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Stützpunkt der MCM Kathil, Radcliffe, Kathil Kathil-PDZ, Mark Capella, Vereinigtes Commonwealth24. Oktober 3062
Die Erinnerung an Diana verfolgte David McCarthy auf dem ganzen Weg in die Simulatorhalle. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn und durchnässte die Achselhöhlen der Uniform. Der Rest der Kompanie folgte ihnen, als Amanda und er mit gleichmäßigem Schritt vorangingen. Zwölf MechKrieger. Damals waren es sechzehn gewesen.
Als Erstes hatte er Denning verloren. Der Skarabäus des Lieutenants war über das ganze Schlachtfeld verstreut worden, und die brennende Pilotenliege ging auf einem der fernen, nebelverhangenen Hügel verloren. Die restlichen leichten Mechs wurden von den vorrückenden Clannern zerstreut. David schwenkte sie nach links, in dem Versuch, sie in den Rücken der Nebelparderlinie zu bringen. Als Nächstes waren Myer und Riccols gefallen, auf dem Hang eines von den Ulanen gehaltenen Kamms. Dann opferte Whidbey den Nachtschatten, um BrevetCaptain Polsan beim Abschuss eines Gladiator zu helfen. Der feuchte Boden brannte an mehreren Stellen, in Sekundenschnelle getrocknet und in Brand gesteckt von den gewaltigen Energien verfehlter Schüsse. Durch den Qualm und die verbliebenen Nebelstreifen wuchtete der fünfundneunzig Tonnen schwere Gladiator in schnellem Trab auf die Ulanen zu. Durch Einsatz des MASC-Systems ›überlud der Clan-OmniMech seine künstliche Myomermuskulatur und preschte mit beeindruckenden fünfundachtzig Stundenkilometern vorwärts. Die Impulslaser des Nachtschatten schleuderten einen Schwarm smaragdgrüner Lichtdolche in Kopf- und Brustpartie des schwereren Mechs, bevor er vom Gaussgeschütz und den beiden schweren Lasern des Omnis regelrecht in Stücke gerissen wurde. Polsans Caesar stoppte nur gerade lange genug, um den abgerissenen rechten Arm des Nachtschatten vom Boden zu heben, den mit dem an das rechte Handgelenk geschweißten Titanbeil. Er schwenkte ihn wie eine Keule, während er weiter und mit erheblicher Wirkung die eigenen Gaussgeschosse einsetzte. Auf jeden Einschlag ließ er einen höllischen Feuerstrom aus Partikelblitzen und der gebündelten Schneidkraft der Lichtwerfer folgen.
Für David grenzte es an poetische Gerechtigkeit, als Polsan den Kopf des Gladiator mit dem Arm des Nachtschatten einschlug und den MechKrieger im Innern zerquetschte. Doch an dieser Schlacht war nicht viel Poetisches. Gerechtigkeit allein musste genügen.
Eine neue Hitzewelle schlug mit beinahe körperlicher Gewalt durch das Cockpit des Destruktor, trieb David die Luft aus den Lungen und ersetzte sie durch glühende Kohlen. Er rang nach Atem und schüttelte den Kopf, um den brennenden Schweiß aus den Augen zu bekommen. Die Tropfen prasselten gegen die Innenseite des Neurohehnvisiers. Durch die Schlieren sah er einen Masakari anrücken und versuchte, ihn gegen den Widerstand der von der enormen Innentemperatur des Mechs beeinträchtigen Zielerfassung anzuvisieren.
Der tödlich effektive OmniMech feuerte zwei von einem überlegenen Clan-Feuerleitcomputer gesteuerte schwere Laser ab - die Energielanzen schälten die Panzerung von Davids linkem Mechbein. Eine Autokanonensalve hämmerte auf das Fusionsreaktorherz der Kampfmaschine ein und zog die Einschlagsspur hoch zur linken Schulter, während fünfzehn Langstreckenraketen sich auf korkenzieherähnlich gewundenen Rauchspuren auf den rechten Mecharm und Kopf stürzten. Der Einschlag der Raketen schleuderte David hart in die Gurte. Die Riemen schnitten ihm tief in die Schultern. Schmerz schoss ihm durchs Kinn und er fühlte die verzweifelte Wärme frischen Blutes auf dem Hals.
Eine Rakete war seitlich ins Kanzeldach des Mechs eingeschlagen, das einwärts explodierte und ihm rasiermesserscharfe Splitter auf den rechten Arm und Brustkorb regnen ließ. Ein Splitter war nach oben unter den Helm abgeprallt und hatte sich ihm ins Kinn gebohrt.
David wischte das Blut ab und brachte beide Hände zurück an die Kontrollen, um den Masakari mit ins Grab zu nehmen. Er hatte akzeptiert, dass sein Bataillon und er bereits tot waren, und das schien geradezu eine Befreiung.
Er stieß die Feuerknöpfe durch und zog mit den PPKs tiefe Schmelzspuren in die rechte Rumpfseite des Par-dermechs. Die Ränder der Spuren glühten erst orangerot, dann, als sie schnell abkühlten, kirschrot. Das reichte nicht, seinen Gegner zu bezwingen. Er schaltete auf die Gaussgeschütze um, war besorgt wegen der zur Neige gehenden Munition, konnte es sich aber in dieser Situation nicht leisten, wählerisch zu sein. Eine Kugel prallte vom linken Arm des Omnis ab und nahm Panzersplitter mit. Die andere bohrte sich tief in die rechte Hüfte, nutzte vorhandene Schäden aus und senkte sich tief ins Gelenk.
Beim nächsten Schritt stolperte der Masakari, durch den Verlust an Panzerung und das blockierte Hüftgelenk aus dem Gleichgewicht geworfen, und schlug unbeholfen zu Boden. Die Läufe der schweren Laser gruben sich in das weiche Erdreich und zogen die Kampfmaschine seitwärts. Doch ein Schwarzfalke schob sich augenblicklich schützend vor den gestürzten Kameraden und schirmte ihn ab, bis der Masakari sich wieder aufgerichtet hatte. Es verschaffte David Zeit, mehr aber nicht.
Es verschaffte ihm Zeit.
David zitterte fast vor aufgestauter Energie, als Amanda und er den
Nebenraum der Simulatorhalle betraten, und die bevorstehende
Aufgabe vertrieb die Gedanken an Diana in die Tiefen seines
Gedächtnisses. Er hatte schon im Bereitschaftsraum erkannt, dass er
bestenfalls auf einen Aufschub hätte hoffen können, selbst wenn er
der geschickten Falle entkommen wäre, die Amanda Black ihm gestellt
hatte. Hätte sie den Streit heute verloren, hätte sie ihn morgen in
einer neuen Offensive wieder aufgenommen. Das war eine
Hartnäckigkeit, die David widerwillig bewundern musste, und
irgendwann würde sie dies zu einer guten Kommandeurin machen...
falls sie es nicht zu weit trieb.
Besser, er brachte es hinter sich. Früher oder später würde er sich
seinen Dämonen stellen müssen.
Der Dämon für heute war eine breite, auf die Schmalseite gestellte
Metallmuschel, die Oberseite hochgeklappt, im Innern der Nachbau
eines Mechcockpits. Das Innenleben des Simulators kombinierte die
allgemeinen Gegebenheiten der meisten Pilotenkanzeln und die
spezifischen Details keiner einzelnen. Pilotenliege, Steuer- und
Geschwindigkeitshebel, Pedale - alles, was man brauchte, um die
humanoiden Kampfkolosse zu steuern. Der Nebenraum enthielt nur zwei
Simulatoren. Für ein Duell war es nicht notwendig, den großen
Simulatorkomplex mit Beschlag zu belegen. Er hielt nur für einen
Augenblick an, um Patschenko und Michaels mitzuteilen, welche
Simulation sie fahren würden, welche Mechs sie benutzten, und wie
die Resultate bewertet werden sollten, dann näherte er sich mit
misstrauischem Blick dem Einstieg der Simulatorkapsel. Sein Magen
schien ihn nicht ins Innere begleiten zu wollen. Aber das war kein
echter Mech, kein echter Kampf. Nur eine Simulation. In eine
einfachere Version dieser Kapseln war er als junger Bursche
geradezu gehüpft. Damals war es ein Spiel gewesen!
Wahr genug, aber nicht überzeugend genug. David blieb knapp vor der
offenen Kapseltür stehen und verlagerte das Gewicht von einem Fuß
auf den anderen, bis er bemerkte, wie Sergeant-Major Black ihn von
ihrer Position unter der Tür der anderen Kapsel mit schrägem Blick
beobachtete. Er riss sich zusammen, duckte sich unter der Tür
hindurch und kletterte auf die Pilotenliege.
Und die Tür glitt lautlos motorisiert herab und schloss ihn in der
Dunkelheit ein.
Während sie in der Dunkelheit noch darauf
wartete, dass die Bildschirme aufleuchteten, schnallte sich Amanda
Black schon an. Sie spannte die Gurte an Schultern und Hüften und
schob die Metallenden in den zentralen Schnellverschluss. Dann
löste sie die mechanischen Halterungen und justierte die Liege für
ihre Körpergröße und Reichweite. Der Neurohelm saß locker. Eine
Nummer zu groß für sie, aber für eine Simulation gut genug. Sie
hatte gerade den Kinngurt festgezogen, als die Schirme zum Leben
erwachten und sie im gelben Licht der Warnlämpchen und dem
Widerschein der Taktikanzeige badeten.
Die Kapseln waren nicht die beste Ausführung, eine, die im
korrekten Schrittrhythmus der ausgewählten Maschine schwankte und
zur Simulation von Stürzen um bis zu neunzig Grad kippen konnte.
Die waren ein unglaubliches Erlebnis, aber diese hier kamen nur
einen Schritt dahinter. Die Schüttelliege simulierte unmittelbar
die Erschütterungen von Schäden durch Beben und Schläge, und durch
Luftschlitze über den Schultern drang heiße Luft entsprechend der
simulierten Betriebstemperatur. Videoschirme ersetzten die
Panzerglasplatten des Kanzeldachs, und ein Hauptcomputer, der
Sichtschirm und Hilfsbildschirme, Sensoren und sonstige Anzeigen
kontrollierte, vervollständigte die Illusion eines Mechs im
Kampfeinsatz.
Der Anblick auf dem Schirm überraschte sie nicht, nachdem der Captain zuvor den Einsatz im Straßenkampf erwähnt hatte. Immerhin war McCarthys Kompanie offiziell eine Stadtkampfeinheit. Dunkelgraue Gebäude flankierten eine breite Straße, und das Cockpit des fünfundfünzig Tonnen schweren Bushwacker lag auf einer Höhe mit den Fenstern der zweiten Etage. Ein paar Fahrzeuge fuhren entlang vorprogrammierter Strecken und rudimentär ausmodellierte Fußgänger bewegten sich zufällig über den Bürgersteig, als wäre das plötzliche Auftauchen eines computergenerierten Mechs kein Grund zur Beunruhigung. Das würde sich bald ändern.
Sie beschleunigte auf Gehgeschwindigkeit und machte sich auf die Jagd.Ihre erste Warnung, wo McCarthy steckte, lieferte die Magnetortung, die eine große, sich bewegende Metallmasse meldete. Das war immer ein eindeutiges Signal. Wäre der Destruktor an einer Stelle stehen geblieben, hätte der Computer ihn nicht von einem Gebäude mit Stahlgerüst unterscheiden können. McCarthy hätte den überschweren Mech im Innern eines Gebäudes parken und ihr auflauern können. Ihrer Meinung nach war dies die beste Methode, einen Mech dieser Gewichtsklasse im Stadtkampf einzusetzen.
Aber anscheinend legte McCarthy es nicht auf einen Hinterhalt an. Er wollte eine Rechnung begleichen. Amanda hatte nichts dagegen. Sie hatte seit Ewigkeiten keine echte Herausforderung mehr erlebt.
Und genau die lieferte ihr der Captain. Die immer wieder abbrechenden Ortungen machten es ihr unmöglich, auch nur die einfachste Zielerfassung herzustellen. McCarthy blieb ständig am äußersten Rand der Ortungsanzeige und zog sie tiefer in die Stadt. Die unsichere Ortung nagte an ihrer Zuversicht. McCarthy bewegte sich mit einer Schnelligkeit, die fast an ihre herankam. Wann immer sie ihn ins Visier nahm, verschwand er um die nächste Ecke. Die Füße des Bushwacker rutschten an jeder Ecke wieder weg und hatten Mühe, auf dem glatten Straßenbelag Halt zu finden, als sie immer schneller um die Ecken hetzte, um ihren Gegner endlich zu stellen.
In der Hoffnung, ihn aufhalten zu können, schleuderte Amanda ein paar Salven Donner-LSR auf wichtige Kreuzungen. Die von den Raketen ausgestreuten Minenfelder deckten große Bereiche ab und behinderten alle Mechs und sonstigen größeren Fahrzeuge. Wie zur Unterstreichung dieser Tatsache rollte ein ziviler Lastwagen auf eine der Kreuzungen und explodierte in eine primitive graphische Darstellung eines brennenden Wracks hinein. Nur einer der Gründe dafür, dass der Einsatz von Donnermunition in Stadtkämpfen verpönt war.
Aber das hier war kein echtes Schlachtfeld... eine Annahme, die ihr Kommandeur beinahe augenblicklich widerlegte.
Warnsensoren forderten gellend Aufmerksamkeit,
als McCarthy über das Dach eines nahen Gebäudes segelte,
Flammenzungen lodernden Plasmas aus den Sprungdüsen auf dem Rücken
des Mechs hinter sich herziehend. Amanda las die Identifikation des
Mechs ab - den Bruchteil einer Sekunde vor dem bestätigenden
Anblick auf dem Sichtschirm auf der Sichtprojektion. Ein
Schleicher! McCarthy kämpfte nicht in
seinem Destruktor, sondern hatte einen
mittelschweren Mech gewählt, der ihm einen Beweglichkeitsvorsprung
verschaffte. Sie hatte kaum Zeit, sich darüber klar zu werden. Ein
schwerer Schlag folgte unmittelbar auf die Warnsirenen der
Raketenortung, und der fünfundvierzig Tonnen schwere Schleicher hämmerte aus dem Flug mit
Kurzstreckenraketen auf sie ein. Der Hagel von KSR schlug Krater
und Schrammen in die Panzerung auf der ganzen rechten Seite ihres
Mechs.
Der leichtere Kampfkoloss landete auf einem hohen Gebäude rechts
hinter Amanda. Seine Laser feuerten saphirblaue Strahlbahnen in Arm
und Bein des Bushwacker. Der
Sergeant-Major drehte den Torso der Kampfmaschine so weit es nur
ging, und schaffte es gerade eben, die LSR-Lafette im linken Arm
ins Spiel zu bringen. Falls McCarthy glaubte, sie hätte nur
Donnermunition geladen, erwartete ihn eine Überraschung. Amanda
hatte ihren Bushwacker umgebaut, und im
Austausch für zwei zusätzliche Tonnen Munition im linken Torso auf
die Maschinengewehre verzichtet. Die Salve erwischte den
Schleicher und vergalt die Schäden, die
sie hatte einstecken müssen, zumindest andeutungsweise.
Aber so leicht, wie er aufgetaucht war, löste der Schleicher die Sprungdüsen wieder aus und sprang über die Kreuzung, auf der Amanda stand. Sie versuchte, den breiteren, gedrungenen Bushwacker zu drehen, schaffte es aber nicht ganz, bevor eine neue Raketen- und Lasersalve in seinen Rücken einschlug und sie nach vorne in die Gurte warf. Amanda biss frustriert die Zähne zusammen, während sie mit geübtem Blick die Vektorgraphikdarstellung der Schadensanzeige begutachtete. Die dünnere Rückenpanzerung hatte gehalten und ernsten Schaden verhindert, aber lange konnte das nicht mehr gut gehen. Das schützende Ferrofibrit war nahezu weggesprengt.
Falls McCarthy auf den Dächern blieb, würde früher oder später eines der Häuser unter dem Gewicht einstürzen und den Schleicher auf die Straße befördern. Aber konnte sie so lange durchhalten? Und wollte sie ihren Sieg wirklich davon abhängig machen? Momentan beherrschte er das Geschehen.
Amanda war zu erfahren, um auf eine Verlierersituation zu bestehen. Sie beschleunigte den Bushwakker zum Galopp auf ein nahes Gebäude zu. Der Sergeant-Major schob den rechten Mecharm vor und stieß den Autokanonenlauf in die Mauer, um eine Bresche aufzureißen, durch die sie den breitschultrigen Kampfkoloss zwängte. Die Simulation war nicht detailliert genug, Backsteine und Träger um sie herum herabstürzen zu lassen. Stattdessen brach die Wand in große mehrkantige Brocken zusammen, die sich schnell auflösten.
»Erste Runde an Sie, Captain«, brüllte Amanda, als ihr Mech sich auf der anderen Seite des Hauses zurück ins Freie kämpfte und durch Hügel von Schutt watete.
Amanda wusste, dass er sie bei dieser Lautstärke in der anderen Simulatorkapsel hören konnte, und hoffte, sportiv zu klingen, so, als hätte sie die erste Begegnung großzügig hingenommen. Aber sie hörte die Schärfe in ihrer Stimme und wusste, sie würde auch den anderen nicht entgehen. Amanda Black war wütend und alle wussten es. McCarthy hatte sie mit dem Schleicher überrumpelt. Dazu würde sie ihm keine Gelegenheit mehr bieten.
Sie bewegte sich auf der neuen Straße rückwärts davon und hielt das Fadenkreuz auf die Kreuzung. Sie wartete darauf, dass der Captain sie verfolgte, während sie in Gedanken ihre beiden Maschinen verglich. Ein gleichwertiger Kampf. Doch es wirkte natürlich besser, dass McCarthy die fünfundvierzig Tonnen Vorteil aufgegeben hatte, die ihm der Destruktor geliefert hätte.
Wie sie erwartet hatte, kam der Schleicher endlich herunter auf den Boden und rannte über die Kreuzung, die sie im Visier behalten hatte. Er blieb zu einem Feuerwechsel kurz stehen. Laser zuckten über Brustpartie und linkes Bein des Bushwacker, eine weitere LSR-Salve verschandelte seine obere Rumpfhälfte mit pockennarbigen Kratern. Ein Geschoss schlug hallend in den vorragenden Kopf der Maschine, und der Schüttelsitz peitschte zur Seite. Ein stechender Schmerz zuckte durch Amandas Nakken.
Sie legte sich in die Bewegung, entschlossen, den Schaden mit Zinsen zurückzuzahlen. Ein smaragdgrüner Strahl aus gebündelter Lichtenergie schoss aus dem schweren Torsolaser, erwischte den Schleicher in der linken Seite und befreite ihn von der Hälfte der Schutzpanzerung. Als es ihr nicht gelang, den Gegner mit der Autokanone sicher zu erfassen, drehte sie den Mech zur gegenüberliegenden Seite der Kreuzung und gab einen langen Feuerstoß brachialer Kaliber-80mm-Granaten ab, als der Schleicher wieder beschleunigte. Das großkalibrige Sperrfeuer erwischte McCarthys Kampfkoloss am linken Knöchel und sprengte weitere Panzerung ab, bevor der Mech um die Ecke des nächsten Bauwerks verschwand. Sie zog das Geschützfeuer hinter ihm her und die Granaten fraßen sich tief in das Haus, bevor sie den Feuerknopf losließ.
Zurückweichen, Zuschlagen, Vorrücken und Umgehen, das waren die Schritte des Tanzes, den sie sich in den Straßen der Konstruktstadt lieferten, während sie in unregelmäßigen Abständen Geschützfeuer tauschten. Amanda platzierte Donnermunition, wann immer sie ein paar Sekunden Zeit zur Planung hatte, und rammte sich den Weg durch eines der Häuser frei, sobald McCarthy den Schleicher in die Lüfte erhob, um in ihre Flanke zu gelangen. Die Fahrzeuge und simulierten Zivilisten reagierten noch immer nicht auf den Kampf der Titanen, obwohl gelegentlich ein paar simulierte Stadtbewohner unter den Schritten des Bushwacker verschwanden und Amanda immer wieder einmal dem Wrack eines Lasters oder Personenwagens begegnete, der in eines der Minenfelder geraten war. Blöder Computer.
Durch das Verminen der Hauptkreuzungen zwang sie McCarthy, Seitenstraßen und Dächer zu benutzen. Diesmal sprang der Schleicher aus einer schmalen Gasse, in die der erheblich breiter gebaute Bushwacker niemals gepasst hätte, und trat geradewegs in dessen Schatten.
Auf so kurze Distanz waren Amandas Langstrekkenraketen so gut wie wertlos, und nur der schwere Laser und der Donner der Autokanone antwortete seiner Breitseite. Mehrere der Kurzstreckenraketen des Captains nutzten Löcher in der Panzerung aus, um tief ins Innere des Bushwacker einzudringen. Die Wucht der Explosionen verbog das Gehäuse des riesigen Kreiselstabilisators und riss die Eindämmung auf, die half, die Abwärme des Fusionsreaktors unter Kontrolle zu halten.
Geschmolzene, gelborange glühende Panzerklumpen hinter sich zurücklassend, duckte sich der Schleicher um den Bushwacker und in eine andere Gasse, während Amandas Maschine wie betrunken schwankte, während sie mit der Schwerkraft um die Herrschaft über den Mech kämpfte. Diesmal gewann sie noch, und die Signale des Neurohelms konnten den Gyroskopschaden ausgleichen.
Aber der Kampf hinterließ zunehmend Spuren. Amanda war schweißgebadet, denn aus den Luftschlitzen schlug heiße Luft in ihren Nacken, um den Schaden an der Reaktorabschirmung zu simulieren. Die Hitze verwandelte die enge Simulatorkapsel im Handumdrehen in eine Sauna. Die glutheiße Luft verkürzte jeden Atemzug zu einem Nach-LuftSchnappen. Im Nacken schmerzten die gezerrten Muskeln. Jeder Schritt, den der Bushwacker mit beschädigtem Gyroskop ausführte, ließ die Schüttelliege ausschlagen und sandte neue Schmerzpfeile ihr Rückgrat hinauf. Sie humpelte auf die nächste Kreuzung, kämpfte dem Mech eine Rechtsdrehung ab, um die Richtung im Schussfeld zu halten, in die der Schleicher verschwunden war.
McCarthy tauchte am Rand des Sichtschirms auf, kam um eine entfernte Ecke und beschleunigte auf volle Geschwindigkeit. Ein halbes Dutzend Schritte später zeichnete ein leuchtendes Halo die Silhouette des Schleicher nach, als die Sprungdüsen wieder Plasma aus dem Fusionsreaktor abwärts durch die Brennkammern lenkten. Der 45-t-Kampfkoloss sprang auf sie zu, flog zwanzig Meter über der Straße entlang. Laser feuerten tödlich buntes Licht, Raketen zuckten in flachem Bogen aus den Rohren. Amanda zog einen langen, beruhigenden Atemzug beißender Luft in die Lunge und ignorierte die stählernen Fesseln um den Brustkorb. Sie lehnte sich über den Steuerknüppel, während sie das Fadenkreuz über die Straße und aufwärts zog. Jetzt ging es um alles. Sie wusste: Keine der beiden Maschinen konnte viel länger durchhalten. Jetzt würde einer von ihnen ins Gras beißen!
Die mittelschweren Laser des Schleicher schlugen tiefe Löcher in den linken Mecharm des Bushwacker, durchbohrten die Raketenlafette und zerstörten sie. Raketeneinschläge prasselten auf den zerbeulten Mechrumpf, schlugen neue Breschen und schüttelten ihn durch, aber nicht heftig genug, um ihr Antwortfeuer abzulenken. Autokanone und Lichtwerfer zeichneten eine Spur der Vernichtung von den Gebäuden der anderen Straßenseite aus in die Luft und durch die Flugbahn McCarthys. Der Photonenstrahl traf zuerst, zerkochte die letzten Reste von Kompositpanzerung auf dem rechten Bein der Maschine. Ein Strom von Granaten aus abgereichertem Uran donnerte hinterdrein, nutzte den Schaden aus, hämmerte auf den Titanstahl-Oberschenkelknochen, bis das Metallskelett nachgab und das Bein verdreht hinter dem springenden Mech zu Boden fiel. Die verkrüppelte Kampfmaschine stürzte ab.
Aber nicht früh genug.
Der in einem unter MechKriegern Todessprung genannten Manöver mit
Kurs auf den Bushwacker anfliegende
Schleicher traf sein Ziel ungesteuert,
dadurch aber keineswegs mit weniger Wucht. Der ihm verbliebene Fuß
bohrte sich in die linke Schulter des Bushwacker und rammte das Bein aufwärts in den
eigenen Torso - vorher aber zertrümmerte er die linke Rumpf seite
von Amandas Maschine. Das Munitionsmagazin in der linken Torsoseite
des mittelschweren Mechs wurde eingedrückt, zerquetschte die
gelagerten Raketen, brachte Brennstoffzellen und Gefechtsköpfe zum
Zerplatzen. Ein Funke entzündete den freigewordenen Brennstoff, und
das daraus resultierende Feuer löste die Gefechtsköpfe aus. Es kam
zu einer Kaskade von Detonationen, die beide Maschinen
zerfetzte.
In der Simulation schlug kein betäubender Rückkopplungsschock durch
den Neurohelm und raubte dem MechKrieger die Sinne. Kein Feuerball
loderte durchs Cockpit, um den Piloten zu versengen oder lebendig
zu rösten. Amandas Sichtschirm zeigte ein Chaos aus Feuer und
polygonalen Trümmern...
Und dann - nichts. Dunkelheit, Wärme und Feuchtigkeit des
schweißgetränkten Overalls, der Geruch von Schweiß und körperlicher
Anstrengung. Ein Lichtstreifen erschien in Bodennähe und wurde
schnell breiter, als die Kapseltür sich unter dem Geräusch
vereinzelten höflichen Beifalls hob. Der Rest der Kompanie hatte
den Kampf auf den Monitoren der Halle verfolgt und gratulierte
beiden MechKriegern zu einem beeindruckenden Kampf. Nur die
Lieutenants Michaels und Patschenko hielten sich zurück, während
Amanda und Captain McCarthy die Gurte lösten.
McCarthy war triefnass. Das dunkle Haar klebte ihm am Kopf. Schweiß
strömte ihm die Stirn hinab und zog breite Spuren übers Gesicht.
Amanda konnte sich denken, warum. Durch die ständigen Sprünge hatte
der Schleicher von Anfang an eine
gefährliche Hitze entwickelt. Doch der schnelle Blick der
Erleichterung, den er dem Simulator über die Schulter zuwarf,
deutete an, dass unter Umständen mehr dahintersteckte als nur die
Abwärme. Wie auch immer sein Problem aussah, McCarthy hatte
bewiesen, dass er mit einem Mech umgehen konnte. Sie war mit einem
Unentschieden gegen ihn zufrieden... jedenfalls für
heute.
»Guter Kampf, Captain.« Amanda reichte McCarthy die Hand, und er
nahm sie an.
In den graublauen Augen jedoch lag keine Freundlichkeit. »Ein
ausgewogener Kampf, ja. Aber Sie waren da drinnen ein wenig außer
Kontrolle, nicht wahr, Sergeant-Major?«
»Sir?« In Amanda stieg Trotz auf.
McCarthy nickte Tara Michaels zu. Der junge Leutnant verlagerte
nervös das Gewicht, als sie ihren Bericht ablieferte. »Geschätzter
Sachschaden über fünfzehn Millionen C-Noten. Geschätzte Kosten in
Zivilistenleben, zwohundertfünfundachtzig.«
Amanda setzte zu einer Entgegnung an, wurde aber von der abwehrend
erhobenen Hand des Captains aufgehalten. »Moment. Dylan?«
»Ihr geschätzter Sachschaden liegt unter einer halben Million
C-Noten, Captain.« Patschenko schaute Amanda unsicher an.
Möglicherweise erinnerte er sich daran, wie oft ihre Truppe seine
Lanze in der Simulation dezimiert hatte. »Tote: fünf. Vier davon
als Resultat der Explosion Ihrer beiden Mechs am Ende des Duells.
Der andere war ein Fehlschuss, der einen Fußgänger getroffen
hat.«
»Verdammt«, fluchte McCarthy. Er schien von den Verlusten ehrlich
betroffen. »In Ordnung, alle Mann in die Hauptsimulatorhalle.
Lieutenant Michaels, teilen Sie die Leute ein und fahren Sie eine
Standard-Stadtverteidigung. Sergeant Black«, fügte er hinzu, als
die anderen den Raum langsam verließen, »Sie bleiben bitte
hier.«
Sie wartete, bis sie allein waren, unsicher, wie sie auf die
implizite Zurechtweisung reagieren sollte. Das konnte nicht sein
Ernst sein. Amanda schüttelte verärgert den Kopf. Er blickte ernst
genug. »Es war eine Simulation.«
»Simulation«, wiederholte McCarthy, und ließ eine Definition des
Begriffes folgen. »Ein Prozess mit dem Ziel, eine reale
Gefechtssituation zu demonstrieren, nachzubilden oder anderweitig
zu emulieren. Ihre brutale Gefechtstaktik... Wenn ich einen
Soldaten unter meinem Befehl dabei erwischen würde, absichtlich
derartigen Schaden in einer realen Stadt anzurichten, käme er vor
ein Kriegsgericht, Sergeant.« Seine Stimme sank beinahe zu einem
Flüstern. »Selbst auf Diana, Amanda, haben wir den zivilen Sektoren
eine derartige Verwüstung erspart.«
Mit Ohren, die von der Zurechtweisung glühten, nahm Amanda Haltung
an. Schlimmer als jede Gardinenpredigt war die Tatsache, dass aller
Wahrscheinlichkeit nach die ganze Kompanie die geschätzten
Verlustzahlen debattierte. Das verwandelte ihr Unentschieden in
eine Niederlage, und Niederlagen waren ihr ein Greuel. »Ich werde
Simulationen in Zukunft sicher ernster nehmen, Captain. Ich
nahm
- irrtümlich - an, unser Duell sei ein reiner Fähigkeitstest.« Sie
stockte. »Erlaubnis, frei zu sprechen, Sir?«
Als er nickte, wählte Amanda ihre Worte sorgfältig aus. »Sie hätten
mir das auch privat sagen können oder zumindest nur in Anwesenheit
der anderen Offiziere.«
»Vielleicht hatten die anderen diese Lektion ebenso nötig.«
McCarthys Miene verhärtete sich. »Missfällt es Ihnen, Objekt einer
meiner Lektionen zu sein?«
»Ich finde, es untergräbt meine Autorität. Deshalb, ja. Die meisten
der anderen könnten es weit schlimmer treffen, als meinem Vorbild
nachzueifern. Ohne eingebildet klingen zu wollen, Captain, und Sie
selbst ausgenommen, bin ich der beste MechKrieger, den Sie
haben.«
McCarthys Ausdruck wurde sanfter, drückte aber eher Mitleid als
echtes Verständnis aus. Als er antwortete, klang er enttäuscht.
»Und wie kommen Sie darauf, Amanda, das sei genug?«