Wieder zuhause

Ich wusste nicht genau, wovon er sprach, also öffnete ich gezwungenermaßen meine Augen. Omis Garten sah aus wie immer. Die Sonne klebte direkt über dem Schuppendach, und das grüne Ungeheuer stand vor Aufregung zitternd neben dem Holzzaun. Die Trompeten schmetterten unvermindert laut aus meiner Hosentasche, und Strom-Tom schrie: „Nun geh schon ran! Das ist der Chef!“

Ich holte das Handy hervor, drückte auf den grünen Knopf, und die Blasinstrumente verstummten.

„Mensch, Dodo! Das ging ja sogar schneller, als ich dachte!“, jubelte der große, schwere Mann am anderen Ende der Leitung. „Die Sofort-Rente hast du dir wirklich verdient!“

Ich schwieg.

„Freust du dich denn gar nicht?“

„Doch, schon …“ Es fiel mir schwer, die rechte Begeisterung aufzubringen.

Der Mann in dem Ohrensessel schien das nicht zu bemerken. Vielleicht war es ihm auch egal. „Gut! Sehr gut! Gib den Löffel einfach deiner Omi.“

„Wieso denn meiner Omi?“

„Frag nicht so viel, tu es einfach. Damit ist dein Auftrag dann beendet. Ach ja, und, Dodo?“

„Ja?“

„Ich habe mich nicht geirrt: Du bist ein Held!“

Ich glaubte, ein Augenzwinkern zu hören. Dann knackte es in der Leitung.

Einen Augenblick lang stand ich einfach nur da. Ich steckte das Handy zurück in meine Hosentasche, ging zum grünen Ungetüm und löste den Sicherheitshebel, der sich irgendwie verkantet hatte. Sofort beruhigte sich das glänzende Monstrum und wurde ganz still. Warum war es überhaupt hier draußen und nicht in seiner Ecke im Schuppen? Heute war Montag, nicht Freitag. Und Montag war Wäschewasch-Tag, nicht Rasenmäh-Tag. Trotzdem hatte jemand während meiner Abwesenheit gemäht. Allerdings nur zur Hälfte. Auf der anderen Seite waren die Halme knöchelhoch, was eigentlich unmöglich war, da ich doch vor drei Tagen gerade erst selbst den gesamten Rasen gemäht hatte.

Omi trat mit einem Tablett auf die Terrasse hinaus. Ich rief: „Omi, was ist denn mit der Wiese los? Und warum steht der Rasenmäher hier?“

„Schön, dass du wieder da bist“, sagte Omi und stellte das Tablett auf den Tisch.

„Hast du die Wiese gemäht?“, fragte ich, obwohl auch das nicht erklären würde, warum das Gras so schnell gewachsen war.

„Wie war‘s denn, mein Junge?“, fragte Omi zurück.

„Wie es war? Wie was war?“

Ich sah sie verwirrt an. Omi glotzte stumpf an mir vorbei. Sie schien mich gar nicht richtig wahrzunehmen. So als würde sie schlafwandeln. Oder als wäre sie plötzlich erblindet.

Ich wedelte mit der Hand vor Omis Gesicht hin und her. Ihre Augen zeigten keine Reaktion. Mein Herz klopfte aufgeregt in meinem Hals. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas stimmte überhaupt nicht.

„Omi? Ich … ich soll dir einen Löffel geben“, sagte ich stockend.

„Einen Löffel?“ Omi starrte weiterhin auf eine unbestimmte Stelle im Garten.

Ich nickte. Meine Hand zitterte, als ich den rot-gelb gestreiften Löffel hervorholte.

Etwas knisterte, und Omi verzog das Gesicht. Sie sah sehr müde aus. „Danke, Dodo.“ Sie nahm den Löffel und steckte ihn in die Tasche ihrer Strickjacke. „Bitte mähe den Rest des Gartens fertig. Und schau nicht so traurig. Du hast dir eine 5000-Euro-Sofort-Rente verdient.“ Sie seufzte. „Ich gehe jetzt und gebe den Löffel ab. Folge mir nicht. Auf Wiedersehen.“

Sie drehte sich um und ging zurück ins Haus. Ich sah ihr nur nach und wartete, bis die Dunkelheit des Wohnzimmers sie verschluckt hatte. Ich stand allein unter der taubenblauen Markise und fragte mich, was hier vor sich ging. Es musste ein Traum sein. Es gab keine andere Erklärung dafür. Der fiebrige Traum infolge eines Hitzschlags.

Und wenn nicht? Alles wirkte so real, so greifbar. Ich dachte daran, Strom-Tom zu befragen, aber wahrscheinlich würde er mir aus Angst vor seinem Chef ohnehin nichts erzählen, selbst wenn er etwas wusste. Ratlos ging ich zur Wiese hinunter und setze mich in das viel zu hohe Gras. Für einen Moment lang fühlte ich mich sehr einsam.

Plötzlich rief jemand direkt neben mir meinen Namen. Ich fuhr herum, doch da war niemand. Nur ein kleiner Sperling umkreiste flügelschlagend meinen Kopf.

„Warum hast du das gemacht?“, fragte die Stimme aufgebracht.

Noch immer war niemand zu sehen. Dafür flog der Sperling nun vor meinem Gesicht auf und ab. Er war gelb. Ich erinnerte mich an die gelbe Feder, die auf Elenors Schulter gelegen hatte, als sie aus der Lagune gestiegen war und jetzt erkannte ich auch die Stimme.

„Elenor? Bist du das?“, fragte ich ungläubig.

„Ich weiß, ich hätte es dir erzählen sollen“, sagte der Sperling. „Ich bin eigentlich gar kein Mädchen.“

„Aber du …? Aber wie …? Aber warum …?“, fasste ich meine Verwirrung in Worte.

„Dodo, warum hast du das gemacht?“, zwitscherte Elenor wieder. „Wo ist der Löffel? Zuhause versinkt alles im Chaos! Lichtwiese verändert sich!“

„Es … ist zu spät.“ Ich senkte den Blick. „Ich hab den Löffel meiner Omi gegeben.“

„Du musst uns helfen!“, piepste Elenor. „Lichtwiese braucht den Löffel! Wir brauchen dich. Ich brauche dich.“

Ich sah auf, betrachte den kleinen, gelben Sperling, der eigentlich ein wunderschönes Mädchen war und dem es sichtlich Mühe bereitete, auf der Stelle zu fliegen, und ich erkannte, dass ich einen Fehler begangen hatte. Einen schrecklich großen Fehler. Ich hatte Elenor hintergangen. Und Tante Hablieblieb. Und ich hatte Lichtwiese, den schönsten Ort, den ich jemals in meinem Leben gesehen hatte, in Gefahr gebracht.

Wenn man einen Fehler begeht, muss man ihn wieder ausbügeln, sagte Omi immer.

Also stand ich auf, klopfte meine Hose ab, obwohl sie gar nicht schmutzig war, und sagte: „Okay … dann holen wir uns den Löffel halt zurück!“

„Danke, Dodo“, trällerte Elenor. „Ich wusste, dass du uns helfen wirst.“

Die Stimme in meinem Bauch war hingegen alles andere als begeistert. „Was machst du denn da?!? Dein Auftrag ist doch längst beendet! Geht diese Gefühlsduselei etwa schon wieder los??“

Doch dieses Mal hörte ich nicht auf meinen Bauch, sondern vertraute meinem Herzen.