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Kearny-Fuchida Yare Industries, Yare, Kathil Kathil-PDZ, Mark Capella, Vereinigtes Commonwealth7 Dezember 3062
Fast hätte Xander Barajas die Jagd auf den Bushwakker aufgegeben, als er über Funk seine Lanze auseinander sprechen hörte. Fast. Dann hatte Evan Greene den Befehl über seine Leute übernommen, und Xander wusste, dass es für ihn kein Zurück mehr gab. Er fluchte innerlich über die Lage, in die er sich gebracht hatte. Jetzt musste er es bis zum Ende durchstehen. Er hatte für die Rache der RKG den Rücken gekehrt.
Mehr als diese Rache blieb ihm nicht mehr, und
dafür würde der Bushwacker
bezahlen.
Zweimal schon war der Milizkrieger vor ihm geflohen und hatte
Xander den Abschuss verdorben. Er empfand es als persönliche
Beleidigung, dass ein solcher Feigling es geschafft hatte,
MechKrieger zu werden. Irgendwie hatte er von der hiesigen Miliz
mehr erwartet. Bessere Leistungen, eine größere Herausforderung.
Immerhin kämpfte sie um ihre Heimatwelt.
Er sah graues Metall zwischen den Bäumen, als der Bushwacker das vorragende Cockpit und die
tonnenförmigen Arme aus dem gelbgrünen Blätterdach eines
Ahornwäldchens schob. Xander verzog verächtlich den Mund, als die
Ortung aufschrillte, um ihn vor einem Raketenbeschuss zu warnen.
Zwei Salven Langstreckenraketen stiegen aus dem Waldstück und
flogen auf grauen Rauchbahnen über das offene Gelände zwischen den
beiden Mechs, bevor sie vor Erreichen seiner Maschine
herabregneten.
Gleichzeitig stieß ein schwerer Laser eine smaragdgrüne Lichtbahn
in die Flanke des Falkner, wo sie
Schutzpanzerung zerschmolz und sich in das Endostahlskelett bohrte,
ohne jedoch ernsthaften Schaden anzurichten.
Der gegnerische Pilot mochte ein Feigling sein, aber Xander konnte
weder die Schlagkraft des Bushwacker
anzweifeln, noch die Fähigkeit seines Piloten, sie mit schnellem
und drastischem Ergebnis einzusetzen. Der Mech ähnelte einem in die
Enge getriebenen Tier, das umso gefährlicher wurde, je näher der
Tod rückte. Der künstliche Blitzschlag aus Xanders linker Arm-PPK
züngelte auf den Miliz-Mech zu, und die Energieentladung schlug
entlang der eigenen Bahn zurück, als sie über den Boden peitschte,
um schließlich die Rumpfseite der anderen Maschine zu
treffen.
Xander war sicher, dass der Bushwacker
wieder die Flucht ergreifen würde. Wie jeder gute Jäger erkannte er
die Verhaltensmuster seiner Beute. Er beschleunigte, um ihm
nachzusetzen, und stampfte auf den Sekunden zuvor von den
LSR-Salven des Gegners aufgerissenen Boden.
Aber er hatte kaum einen Schritt getan, als er zurück auf die
Pilotenliege geworfen wurde. Das von den Donnerraketen des
Bushwacker angelegte Minenfeld riss den
Boden unter den Füßen des Falkner auf
und eine Fontäne aus Erdklumpen und verbranntem Gras schlug gegen
das Kanzeldach der Maschine. Gleichzeitig trat sein Gegner aus dem
Wald und feuerte neue Raketensalven ab, die diesmal echte
Sprengköpfe gegen Schultern und Torso von Xanders Kampfkoloss
schleuderten. Ein Doppelschlag aus Laser und Autokanone kostete ihn
an Torso und Beinen weitere Panzerung.
Stellte sich der Bushwacker etwa
endlich zu einem echten Kampf? Xander hielt dem Einschlag des
Feindfeuers stand und streckte die Mecharme vor, um das
Gleichgewicht zu halten. Er feuerte eine seiner letzten Gausskugeln
ab, und der silberne Schemen krachte in den Rumpf des Miliz-Mechs,
als seine PPK und die vier mittelschweren Laser eine Wand tödlicher
Energie ausspien, die in einer Kaskade bläulich weißer Lichtbögen
und bunt schillernder Energielanzen über dem Bushwacker zusammenschlug. Diesmal würde er den
Milizionär brechen. Er würde entweder zu Boden gehen oder fliehen.
Er tat keines von beidem.
Als unter Xanders Mechfüßen ein weiteres Donner-Minenfeld
detonierte, schlug der Bushwacker mit
allem zu, was er an Waffen aufzubieten hatte. Raketen krachten in
die rechte Flanke des Falkner. Zwei
Sprengköpfe detonierten auf dem Kopf des Mechs und brachten Xanders
Ohren zum Klingeln. Die Autokanone bohrte sich ins rechte Knie,
hämmerte den Oberschenkelaktivator zu Schrott und machte einen
bereits schwankenden Gang noch unsicherer. Der Laser zerschmolz
noch eine halbe Tonne Panzerung und brachte ihn zusätzlich aus dem
Gleichgewicht.
Die Schwerkraft war ein gnadenloser Gegner, das hatte Xander schon
in Stihl gelernt. Er kämpfte sich durch einen unbeholfenen Schritt
und durch einen zweiten. Dann knickte das beschädigte Bein unter
ihm weg und warf den Torso des Falkner
ohne Chance, die Balance zu halten, nach vorne. Er senkte die
Mecharme in dem Versuch, den Sturz abzufangen, und bohrte das Ende
des Gaussgeschützlaufs in den weichen Boden, bevor fünfundsiebzig
Tonnen Metall sich auf ihn senkten.
Der Schlag verdrehte und zertrümmerte das Gehäuse, ruinierte die
Magnetschienen, die Munitionszuführung, die Spulen. Die in den
Magnetspulen gespeicherte Energie brach unkontrolliert aus, drang
ins Leitungssystem und schlug als harter Stromstoß durch die
Schaltkreise des Neurohelms. Xanders Zähne krachten aufeinander,
als sich die Kiefermuskulatur verkrampfte, und zerbissen die
zwischen ihnen gefangene Unterlippe, während eine Schmerzlanze
seinen Schädel durchbohrte und ihm das Rückgrat in Flammen
setzte.
Xander klammerte sich wild ans Bewusstsein, spannte sich für den
letzten, knochenbrecherischen Aufprall auf den Boden, dann kämpfte
er sich augenblicklich wieder hoch. Erneut hämmerten Raketen auf
ihn ein, und die schwere Autokanone des Bushwacker spie einer endlosen Strom von Granaten.
Die Geschosse mit ihren Spitzen aus abgereichertem Uran brachen die
Schutzhülle des Reaktors auf und fraßen sich in die
Abschirmung.
Hitzewellen brandeten durch den Mech und trieben die bereits von
Xanders Geschützeinsatz hochgestockte Betriebstemperatur auf
gefährliche Werte. Ein neuer Alarm drohte mit einer Notstillegung
des Reaktors. Xander knallte die Faust auf den Vetoschalter, dann
rammte er den Schubhebel bis an den Anschlag und konzentrierte
seine ganze Wut auf den Bushwacker, der
keine hundert Meter vor ihm stand.
Er würde ihn brechen. Er würde zerbrechen und fliehen. Oder
sterben.
Er stieß die Mecharme vor, spie Feuer aus dem Lauf der Autokanone
und feuerte unmittelbar danach das beschädigte Gaussgeschütz ab,
ohne zu bemerken, dass keine der letzten noch im Magazin
verbliebenen Nickeleisenkugeln den Lauf verließ. Er feuerte auch
die Laserphalanx auf Torso und Arme des Bushwakker ab. Die saphirblauen Lichtbahnen
verflüssigten die Panzerung des Gegners und trieben zugleich die
Temperatur im Innern des Falkner in
kritische Bereiche. Die Hitze des Cockpits stieg immer höher. Jeder
Atemzug brannte wie Lava in der Lunge. Xander ignorierte die
Schmerzen, um den süßen Geschmack der Rache kosten zu können. Er
knallte die Faust auf den Vetoschalter. Und noch einmal.
Und noch einmal.
Amanda Black wusste immer noch nicht, warum sie der Schlacht, der Kampfreihe der Miliz den Rücken gekehrt natte. Vielleicht würde sie es nie wissen.
Sie erinnerte sich an den Schweiß, von der zunehmenden Hitze im Cockpit und dem gnadenlosen Bombardement, das die schützende Panzerung von Front und Seiten des Bushwacker peitschte. Einen Augenblick lang keimte Hoffnung in ihr auf, als David die vorrückenden Katzbalger in die Falle lockte, aber sie erlosch sofort wieder, als ihr Mech in das Minenfeld trat. In die Gurte geworfen, verzweifelt um das Gleichgewicht des Mechs kämpfend, war sie überzeugt, dass die Miliz es niemals schaffen würde durchzubrechen.
Amanda wusste, was Donnermunition einem Mech antun konnte. Sie hatte sie selbst schon eingesetzt. Ein solches Minenfeld zu durchqueren würde die Miliz mehr kosten, als sie sich zu zahlen leisten konnte. Ihr Vormarsch würde zum Stillstand kommen, und sie würden K-F Yare nie erreichen.
Dann hatten die RKG-Luft/Raumjager ihre Linien mit Raketen und Laserfeuer bombardiert, und Amanda konnte nur noch daran denken, sich zu retten. Purer Überlebensinstinkt zog sie davon, steuerte sie westwärts durch das Chaos der Kämpfe. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie sich zurückzog oder einen Sturmangriff anführte.
David hatte bereits einen Schwenk der Formation befohlen und drehte die ganze Miliz in ihren Kurs, bevor er versuchte, Kontakt aufzunehmen. »Amanda, wohin?«, rief er über die Kommleitung.
›Wohin‹ war mitten durch die schweren Kämpfe an der rechten Milizflanke. Captain Gerst gewann langsam die Oberhand, aber seine Reihen lichteten sich. Sie rannte an zwei zerschossenen Miliz-Mechs vorbei. Einer davon war Dylan Patschenkos Schleicher.
»In vollem Galopp, David«, antwortete sie. Sie sah den Falkner ihr auf dem Sichtschirm nachsetzen. Und sie zählte darauf, dass er sie weiter verfolgen würde. Sie beide hatten noch eine Rechnung offen, und einen feindlichen Kommandeur vom Schlachtfeld zu locken, konnte ihrer Seite nur helfen. »Schwenk nach Südwesten.«
David war ihr Geliebter, aber sie vertraute darauf, dass er ihr einen Rat als Kommandeur gab. Zurückziehen? Vor? Stehen bleiben? Anscheinend vertraute er ihr ebenfalls. »Viel Glück«, sagte er nur und ließ sie ihren eigenen Weg wählen.
Und das hatte sie hierher gebracht. Soweit Amanda das feststellen konnte, kämpfte das Bataillon keine fünfhundert Meter entfernt, auf der anderen Seite eines Bergkamms zwischen dem Yaretal und ihrer jetzigen Position. Hier würde sie die Antwort auf ihre Zweifel erhalten, so oder so.
Das Antwortfeuer des Falkner schüttelte den Mech. Ihre Zähne schlugen schmerzhaft aufeinander, und die Sicherheitsgurte schnitten ihr in die Schultern. Dass sie ihn umgeworfen hatte, war für sie selbst eine Überraschung gewesen. Ihr Gegner hatte sie von Anfang an unterschätzt. Das wusste sie ebenso sicher wie sie wusste, dass er wieder aufstünde.
Dreihundert Meter. Der Falkner hebelte sich wieder auf die Beine, beschleunigte auf Höchstgeschwindigkeit und stürmte auf sie zu, mit Feuer spuckender Autokanone und Lasern. Wie in Stihl. Sie zog mit dem Laser eine schmelzrot gerahmte Spur quer über seinen Rumpf, die schnell abkühlte und von den Rändern her dunkler wurde.
Einhundertachtzig.
Dunkler Rauch stieg aus den Gelenken und geplatzten Schweißnähten
des Falkner, als seine Innentemperatur
auf gefährliche Werte kletterte. Eine graugrüne Kühlmittelfontäne
spritzte aus einem Hüftgelenk, als ein Wärmetauscher unter der
Belastung barst. Amanda schaltete die Langstreckenraketen ab. Der
Falkner war zu nah, um sie noch
effektiv gegen ihn einsetzen zu können. Laser und Autokanone rissen
ihm den Rumpf auf, schälten Panzerung beiseite und legten das helle
Leuchten eines kaum noch eingedämmten Fusionsreaktors frei, fraßen
sich durch die physische Abschirmung.
Neunzig. Achtzig. Siebzig. Die Lasersalve des Falkner schnitt in den linken Arm des Bushwacker, bohrte sich in die Autokanone und
zerstörte die Munitionszufuhr. Eine der blauen Energiebahnen
zerplatzte auf dem Kanzeldach, und der Lichtblitz nahm ihr fast die
Sicht. Beinahe hätte Amanda sich in diesem Augenblick
zurückgezogen. Das Fadenkreuz glitt ungerührt beiseite, als sie
einen Sekundenbruchteil mit dem Gedanken spielte, sich
umzudrehen.
Aber davonzulaufen hätte einen MechKrieger wie den am Knüppel des
Falkner entkommen lassen, einen Mann
ohne die geringste Rücksicht auf die Menschen, die zu beschützen
sie geschworen hatte. Sie erinnerte sich daran, wie der Falkner
durch Häuser gebrochen war, wie er auf der Straße Wagen beiseite
getreten hatte, vor nichts zurückgeschreckt war, um sich seinen
Abschuss zu holen.
Nie wieder. Sie würde diesen Kerl nicht noch einmal auf ihrer oder
irgendeiner anderen Welt dermaßen wüten lassen. Sie streckte beide
Tonnenarme des Bushwacker aus und
setzte mehrere Dutzend Granaten direkt ins Kanzeldach des
Falkner, während ihr Laser den offenen
Torso aufspießte.
Bei fünfzig Metern Entfernung barst die Reaktorhülle in einem Regen
aus geschmolzenem Metall, dem eine Säule goldenen Feuers folgte.
Die Energiefontäne tobte über die Vorderseite ihrer Maschine,
schmolz sich durch Panzerung und hinterließ eine tiefe Furche im
Ferritglas des Kanzeldaches. Dann hörte der Falkner einfach auf zu existieren. Arme und Beine
wirbelten davon, als die Fusionsreaktion sich ausdehnte und den
kompletter Rumpf der Maschine verzehrte. Die Druckwelle der
Explosion traf den Bushwacker wie eine
Riesenhand und schleuderte ihn auf den Rücken. Der Mech schlug
krachend auf den Boden und Amanda hatte das Gefühl das Rückgrat
wollte sich ihr durch den Brustkorb bohren.
Die Schmerzen ließen langsam nach, bis sie endlich die Augen wieder
öffnen und zu Kathils blauem Himmel aufblicken konnte. Sie war
ausgelaugt, zu erschöpft, um sich die Mühe zu machen, ein paar noch
immer schrillende Alarmsignale abzustellen.
»Nie wieder«, flüsterte sie.
Auf der Vektorgrafik der Statusanzeige sah sie, dass der
Bushwacker den größten Teil der
Panzerung ebenso verloren hatte wie den rechten Arm. Außerdem war
der Kreiselstabilisator leicht verrutscht. Die Schäden schienen
nicht lebensbedrohlich. Nichts, was sich nicht im Mechhangar wieder
reparieren ließ. Falls sie es zurück schaffte.
Laufen konnte sie nicht mehr, nicht mit beschädigtem Gyroskop, aber
sie konnte noch aufstehen und den Mech im Schritttempo zurück aufs
Schlachtfeld steuern. Es war noch nicht vorbei. »Worauf wartest
du?«, fragte sie sich selbst, leise genug, um das Helmmikro nicht
zu aktivieren. »Steh auf, Amanda.«
Es war ein einfaches Manöver. Den Ellbogen beugen. Den Mech auf die
Bauchseite wälzen. Ihn mit einem Arm hochstemmen und die Beine
unter den Rumpf ziehen.
Sie starrte weiter zum leeren Himmel hoch, ohne sich zu
bewegen.
»Steh auf«, flüsterte sie.