2
Stützpunkt der MCM Kathil, Radcliffe, Kathil Kathil-PDZ, Mark Capella, Vereinigtes Commonwealth13. Oktober 3062
Davids Destruktor stand vornan im Mechhangar der Kathil-Miliz. Breitbeinig ragte er an der Spitze einer in Paradeformation aufgebauten Kompanie von zwölf Battle-Mechs auf, dreireihig und vier Zeilen tief. Als einzige überschwere Maschine der Einheit war er fast einen Meter größer als der nächsthöchste Mech und volle zwei Meter größer als der fünfunddreißig Tonnen schwere Garm, der die nächste Lanze anführte. Die breiten Schultern des Destruktor stellten alle anderen Maschinen bis auf den Bushwacker, der unmittelbar hinter ihm stand, in den Schatten.
David stand auf dem Hangarboden, kam mit dem Kopf kaum über den Knöchel der Kampfmaschine, und starrte zu dem Kampfkoloss hinauf. Starrte zu ihm hinauf und schüttelte sich, als ihm ein heftiger Schauder den Rücken entlanglief.
Niemand bemerkte es. Zwei AsTechs waren auf einer Hebebühne damit beschäftigt, den Mech neu zu lackieren, dunkelgrün mit roten Akzenten. Sie trugen Atemmasken, bei der Arbeit mit Mechlacken eine notwendige Schutzmaßnahme. Der schwere Lösungsmitteldunst hatte David bereits acht, zehn Schritte zurückgetrieben, brannte ihm in der Nase und drohte ihn selbst in der gut gelüfteten Hangarumgebung zu überwältigen. Ein dritter AsTech war gerade damit fertig, das Motto der Mark-CapellaMiliz, ›Duty, Honor, Loyalty‹ auf dem Spruchband des Einheitswappens anzubringen, das auf der linken Brustpartie des Destruktor prangte, einer Fackel vor rotem Schild.
Pflicht, Ehre, Loyalität. Das ging in Ordnung. Solange nur niemand Tapferkeit forderte. Die hatte er auf Diana verloren, zusammen mit den meisten seiner Leute. Wenn er nur das unangenehme Gefühl hätte loswerden können, dass der Destruktor schon bald würde ausrücken müssen.
»Eine beeindruckende Maschine, Sir.«David drehte sich um. Die rauchige Altstimme gehörte einer Offizierin mit den Schulterklappen eines First Lieutenant. Ihr honigblondes Haar war zu einem strengen Knoten nach hinten gebunden, der das herzförmige Gesicht und die sanften, schokoladenbraunen Augen nur noch betonte. Sie sprach wie eine Veteranin, aber am Fehlen von Feldzugsbändern an ihrer Uniform sah David, dass sie seit höchstens zwei Jahren beim Militär war. Er fragte sich, ob sie zu seiner Einheit gehörte.
Sowohl der First Lieutenant wie auch ihr Begleiter, ein Corporal, richteten sich zu einer Art HabAcht-Stellung auf und salutierten. David erwiderte den Gruß, woraufhin sich der Corporal auf der Stelle wieder entspannte.
»Lieutenant Tara Michaels, Corporal Richard Smith«, sagte sie. David erkannte die Namen. Beide waren MechKrieger der 2. Kompanie, seiner neuen Einheit. Er hatte die Namen auf der Aufstellungsliste gelesen, die er in der Verwaltung erhalten hatte. Tara Michaels reichte ihm die Hand und runzelte leicht die Stirn, als David sie nicht sofort ergriff. »Der Alte hat uns geschickt, Sie zu holen, Captain. Einer der Techs hat uns den Weg gezeigt.«
Der Alte? Captain? »Und der Alte wäre...?«, fragte er trocken. First Lieutenant Michaels zeigte eine für jemanden von ihrer geringen Erfahrung durchaus unangebrachte Einstellung. Langsam wurde ihm klar, welche Probleme ihn in seiner neuen Position erwarteten.
»Major General Donald Sampreis. Der LC, das wäre Lieutenant Colonel Damien Zibler, unser Bataillonschef, ist auch bei ihm.«
David ließ sich seine Überraschung nicht
anmerken.
»Major General« war eine alte Rangbezeichnung der Vereinigten
Sonnen für den VerCom-Rang des Generalhauptmanns. Schon zum zweiten
Mal hatte Michaels das alte System benutzt. Er fragte sich, ob das
eine persönliche Entscheidung oder die offizielle Handhabung dieser
Einheit war.
Er warf dem Destruktor einen letzten
Blick zu, dann deutete er mit einer Kopfbewegung zu den riesigen
Hangartoren und hinaus auf den Paradeplatz der Kathil-Miliz. »Dann
wollen wir die Herren nicht warten lassen.«
Corporal Smith trottete ein paar Schritte hinter David und Tara,
als sie sich auf den Weg machten. Sie nickte den Techs, an denen
sie vorbeikamen, gnädig zu, und genoss ganz offensichtlich ihren
Status als MechKriegerin und Offizierin. »Es heißt, Sie haben mit
den Ulanen auf Diana gekämpft«, stellte sie mit einem schrägen
Blick auf sein Feldzugsband fest. »Als Major.«
»Stimmt.«
»War es so hart, wie man hört?«
Einen Moment lang antwortete er nicht. »Ja«, sagte er schließlich.
Offensichtlich wollte sie ihn von seinen Erlebnissen erzählen
hören, aber die Erwähnung Dianas weckte bei ihm immer noch zu viele
schmerzhafte Erinnerungen, um näher darauf einzugehen.
Der frische Wind des Spätfrühlings war sehr erfrischend, als sie
nach draußen kamen, erst recht nach den Farbdämpfen im Hangar. Er
spuckte trocken aus, um den öligen Lackgeschmack loszuwerden, der
sich ihm über die Mundinnenseite gelegt hatte, und genoss das
Sonnenlicht nach Monaten künstlicher Raumschiffsumgebung.
Tara wies zu einem in der Nähe stehenden offenen Geländewagen hin,
und sie stiegen ein. Sie fuhr, während Smith sich auf dem Rücksitz
lümmelte.
Niemand sprach, und das Schweigen dehnte sich so lang, dass David
entschied, Tara besser keine Gelegenheit zu geben, Diana erneut
anzusprechen.
»Sagt er überhaupt mal etwas?«, fragte er laut genug, dass Smith
ihn hörte.
»Nur, wenn ich Ärger bekommen will«, antwortete Smith mit leicht
unbestimmtem Ton. »Außerdem höre ich lieber dem Lieutenant
zu.«
David drehte sich ein wenig zu ihm um. »Sind Sie deswegen nur ein
Corporal? Weil Sie Ärger bekommen haben?« Seit einigen Jahren schon
waren MechKrieger im Vereinigten Commonwealth zwar nicht mehr
automatisch Offiziere, aber der normale Mindestrang war zumindest
Sergeant.
»Nein«, erwiderte Smith und unterdrückte ein Grinsen. »Aber
geholfen hat es auch nicht.«
»Corporal Smith und Barnes sind unsere Landeier. Sie sind über das
Rekrutenprogramm in Thespia zur Einheit gekommen«, erklärte Tara.
»Momentan sind sie in der Bewährungsphase. Wir erwarten, dass sie
bei der nächsten Jahresbeurteilung problemlos befördert
werden.«
David ließ sich die Implikationen dieser Antwort durch den Kopf
gehen, verzichtete aber für den Augenblick auf eine Entgegnung.
Wieder dehnte sich die Stille, unterbrochen nur vom Brausen des
Fahrtwinds. Der Stützpunkt war riesig und beherbergte zusätzlich zu
den Unterkünften für die Hälfte des eintausend Mann starken
Infanterieregiments mehrere Hundert Mechs und
Panzerfahrzeuge.
Radcliffe war ursprünglich die Hauptmilizbasis an der Ostküste des
Kontinents gewesen, aber während Davids Abwesenheit waren neuere
Anlagen in der planetaren Hauptstadt District City eröffnet worden.
Zu seiner Überraschung hatte er erfahren, dass diese Basis derzeit
von einer anderen Einheit benutzt wurde.
Der Verkehr an Fußgängern und Fahrzeugen hatte zugenommen. David
spürte auch eine größere Anspannung, als er sie üblicherweise auf
einer Militärbasis in Friedenszeiten erwartet hätte. Irgendetwas
schien schwer und drückend über den umhereilenden Menschen zu
lasten.
»Ich hatte gehofft, heute Morgen mit meinem Stabsfeldwebel zu
sprechen. Irgendeine Ahnung, wo sie stecken könnte?«, fragte er
über die Schulter. Wie in jeder Armee existierte sicher auch bei
der Militiar die übliche Gemeinschaft der Mannschaftsgrade, und
Smith konnte als Corporal die Frage vermutlich leichter beantworten
als First Lieutenant Michaels.
Trotzdem war sie es, die auf seine Frage einging, während sie um
die Ecke einer Lagerhalle in eine Gasse zwischen langen Zeilen mit
Verwaltungsgebäuden bogen. »Sergeant-Major Black befindet sich in
den Sims. Als Sie nicht beim Appell waren, hat sie eine Übung
angesetzt.«
Falls Tara damit gehofft hatte, Smiths Antwort abzublocken,
scheiterte sie. »Yeah«, ließ sich der Corporal vom Rücksitz
vernehmen. »Sie hat erklärt, es wird mal wieder Zeit, Patschenkos
Panthern eine Abreibung zu verpassen. Taras Terror war letzte Woche
dran.«
Michaels lief krebsrot an und wich Davids Blicken aus. Sie brachte
den Wagen zu einem jähen, ruckartigen Halt und deutete auf ein paar
nahe Gebäude. »Sie finden die hohen Herrschaften da drüben,
Captain. Können wir sonst noch was für Sie tun?«
David nickte knapp. »Suchen Sie Hauptfeldwebel Black und teilen Sie
ihr mit, die Übung sei ausgesetzt. Ich möchte die ganze Kompanie in
zwei Stunden im Mechhangar sehen.« Dann unterbrach er sich. Der
Mechhangar war momentan der letzte Ort, an dem er sein wollte.
»Nein, warten Sie. Es gibt bestimmt einen besseren Ort für eine
Vorstellung. Sie kennen sich hier auf der Basis aus, Lieutenant.
Suchen Sie uns einen Raum und schicken Sie Corporal Smith mich
holen, wenn es soweit ist.« Er drehte sich um. »Sie können doch
fahren?«
Smith setzte zu einer Entgegnung an, dann zögerte er und zuckte die
Achseln. »Yeah, ich kann fahren.«
Als er aus dem Wagen stieg, ging David in Gedanken durch, worauf er
sich mit der Kathil-Version der Mark-Capella-Miliz eingelassen
hatte: Mangelnde Disziplin. Übertriebenes Selbstvertrauen.
Vertraulichkeiten Vorgesetzten gegenüber, und das von den untersten
Rängen hoch bis mindestens zu First Lieutenant Michaels. Bei Smith
war es beinahe schon Insubordination, aber er war sich nicht
sicher, ob der Mann bewusst aufmüpfig war oder es nur nie besser
gelernt hatte. Ganz abgesehen von einem Stabsfeldwebel, die sich
einen Konkurrenzkampf mit seinen Lanzenführern erlaubte, die sich
beide aufspielten und sich hochtrabende Lanzenbezeichnungen
ausgedacht hatten.
Diese Gedanken beschäftigten ihn auf dem ganzen Weg durch den
Eingang der Befehlszentrale und zwei Vorzimmer bis schließlich ins
Büro von Generalhauptmann Sampreis. Der ›Alte‹ begrüßte David an
der Tür und führte ihn persönlich in das nach Zigarrenqualm und
Papier riechende Büro. David kam kurz der Gedanke, dass diese
Mischung typisch für die Büroatmosphäre von Regimentskommandeuren
in der ganzen Inneren Sphäre war. Unter der Decke hing der dünne
Nebel einer erst vor kurzem gelöschten Zigarre.
Sampreis wirkte jung für seinen Rang. David schätzte ihn auf Anfang
Vierzig. Natürlich mochte die große Holographie auf dem
Schreibtisch, die Sampreis beim Händedruck mit Field Marshal George
Hasek zeigte, dem Herzog und militärischen Kommandeur der Mark
Capella, etwas damit zutun haben. Um genau zu sein, bemerkte David
noch mindestens drei andere Bilder an den Wänden, die seinen
Kommandeur mit hochgestellten Freunden zeigten. Eines davon, mit
Morgan Hasek-Davion, verursachte einen Kloß in Davids
Hals.
»Ich bin mit seinem Sohn befreundet«, erklärte Sampreis, der Davids
Blick folgte. David schloss daraus, dass der General ohne Zweifel
dem politischen Lager Victor Davions zuzuordnen war. George Hasek
gehörte zu den lautstärksten Unterstützern des ehemaligen
Archon-Prinzen des Vereinigten Commonwealth.
Sampreis schlug den Umhang der Ausgehuniform zurück und trat hinter
den nierenförmigen Schreibtisch. »Wir haben alle zu Morgan
aufgesehen. Ein tragischer Verlust.«
David wartete auf die unvermeidlichen Fragen zu Einsatzgruppe
Schlange, aber diesmal blieben sie aus. Die Überraschung darüber
hielt während der Vorstellung seines unmittelbaren Vorgesetzten,
Lieutenant Colonel Damien Zibler, an, und es dauerte einen Moment,
bis ihm bewusst wurde, dass Zibler Sampreis mit dem alten AVS-Rang
ansprach, als er sich bedankte. Er setzte sich neben
Zibler.
Der Mann hätte einem Werbeplakat entsprungen sein können. Ein Meter
achtzig, muskulös gebaut, mit rotblondem Haar, funkelnden blauen
Augen und einer stolzen Nase. Sein Händedruck war fest. Er trug die
Ausgehuniform des Davion-Teils des Vereinigten Commonwealth,
allerdings ohne Umhang, so wie David.
»Willkommen daheim«, begrüßte Zibler ihn, als sie sich setzten.
»Captain McCarthy stammt von Kathil«, erklärte er dem General. »Wir
sind uns vor Jahren einmal begegnet, als er noch bei den Ulanen
diente.«
Sampreis schürzte die Lippen. »Hier aus dieser Gegend?«
»Weiter landeinwärts«, antwortete David und verbrachte die nächsten
Minuten damit, Fragen über Hintergrund und Abstammung zu
beantworten. Sampreis wirkte ehrlich interessiert, aber ohne
Zweifel hatten Familienbindungen bei seinem Aufstieg die
Karriereleiter empor eine wichtige Rolle gespielt.
»Die meisten leben in der Nähe von Vorhaven«, erklärte er. »Etwa
ein Dutzend haben es nach meiner Ankunft zu einer kleinen
Familienfeier nach District City geschafft. Kaum lange genug, um
auf dem Laufenden zu sein, aber es hat meinem Eintreffen einen
Hauch von Rückkehr in die Heimat verliehen.« Er pausierte. Es gab
eine Grenze zwischen höflicher Konversation und dem Langweilen
eines Vorgesetzten.
»Ich muss mich für meine Verspätung entschuldigen, Sir«, bot er
Sampreis die Gelegenheit, das Thema zu wechseln. »Ich habe erst
heute Morgen erfahren, dass ich mich hier in Radcliffe melden muss,
statt auf der District-City-Basis.«
Sampreis warf Zibler einen schnellen Blick zu. »Ah ja, nun, das ist
ein prekäres Thema. Wir haben Befehl, District City zu besetzen.
Field Marshal Hasek hat die MCM Kathil letzten Monat offiziell
aktiviert und die 8. Regimentskampfgruppe aufgefordert, die
Garnison des Planeten an uns zu übergeben. Anschließend sollte die
8. V-C nach Lee umziehen, aber ungeachtet aller Bemühungen Duke
VanLees', sie loszuwerden, weigert sich die 8.
abzuziehen.«
David runzelte die Stirn. »Und das lässt Koster VanLees sich
gefallen? Ich habe den Herzog durchsetzungsfähiger in Erinnerung.«
Dann fiel ihm ein, dass Herzog Koster inzwischen über siebzig sein
musste.
»Nicht der Vater«, korrigierte Sampreis. »Der Sohn. Duke Petyr
VanLees. Er hat die Durchsetzungsfähigkeit seines Vaters geerbt,
aber die 8. hat ein Regiment Mechs und acht Regimenter Hilfstruppen
als Argumente für ihre Position.«
»Warum sind sie so entschlossen hierzubleiben?«, fragte David
ehrlich verwirrt. Es stimmte zwar, dass die Raumwerften Kathil zu
einer wichtigen Industriewelt machten, aber Lee lag nahe genug an
der Grenze zur Konföderation Capella, um dort stationierten
Einheiten reichlich Einsatzmöglichkeiten zu versprechen. Die RKG
lief keine Gefahr, durch die Verlegung an Prestige zu
verlieren.
»Die 8. Vereinigte Commonwealth wurde letztes Jahr von Katherine
Steiner-Davion als Garnison eingesetzt«, erklärte Zibler und
verzichtete sichtlich bewusst auf ihren Titel einer
Archon-Prinzessin. Auch die Weigerung, ihre Namensänderung zu
Katrina hinzunehmen, die für reichlich lyranische Zustimmung
gesorgt hatte, entsprach der allgemeinen Tendenz in den Vereinigten
Sonnen. »Kathil ist eine wichtige Welt, aber es besteht keine
ernsthafte Gefahr eines Angriffs aus der Konföderation Capella. In
Wahrheit ist die 8. hier, um Katherine die Kontrolle über die
Raumwerften zu garantieren, und vor allem über die Kriegsflotte.
Generalhauptmann Weintraub, der Kommandeur der 8. RKG, hat erklärt,
seine Befehle kommen direkt von Katherine Steiner-Davion, und bis
sie persönlich etwas anderes anordnet, weigert er sich, Kathil
›unerprobten Verteidigen‹ zu überlassen.«
»Das wären dann wohl wir.« Offenbar war die Lage auf seiner
Heimatwelt weit angespannter, als David vermutet hatte. Allmählich
verstand er Kommodoreleutnant Kerrs Feindseligkeit an Bord des
Landungsschiffes, ebenso wie die leitende Position eines
lyranischen Offiziers auf einem VerCom-Kreuzer. Falls sich die
politische Lage tatsächlich derart zugespitzt hatte, dass eine
Regimentskampfgruppe den Befehl eines Feldmarschalls verweigerte,
stand ein offener Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen den
Anhängern Victors und Katherines unmittelbar bevor... genau wie auf
Solaris VII.
»Zugegeben, Weintraub hat nicht Unrecht.« Sampreis schien in der
Lage, beide Seiten eines Streits zu sehen, wenn nicht noch mehr,
ein weiterer Hinweis auf eine mehr politische als militärische
Laufbahn. Unglücklicherweise hatten Politiker in Davids Erfahrung
mehr Geschick darin, Konflikte anzuzetteln, als sie zu verhindern.
Und Kathil benötigte jetzt kühle Köpfe.
»Wir haben noch immer Probleme mit der Aktivierung der MCM auf
Kathil«, fuhr Sampreis fort, »aber ich hoffe, mit einem starken
Offizierskorps können wir das meistern. In der Zwischenzeit müssen
wir auf George Haseks Fähigkeit vertrauen, die 8. RKG von Kathil
abzuziehen. Wir werden das Kind schon schaukeln,
Captain.«
»Ja, Sir.« David hörte die Verabschiedung in der Stimme des
Regimentschefs. »Dann werde ich mir, mit Ihrer Erlaubnis, jetzt
einmal meine neue Einheit ansehen.«
Sampreis nickte. »Wegtreten.«
Zibler reichte ihm wieder die Hand, gleichzeitig mit David, der sie
ebenfalls ausstreckte. Als sie sich die Hände schüttelten, trafen
sich ihre Blicke, und etwas in den Augen seines Gegenübers ließ ihn
auf dem Flur vor Sampreis' Empfangszimmer warten. Er trank einen
Schluck warmes Wasser aus einem nahen Spender, las sich den am
Schwarzen Brett angeschlagenen Tagesbefehl durch und richtete die
Uniform in der Reflexion einer Vitrine, unter deren Glasdeckel das
Modell eines Landungsschiffs der Union-Klasse stand.
Seine graublauen Augen wirkten im geisterhaften Spiegelbild der
Glasscheibe düster. Leblos. Weiter hinten im Glas, gefangen
irgendwo zwischen der Reflexion und der Vergangenheit, rannte ein
einsamer Skarabäus über
nebelverhangenes Gelände, und seine mittelschweren Zwillingslaser
schleuderten rubinrote Lichtpfeile in eine unsichtbare Feindlinie.
Die Leuchtröhren der Korridordecke verwandelten sich in bunte
Laserbahnen, die sich aus mehreren Richtungen auf den
unglückseligen Mech stürzten und ihn zerfetzten.
Eine Stimme flüsterte in seinen Gedanken: Da
kommen sie.
»Danke, dass Sie gewartet haben.« Ziblers Stimme holte David zurück
in die Gegenwart. Der Lieutenant Colonel legte ihm in einer
kameradschaftlichen Geste die Hand auf die Schulter. Es passte zu
ihm.
»Schön, Sie wiederzusehen, Sir«, stellte David ehrlich fest. Er
hatte es immer bedauert, Zibler nicht näher kennen gelernt zu
haben, als sie einander vor Jahren zum ersten Mal begegnet waren.
Möglicherweise würden sie jetzt Gelegenheit haben, das
nachzuholen.
»Ich würde mich später gerne ausführlicher mit Ihnen unterhalten,
aber ich dachte mir, wir wechseln jetzt schon einmal ein, zwei
Worte...?« Seine Stimme verklang.
David nickte. »Natürlich.«
»Normalerweise frage ich meine Offiziere nicht nach den Gründen für
die Entscheidung, unter meinen Befehl zu treten, aber in Ihrem Fall
sieht die Sache etwas anders aus.« Zibler senkte die Stimme. »Zum
Beispiel frage ich mich, wie ein Held der Einsatzgruppe Schlange es
schafft, auf dem Weg zum nächsten Einsatz degradiert zu
werden?«
David bewegte bei der Bezeichnung ›Held‹ unbehaglich die Schultern.
»Von meiner Einheit ist nicht viel übrig geblieben«, stellte er
fest, »und unser neuer Marshal of the Armies entschied, die Ulanen
aufzulösen.« Es kostete ihn Mühe, sich die Verbitterung nicht
anmerken zu lassen, als er den neuen Marshal der VCS, Nondi
Steiner, erwähnte. Sie war eine hundertprozentige Lyranerin, die
ohne Zweifel in jedem Fall die Interessen der Allianz höher
bewerten würde als die des Vereinigten Commonwealth.
»Als ich mich dagegen entschied, dem Rest des Regiments in die
SternenbundVerteidigungsstreitkräfte zu folgen, wurde ich ehrenhaft
aus dem Dienst entlassen. Die einzige Möglichkeit, mein
Offizierspatent zu reaktivieren, bestand darin, aus dem Ruhestand
in den aktiven Dienst zurückzukehren. Die offene Stelle in der MCM
Kathil war für einen Hauptmann vorgesehen - und mein Rang wurde
entsprechend reduziert.«
»Falls es Ihnen bisher entgangen sein sollte, Captain McCarthy,
werden Sie noch feststellen, dass viele Regimenter, darunter auch
dieses, wieder das alte Rangsystem der AVS benutzen. Ein stiller
Protest gegen lyranische Bevormundung.« Ziblers Stimme enthielt
keine Bitterkeit. Es war eine gelassene Tatsachenfeststellung. »Das
Ganze war also ein bürokratisches Versehen?«
David schüttelte den Kopf. »Nein, es war Absicht. Einige Veteranen
sind auf diese Weise degradiert worden, und wir haben Gerüchte über
andere gehört, die nach der Reaktivierung auf Posten an der
Peripherie oder in anderen Risikogebieten abgeschoben wurden. Es
gab beträchtlichen Druck, im Ruhestand zu bleiben.«
»Katherine macht sich um die Anhänger ihres Bruders in den
Streitkräften Sorgen. Zu Recht.« Ziblers Stimme wurde ärgerlicher,
was vermutlich mit Katherines Verrat an ihrem Bruder zu tun hatte.
»General Sampreis vertraut George Hasek zu sehr. Der Field Marshal
ist ein guter Mann und steht loyal zur Mark Capella, aber er ist
nicht hier. Er weiß nicht, wie schlimm es hier werden könnte. Falls
Sie Bilder von den Aufständen auf Solaris VII gesehen
haben...«
David nickte. »Die letzten Nachrichten sprechen von einer Spaltung
der Arenaställe in nationalistische Lager«, erwiderte er.
»Hauptsächlich Steiner und Davion.« Die Namen der historischen
Herrscherfamilien des Lyranischen Commonwealth, wiedergeboren als
Lyranische Allianz, respektive der Vereinigten Sonnen, offiziell
noch Vereinigtes Commonwealth. »Die Bilder erzählen den Rest.
Mechs, die statt in den Arenen auf offener Straße gegeneinander
kämpfen. Zur Zeit gelingt es wohl, die Spielwelt unter Kriegsrecht
im Griff zu behalten, aber nur gerade so eben.«
»Dann verstehen Sie, was ich meine, wenn ich sage, ich sehe
dasselbe hier voraus«, stellte Zibler ernst fest. »Es wird Ärger
geben.«
David kannte das Gefühl nur zu gut. Seit der Begegnung mit
Kommodoreleutnant Kerr ließ es ihn nicht mehr los. Bei der
Vorstellung, auf seiner Heimatwelt könnte ein ähnliches Gemetzel
ausbrechen wie auf Solaris VII, das unter Umständen sogar seine
Familie traf, schauderte er innerlich. Doch es fiel ihm schwer zu
entscheiden, wie viel davon natürlicher Instinkt eines Soldaten
war, und wie viel ein Überrest der Erfahrungen auf Diana.
»Wie schlimm steht es?«, fragte er, und wusste, Zibler würde ihm
nichts ersparen.
»Weintraub lässt Sachen vom Stapel, die glauben Sie mir nicht.«
Ziblers blaue Augen funkelten wütend. »Es scheint ihn nicht zu
kümmern, dass Field Marshal Hasek das unbestreitbare Recht hat, die
in der Mark stationierten Truppen zu verlegen, wie es ihm beliebt.
Um genau zu sein, er bezeichnet Field Marshal Hasek und Duke
VanLees offen als Verräter, die versuchen, die rechtmäßige
Regierung zu unterminieren und alles an Victor
auszuliefern.«
»So viel dazu, dass wir das Kind schon schaukeln«, kommentierte
David, in dessen Magengrube sich ein hohles Gefühl ausbreitete.
»Gibt es noch irgendeine Hoffnung auf Aufschub?«
Zibler lächelte grimmig. »Aber sicher. Allerdings nur, wenn
Katherine Steiner-Davion George Haseks Autorität anerkennt und die
8. RKG anweist, nach Lee umzuziehen, wie der Field Marshal es ihr
befohlen hat.«
Daran hätte David gerne glauben mögen, wenn er es denn gekonnt
hätte.
Soweit er es beurteilen konnte, ergab es strategisch durchaus einen
Sinn, die 8. V-C nach Lee zu verlegen, ganz sicher angesichts einer
vom militaristischen Xin-Sheng-Fieber ergriffenen Konföderation
Capella. Falls das Säbelrasseln außer Kontrolle geriet, konnte es
gut sein, dass die Kämpfe im St. IvesPakt auf das Vereinigte
Commonwealth übergriffen, und in diesem Fall benötigte Lee den
Schutz der 8. RKG. Als er neben Zibler aus dem Gebäude in Kathils
helles Tageslicht trat, schien der Sonnenschein einiges an Wärme
eingebüßt zu haben, und was noch kurz zuvor eine erfrischende Brise
gewesen war, ließ ihn jetzt frösteln. »Fassen Sie das nicht falsch
auf, Sir, aber... sind wir bereit zum Kampf?«
Falls die Frage Zibler schockierte, war es ihm nicht anzumerken.
David fragte sich, wie lange sein Kommandeur und andere sich diese
Frage bereits selbst stellten. Wie lange war es schon her, seit sie
die düsteren Gewitterwolken bemerkt hatten, die kurz hinter dem
Horizont dräuten? Seit Katherine vor zwei Jahren Victors Thron
gestohlen hatte? Möglicherweise. Seit den Gewaltausbrüchen auf
Solaris VII? Das war wahrscheinlicher.
»Ehrlich?«, fragte Zibler zurück. »Nein. Ich hoffe immer noch, dass
es nicht so weit kommt. Marshal Hasek könnte immer noch eine Lösung
auf diplomatischem Weg finden. Oder er könnte den Verlegungsbefehl
an die 8. RKG zurückziehen.«
»Klein beigeben?« Danach, was David von Morgan Hasek-Davion gesehen
hatte, dem Gründer der Ulanen, hielt er das für mehr als
unwahrscheinlich. Zumindest, falls George Hasek seinem Vater
ähnlich war.
»Einen Kompromiss schließen«, korrigierte der Lieutenant Colonel.
»Durch die Werften ist das Kathil-System mindestens so wichtig wie
jedes andere der Mark, vielleicht noch wichtiger. Das bietet den
Adligen Spielraum. Und es würde uns die Zeit verschaffen, die Miliz
in Schuss zu bringen.«
David fuhr sich mit den Fingern durch das kurz geschorene dunkle
Haar. »Momentan wäre ich schon froh, wenn ich sie halbwegs
zurechtstutzen könnte.«
»Sie haben Ihre Leute getroffen?«
»Ein paar von ihnen, und das war genug, um mir klar zu machen, wie
viel Arbeit mir bevorsteht.«
Zibler wirkte wie jemand, der nach einer Möglichkeit suchte, eine
unangenehme Wahrheit möglichst angenehm zu verpacken, während sie
weiter den Weg hinabschlenderten. »Ich kann nicht behaupten, dass
Sie damit Unrecht hätten«, gestand er schließlich ein. »Vom
kleinsten Rekruten aufwärts fehlt der MCM eine Identität, zumindest
als Einheit. Diejenigen, die glauben, eine zu haben, unterliegen
dem Irrtum, wir wären die Erben der Traditionen und des Rufs der
Ulanen, und für so unerfahrene Soldaten ist das eine gefährliche
Illusion. Sie könnten sich nur zu leicht übernehmen, und so etwas
kostet Leben.« Er verzog das Gesicht. »Leider muss ich sagen, dass
Ihre Kompanie da besonders gefährdet ist, erst recht angesichts
Ihrer Verbindung zu den Ulanen.«
»Falls ich ihr das austreiben kann, werde ich es tun«, antwortete
David. »Ich hoffe, es gelingt mir, sie Dank meiner Vergangenheit
positiv zu beeinflussen.«
»Schaden kann es nicht«, stimmte Zibler ihm zu. »Normalerweise
respektieren Soldaten das Wort eines Veteranen... besonders das
eines Kriegshelden.« Er bemerkte Davids säuerliche Miene. »Es
stimmt, und das wissen Sie auch. Sie werden für eine Weile eine Art
örtliche Berühmtheit sein. Erst recht nach dem Empfang.«
Davids Kopf zuckte herum. »Nach welchem Empfang?«
Zibler lächelte - und diesmal mit dem Versprechen einer in seinen
Augen sicherlich erfreulichen Neuigkeit. »Die Nachricht ist vor
Ihnen hier eingetroffen. Andrew Redburn hat Sie für die
Nachhutaktion auf Diana für die Sternenbund-Tapferkeitsmedaille
vorgeschlagen, und Erster Lord Theodore Kurita hat sie Ihnen
verliehen. Es wird vermutlich in Ihre Dienstakte eingetragen, aber
da Sie nicht mehr bei den SBVS sind, gibt es keine automatische
Beförderung. Doch der Orden gehört Ihnen.«
Ihm. Gekauft mit dem Leben und der Gesundheit seiner Soldaten.
Denning, Whidbey. Kennedy. Verdammt, es waren zu viele! »Können wir
das verschieben?«, fragte er und bemühte sich, locker zu klingen.
»Damit ich ein wenig Zeit bekomme, sie zu stauchen, bevor wir die
Fahnen und Banner rausholen und ihnen erzählen, wie süß und
ehrenvoll unsere Arbeit ist?«
Zibler musterte ihn mit schmalem Blick, dann nickte er. »Wenn Sie
das so möchten, natürlich. Sampreis wird es nicht gefallen, er
freut sich schon darauf, ein großes Zeremoniell aus der Verleihung
zu machen. Aber ich kann Ihnen vermutlich etwas Zeit
verschaffen.«
David atmete laut aus, und seine Erleichterung war mit Händen zu
greifen. »Das weiß ich zu schätzen.«
»Ich weiß.« Zibler blieb stehen und schaute David in die Augen.
»Ich habe die Gefechts-ROM-Bilder gesehen, die freigegeben wurden.
Eine Schlacht pro Sitzung. Aber ich habe immer noch keine
Vorstellung davon, wie es gewesen sein muss, den ganzen Feldzug auf
Diana mitzumachen.«
Zum ersten Mal war David versucht, mit jemandem darüber zu reden,
der nicht dabei gewesen war. Vielleicht lag es an dem Respekt und
der Achtung, die er für Zibler empfand, oder weil der nicht
versucht hatte, ihn auszufragen. Das hatte Sampreis natürlich auch
nicht getan, aber der Major General interessierte sich vermutlich
einfach nicht dafür. »Fragen Sie mich bei Gelegenheit danach«,
sagte er zögernd. »Aber nicht jetzt. Heute möchte ich meine Leute
kennen lernen. Aber... später.«
»Mal sehen. Viel Glück mit der neuen Einheit, David.«
David nickte abwesend und ging gedankenverloren weiter. Er
erinnerte sich an die Schreie, die Explosionen, die Flammen und die
Gluthitze des Cockpits. Die Fragen über Diana waren immer die
gleichen. Wie war es? Wie schlimm war es?
Schlimm genug, dass David davon überzeugt war, er hätte auf Diana
nicht überleben dürfen. Schlimm genug, dass er jeden Morgen mit dem
Gefühl bevorstehenden Unheils erwachte, als bliebe ihm die Gefahr,
der er um Haaresbreite entkommen war, auf den Fersen.
Schlimm genug, dass David sich nicht sicher war, ob er jemals
wieder einen BattleMech würde in den Kampf fuhren können.