8
M/T Asian
Trader
ExxonMobil Raffinerie
Jurong, Singapur, 4. Juni
Der Erste Offizier konzentrierte sich auf die Bedienkonsole und auf den steigenden Stand im letzten Frachttank.
»Stopp«, bellte er in sein Funkgerät und wies damit den Terminal an, das Pumpen einzustellen. Die Ladung war komplett. Auf ein Nicken des Ersten Offiziers hin machte sich Medina auf den Weg, die Luftzufuhr zu überprüfen.
Erleichtert eilte Medina die Gangway hinunter. Für den kurzen Transfer zur Raffinerie hatten sie nur minimalen Ballast aufgenommen; das Wasser war nicht mal bis hoch an seine abgedichteten Bohrungen gestiegen. Jetzt waren die Ballasttanks leer. Seine Pfropfen hatten den mächtigen Ventilatoren standgehalten, die Schutzgas in den leeren Ladetanks verteilten, um die sauerstoffreiche Luft zu verdrängen, bevor Benzin in die Tanks fließen würde.
Er hatte befürchtet, der Gasdruck könnte, obwohl er schwach war, die zerkleinerten Teile eines Styroporbechers, die er in die winzigen Löcher gestopft hatte, herausdrücken. Unruhig war er auf dem Deck hin- und hergelaufen, hatte auf verräterische Gerüche aus den Ballasttankschächten oder auf ein lautes Pfeifen von entweichendem Gas durch ein offenes Loch geachtet.
Aber hoch oben auf den Schotten war alles intakt geblieben, Allah sei Dank, und in den Ladetanks nun unter einem halben Meter Benzin versteckt. Es würde nicht lange dauern, bis die Ladung die Abdichtungen zerfressen hätte.
Aber es würde lang genug dauern.
Die Büros der
Phoenix-Schifffahrtsgesellschaft
London
Braun lächelte. Sutton hatte eine Hintertür in mehrere Porno-Webseiten gehackt, die den Versuch, seinen Gesprächen zu folgen, zu einer Suche nach einer Nadel in mehreren tausend Heuhaufen machen würde. Allein die Logik der Methode hatte Motaki davon überzeugt, seinen Widerwillen gegen den Zugriff auf diese Seiten zu überwinden. Braun grinste noch breiter. Vielleicht würde es ja den Horizont des Iraners ein wenig erweitern.
Er öffnete eine verschlüsselte Datei. Motaki hatte gute Arbeit geleistet. Die Tschetschenen sahen europäisch aus, und unter jedem Bild befanden sich Altersangabe, Größe, Gewicht sowie Haar- und Augenfarbe. Braun druckte die Fotos aus und löschte die Datei, bevor er die Webadresse der Baltischen Maritimen Jobbörse eintippte, um die Suche nach arbeitslosen Seeleuten aus dem ehemaligen Ostblock zu beginnen, die den Tschetschenen ähnlich sahen.
Anna Walsh’
Apartmentanlage
8. Juni
Joel Sutton klingelte an Anna Walsh’ Tür. Er trug eine britische Telcom-Uniform und hatte eine Werkzeugkiste in der Hand. Sein Gesicht hier zu zeigen stellte ein Risiko dar, aber er hatte sich vergewissert, dass Dugan und die Schlampe im Büro waren. Außer ihnen kannte ihn niemand. Als niemand öffnete, knackte er das Schloss und machte sich an die Arbeit.
Zunächst versteckte er in den Telefonen und über die kleine Wohnung verteilt mehrere Sender, bevor er einen winzigen Empfänger hoch oben auf einem Regalbrett platzierte, der in den ungenutzten Schaltkreis eines existierenden Telefonanschlusses montiert war. Zufrieden hinterließ er die Wohnung, wie er sie gefunden hatte, und nahm den Fahrstuhl in die Lobby hinunter, wo er seine Werkzeugkiste auf dem Weg zum Wagen vorübergehend abstellte. Er kehrte mit einer schweren Einkaufstasche zurück, deren Riemen ihm tief in die Hand schnitten. Er sammelte die Werkzeugkiste ein und begab sich in den Keller.
Die Telefonanlage war gut markiert, und bereits zwanzig Minuten später konnte er das Ergebnis seiner Arbeit bewundern. Versteckt unter einem Stapel Kisten und mit dem Telefonkasten mittels eines kaum sichtbaren Drahtes verbunden, lag ein hölzernes, mit Blei ausgelegtes Kästchen, dessen so gut wie unsichtbare Antenne zu einem hohen Fenster reichte. Das Kästchen war schalldicht und enthielt einen Lautsprecher, der jedes Geräusch innerhalb des Apartments übermitteln würde. Direkt daneben befand sich ein sprachaktiviertes Handy, das beim geringsten Laut automatisch wählen würde. Zwischen diesen beiden Vorrichtungen gab es außer den Schallwellen keinerlei Verbindung, was die Möglichkeit der Rückverfolgung ausschloss. Das ausgehende Handysignal war wohl nachweisbar, aber seine Herkunft würde schwierig auszumachen sein. Eigentlich unmöglich, da das Audio über zwei identische Telefonanlagen geleitet wurde, die beide weit entfernt in stark benutzten Handyfrequenzbereichen versteckt waren.
Sämtliche Handys konnten nicht zurückverfolgt werden: Sie waren bar bezahlt und mit Langzeitbatterien ausgestattet worden. Jede Kiste enthielt genug Plastiksprengstoff und weißen Phosphor, um seinen Inhalt plus denjenigen zu vernichten, der nicht vor seiner Öffnung das darin befindliche Telefon mit dem Deaktivierungscode angerufen hatte.
Als Letztes wählte Sutton auf einem weiteren Einwegtelefon Anna Walsh’ Nummer und hörte sich ihren Sprachbox-Gruß ohne Erwiderung an. Im Keller der iranischen Botschaft schaltete sich ein Handy aus, nachdem es Annas Worte aufgenommen hatte. Ein Techniker rief seinen Vorgesetzen an. Dieser Vorgesetzte trat an ein Fenster seines im zweiten Stock gelegenen Büros und strich sich mit der rechten Hand das Haar glatt, was von einem Mann auf der gegenüberliegenden Straße, der vorgab, die Zeitung zu lesen, registriert wurde. Der Mann fand eine öffentliche Telefonzelle und wählte eine Nummer.
»Hallo«, meldete sich Sutton.
»Tut mir leid. Ich wollte George McGregor anrufen. Ich habe mich verwählt«, entschuldigte sich der Mann und hängte auf.
Sutton griff nach seiner Werkzeugkiste. Die Überwachung war aktiv, wer immer sie auch durchführte. Er verließ das Gebäude, um den Lieferwagen loszuwerden.
Die Büros der Phoenix-Schifffahrtsgesellschaft
Dugan fluchte, als sich sein Bildschirm zum dritten Mal verdunkelte. Genauso gut konnte er auch aufhören. Er sah auf die Uhr. Seitdem er und Anna ihre »Affäre« begonnen hatten, blieben sie jeden Abend länger, um das Muster zu etablieren, dass sie sich regelmäßig nach Geschäftsschluss weiter im Büro aufhielten. Sie verließen das Gebäude jeden Abend gemeinsam, und zwei Mal hatte Dugan auf ihrer Couch übernachtet, um am nächsten Morgen im Büro in den gleichen Kleidern zu erscheinen – eine Tatsache, die der Büroklatsch sehr wohl registrierte. Allerdings hatte Dugan den Effekt außer Acht gelassen, den seine Beziehung zu Anna auf seine anderen Beziehungen haben würde.
Mrs Coutts machte ihre Missbilligung mit jedem ihrer eisigen Blicke deutlich und sprach ihn nur mit kalter Formalität an. Anna hingegen hatte sich in ihrer Vorstellung in eine arme Unschuldige verwandelt, die von ihrem lüsternen Chef, einem Sexmonster, verführt worden war. Es kam noch schlimmer. Daniel, der Fahrer, gab den Klatsch an Mrs Hogan, die Köchin, weiter, die, davon überzeugt, er müsse sich täuschen, es Mrs Farnsworth berichtete. Nachdem sie Mrs Hogan über die Fallstricke jedweden Tratsches aufgeklärt hatte, wandte sich Mrs Farnsworth direkt an Mrs Coutts, um die Quelle dieses Gerüchtes aufzutun und zu vernichten, nur um zu erfahren, dass die Gerüchte der Wahrheit entsprachen.
Mrs Farnsworth, noch nie ein Fan von Dugan, behandelte ihn, falls sie überhaupt noch mit ihm sprach, nur noch als schwer zu tolerierendes Objekt. Mrs Hogan zeigte ihr Missfallen auf ihre eigene Art. Heute Morgen hatten seine Eier wie Plastik geschmeckt, serviert mit verbranntem Toast und einem Orangensaft, der mehr Kerne als Saft enthielt.
Das einzige weibliche Wesen, das ihn im Haus noch mochte, war Cassie. Die lag aber schon im Bett, wenn er abends nach Hause kam. Seine erste morgendliche Abwesenheit war ihr allerdings aufgefallen. Ihre Wissbegierde wurde am nächsten Morgen abrupt von Mrs Farnsworth mit dem Edikt »eine junge Dame ist nicht neugierig« gestoppt, begleitet von einem eisigen Blick auf Dugan.
Und heute Morgen hatte sich die Lage bei der Fahrt ins Büro mit Alex’ wiederholtem Räuspern weiter zugespitzt.
»Spuck es besser aus, bevor du Halsweh bekommst, Alex«, forderte Dugan ihn auf.
»Es ist … unangenehm, Thomas. Deine Beziehung zu dieser Walsh-Dame stört den Haushalt.«
»Stimmt«, sagte Dugan, »mich würde nur interessieren, wieso. Mein Privatleben geht niemanden etwas an.«
»Ganz recht, Thomas. Aber die Damen« – Alex lächelte – »ausgenommen Mrs Farnsworth natürlich, hielten alle große Stücke auf dich. Ich bin sicher, dass sie dich nicht für einen Mönch hielten, aber sie nahmen wohl an, dass du eine … geeignetere Partnerin finden würdest. Eine Frau wegen ihres Aussehens einzustellen, nur um sie ins Bett zu bekommen, ist einfach … unappetitlich.«
»Anna ist eine verdammt gute Sekretärin.«
»Fürwahr«, gab Alex zu. »Ein glücklicher Zufall, nach Mrs Coutts.«
»Wie steht es mit dir, Alex? Teilst du die Meinung der Damen?«
Die Stille antwortete.
»Denk an den Spruch mit den Steinen im Glashaus, alter Freund. Kathleen war deine Sekretärin.«
Diese Worte bereute er umgehend. Alex lief tiefrot an.
»Wag es ja nicht anzudeuten, dass meine Ehe das Produkt einer billigen Büroliebelei war. Kathleen arbeitete jahrelang für mich, bevor wir uns fanden. Ich bin dein Freund, aber solltest du das jemals, jemals wiederholen, ist es damit vorbei. Hast du mich verstanden?«
»Ein Schlag unter die Gürtellinie, Alex. Es tut mir leid. Ich bin einfach nur von der Reaktion aller überrascht. Ich will deinen Haushalt ganz sicher nicht durcheinanderbringen. Vielleicht ziehe ich besser aus?«
»Das wäre vielleicht das Beste«, stimmte Alex, immer noch zornig, zu. »Aber wohin? Zu Miss Walsh?«
»Das ist meine Angelegenheit, Alex«, wies ihn Dugan zurecht. Den Rest des Weges schwiegen sie sich an.
Und jetzt bin ich obdachlos, dachte Dugan, als Anna im Türrahmen erschien.
»Zeit fürs Abendessen?«, erkundigte sie sich.
»Ich bin dabei.« Dugan stand auf, fertig zum Gehen. »Wir haben wichtige Dinge zu diskutieren.«
»Ach ja?«
Dugan lächelte. »Was hältst du von einem Mitbewohner?«
Perfekt, dachte Braun, als Dugan und Anna gingen. Der Zeitpunkt von Suttons Besuch hätte nicht besser fallen können. Falls der Yankee einziehen würde, konnte er vielleicht einen Teil der Überwachung komplett einstellen. Grund zum Feiern. Ein nettes Abendessen, mit Kairouz’ besten Wünschen und etwas Unterhaltung. Beim Verlassen des Büros wählte er eine Nummer.
»Schicken Sie mir die kleine Brünette, zweiundzwanzig Uhr«, verlangte er. »Den Namen habe ich vergessen.«
»Yvette«, sagte eine Stimme, »und der Preis hat sich verdreifacht. Sie haben sie beim letzten Mal fast umgebracht. Ich konnte sie tagelang nicht einsetzen. Ich erwarte dafür eine Ausgleichszahlung.«
»Kein Problem. Solange sie die Spielzeuge mitbringt …«
Er legte auf, winkte einem Taxi und lächelte, als er es sich im Sitz bequem machte – alles lief wunderbar.
Dugan und Anna traten angeheitert und entspannt vom Wein in einen wunderbaren Abend hinaus. Er hatte ihr seine Probleme mit Alex dargelegt, während Anna Freude über die Aussicht ihres Zusammenlebens vortäuschte.
Dugan spielte mit, obwohl er sich mit dem Gedanken an ein unbequemes Sofa im Tausch gegen ein weiches Bett wenig anfreunden konnte. Anna hing an seinem Arm, den Kopf gegen seine Schulter. Dugan sah sich nach einem Taxi um.
»Nein, nicht«, stoppte sie ihn. »Es ist so angenehm. Gehen wir zu Fuß.«
Die Straße war nicht sehr belebt, aber als sie Annas Wohnhaus erreichten, kollidierte ein eiliger, kleiner, kahlköpfiger Mann mit einem Telefon am Ohr mit Anna, ohne auch nur anzuhalten. Dugan starrte ihm nach.
»Ganz ruhig, Tarzan«, hielt ihn Anna zurück. »Ich bin okay. Vergiss es.«
Anna zog Dugan am Arm und sie gingen nach drinnen.
Im sicheren Hafen des Apartments entspannte sich Dugan, aber bevor er etwas sagen konnte, hielt Anna ihm die Hand vor den Mund.
»Ich werde kurz duschen. Wäschst du mir den Rücken, Tiger?«, lockte sie ihn.
»Klingt verlockend«, erwiderte Dugan, nachdem sie ihre Hand zurückgezogen hatte.
In stiller Verwirrung beobachtete er, wie Anna den Duschkopf so ausrichtete, dass das Wasser laut auf den Plastikvorhang aufschlug. Sie zog ihre Schuhe aus, bedeutete ihm, das Gleiche zu tun, und führte ihn dann auf Zehenspitzen durch die Hintertür der kleinen Küche hinaus nach draußen.
In jedem Stockwerk gab es zwei Wohnungen, alle mit dem Vordereingang zum Anwohneraufzug hin und mit einem Hintereingang, der von einem allgemeinen Dienstaufzug bedient wurde. Sobald sie ihre eigene Tür hinter sich zugezogen hatte, winkte ihnen ein hochgewachsener Mann in einem zerknitterten Anzug von der offenen Hintertür der Nachbarwohnung aus einladend zu. Mit Dugan im Schlepptau betrat Anna das Apartment und folgte dem Mann ins Wohnzimmer.
Der große Mann grinste. »Und wie geht es unserem Phoenix-Schifffahrtsgesellschafts-Flittchen?«
»Halten Sie die Klappe, Harry«, erwiderte Anna. »Ist Lou schon zurück?«
»Jeden Augenblick«, versprach Harry, als der Schlüssel an der Vordertür rasselte und Lou eintrat.
»Sie sind der Kerl, der in uns reingelaufen ist«, stellte Dugan überrascht fest.
»Schuldig«, nickte Lou. »Ich musste Anna über die Wanzen informieren.«
Anna begrüßte den Neuankömmling. »Tom, das sind Lou Chesterton und« – sie zeigte auf den großen Mann – »Harry Albright. Meine Kollegen in der Anti-Terror-Einheit.«
Dugan schüttelte Hände, während sie fortfuhr. »Wer hat uns verkabelt?«
»Sutton«, antwortete Lou. »Professioneller Job. Durch Sprengfallen gesicherte Relais. Nicht zurückzuverfolgen.«
»Himmel«, fluchte Dugan, »jetzt sind die überwachungsfreien Zeiten auch hier vorbei.«
»Willkommen in unserer Welt, Yankee«, feixte Lou und wandte sich an Anna. »Die Dusche läuft?«
»Weniger als fünf Minuten, aber lang haben wir nicht.« Sie adressierte Harry. »Tarnungsaudio?«
Harry lächelte. »Einige der besten Sexgeräusche, die das Internet zu bieten hat.«
»Stimmen?«
»Kein Problem«, versicherte ihr Harry. »Wenig Unterhaltung und eigentlich immer das Gleiche. Ich habe sie verzerrt, und Sie können sie mit Musik überspielen. Für heute Abend wird es gehen.«
»Und was kommt nach den Sexgeräuschen?«, wollte Anna wissen.
»Endloses Schnarchen. Das gibt euch die Gelegenheit zurückzukommen, um einige alternative Aufnahmen zu fabrizieren.«
»Ich schnarche nicht«, behauptete Dugan.
»Tust du wohl. Wie ein verdammter Holzfäller«, korrigierte Anna ihn. »Zumindest auf meinem Sofa.«
»Tatsächlich schnarchen Sie beide. Zumindest in meiner Aufnahme«, versicherte Harry einem grinsenden Dugan.
»Okay«, trieb Lou sie an. »An die Arbeit. Harry, bringen Sie Anna den tragbaren CD-Spieler, während sie Mr Dugan instruiert.«
Minuten später schlichen sie sich in Annas Apartment zurück. Sie stellte die Dusche ab und gab ein sinnliches Stöhnen von sich, während sie den CD-Spieler neben das Telefon am Bettrand stellte. Dugan, ganz nach Anweisung, folgte ihrem Beispiel. Dabei sah er so befangen aus, dass Anna an sich halten musste, um nicht zu lachen. Sie startete die Sex-Tonspur auf dem tragbaren Spieler, untermalt von Musik auf ihrer Stereoanlage. Zufrieden verschwanden sie durch die Hintertür in die Nachbarwohnung.