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Haus des Islamischen Wissens
Dearborn, Michigan, 29. Juni

 

Borqei sah sich die Nachricht an, seufzte und wählte eine Nummer. Seine Unterhaltung in Farsi enthielt gewisse Codeworte. Eine Stunde später suchte Yousifs Adoptivmutter ihren Arzt auf, der sie in seine Privatklinik einwies und ihren Geistlichen, Borqei, davon unterrichtete. Borqei informierte die Navy, dass Leutnant zur See Hamads Mutter schwer erkrankt sei, und übermittelte die Telefonnummer eines Arztes zur Bestätigung. Innerhalb weniger Stunden verließ Hamads Flugzeug San Diego, mit Zwischenlandung in Los Angeles.

 

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Unter der Trennwand einer Toilettenkabine auf dem Flughafen von Los Angeles schob ein Mann Yousif einen Umschlag zu, der ein Ticket nach Jakarta, einen gefälschten Ausweis, ein Portemonnaie mit Bargeld, einen Führerschein und mehrere Kreditkarten enthielt. Wieder erschien die Hand unter der Trennwand, und Yousif reichte seine Bordkarte und seinen Ausweis weiter.

Sein Sitz im Flugzeug nach Detroit würde von einem Mann eingenommen werden, der ihm sehr ähnlich sah. Es wäre nicht von Vorteil, von der Fluggesellschaft als No-Show registriert zu werden.

Eine Stunde später saß Yousif in Zivilkleidern in der internationalen Abflughalle, seine Bordkarte in der Hand, überrascht von seinem Trip nach Indonesien, aber voller Vertrauen in seinen Imam Borqei.

 

 

Die Küste nördlich von Idi
Provinz Aceh, Indonesien, 30. Juni

 

Zusammen mit Richards beobachtete Sheibani im stärker werdenden Licht, wie seine Männer knapp zwanzig Meter vor ihnen Netze über die unter herabhängenden Ästen verankerten Boote ausbreiteten. Ein guter Ausgangspunkt, dachte er, genau dort, wo sich das Andamanische Meer in die Straße von Malakka verengte. In der Provinz Aceh fühlte sich Sheibani sicher. Der Heilige Dschihad fand hier, wo der Islam in Indonesien Fuß gefasst hatte, breite Unterstützung.

»Ist diese Deckung ausreichend?«

Richards nickte. »Unter den Bäumen und den Netzen werden sie für die Satelliten unsichtbar sein.«

»Und Sie haben alles, was Sie brauchen?«

Richards grinste. »Genug C4, um sie hochgehen zu lassen, und genug Ton, um Ihre Bombenjungs auf den Holzweg zu führen.«

»Zeigen Sie Respekt«, schnappte Sheibani. Tapfere Männer hinters Licht zu führen war bedauerlich. Er hoffte, sie würden im Paradies willkommen sein. Er würde diesem Ungläubigen nicht erlauben, sich über sie lustig zu machen.

»Morgen werde ich unseren Amerikaner in Jakarta abholen«, sagte Sheibani. »Bevor wir morgen Abend zurück sind, müssen Sie fertig sein.«

»Was? Wieso? Wir haben noch vier Tage.«

»Die anderen werden nichts verstehen, aber dieser Mann könnte es vielleicht. Bereiten Sie alles vor, und decken Sie alles ab.«

»Verdammt«, fluchte Richards.

Sheibani überließ Richards seiner Arbeit. Am nächsten Morgen, als er in seinen Geländewagen stieg, hatte der Amerikaner seine Materialien neben den Booten aufgebaut.

»Unter dem Tarnnetz werden wir vor Hitze umkommen«, verkündete der Amerikaner.

»Solange Sie nur vor unserer Rückkehr fertig sind.«

Sheibani ließ Richards fluchend zurück, hatte den Amerikaner auf seiner Fahrt auf dem schmalen Dschungelpfad aber schnell vergessen.

Erfolg war einfach Ansichtssache. Selbst wenn es ihnen nicht gelingen sollte, China davon zu überzeugen, dass der Angriff nur eine amerikanische Finte war, um die Übernahme der Kontrolle über die Straße zu rechtfertigen, wäre der Anschlag selbst bereits Grund genug, die Ölpreise steigen zu lassen und den Verdacht vom Iran abzulenken. Sheibani lächelte und plante im Geiste schon ›spontane‹ Straßendemonstrationen, sobald der amerikanische Verrat ans Tageslicht kommen würde.

 

 

Hauptquartier der Justizermittlungsbehörden
Panama City, Panama, 1. Juli

 

Der Stuhl quietschte, als Lieutenant Manuel Reyes nach einer Akte griff.

»Manny, eines Tages«, sagte Sergeant Juan Perez, »wird dein fetter Hintern noch auf dem Boden landen.«

»Du bist doch nur eifersüchtig, Kleiner«, gab Reyes zurück, was ein wenig der Wahrheit entsprach. Mit seinen ein Meter dreiundneunzig und seinem kräftigen Körperbau überragte Reyes seinen Partner um Längen. Perez unterdrückte eine Antwort, als Captain Luna hereinkam und Reyes einen Ordner hinhielt.

»Was ist das?«

»Ihr werdet eine kleine Bootsfahrt machen«, sagte Luna. »Todesfall auf einem Tanker.«

»Mist. Wieso wir? Warum nicht diese SMN-Trottel?«, fragte Perez, »warum nicht die Männer vom Servicio Maritimo Nacional? Moment, ich rate mal. Sie legt am Wochenende an.«

»Sie kennen sich aus, Perez«, erklärte Luna. »Wir bekommen dafür eine mögliche Fremdeinwirkung.«

»Fremdeinwirkung?« Perez zeigte Interesse.

»Sieht so aus.« Reyes sah von der Akte hoch. »Haben Sie das gelesen, Captain?«

Luna nickte. »Keine Zeugen, außer dem Typen, der den Unfall gemeldet hat. Das Opfer ist ein geübter Seemann bei guter Gesundheit. Gutes Wetter. Ja, das ist einen zweiten Blick wert.«

Reyes fuhr fort. »Hier steht, er fiel auf einen Ventilschaft, der durch sein Auge ins Gehirn vordrang.«

»Niemals«, kommentierte Perez. »Hatte er die Hände frei? Ich kann mir einen gebrochenen Arm oder Kiefer vorstellen, oder sogar, ein Auge zu verlieren. Aber das Ding würde ihm nicht ins Gehirn gehen, es sei denn, er wäre mit Krafteinsatz direkt darauf gestoßen worden. Klingt, als ob er Hilfe hatte.«

Reyes und Luna nickten.

»Irgendwelche Streitigkeiten zwischen dem Opfer und dem Zeugen?«, fragte Perez.

»Nichts in der Akte«, verneinte Luna. »Der Firmenrepräsentant wird Sie von seiner Ankunftszeit unterrichten. Halten Sie mich auf dem Laufenden.« Er grinste. »Zeit genug für Perez, seine Pillen gegen Seekrankheit aufzustocken.«

Reyes lächelte. Die Aversion seines Partners gegen alles, was sich auf dem Wasser bewegte, war eine Abteilungslegende. Perez wurde es sogar auf einer Barkasse im glatten Wasser des Hafens speiübel. Reyes beschloss, ihn eine Weile brüten zu lassen, bevor er anbot, den Fall allein zu bearbeiten. Geschah ihm recht für die Bemerkung über seinen fetten Hintern.

»Das wird ganz sicher unser Wochenende ruinieren«, brummelte Perez hinter Lunas Rücken.

»Das will ich nicht hoffen.« Reyes nickte in Richtung des Fotos seiner achtjährigen Zwillinge in Fußballuniformen.

»Die Jungen haben am Wochenende ein Spiel. Das will ich nicht verpassen.«

 

 

Die Büros der Phoenix-Schifffahrtsgesellschaft
2. Juli

 

Braun lächelte über seiner Lektüre. Er manipulierte jetzt sowohl den Nachrichtenfluss der Asian Trader als auch den der China Star und schickte oder modifizierte Nachrichten in Dugans Namen. Der Trick würde nicht lange funktionieren, aber die Anschläge standen nun kurz bevor. Die Asian Trader hatte ihre Geschwindigkeit gemäß ›Dugans‹ früheren Anordnungen erhöht. Neue ETA war nun 01:00 Uhr am 4. Juli, bereit, mit dem ersten Licht den Kanal zu durchqueren. Das Boot würde volle vierundzwanzig Stunden früher als geplant in Panama eintreffen, bevor jemand im Büro auch nur die geringste Ahnung davon hatte.

Auf der Webseite der Panamakanalbehörde, auf der er sich als Dugan angemeldet hatte, lagen bereits eine Menge Gebote für die Versteigerung der Passierplätze am 4. Juli vor. Er verdoppelte das höchste Gebot und grinste, als sich kein Herausforderer meldete. Nachdem er sich den gewünschten ersten Platz gesichert hatte, rief er eine ausgehende Nachricht auf, die er abgefangen und zurückgehalten hatte, und die den dortigen Firmenbeauftragten bat, für Dugan ein Hotel und einen Fahrer am Flughafen zu arrangieren. Er fügte nun die Information hinzu, dass die Asian Trader erstes Passierrecht hatte und dass die Ermittlungen erst nach der Durchfahrt aufgenommen werden sollten. Braun drückte auf Abschicken und lehnte sich zufrieden zurück.

Dugan würde nach dem Anschlag ankommen – rechtzeitig zu seiner Festnahme. Eine Untersuchung würde Dugans Konto auf den Kaimaninseln ans Tageslicht bringen, das ihm über eine Reihe von Scheinfirmen gehörte. Dort hatte Dugan erst kürzlich Einzahlungen in Höhe von einer Million Dollar verbucht, aus Quellen, die bekannte Verbindungen zu Terroristen hatten. Braun hatte das Geld nur Minuten auf dem Konto ruhen lassen, bevor er es durch gekonnte Transaktionen wieder verschwinden ließ. Jemanden falsch zu bezichtigen war eine Sache, aber eine Million Dollar würde er nicht so leicht aufgeben.

Trotz kleinerer Probleme entwickelten sich die Dinge. Die China Star und die Asian Trader waren termingerecht unterwegs, und die Tschetschenen waren für den letzten Akt der Aufführung in Position. Er hätte es sich nicht besser wünschen können.

 

 

Paris, Frankreich, 2. Juli

 

Basaev wanderte durch den Raum. Er war so ungeduldig wie alle. Sie hatten eine Woche in diesem heruntergekommenen Hotel verbracht und in Vorbereitung darauf, als Reparaturcrew an Bord zu gehen, ihre Kursnotizen und Identitätspapiere studiert. Ihre Waffen warteten im Ladehafen auf sie, versteckt zwischen den Werkzeugen, die für die »mitreisende Crew« zum Gebrauch während der Überfahrt geladen werden sollten.

Sobald das Schiff festgemacht hatte, würden sie den ersten Flug aus Paris zum Ladehafen nehmen, aber erst kurz vor dem Auslaufen an Bord gehen, um weniger prüfenden Blicken ausgesetzt zu sein.

Allah, lass es bald sein, betete Basaev.