Auf Leben und Tod

Einem inneren Drang folgend, lief ich nach rechts. Der Roboter-Bandit folgte mir mit schnellen Seitwärtshopsern.

„Uh, er geht rechts herum“, kommentierte der Stadionsprecher. „Das sollte er lieber nicht machen, wenn er an einem Stück bleiben will, denn dort lauert El manco Bandidos Kettensäge!“

Ich bremste ab und lief in die andere Richtung. Der Roboter-Bandit blieb seinerseits stehen und hopste mir hinterher. Mit jedem Sprung kam er näher.

„Jetzt versucht er es auch noch links herum!“, rief der Stadionsprecher in heller Aufregung. „Doch dort wartet bereits El manco Bandidos flinke Greifhand auf ihn! Und die ist schon ganz anderen Herausforderern zum Verhängnis geworden!“

Wie zur Bestätigung sauste die Roboterhand herab. Mit einem beherzten Sprung brachte ich mich in Sicherheit, rappelte mich gleich wieder auf, stürmte blindlings weiter und prallte aus vollem Lauf gegen die Tribünenwand. Ich spürte den staubigen Boden unter mir. Bunte Flecken tanzten vor meinen Augen. Ich versuchte aufzustehen, doch meine Beine gehorchten mir nicht mehr.

„Hallo!?“, rief ich. „Kann mir bitte jemand helfen? Ich will nicht gevierteilt werden! Omi hat mir gerade erst einen neuen Anzug gekauft!“ Es ging im ekstatischen Jubel des Publikums unter. „Der passt dann doch gar nicht mehr!“, fügte ich überflüssigerweise hinzu.

Der Roboter-Bandit stampfte zwei große Schritte näher und sah auf mich hinab. Er hatte keine Eile mehr. Es war vorbei.

„Was ist denn da draußen los?“, fragte plötzlich eine Stimme in mir.

„Dieses Ding da will mich auseinanderreißen!“, schrie ich, um den Tumult zu übertönen.

„Was denn für ein Ding?“, fragte die Stimme in mir.

„Dieser Einarmige Bandit!“

„Ein Automat?“

„Ja!“

„Und der ist aus Metall?“

„Aus einer riesigen Menge Metall!“, bestätigte ich. „Das ist ein riesiger metallischer Killer-Roboter!“

„Aber das ist doch wunderbar!“

„Was soll daran denn wunderbar sein? Du und dein seltsamer Humor, Strom-Tom!“ Ich stutzte. Plötzlich kam mir etwas sehr, sehr seltsam vor. So als würde man in einen Schokokuss beißen und feststellen, dass er mit Senf gefüllt ist. Ich leckte über meine Zähne und fragte: „Strom-Tom?“

„Ja?“, schallte es aus meinem Magen.

Er war wieder da.

„Du bist wieder da!“, jauchzte ich und sah mich nach etwas um, das ich umarmen konnte. Leider war da nur der Roboter-Bandit.

„Ich bin wieder da“, bestätigte Strom-Tom.

„Du lebst!“

„Ich lebe, du alter Nicht-Schwimmer.“

„Aber wie?“

Das Wie endete in einem langgezogenen Schrei, als der Roboter-Bandit sich entschied, lange genug gewartet zu haben, nach meinem Fuß griff und mich wie eine Stoffpuppe einige Male hin- und herschleuderte. Als mein Körper wieder zum Stillstand kam, hing ich kopfüber.

„Eins zu null für den Champion!“, kommentierte der Stadionsprecher. „Er hat sich seinen Widersacher geschnappt und gleich wird er ihm jedes Bein einzeln entfernen!“ Er lachte schrill. „Wie schade, dass dieser Mensch nur zwei Beine hat!“

Das Publikum buhte. Einen kurzen Augenblick lang schämte ich mich für die unzureichende Anzahl meiner Gliedmaßen.

„Strom-Tom, wir müssen was unternehmen!“, rief ich, während mir das Blut in den Kopf schoss.

„Leg einfach deine Hände auf dieses Blech-Monster!“, sagte Strom-Tom. „Den Rest übernehmen wir.“

„Wer ist wir?“

„Strom-Klaus ist auch hier.“

Ich beugte mich vor, um die Metallfinger, die meinen Fuß umschlossen hielten, zu erreichen. Weiter als bis zu meinem eigenen Knie kam ich nicht. Erschöpft ließ ich mich zurücksinken. „Es geht nicht.“

„Es muss gehen!“, blaffte Strom-Tom. „Streng dich an, Dodo!“

„Sehen Sie den qualvollen und sinnlosen Tod eines jungen Manns!“, jaulte der Stadionsprecher voller Dramatik. „Sein Name ist Dodo. Mutig ist er in die Arena getreten, um den unbesiegbaren Banditen zu bezwingen – nun sieht er sich seinem qualvollen Ende gegenüber. Verpassen Sie nicht das blutige Finale! Gleich nach der Werbung auf Double-You-Double-You-Kay-M-You-Dubbie-Du.“

Ein großer Videowürfel wurde von der Decke herabgelassen. Ich beugte mich vor und sah hinauf. Die Bildschirme zeigten die Innenansicht eines kleinen Restaurants, in dem eine junge Frau alleine an einem Tisch am Fenster saß.

„Was soll ich jetzt machen?“, fragte ich mich und ließ mich wieder zurücksinken.

„Das, was ich dir gesagt habe!“ Strom-Tom war gar nicht gut gelaunt.

„Ich komme nicht ran. Ich kann meine Füße nicht berühren, wenn ich kopfüber hänge. Das konnte ich im Sportunterricht schon nicht.“

„Du musst, Dodo! Du musst!“

„Ich hätte gerne zwei steinhart gekochte Eier, eine Scheibe verbrannten Toast, einen kleinen Löffel verschimmelte Himbeermarmelade und eine lauwarme Tasse Abwaschwasser“, sagte die Frau an dem Fenstertisch.

„Igitt!“, entgegnete eine andere Stimme, wahrscheinlich die des Kellners. „Ich fürchte, damit können wir nicht dienen.“

„Aber wieso denn?“, fragte die Frau. „Gestern ging es doch auch.“

Das Publikum brach in schallendes Gelächter aus.

„Urlaubsreif?“, fragte eine dritte Stimme. „Dann kommen Sie jetzt auf die Sonnenseite des Lebens mit Mr. Rucki-Pucky!“

„Dodo!“, schrie Strom-Tom in meinem Inneren. „Wenn du weiterhin nur rumhängst, wird dich dieser Roboter zerschneiden und uns bestimmt zertrampeln! Du musst etwas unternehmen. Und zwar genau jetzt!“

Ein Stromstoß zuckte durch meinen Körper, ich krümmte mich vor Schmerz und plötzlich lagen meine Hände auf einem der riesigen Metallfinger.

„Ich hab ihn!“, rief ich, doch es war mehr ein Keuchen. „Ich hab ihn!“

Dann gab es einen fürchterlichen Knall. Ich schlug hart auf dem Rücken auf.

In meinen Ohren heulten Sirenen, und ich wälzte mich etwas im Sand umher. Über mir sah ich Agerian und Elenor. Gio-Gio hob mich auf seine Schulter und trug mich hinaus. Und das Publikum johlte mir lautstark zu.