2. Kapitel

 

Laura wartete bis Weihnachten, bis Januar, bis Anfang Februar.

Doch im gleichen Tempo, wie ihr Bauch wuchs, sich unter ihren Röcken und Schürzen aufwölbte, bald unübersehbar für alle, lief ihr die Zeit davon. Auch wenn sie nicht wirklich mit Maximilians Rückkehr gerechnet hatte, klammerte sie sich lange an das Unwahrscheinliche, eine Hoffnung, die von Tag zu Tag schwand und ihr eines Morgens lächerlich schien.

An diesem Morgen schlug sie die Augen auf, und ohne einen Augenblick nachzudenken, wusste sie, dass der Deutsche, wie Maximilian mittlerweile in der Pension genannt wurde - Josef Lindemann war schon lange vor ihm in Vergessenheit geraten -, nicht mehr käme. Nein, gewusst hatte sie es von Anfang an, schon an jenem Tag im Hof, als er das merkwürdige Gedicht über Liebe und Treue vorgelesen hatte. An jenem Morgen war aber dieses Wissen plötzlich zu einer Tatsache geworden, ein Ereignis wie Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang, etwas Unumstößliches, unumstößlicher als der Tod, bei dem man sich schließlich manch eine Hintertür offen hielt.

An jenem Morgen stand sie auf und ging zu Sandro Lucetti, genannt Sandrin. Vier Wochen später waren sie verheiratet.

Vieri wurde am 1. Mai geboren, an einem Samstag.

Maria brachte ihn zur Welt. Es war eine leichte Geburt, eine Geburt, die Mutter und Tochter zwischen Frühstück und Mittagessen so routiniert absolvierten, wie die tägliche Hausarbeit, und als sie später zusammensaßen, Laura, Sandro, die Eltern und Geschwister, bedurfte es keines Wortes, um sich darüber zu verständigen, dass Sandro der leibliche Vater sei, es jetzt und in Zukunft sei, so wie er es schon immer gewesen war, bis zurück in den ewig weit zurückliegenden Sommer des letzten Jahres. Eine Rolle, die sich dieser ebenso wortlos zu Eigen machte und auch im Dorf ohne sichtbaren Widerspruch anerkannt wurde. Zumindest wurden keine Gerüchte laut, und als fast zwanzig Jahre später die üblichen Stimmen behaupteten, sie hätten es schon immer gewusst, es sei von jeher ein offenes Geheimnis gewesen, mochte man das glauben oder auch nicht.

In den ersten Jahren, als Lauras älterer Bruder Stefano im französischen Exil war, half Sandro in der Pension aus. Es war noch vor der ersten großen Zeit Portoclementes, den dreißiger Jahren, den goldenen, wie es wehmütig im Krieg und noch lange danach heißen sollte, und doch wuchs das Dorf beständig, neue Badeanstalten wurden eröffnet, und an den Stränden konnten die ersten Sonnenschirme bestaunt werden, die die bis dahin üblichen Sonnensegel bald ablösen und das Strandbild der Küste prägen sollten. Neue Hotels und Pensionen wurden gebaut, einige einfache Unterkünfte, aber auch manch luxuriöse Herberge, die keinen Komfort vermissen ließ und den späteren Ruf Portoclementes als einer der mondänsten Badeorte Italiens begründen half.

Nach Stefanos Rückkehr ging Sandro in den Marmorsteinbruch zurück. Bald wurde er capolizza. Er stand vor der Ladung und beaufsichtigte das Auslegen der eingeseiften Buchenhölzer; wenn der Block über die parati glitt, das singende Seil zum Zerreißen gespannt, schrie er molar!, und die molatori gaben ein paar Zentimeter Seil nach, und der Stein sprang ein Stück weiter, und Sandro machte dem rechten molator ein Zeichen und dann dem linken, und der Stein kroch den Geröllhang hinunter Stunde um Stunde zum Stelle, wo er auf die Marmorbahn oder einem Wagen umgeladen wurde.

Wenn es regnete und nicht einmal die genagelten Schuhe einen sicheren Stand im lockeren Abraum gewährleistet hätten, wurde nicht gearbeitet. Dann standen die lizzatori herum, suchten den Himmel nach einem Schimmer helleren Lichts ab und verfluchten Gott für den entgangenen Lohn.

Am Samstagabend betrank sich Sandro in der rusina, einer Bergarbeiterkneipe, die es seit Menschengedenken gab. Dort wurde der Wochenlohn verteilt, und wenn er spät in der Nacht nach Hause kam mit kaum mehr als der Hälfte davon in der Tüte, hörte er von Laura kein böses Wort. Sie küsste ihn, legte ihn ins Bett, und zog ihm die schweren speckigen Bergarbeiterschuhe aus. Dann ging sie zum Kinderbett und küsste auch ihren Sohn auf die Stirn, und wenn der Mond durch das Fenster schien und sie sein Gesichtchen betrachten konnte, seufzte sie.

Ein eigenes Kind bekamen sie nicht. Weder sie noch er schien das zu bedauern, denn es gab keine Zeit, in der sie verzweifelt versucht hätten, sich dem Diktat der Natur zu widersetzen. Ein einziges Mal hatte Laura gedacht, schwanger zu sein. Ihre Mutter hatte einen starken Sud aus Petersiliekräutern zubereitet, aber es blieb unklar, ob das viele Blut tatsächlich Folge einer Abtreibung war oder nur ihre Regel ungestüm und mit Verspätung eingesetzt hatte. Doch das war im zweiten Jahr ihrer Ehe, denn später hätte Laura vermutlich das Los eines ehelichen Kindes gleichmütig auf sich genommen. So aber mussten sie auf die Prämien verzichten, auf die verbilligten Kredite, auf das Kindergeld, das auch einem Arbeiter, wenngleich in geringerem Umfang, zustand - erhebliche Beträge, die der Staat einsetzte, um die Fruchtbarkeit des Volkes zu steigern. Auch als Mitte der dreißiger Jahre der faschistische Samstag eingeführt wurde, ein freier Nachmittag, der Veranstaltungen der Partei oder sportlichen Aktivitäten vorbehalten war, an dem die meisten Ehepaare aber, waren die Kinder doch außer Haus und auf einer der zahlreichen Parteiveranstaltungen bestens versorgt, den Freuden des Fleisches frönten, änderten sich ihre Gewohnheiten nicht. Sandro tauchte eben ein paar Stunden früher in der rusina auf, und mit den jüngeren Kollegen wurden wie gewohnt lautstark die beiden einzigen Dinge behandelt, die für einen Marmorarbeiter von Belang waren: die Anarchie und die Frauen, wobei bei Letzteren vor allem die eigenen Erfolge im Vordergrund standen, denn schließlich waren die marmisti die größten Frauenhelden weit und breit. Eine Tatsache, die von niemandem angezweifelt wurde. Laura dagegen traf sich mit einer Freundin zum Tee, eine weit verbreitete englische Unsitte, die das Regime nie in den Griff bekam.

Wurden schon Väter von zwei oder drei Kindern zum Bezirksbüro der Partei gebeten, um vom Vertrauensmann freundlich, aber bestimmt nach den Gründen für die Untererfüllung der staatlichen Zeugungsnorm befragt zu werden, verwundert es nicht, dass auch Sandro Lucetti im zehnten Ehejahr eine solche Vorladung erhielt.

So stand er im geflickten Anzug die Mütze in Händen vor dem Pult des Parteisekretärs und hörte sich einen langen Vortrag über das italienische Imperium an und die Notwendigkeit, ihm mit Soldaten und Arbeitern, mit Bauern und gebärfähigen Frauen zu dienen. Er starrte auf den Boden, manchmal auch an die Wand, betrachtete das strenge Gesicht des Duces oder die vielen Schilder, die daneben aufgehängt waren: „Man grüßt römisch!“, „Glauben, gehorchen, kämpfen!“ oder „Der Faschist benutzt keinen Aufzug!“. Dann spuckte er in den Aluminiumnapf mit dem Kreuz der Lorena, dem Symbol der Kampagne gegen die Tuberkulose, hob die Schultern und sagte „Beh!“, was soviel hieß, wie "Es ist ja alles schön und gut, aber was soll ich machen?" und der Parteisekretär, der keine lange Rede erwartet hatte, schickte ihn wieder nach Hause.

Ein Jahr zuvor war Sandro bereits einmal beim Parteisekretär gewesen. Damals wurde er dort zusammen mit seinem Sohn Vieri vorstellig. Dieser hatte in einem Schulaufsatz zum Thema "Was ich mir von meinen Ersparnissen kaufen werde" geschrieben, nichts wünsche er sich so sehnlich, wie die Uniform der faschistischen Kinder- und Jugendorganisation, der Opera balilla, die sich sein armer Vater niemals würde leisten können. Tatsächlich beneidete der kleine Vieri schon lange seine Freunde und Klassenkameraden, wenn sie in ihren schwarzen Uniformen zu den Aufmärschen der Partei gingen, und wenn es wahr war, was sie sangen, dass das Auge des Duces stets wohlwollend auf ihnen ruhte, dann fragte er sich immer häufiger, was dieser wohl über ihn dachte, der sich stets im Hintergrund halten musste, um das schöne Bild der geschlossen aufgereihten Kinder nicht zu stören. Ein Auge, das er sich als riesigen Zeppelin vorstellte, der dicht über den Köpfen der Marschierenden strich, damit ihm ja nichts entginge. Kaum hatte die Lehrerin seine Zeilen gelesen, drückte sie ihm gerührt einen Ballila-Ausweis in die Hand und erließ die sonst fälligen fünf Lire. Auf dem Deckblatt prangte ein Bild des Duces, und als Vieri strahlend zu seinem Platz zurückging, schwenkte er stolz den Ausweis wie ein Fähnchen. Die Geschichte wurde auch der Partei zugetragen, die dem Jungen im Beisein des zwischen Wut und Stolz schwankenden Vaters in einer kleinen Zeremonie eine fabrikneue Uniform überreichte, nebst einem Sparbuch mit 100 Lire, zahlbar am achtzehnten Geburtstag. Als sie nach Hause kamen, nahm Laura den Ausweis und durchbohrte dem Duce mit einer Stricknadel die Augen. "Jetzt kannst du gehen und es herumzeigen", sagte sie.

Von seinem Namensvetter, dem verstorbenen Onkel, kannte Vieri nur die Fotografie auf der Anrichte im Esszimmer.

Dort, wo nur sonntags oder bei besonderen Gelegenheiten gedeckt wurde, herrschte sommers wie winters ein kühles Halbdunkel, und wenn er sich hineinschlich, die quietschende Tür ganz vorsichtig öffnend, dann meinte er, in eine fremde und geheimnisvolle Welt einzutauchen. Es war die Zeit der Mittagsruhe, kein Laut drang aus den anderen Zimmern, aus den Wohnungen ringsum. Selbst die stets läutenden Glocken der zahlreichen Kirchen waren verstummt. Die Möbel waren schwarz und schwer, und er zählte die Löcher der Holzwürmer, steckte eine Nadel hinein, um sie auszumessen. Wenn dann die Anrichte knarrte oder die Standuhr mit dem langen polierten Pendel die Viertelstunde schlug, schrak er fröstelnd zusammen. Er öffnete die Schubladen, betrachtete das gute Service mit den Kamelen und Pyramiden, die ordentlich aufgereihten Kristallgläser, das durchscheinende Porzellan der Teetassen und nahm die silbernen Serviettenringe in die Hand, öffnete die Bonbonniere mit der Tänzerin, die es zu Vittorias Hochzeit für die Gäste gegeben hatte, in der Hoffnung eine letzte Hochzeitsmandel zu finden. Außer den Süßigkeiten oder den Keksen, die Laura in der untersten Schublade aufbewahrte, gab es kaum etwas, was in wirklich interessiert hätte. Vielleicht war es das Verbotene, das ihn lockte, die geheimnisvolle Welt der Erwachsenen, die er sich Schublade um Schublade, Schranktür um Schranktür erschloss, das Besondere, all jene Schätze, die Laura dem Alltag vorenthielt, als könnte tatsächlich einmal jemand anderes an ihrem Tisch sitzen, als nur Vater und Mutter, die Schwester und der vornehm tuende Schwager. So strich Vieri über die blütenweiße Tischdecke mit den Weihnachtskerzen, den gläsernen Parmesanbehälter mit dem silbernen Löffelchen, den farbig eingefärbten Haushaltskerzen, die stets sorgfältig zurecht geschnitten wurden, um sie bis zum Schluss verwenden zu können, nahm die bunten Figuren aus Muranoglas vorsichtig von der Anrichte und stellte sie auf wie zu einer Prozession. In der obersten Schublade lagen Spielkarten, normale französische oder englische und neapoletanische, wie sie die Arbeiter in der cantina benutzten, wenn sie briscola oder tresette spielten, und wenn Vieri die Karten auf dem Tisch ausgelegt hatte, staunte er über die merkwürdigen Symbole, Schwerter und Stöcke, Geldstücke so groß wie ein Wagenrad.

Manchmal nahm er auch die Fotografien in die Hand, suchte im Hochzeitsbild den fast kahlen Großvater, das zerfließende Gesicht der Großmutter. Nur der tote Onkel blieb, was er war. So wenig die Zeit seiner Fotografie etwas hatte anhaben können, sah man von dem sich verstärkenden Kupferton des Papiers ab, so wenig konnte er selbst altern. Stets war sein Haar voll, sein Schnauzbart schwarz. Seine hellen Augen blieben auf jenen fernen Punkt gerichtet, den nur er sehen konnte, ein landendes oder startendes Flugzeug vielleicht, während seine eigene Flugmaschine hinter ihm wartete, weiß und zerbrechlich wie ein Vogel.

Vieri wuchs wie andere Arbeiterkinder auf.

Um Viertel nach acht stand er vor dem Klassenzimmer stramm, bis der Klassensprecher dem Lehrer der ersten Stunde Meldung erstattet hatte und sie hineindurften. In der Frühstückspause wickelte er ein in Olivenöl getunktes Brot aus, das mit Salz bestreut war und das er mit ein wenig Glück gegen das Schokoladenbrötchen der Bürgersöhnchen tauschen konnte. Nachmittags gab es mit Zucker bestreutes Butterbrot.

Sein Spielzeug allerdings trug die Handschrift der wohlhabenderen Großeltern. Schon früh bekam er einen Metallbaukasten, dessen gelochte Aluminiumstreben mit allerlei Schrauben und Muttern gemäß der kaum verständlichen Montageanweisung zu luftigen Gebilden zusammenzubauen waren, Formen, die nur mit viel Phantasie als jene der Automobile, Schiffe oder gar Flugzeuge erkannt werden konnten, die die Abbildung auf der Verpackung zu sein vorgab. Zum Namenstag gab es den "Kleinen Schreiner", eine Laubsägeausrüstung, die Löcher und hässliche Druckstellen im Küchentisch zurückließ, später den "Kleinen Erfinder", unter dessen Anleitung mit Hilfe eines Metallröhrchens, eines Korkens und etwas erhitzten Wassers eine kümmerliche Kanone gebastelt werden konnte, die nicht nur das Geschoss über eine gewisse Entfernung zu schleudern vermochte, sondern auch die Hände mit der kochenden Flüssigkeit zu verbrühen pflegte. Jahrelang mühte er sich mit papiernen Flugzeugmodellen ab, deren Bestandteile erst mühsam ausgeschnitten und dann mit cocoina verleimt werden mussten, einem Klebstoff, den der Großvater mitbrachte und dem man nachsagte, aus Knochenmehl gewonnen zu sein, und den Vieri deshalb liebte, weil er nach Honig und Mandeln schmeckte.

Doch am liebsten spielte er Räuber und Gendarm in der zeitgenössischen Fassung Abessinier gegen Italiener. Dann schwärzte er sich sein Gesicht mit einem Kohlestück, und mit erhobenem Holzschwert ging es gegen die Bürgersöhne, die in ihren detailgetreuen Generalsuniformen und unter den blechernen Helmen schwitzten. Bevor diese ihre originalgroße und fast ebenso schwere Nachbildung des 91er-Sturmgewehrs nachgeladen hatten, konnte er ihnen meistens schon den Todesstoß versetzen. Das tröstete ihn über seine unpatriotische Rolle hinweg, und so blieb die offizielle Balilla-Uniform die einzige Unform, die er sich sehnlichst wünschte.

Mit dreizehn Jahren wurde er bagascio im Bergwerk seines Vaters, eine Art Lehrling, der Seile und Hölzer trug und für wenige Lire im Monat putzte und aufräumte und all das tat, was sonst niemand tun wollte. Gegen den Widerstand der Mutter verließ er die Schule, da aber Sandro sich mit der Bemerkung auf seine Seite stellte, sein Sohn brauche nichts Besseres zu werden als er selbst, standen sie fortan beide kurz nach vier Uhr auf, um sich an der Brücke der Lügen - niemand wusste, warum sie so hieß - mit den anderen Arbeitern zu treffen und sich gemeinsam auf den endlosen Weg in die Berge zu machen.

Vieri genoss die Kameradschaft der Marmorarbeiter, die gemeinsamen Mahlzeiten, die irgendwo auf dem Weg zwischen Steinbruch und Verteilerstation auf dem nackten Stein eingenommen wurden, trockenes Brot, Tomaten, Klipp- oder Stockfisch, selten etwas anderes, den Jubel nach einer gewonnenen riffa, einem jener abenteuerlichen Wettrennen, bei dem es darum ging, den Block vor den Arbeitern des benachbarten Bergwerks als Erste zum Umladeplatz zu schaffen, und wenn der Krieg nicht ausgebrochen wäre, dann hätte er wahrscheinlich wie Vater und Großvater und andere Generationen vor ihnen den Beruf des lizzatore ergriffen, einen Beruf, den er schon zu beherrschen glaubte.

Marmor war kein kriegswichtiges Gut, und mit den Männern, die ins Feld zogen, verwaisten auch die Steinbrüche. Sandro verschlug es zuerst nach Griechenland, dann an die Ostfront. Vieri blieb mit einigen Alten zurück. Wenn sie nicht briscola spielten oder ihr steinhartes Brot in Wasser tunkten, um es besser essen zu können, fetteten sie das Werkzeug ein, sägten Hölzer zurecht, räumten auf und putzten. Nach dem Willen von Walden, Good & Gripps, der Betreibergesellschaft, sollte die Produktion schon bald nach dem Ende des Krieges in vollem Umfang wieder aufgenommen werden, ein Ende, das von Monat zu Monat in eine immer weitere Ferne rückte. Irgendwann wurde das Bergwerk ganz geschlossen. Nur ein pensionierter Polizist blieb als einsamer Wächter zurück.

Die Nachricht von der Ankunft Maximilian von Kampens verbreitete sich schnell. Schon nach wenigen Tagen wusste es an der Küste jeder, den es interessierte oder der etwas mit seinem Namen verband. Es bedurfte nicht einmal der Kunstfertigkeit der unvergessenen Concetta. Ein neuer deutscher Verbindungsoffizier musste im Drunter und Drüber der ersten Besatzungstage zwangsläufig zum Tagesgespräch werden.

Dass man von den Deutschen im Allgemeinen wenig Gutes erwarten konnte, darüber war man sich weithin einig, sah man von den sich neu formierenden faschistischen Milizen ab, die die Chance witterten, unter dem Schutz von Wehrmacht und SS gründlich mit Kommunisten, Sozialisten, Republikanern, Anarchisten, mit Fahnenflüchtigen und Kriegsmüden aufzuräumen. Die wenigen, die Maximilian persönlich begegnet waren, schwankten zwischen der Hoffnung, jemand, der Italien kennen und lieben gelernt habe, könne sich gar nicht gegen das Land und die Menschen versündigen, stecke er nun in einer deutschen Uniform oder nicht, und der Enttäuschung, ihn so offensichtlich auf der anderen Seite stehen zu sehen. So war Stefano, Lauras Bruder, nicht der Einzige, der den ehemaligen Pensionsgast mehrmals verächtlich als Verräter bezeichnete. Eine Einschätzung, die er einige Wochen später in einem langen Gespräch mit der Schwester weitgehend zurücknahm. Schließlich könne man es niemandem verübeln, für das eigene Vaterland einzutreten, und nicht jeder sei in der bevorzugten Lage des Italieners, frei zwischen einer faschistischen, einer monarchistischen und einer proletarischen Heimat wählen zu können, eine Bemerkung, von der Laura nicht wusste, wie ernst sie gemeint war.

Letztendlich überwog also die Zuversicht, und als der Oktober voranschritt, ohne dass es zu ernsthaften Zwischenfällen mit der neuen Besatzungsmacht gekommen war, sah man sich aufs Schönste bestätigt.