugan, »und wir haben absolut nichts.«

Anna zuckte mit den Schultern. »Nicht überraschend. Braun ist intelligent, und wir hatten Glück mit der China Star. Dank der erweiterten elektronischen Überwachung hier und in Caracas und Teheran wird sich etwas ergeben.«

»Sicher, aber bis dahin haben wir allein die China Star, und hier auch nur einen Verdacht. Etwas Konkretes wäre besser.«

»Das hat noch Zeit, Yank«, beruhigte ihn Harry. »Sie ist gerade erst ausgelaufen und wird eine Weile mitten im Ozean unterwegs sein, von daher also keine Gefahr.«

Dugan nickte und schien sich dann an etwas zu erinnern. Er holte seinen Laptop vor und tippte etwas ein. Die Webseite Searates.com erschien, und er begann, Informationen einzugeben.

»Mist«, fluchte Dugan.

»Was ist denn?«, fragte Anna.

»Unter Beibehaltung ihrer gegenwärtigen Geschwindigkeit wird sich die China Star genau am 4. Juli mitten in der Straße von Malakka befinden. Wer hält das für einen Zufall?«

 

 

Crowne Plaza Hotel
Jakarta, Indonesien, 23. Juni

 

Steven ›Bo‹ Richards lümmelte sich in Boxershorts auf einem Stuhl, die Füße auf einem Polsterhocker, und bekämpfte seinen Kater. Er war gegen Mittag aufgewacht, hatte die Hure geweckt, damit sie sich seiner Morgenerektion annahm, und sie dann, während sie sich noch in ihre Kleider zwängte, in den Flur hinausgedrängt. Das Geld hatte er ihr hinterhergeworfen. Er leerte sein Bier und ließ die Flasche auf den Teppich fallen, bevor er sich am Bauch kratzte. Das Bett war total zerwühlt, und auf einem Wagen befanden sich die Reste eines Zimmerservice-Frühstücks.

Das Zimmer bedurfte der Reinigung, was aber durch das ›Bitte nicht stören‹ am äußeren Türknauf verhindert wurde.

Er sah auf die Uhr und stand auf, um eine Jeans und ein T-Shirt überzuziehen. Dann klopfte es.

 

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Sheibani starrte das ›Bitte nicht stören‹-Schild an und versuchte, sich zu beruhigen. Der Abschaum da drinnen war ein Gangster des Großen Satans, und Sheibani lechzte danach, ihn ungesehen zu töten. Aber die Täuschung verlangte einen Amerikaner, und Richards Staatsbürgerschaft und Unterlagen waren dokumentiert. Er zwang sich zu einem Lächeln, als sich die Tür einen Spalt öffnete.

»Ja?«

»Mr Richards, ich bin Ali. Darf ich eintreten?«

Richards öffnete die Tür und trat zur Seite. Er nickte Richtung Sitzecke. Sheibani setzte sich mit dem Rücken zur Wand, Richards ihm gegenüber.

»Sind Sie mit Ihrer Unterkunft zufrieden?«, erkundigte sich Sheibani.

»Ja, ja, alles prima«, ging Richards darüber hinweg. »Um was geht’s bei diesem Job?«

Wie amerikanisch. Sheibani bekämpfte seinen Zorn.

»In ungefähr einer Woche«, erklärte Sheibani, »wird ein Schiff namens China Star die Straße von Malakka durchqueren, eskortiert von Sicherheitskräften privater Vertragsnehmer und von US-Navy-Personal. Oder, genauer gesagt, von Männern, die sich als US-Navy-Personal ausgeben. Sie werden diese Truppe leiten.«

»Wieso ich?«, fragte Richards. »Ich bin kein Seemann, und die Bezahlung geht weit über die eines einfachen Sicherheitsjobs hinaus.«

»Alles zu seiner Zeit, Mr Richards. Sagen wir im Moment nur …«

»Sie planen, das Schiff zu versenken und die Straße zu blockieren«, schätzte Richards.

Erneut musste Sheibani seinen Ärger schlucken. »Ganz im Gegenteil. Genau das werden wir vermeiden, während wir es so aussehen lassen, als sei dies unsere Absicht. Danach werden wir sie in indonesischen Wassern auf Grund setzen und dann verschwinden.«

»Wird die Crew das nicht bemerken?«

»Um die Crew kümmern wir uns«, sagte Sheibani.

Richards nickte. »Ausrüstung? Wie viele in unserem Team? Waffen?«

»Die Zusammenstellung und Bewaffnung des Teams erfolgt nach Ihren Wünschen. Tatsächlich will ich, dass Sie einen Teil des Teams rekrutieren. Unser Hauptziel ist die Täuschung. Ein junger, arabisch-amerikanischer Marineoffizier wird Teil des Teams sein.«

»Wozu brauchen Sie mich dann?«

»Zur Absicherung. Die Überlebenden werden von einem von Amerikanern geleiteten Angriff berichten.«

»Aber Sie haben doch einen Amerikaner.«

Sheibani schüttelte den Kopf. »Das Schiff segelt unter liberianischer Flagge, aber alle hochrangigen Offiziere sind Amerikaner. Wir werden sie mittels einer ungewöhnlichen Situation überrumpeln und dann schnell die Kontrolle übernehmen, bevor sie Zeit haben, groß nachzudenken. Unser junger Mudschaheddin ist unerfahren und sieht wie der arabische Amerikaner aus, der er ist. Die Offiziere werden einem Landsmann ihrer Ethnizität gegenüber wohl weniger misstrauisch sein.«

Richards grinste hämisch. »Ich bin also Ihr symbolischer Weißer.«

Sheibani nickte. »So könnte man es ausdrücken. Fragen?«

Richards schüttelte den Kopf und lächelte dann. »Keine Fragen, aber da ich solch ein wertvolles Gut bin, denke ich, wir sollten neu verhandeln.«

Sheibani unterdrückte sein Lächeln. So berechenbar. Er täuschte Widerstand vor und gab dann Richards’ ungemein übertriebenen Forderungen nach. Schließlich würde er nicht lange genug leben, um sein Geld zu kassieren.

 

 

M/T China Star
Die Straße von Hormus, 23. Juni

 

»Kurs Eins Sieben Fünf«, ordnete Kapitän Dan Holt des Supertankers M/T China Star an, während er den Schiffsverkehr beobachtete.

»Eins Sieben Fünf, zu Befehl«, wiederholte der Steuermann, dann, einen Moment später: »Stabil auf Eins Sieben Fünf, Sir.«

Holt sah, wie sich die Straße von Hormus erweiterte und sich die Schiffe im breiteren Fahrwasser großzügig verteilten.

»Okay, stellen Sie sie auf Mike um«, befahl er dem Steuermann.

»Jawohl, Sir. Kurs Eins Sieben Fünf. Übergabe der Kontrolle an Mike«, bestätigte der Seemann, während er die Kontrolle an den Autopiloten, genannt »der Eiserne Mike«, übergab. Bevor er vom Steuerrad zurücktrat, beobachtete er einen Augenblick lang den Kreiselkompass.

»Okay, Ortega«, forderte Holt seinen Zweiten Offizier auf. »Rufen Sie mich, falls nötig. Und lassen Sie sich nicht mit der Nase am Radar erwischen. Die Sicht ist gut, also nutzen Sie den Radar, um eine Richtung oder einen Abstand zu bestätigen, aber nicht als Ersatz für Ihre verdammten Augen.«

»Jawohl, Captain«, sagte Ortega.

»Sie haben das Kommando. Wir sind auf Autopilot, Richtung Eins Sieben Fünf.«

»Ich habe das Kommando, Sir. Autopilot, Richtung Eins Sieben Fünf«, bestätigte Ortega.

Holt nickte kurz und folgte der Treppe in sein Büro hinunter, wo er sich eine ausgedruckte E-Mail ansah, bevor er nach dem Telefon griff.

»Maschinenraum. Chefingenieur hier«, meldete sich Jon Anderson.

»Chief, können Sie kurz nach oben kommen?«

»Okay«, sagte Anderson. »Ich mache gerade die Transferpumpe dicht. Geben Sie mir etwas Zeit.«

Zehn Minuten später stand der Chief in ölverschmierter Arbeitskleidung mit einem sauberen Stück Pappe in der Hand vor Holts Tür. Er zog sich die schmutzigen Arbeitsstiefel aus, ging in Socken zur Couch und setzte sich dort auf die Pappe.

»Himmel noch mal, seid ihr verrückten Ingenieure denn niemals sauber?«, beschwerte sich Holt.

Anderson grinste. »Einige von uns arbeiten für ihr Brot, anstatt den ganzen Tag auf dem Hintern zu sitzen. Sie haben mich herzitiert, und da bin ich. Soll ich wieder gehen?«

Jon Anderson war einer von Kapitän Daniel Holts wenigen Freunden, eine Beziehung, die auf Respekt und der Tatsache beruhte, dass Anderson sich von Holt keinen Unsinn bieten ließ.

»Nein, verdammt noch mal«, knurrte Holt. »Kaffee?«

»Danke, ich hatte schon mehr als genug.« Anderson lächelte beim regelmäßigen Rollen des Schiffes. »Gott, es ist so gut, dort weg und wieder auf See zu sein.«

»Geht mir genauso. Ich bin nur überrascht, dass sie uns nicht einen Haufen Ärger gemacht haben, als sie an Bord kamen und Amerikaner entdeckten. Ich muss sagen, ich habe mich dort nicht besonders wohl gefühlt.«

Anderson zuckte die Achseln. »Vielleicht hatten wir einen Schutzengel. Also, worum geht’s?«

Holt reichte Anderson die E-Mail und wartete ab.

»Was zum Teufel ist der Maritime Schutzdienst?«

»Wie der Titel schon sagt«, erwiderte Holt. »Eine angeheuerte Schutztruppe, die uns durch die Straße von Malakka begleiten soll.«

Anderson sah skeptisch aus. »Sprechen wir von Bewaffneten, die auf dem Schiff rumlungern werden?«

»Das denke ich nicht. Ich nehme an, sie werden uns in einem Boot folgen.«

»Klingt trotzdem nicht gut«, meinte Anderson. »Ich wette, sie haben keine Ahnung von Tankersicherheit. Wir führen ständig Sicherheitstrainings durch, keine Streichhölzer, Zigarettenanzünder, keine funkenproduzierende Ausrüstung, all das, und jetzt sollen wir einen Haufen schießwütiger Arschlöcher willkommen heißen, die das Schiff mit Maschinengewehren umkreisen?«

»Ganz Ihrer Meinung«, pflichtete ihm der Kapitän bei, »aber der Befrachter hat sie angeheuert und unser Eigentümer war damit einverstanden. Solange sie Abstand halten, sollte es in Ordnung gehen.«

»Na ja, wie Sie sagen, wir können es nicht ändern.« Anderson grinste. »Außerdem möchte ich wetten, dass hier jemand geschmiert wurde. Die Rechnung wird sich auf einhundert Riesen belaufen, und dafür wird uns ein uraltes, zahnloses Männlein in einem Kanu mit einem Luftgewehr begleiten.«

Holt lachte. »Das würde mich nicht im Geringsten überraschen.«