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Nordwand des Mount Everest, Nepal
Josef Theilart und Bernhard Karl befanden sich auf ihrem Abstieg fünfhundert Fuß unterhalb des Gipfels und meisterten gerade die schwierige Gratüberquerung hinüber zur zweiten Stufe, als sie den Funkspruch empfingen.
»Hier spricht Tony vom japanischen Betreuungsteam im Basislager. Haben Sie die Lawine gesehen?«
»Ja, wir haben sie gesehen«, antwortete Josef. »Sah ziemlich grauenhaft aus.«
»Wir vermuten, dass Kuni mitgerissen wurde.«
»Die Japanerin?«
Entsetzt über diese Nachricht blickten Josef und Bernhard die Pyramide des Gipfels hinauf.
»Ja, und wir haben Grund zu der Annahme, dass sie noch am Leben sein könnte.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach ihm Josef. »Dieser Hang führt nur in eine Richtung, und das ist geradewegs an der Wand hinunter.«
»Sie war am Funkgerät, und es scheint, als könnte sie in eine Gletscherspalte geschleudert worden sein.«
»Eine Gletscherspalte? Nun ja, die Wand ist riesig. Da gibt es Hunderte von Gletscherspalten.«
»Besteht die Möglichkeit, dass Sie zurückgehen und nach ihr Ausschau halten könnten?«
Die beiden deutschen Bergsteiger tauschten einen Blick. Sie waren bereits von ihrem eigenen Aufstieg erschöpft, und die Aussicht, noch einmal nach oben zu müssen, war fast unerträglich. Aber sie wussten, sie waren das einzige Team in der Nähe. Abgesehen von Kuni auf dem Gipfel hatten sie den ganzen Tag über keine anderen Bergsteiger zu Gesicht bekommen.
»Bleiben Sie in der Leitung. Geben Sie uns Zeit zum Nachdenken«, sagte Josef zu Tony.
Die beiden Männer setzten sich im Eis nieder und sprachen erschöpft ihre Möglichkeiten durch, während der Wind über den Hang um sie herum fegte.