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Sembawang Marineterminal
Singapur, 22. Mai

 

Dugan stand am Kai und verfolgte, wie Sheibani, der Erste Offizier, auf der Kommandobrückennock der Alicia stand und in ein Walkie-Talkie sprach, während die Mannschaft die Leinen einholte. Dann hielten sie inne.

»Was zum Teufel soll der Unsinn?«, fragte Chief Petty Officer Vega. »Sie holen einzelne Leinen an Bug und Heck ein und hören dann einfach auf? Und die verdammte Gangway ist immer noch unten?«

Wie in Beantwortung seiner Frage raste ein Taxi auf den Kai zu und kam quietschend kurz vor der Gangway zum Stehen. Ein zerzauster Captain Flip-Flop entstieg dem Taxi, schob einen Haufen Scheine durch das Fenster der Fahrerseite und schleppte sich mit unsicherem Gang die Gangway hoch. Unter den verächtlichen Zurufen seiner Mannschaft verschwand er im Deckshaus, während die Crew die Gangway endlich einholte.

»Himmel noch mal, wenn das nicht wie Alltag an Deck aussieht«, kommentierte Vega und sah der Crew dabei zu, wie sie die letzten Seile einholte.

»Ja, ganz Ihrer Meinung, das schien kein außergewöhnliches Ereignis zu sein«, pflichtete Dugan ihm bei. Sie beobachteten, wie ein Schlepper die Alicia aus dem Hafenbecken zog.

»Na, Gott sei Dank sind es nur zwei Tage«, meinte Vega, »und zumindest der Erste Offizier scheint Ahnung zu haben.«

Dugan nickte schweigend seine Zustimmung. Er stand neben dem Marineangehörigen und sah, wie die Alicia in den Kanal einfuhr. Ein Schiff auf dem Weg und ein weiteres in Arbeit, dachte er. Seine Gedanken wandten sich der Asian Trader zu, die weniger als zwei Kilometer entfernt im Trockendock saß. Merkwürdig. Die Asian Trader lag nun schon seit über einer Woche in der Werft, und Alex Kairouz hatte nicht ein einziges Mal angerufen. Alex war ein engagierter Mann, und obwohl Dugan wusste, dass er dessen komplettes Vertrauen genoss, wusste er auch, dass es Alex unmöglich war, sich aus den unzähligen Details seines Geschäftes herauszuhalten. Zumindest war das bisher seine Art gewesen.

»Das war es dann wohl«, verabschiedete sich Vega neben ihm und brachte Dugan in die Gegenwart zurück. »Danke für Ihre Hilfe, Mr Dugan.« Vega reichte ihm die Hand.

»Es war mir ein Vergnügen, Chief.« Dugan schüttelte Vega die Hand. »Ich gehe jetzt wohl besser zur Werft, um zu sehen, welche Krise sich gerade auf der Asian Trader zusammenbraut.«

 

 

M/V Alicia
In nördlicher Richtung, Straße von Malakka, 23. Mai

 

Broussard sah von der Brückennock über die Wasser der Meerenge hinaus und unterdrückte ein Gähnen. Statt Schlaf zwischen den Wachen hatte ihm die altersschwache Klimaanlage der Vier-Mann-Kabine seines Teams nur ein kurzes Dösen mit wiederholtem und verschwitztem Aufwachen gegönnt. Die Sonne stand nun tief am Himmel. Vielleicht würde der Beginn der Nacht das überalterte Kühlsystem entlasten. Hoffentlich hatten Hopkins und Santiago, deren Wache nun zu Ende war, mehr Glück, Schlaf zu finden, als er und Washington.

Obwohl er gerade erst seine zweite sechsstündige Wache angetreten hatte, schwitzte er bereits. In der Schutzweste war es heiß, und nur Chief Vegas plastische Darstellung, was er demjenigen antun würde, der sie nicht trug, hielt ihn davon ab, sie loszuwerden. Broussards einziges Zugeständnis an Bequemlichkeit war sein Helm, den er, statt ihn zu tragen, an sein Koppeltragegestell geschnallt hatte.

»Können Sie mich hören?«, erklang Washingtons Stimme in Broussards Ohr, als sein Untergebener sich von seiner Position am Heck meldete.

»Laut und deutlich«, antwortete Broussard.

Er sah auf, als Sheibani sich mit seinem ständig gegenwärtigen Lächeln näherte. Netter kleiner Mann, dachte er, obwohl er wie ein Asiate in einem schlechten Fernsehfilm spricht.

»Mr Broussard«, wollte Sheibani wissen, »Sie gut geschlafen, ja? Kabine okay?«

»Ja, kein Problem«, log Broussard. »Danke für Ihre Gastfreundschaft.«

»Gut«, meinte Sheibani und kniff die Augen zusammen. »Was denn das?«

Broussard folgte Sheibanis Blick und erwiderte über seine Schulter hinweg: »Ich kann nichts …«

Ein Licht explodierte hinter Broussards Augen, während er mit scheppernder Ausrüstung in sich zusammensank. Sheibani steckte den Schlagstock weg und kniete sich hin, um dem Amerikaner die Handgelenke zu fesseln. Als er sich wieder erhob, war sein Lächeln echt.

 

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Broussard erwachte mit pochenden Kopfschmerzen, geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt. Er konnte die abgenutzten blauen Kacheln des Offizierskasinos erkennen, die sich angenehm kühl anfühlten. Der Nachthimmel vor den Bullaugen ließ ihn wissen, dass die Sonne untergegangen war.

»Aha, Broussard«, sagte eine seltsam bekannte Stimme. »Sie sind zu uns zurückgekehrt.«

Seinen hämmernden Kopf ignorierend sah Broussard nach oben. Als Sheibani sein Auge mit Daumen und Zeigefinger weit aufzwang und ihm mit einem hellen Licht die Sicht nahm, versuchte er, sich abzuwenden. Dann krümmte er sich zusammen, als Sheibani die Prozedur am anderen Auge wiederholte.

»Gut«, erklärte Sheibani. »Gleichmäßig große, reaktive Pupillen. Ich befürchtete schon, Sie hätten eine Gehirnerschütterung. Normalerweise wende ich nur tödliche Gewalt an. Das hier war eine Lernerfahrung.«

Broussards Fluch war nur als irritiertes Grunzen hinter dem Klebeband, das seinen Mund bedeckte, zu hören.

»Geduld, Broussard«, ermahnte ihn Sheibani. »Ich will hören, was Sie zu sagen haben, aber zuerst werden Sie zuhören.«

Scharf erteilte er einige Anweisungen und zwei Crewmitglieder verfrachteten Broussard in einen Stuhl. Mit den hinter seinem Rücken gefesselten Händen balancierte er auf der Stuhlkante, die Füße auf das Deck gepresst. Hopkins und Santiago saßen in der Nähe, ähnlich gefesselt. Alle waren barfuß, und von ihrer Kleidung waren ihnen allein die Uniformhosen geblieben. Mit einem Funken Hoffnung notierte Broussard Washingtons Abwesenheit. Diese Hoffnung zerschlug sich jedoch schnell.

»Während Sie schliefen, unterhielten Washington und ich uns ein wenig«, erklärte Sheibani.

Sheibani nickte und seine Chargen schleppten vom Gang her ein in Plastik gewickeltes Bündel herein, das sie vor den drei Amerikanern ablegten. Sie öffneten die Plastikhülle.

Washington lag auf dem Rücken. Blut stand in seinen leeren Augenhöhlen. Die abgetrennten Finger einer Hand, seine Genitalien und seine Augäpfel stapelten sich auf seinem massiven Brustkorb. Seine schwarze Haut war ihm in breiten Streifen abgezogen worden, und das Blut des rohen Fleisches sammelte sich nun auf dem Plastik. Broussard kniff die Augen zusammen und bekämpfte seine aufsteigende Übelkeit. Hopkins tat das Gleiche, aber Santiago gab Erstickungsgeräusche von sich. Erbrochenes sprühte ihm aus der Nase. Sheibani riss das Klebeband von Santiagos Mund. Der Seemann übergab sich auf die Leiche und hustete dann feucht, bevor ihm ein abgehacktes Atmen gelang.

 

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Washington hatte Sheibani nichts erzählt. Tatsächlich hatte er Sheibani ins Gesicht gespuckt, was den Iraner in die Rage versetzt hatte, die Washingtons Leben beendete. Sheibani bedauerte, die Kontrolle verloren zu haben, kam aber nach einigem Nachdenken zu der Überzeugung, dass Washington ihm so im Tod dienen konnte, wie er es im Leben verweigert hatte. Die schrecklichen Entstellungen am Körper des großen Mannes waren ihm erst zugefügt worden, nachdem er keine Schmerzen mehr spüren konnte.

»Ich vermutete die Existenz von Peilsendern«, log Sheibani. »Washington verriet uns deren Standort und behauptete bis zum Ende, dass es nur drei gäbe. Aber ich bin ein misstrauischer Mensch. Ich könnte Sie alle nacheinander verhören, was mühsam wäre. Stattdessen werde ich Sie befragen, Broussard. Sie wissen nicht, welche Stellen Washington preisgab, deshalb werden Sie mir alle drei nennen. Sollten Sie sich weigern, werde ich Ihre Kollegen töten und auf schmerzhaftere Techniken umsteigen. Verstanden?«

Broussard starrte ihn an.

Sheibani seufzte. »Ich sehe, ich muss Sie erst überzeugen.«

Er zog eine Pistole und schoss Santiago in den Kopf. Der Mann brach zuckend quer über Washingtons Leiche zusammen. Blut strömte in einem sich ständig erweiternden Kreis aus seinem Körper. Broussards Schreie wurden durch das Klebeband gedämpft, während seine Versuche aufzustehen von Sheibanis Männern vereitelt wurden. Hopkins starrte in Schock nach unten und versuchte, seine Füße von der sich ausbreitenden Blutlache fernzuhalten.

Sheibani riss das Band von Broussards Mund. »Sofort! Die Standorte!«

Broussard setzte an, Sheibani ins Gesicht zu spucken, aber seine Lippen waren noch vom Klebemittel geschlossen, und der Speichel lief ihm am Kinn hinunter. Sheibani lachte und hielt Hopkins die Waffe an den Kopf.

»Warten Sie!« Broussard zwang seine Lippen auseinander.

Sheibani stieß Hopkins gegen den Kopf. »Die Standorte!«

»In jedem Boot«, keuchte Broussard, »hinter den Feuerlöschern, und einer im vorderen Lagerraum.«

Sheibani lächelte, als einer seiner Lakaien davoneilte. Dann verstand Broussard.

»Sie wussten es nicht.«

»Ich kannte die Zahl, nicht die Standorte«, grinste Sheibani. »Sie haben uns viel Zeit gespart und könnten auch zukünftig hilfreich sein. Kooperieren Sie, und Sie werden beide überleben. Weigern Sie sich, und Washingtons Tod wird Ihnen barmherzig erscheinen. Denken Sie, während Sie warten, darüber nach.«

 

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Sheibani verließ den Raum und schlug den Weg zur Brücke ein. Dabei kam er an der offenstehenden Tür der Kabine des Kapitäns vorbei. DeVries lag ausgestreckt auf seinem Bett, Kopfhörer auf den Ohren, eingehüllt in eine Wolke blauen Rauchs. Verächtlich verzog er das Gesicht und kletterte die letzten Stufen zur Brücke hoch.

Auf der Brückennock machte er im Mondlicht aus, wie ein aufblasbares Schlauchboot sich der Geschwindigkeit der Alicia anpasste und an ihrer Seite anlegte. Seile wurden hin- und hergereicht, eine Strickleiter fiel vom Hauptdeck, und die Peilsender wurden transferiert. Sheibani versicherte sich, dass alles nach Plan verlief, und eilte ins Offizierskasino zurück, in dem zwei Männer Wache standen.

»Hören Sie gut zu, Broussard«, forderte Sheibani ihn mit dem Hinweis auf ein kleines Aufnahmegerät in seiner Hand auf.

Sheibani drückte eine Taste und einer von Broussards Lageberichten ertönte aus dem Lautsprecher.

»Sie beide werden in ein kleines Boot umziehen und von dort aus, wie erwartet, weiter Bericht erstatten«, befahl Sheibani. »Sollten Sie Dummheiten machen, stirbt Hopkins, und Sie werden an einen sicheren Ort verfrachtet, wo es eine lange, lange Zeit dauern wird, bevor sie sterben. Verstanden?«

Broussard nickte und Sheibani fuhr fort.

»Ihre bisherigen Berichte klangen alle gleich. Behalten Sie das bei. Meine Männer haben sich diese Aufnahmen eingeprägt, sowohl die Worte als auch den Tonfall. Falls Sie auch nur im Geringsten davon abweichen, werden sie die Übertragung abbrechen und Hopkins erschießen.«

Sheibani lächelte. »Und Sie werden ihn um seinen schnellen Tod beneiden.«

Das Grinsen der Crewmitglieder zeigte, dass sie die englische Sprache sehr wohl beherrschten.

Die Amerikaner weiter zu nutzen, um mehr Zeit zu gewinnen, war ein kalkuliertes Risiko. Falls seine Männer den Funkkontakt abbrechen mussten und dies ohne Zwischenfall tun konnten, würde Singapur technische Probleme vermuten, da das Schlauchboot dem vorgesehenen Kurs der Alicia weiterhin folgen würde. Selbst wenn Broussard eine Warnung gelingen sollte, blieb Sheibanis Männern immer noch ausreichend Zeit, die Amerikaner zu töten, sich ihrer Leichen mitsamt den Sendern zu entledigen, um dann in den Mangrovensümpfen entlang der malaysischen Küste zu verschwinden. Und bevor die Amerikaner ihre Suche starten konnten, wäre die Alicia bereits gut versteckt.

Erst die Peitsche, dachte Sheibani, nun das Zuckerbrot.

»Wir brauchen Sie nicht, Broussard, aber falls wir durch Ihre Hilfe etwas Zeit gewinnen, werde ich Sie beide am Leben lassen. Sie sind unsere Geiseln und werden früher oder später ausgetauscht. Kooperieren Sie?«

Broussard nickte.

»Ausgezeichnet.« Sheibani befahl seinen Männern, die Amerikaner zum Boot zu bringen.

Minuten später stand Sheibani auf der Brücke und verfolgte, wie das Schlauchboot den Originalkurs und die Geschwindigkeit der Alicia beibehielt, während die Alicia langsam backbord schwenkte. Nach ihrer erfolgreichen Trennung legte Sheibani einen neuen Kurs fest und erhöhte die Geschwindigkeit in Richtung ihres Verstecks, das acht Stunden entfernt auf sie wartete.

 

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Broussard lag auf den Bodendielen aus Sperrholz, während das Boot vor sich hin hüpfte. Sie waren immer noch gefesselt, dieses Mal die Arme nach vorn und die Fußgelenke etwas lockerer, was ihnen das Herunterklettern an der Strickleiter erlaubt hatte. Er lag Hopkins gegenüber. Dort hatten sie ihn nach seinem mitternächtlichen Anruf fallengelassen, in dem ihn, angesichts der Waffe an Hopkins Kopf, sein Wille, Singapur zu warnen, verlassen hatte. Danach hatten sich die Terroristen entspannt, ihre Geisel auf den Bretterboden gestoßen, und sich nicht mal die Mühe gemacht, Broussards Mund wieder zu verkleben. Er flüsterte Hopkins im Mondlicht zu.

»Donny, kannst du mich hören?«

Hopkins nickte.

»Donny, dir ist klar, dass sie uns umbringen werden, ja?«

Wieder ein Nicken.

»Beim nächsten Anruf werde ich Singapur warnen. Okay?«

Hopkins starrte Broussard an. Er nickte.

»Wir haben einen Versuch.« Im Flüsterton erläuterte Broussard seinen verzweifelten Plan.

Broussards Ohren klingelten nach einem Hieb. »Kein Sprechen«, schrie ihn der am nächsten stehende Entführer an, rollte Broussard so, dass er Hopkins den Rücken zukehrte und klebte ihm den Mund zu. Etwas Hartes presste gegen Broussards Oberschenkel, und wenig später lächelte er unter dem Klebeband, als er die gefesselten Hände unter sein Bein schob und sein kleines Ka-Bar-Klappmesser durch den Stoff hindurch fühlen konnte. In der ausladenden Tasche hatten seine Geiselnehmer das kleine Messer übersehen. Er änderte seinen Plan.

 

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Der Außenbordmotor stoppte. Broussard wurde in eine aufrechte Position gezogen und von dem Klebeband befreit. Die zwei Crewmitglieder der Alicia flankierten ihn, während die beiden Kidnapper, die mit dem Schlauchboot gekommen waren, Hopkins hochhielten, eine Waffe am Kopf. Die Amerikaner saßen sich, zurückgelehnt an die aufblasbaren Schläuche, die die Seiten des Bootes bildeten, gegenüber, ihre gefesselten Füße flach auf den Holzplanken.

Einer der Geiselnehmer drückte die Lautsprechertaste auf dem Satellitentelefon, wählte Singapur an und nickte Broussard aufmunternd zu, sobald der Offizier vom Dienst antwortete.

»Alicia …«, begann Broussard, als Hopkins gefesselte Hände nach oben schossen, um die Waffe abzuwehren und er seine gefesselten Beine mit aller Kraft nach unten drückte, um sich nach oben zu katapultieren. Er wand sich aus dem Griff des Terroristen, und ließ sich dann rückwärts über die Seite fallen. Wie erwartet zögerten die Männer zu schießen, solange Singapur mithörte. Einen Herzschlag nach Hopkins Flucht folgte Broussard seinem Beispiel und schrie: »Mayday, Terroristen«, während er über Bord ging.

Der ursprüngliche Plan hatte ein Entkommen in der Dunkelheit vorgesehen, das wahrscheinlich zu ihrem Tod durch Erschießen oder Ertrinken geführt hätte. Das Messer hatte die Situation geändert.

Die gedämpften Schreie und Schüsse ignorierend, schwamm Broussard mit gefesselten Händen nach unten. In circa drei Metern Tiefe tastete er nach dem Messer und zwang sich zur Ruhe. Es gelang ihm, sich das Messer zwischen die Zähne zu stecken und die Klinge zu öffnen. Mit beiden Händen umklammerte er das Messer und durchschnitt die Fußfesseln, um sich zurück an die Oberfläche zu treten. Die Spitze des Messers ging ihm voraus.

Auf der mondbeschienenen Wasseroberfläche konnte er die Kontur des Schlauchbootes als dunklen Schatten erkennen. Er schwamm zur Steuerbordseite. Direkt vor dem Auftauchen senkte er seine Hände und stieß dann kraftvoll nach oben, um, vertrauend auf die Dynamik und die Kraft seiner Armmuskeln, die widerstandsfähige Haut zu durchstechen. Ein Strudel voller Blasen blubberte um ihn herum.

Das Boot lehnte sich nach Steuerbord. Die Terroristen stürzten kopflos herbei und starrten verwirrt in das kochende Wasser. Broussard schwamm zur Backbordseite des Bugs, dem am weitesten vom Einstich entfernten Ort, wo er endlich die Oberfläche durchbrach und tief die süße Luft einatmete. Die Männer an Bord schrien aufgeregt durcheinander, während er, durch die Dunkelheit und die überstehenden aufblasbaren Schläuche gedeckt, im Wasser trieb. Dann tauchte er erneut unter und konnte sich dank des Messers in seinen Zähnen nun auch von den Armfesseln befreien. Über seinen nächsten Zug war er sich im Unklaren.

Die Schlagseite verstärkte sich. Die Männer stritten. Broussard hatte gerade entschieden, eine weitere Luftkammer zu durchstechen, als er das Aufklatschen der von den Terroristen ins Wasser geworfenen Peilsender hörte, gefolgt vom Brummen eines erwachenden Außenbordmotors.

Er tauchte tief ab und kam erst wieder an die Oberfläche, als der Außenborder nach Osten hin verhallt war. Dann rief er nach Hopkins.

»Hier. Ich bin schwer getroffen«, kam die schwache Antwort.

»Halt durch und sprich weiter«, rief Broussard ihm zu und folgte dem Klang der Stimme. Er erreichte seinen Freund gerade noch, bevor er unter der Oberfläche verschwand. Broussard tauchte und fischte solange, bis er einen Arm erwischte. Er trat sie beide zurück an die Oberfläche und schnappte schwer nach Luft. Im Mondlicht konnte er Hopkins Gesicht erkennen. Das Klebeband hing ihm an der Wange herunter. Hopkins hustete.

»Komm schon, Kumpel. Du wirst es schaffen. Halt durch.«

»Ich bin total dur… durchlöchert«, keuchte Hopkins. »Hab ein volles Magazin in m… mir.«

»Lass den Blödsinn, Hopkins. Du musst es schaffen, sonst bringt Vega mich um«, fuhr ihn Broussard an.

Hopkins belohnte ihn mit einem schwachen Lächeln, bevor er die Augen schloss und nicht länger sprach.

Broussard tastete Hopkins Körper ab, bestätigte dessen Diagnose und kämpfte damit, Druck auf mehr Wunden auszuüben, als er Hände hatte. Das Wetterleuchten am Himmel sah sie in einem Kreis blutgefärbten Wassers treibend, in das Hopkins mit leblosen Augen starrte.

Der Erschöpfung nahe prüfte Broussard ein letztes Mal den Puls seines Kameraden, hielt Tränen der Wut und der Trauer zurück, schloss Hopkins’ Augen und erlaubte dem toten Körper seines Freundes, nach unten zu sinken.

 

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Eine Stunde später, an Bord eines Super-Lynx-Hubschraubers der Royal Malaysian Navy, der auf die dem Operationszentrum in Singapur zuletzt bekannten Koordinatoren der Alicia zuhielt, überflog Broussard die Meerenge. Ungebeten erschien Sheibanis grinsendes Gesicht vor ihm.

»Lächle nur weiter, du Arschloch«, versprach er ihm. »Die Rache wird fürchterlich sein.«