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Mount Everest, Nordwand, Nepal
Eine Sache wurde Kuni sofort klar, als sie sich in der Gletscherspalte umsah – einen einfachen Ausweg gab es nicht. Kuni hatte Gletscherspalten gesehen, die an einem Ende sanft in einer Schneerampe ausliefen und damit einen leicht begehbaren Weg in Sicherheit boten. Diese aber hatte auf allen Seiten steile Wände, nicht so steil, dass sie nicht erklommen werden konnten, aber doch steil genug, um sogar für einen gesunden Bergsteiger auf Bodenhöhe eine ernsthafte Herausforderung darzustellen. Kuni wusste, dass sie verletzt war – in ihrem Oberschenkel pochte es, und der Schmerz war viel heftiger, als eine simple Abschürfung ihn verursacht hätte. Aber sie wollte den Schaden nicht untersuchen. Noch nicht.
Das Funkgerät. Kuni wusste, sie musste das Basislager von ihrer Notlage in Kenntnis setzen.
Die japanische Bergsteigerin bemerkte, dass sie das Walkie-Talkie noch immer in der Hand hielt. Wenigstens hatte sie diesen entscheidenden Rettungsanker nicht verloren. Vielleicht war ihr Vater ja noch in der Leitung? Ihre kältestarren Finger nestelten an den winzigen Tasten.
»Dad? Kannst du mich hören? Bist du da?«
Keine Antwort.
»Dad? Hier ist Kuni, kannst du mich hören?«