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Distriktbasis, District City, KathilKathil-PDZ, Mark Capella, Vereinigtes Commonwealth
16. November 3062
First Lieutenant Xander Barajas stampfte auf der Patrouille zwischen den fünf Kilometer auseinander liegenden nördlichen und südöstlichen Posten mit gemächlichen fünfunddreißig Stundenkilometern in seinem FKN-8R Falkner am Außenzaun der Distriktbasis entlang. Zu beiden Seiten des Zauns verlief ein vierhundert Meter breiter Streifen freies Gelände und trennte das Industriegebiet der planetaren Hauptstadt von den langen, einstöckigen Kasernenbauten der Infanterie im Innern des Stützpunkts. Der fünfundsiebzig Tonnen schwere Mech bewegte sich mit einem wiegenden Schritt, das Ergebnis der schrägen, weit hinter dem Schwerpunkt der Maschine befestigten Beine. Es war eine Konstruktion, die Xander lag, und sie lieferte ihm eine erstaunliche Bewegungsfreiheit, wenn er den Rumpf zur Seite und nach hinten drehte, ein beachtlicher Vorteil, falls es ihm jemals gelang, auf dieser Dreckswelt eine Gelegenheit zum Kämpfen zu bekommen.
Seit fünf Tagen schob er jetzt Wachdienst, und mit jeder Stunde, die verstrich, nahm die Langeweile dramatisch zu. Die Miliz war nur wenige hundert Kilometer entfernt in Radcliffe stationiert, für einen Mech ein paar Stunden Weg. Wo blieb sie?
Fünf Tage schon - und nichts. Keine Reaktion, nicht einmal scharfe Worte von Major General Sampreis über die Besetzung der Hall of Nobles durch die RKG. Und je länger das Schweigen dauerte, desto misstrauischer wurde Xander. Für ihn gab es keinen Zweifel, dass die Miliz irgendetwas im Schilde führte... und wenn es soweit war, würde er darauf vorbereitet sein.
Er wünschte nur, sie beeilten sich ein wenig
und tauchten endlich auf.
Rein zur Unterhaltung pflanzte er den breiten linken Metallfuß des
Falkner fest auf den Boden und drehte
die Maschine nach rechts. Er hob die Geschützarme und richtete sie
auf Sergeant Cases Caesar. Der harte
Stoß des Schritts erschütterte die Kanzel, aber nicht schwer genug,
um den imaginären Schuss zu verziehen. Der keilförmige, in
Tarnschema bemalte Rumpf der Maschine seines Lanzenkameraden lag
genau unter dem dunklen Fadenkreuz. Das Einheitsabzeichen der
Katzbalger, ein auf einem Breitschwert aufgespießter Hurone- BattleMech, lag genau über dem
Fusionsreaktor im Innern des Caesar und
bot eine ideale Zielscheibe. Der First Lieutenant schaltete auf
aktive Zielerfassung. Das Fadenkreuz leuchtete auf, und ohne
Zweifel gellten einige Alarmglocken in den Ohren seines
Kameraden.
Xander lachte leise und rau. »Peng! Du bist tot«, murmelte er, zu
leise, um vom Kommsystem aufgefangen zu werden.
»Verdammt, Xander! Lass das«, drang Cases Stimme an sein Ohr. Der
Mann klang nicht sonderlich amüsiert.
Die Neurohelme der beiden Piloten erfüllten mehrere Funktionen. Sie
halfen nicht nur, die zig Tonnen bewegten Metalls senkrecht zu
halten, die eingebauten Kommsysteme gestarteten auch eine direkte
Kommunikation. Diesmal redete Xander laut genug, um das
sprachgesteuerte Mikrofon zu aktivieren. »Immer schön auf der Hut
bleiben, Brian. Wer weiß, eines Tages könnte ich tatsächlich
abdrücken.« Xander schaltete die Zielerfassung wieder ab und lachte
erneut.
Brian Case lachte nicht. Xander hatte keine Zweifel, dass sein
Lanzenkamerad ihm glaubte. Er wusste von den heimlichen Gerüchten,
die über ihn kursierten, darüber, was er in der Hitze des Gefechts
getan hatte, und auch, dass viele der anderen Krieger sich tief im
Innern vor ihm fürchteten. Es gefiel ihm.
Oder vielleicht war Case auch nur von der Ortung abgelenkt worden.
»Kontakt«, rief er plötzlich mit vor Anspannung gepresst klingender
Stimme. »Drei Neutrale drängen sich am Südwesttor.«
Xanders erfahrener Blick zuckte über die Ortungsanzeigen und hielt
an der Sichtprojektion aus Symbolen und kurzen Kennmarken an. Das
Tor war als blauer Balken markiert und als Befestigung
gekennzeichnet, auch wenn an dem Postenhäuschen in einer Lücke des
Maschendrahtzauns nichts sonderlich befestigt war. Ein einzelnes
blaues Dreieck repräsentierte das für Problemsituationen an jedem
Tor stationierte Hetzer-Sturmgeschütz.
Doch es waren die drei sich überlappenden grünen Dreiecke, die
Sergeant Case zur Meldung veranlasst hatten. Noch bevor er die
Sichtschirmoptik auf Vergrößerung stellte, las Xander die
Kennmarken und runzelte die Stirn. Der Augenschein bestätigte, dass
es sich um unbewaffnete Militärfahrzeuge handelte: zwei Transporter
mit offener Ladefläche und vergrößertem Fahrerhaus und eine
Militärlimousine. Keine echte Gefahr, nur handelte es sich nicht um
Katzbalger-Symbole, was bedeutete, dass die Fahrzeuge der MCM
Kathil gehörten. Hinzu kam die verdächtige Tatsache, dass die
Torbesatzung deren Ankunft nicht durchgegeben hatte.
Möglicherweise war es soweit.
»Beschleunigen, Brian«, befahl er.
Er brachte den Falkner auf die maximale
Gehgeschwindigkeit von siebenundfünfzig Stundenkilometern. Um
schneller zu werden, hätte er den Mech rennen lassen müssen, und
das hätte die möglichen Angreifer am Tor warnen können. Das Cockpit
schwankte und wogte ein paar Sekunden, bevor es sich wieder
beruhigte und der vertraute Rhythmus zurückkehrte. Als er sich dem
Torposten näherte, breitete sich ein Kribbeln über Xanders
Schultern und Nacken aus, und er bekam eine Gänsehaut. Er streckte
die Hand aus und schaltete die aktive Zielerfassung wieder
ein.
Die Limousine und einer der Lastwagen hatte gerade das Tor
passiert, als die BattleMechs in Sicht kamen. Die Limousine fuhr
weiter, aber der Laster hielt plötzlich an. Möglicherweise hatte
der Fahrer Angst bekommen. Jetzt war Xander sicher, dass etwas
nicht stimmte. Die Limousine stoppte unmittelbar danach ebenfalls
und schien auf die Transporter zu warten. Aus einem offenen Fenster
winkte viel zu freundlich eine Hand.
Xander schaltete auf die Postenfrequenz und setzte die
Privatverbindung zu Brian auf ›Mithören‹. »Südwesttor von Streife
Alpha.« Der First Lieutenant versuchte, locker zu klingen, aber
trotz aller Bemühungen hörte er die Anspannung in seiner Stimme.
»Wer sind Ihre neuen Freunde?«
»Kathil-Miliz«, knisterte eine Stimme durch leichte Störungen.
Nichts zu Verdächtiges, aber genug, um eine Identifikation des
Sprechers unmöglich zu machen... was bedeutete, dass die Antwort
gefälscht sein konnte. »Sie haben Anweisungen, auf der Basis
lagerndes altes Material runter nach Radcliffe zu schaffen. Wir
haben sie gerade durchgewunken, aber wenn es sein muss, können wir
sie noch festhalten. Gibt es irgendein Problem, Streife
Alpha?«
Inzwischen war Xander nah genug heran, um auch ohne Vergrößerung zu
sehen, wie jemand aus dem Torhäuschen kam und der Limousine und dem
Transporter mit einer Handbewegung zu verstehen gab, nicht
weiterzufahren. Zwei andere Wachen machten sich auf den Weg zum
Hetzer. Das Sturmgeschütz hatte zwar
nicht die einschüchternde Wirkung eines BattleMechs, aber die
Kaliber-12mmAutokanone war schlagkräftig genug, selbst die meisten
MechKrieger zögern zu lassen. Die Granaten aus abgereichertem
Uranerz, die sie abfeuerte, Konnten innerhalb von Sekunden
Mechgliedmaßen abreißen oder eine Torsopanzerung
zertrümmern.
Sie waren auf halber Strecke zum Fahrzeug, als Xander den Kurs
leicht abänderte und auf gemütliche Gehgeschwindigkeit bremste.
Jetzt war er weit genug vom Tor entfernt, dass die Wachen, falls es
sich um verkleidete Milizsoldaten handelte, keine Angst haben
würden, enttarnt zu werden, aber nahe genug, um sie mit den
Geschützen zu erreichen. »Haben Sie First Lieutenant Barajas von
ihrer Ankunft informiert?«, fragte er, plötzlich ganz locker und
charmant.
»Noch nicht, Alpha. Aber wir werden es sofort nachholen. Danke für
die Erinnerung.«
Xander bleckte mit animalischer Befriedigung die Zähne. Jetzt
hatten sie sich verraten. Er drehte den Falkner nach rechts, senkte das Fadenkreuz auf den
vorderen Laster und drückte den Auslöser der
Partikelprojektorkanone durch, noch während die Grafik die Farbe
wechselte, um die Zielerfassung zu bestätigen.
Grelles Höllenfeuer schlug aus dem Geschützlauf, der als linker Arm
des Kampfkolosses diente, ein Tornado aus blau leuchtender Energie,
der in die Fahrerkabine des Transporters schlug. Unter der
blitzartigen Entladung fielen Metall und Glas zerfetzt und
zerschmolzen in sich zusammen. Hartes, bläulich weißes Licht füllte
die Kabine, und mindestens sechs Menschen verdampften in der
entfesselten Energie. Glas zerplatzte, Türen flogen davon. Dann
wurde die Motorhaube von einem wabernden Feuerball in die Höhe
geschleudert. Als Nächstes detonierte der Benzintank in einer
Explosion, die den Boden erzittern ließ und den Lastwagen auf die
Seite schleuderte. Der Posten sprang zurück in die Kabine, in der
die reguläre Wachmannschaft der 8. ohne Zweifel bewusstlos oder
gefesselt ihres Schicksals harrte, falls sie nicht schon tot war.
Die beiden Männer in der Nähe des Hetzer warfen sich zu Boden, als glühende
Metalltrümmer über ihren Köpfen die Luft zerschnitten.
»Mein Gott«, hauchte Case, von dem jähen Angriff geschockt, über
die Verbindung. Xander verließ sich lieber nicht darauf, dass Brian
seinen Part leistete, wendete den Falkner mit ein paar kurzen Schritten und breitete
die Mecharme aus, um zwei Ziele gleichzeitig abzudecken. Die PPK
zielte auf die Limousine, das Gaussgeschütz im rechten Ann der
Kampfmaschine deutete in die ungefähre Richtung des Hetzer - nahe genug, um irgendwelche Ausfälle in
die Richtung des Fahrzeugs zu unterbinden. Niemand, der sich
außerhalb eines Mechs aufhielt, konnte jetzt noch etwas
unternehmen, ohne damit für weitere Tote zu sorgen.
»Ich möchte, dass alle da draußen sich auf den Boden legen«,
erklärte er. Jetzt, da er die Situation unter Kontrolle hatte,
sprach er mit täuschend warmer Stimme. »Das Gesicht im Dreck und
die Hände im Nacken. Irgendwelche Schwierigkeiten, Fluchtversuche,
oder wenn wir auch nur einen Funkspruch an eure Freunde in
Radcliffe auffangen, und euer Team in der Limousine leistet den
Brathähnchen im Laster Gesellschaft.«
Verspätet ging Cases Caesar in Position
und richtete ebenfalls die Geschütze auf die Limousine. »Ich will
bloß hoffen, du hast keinen Fehler gemacht«, flüsterte der Sergeant
mit rauer Stimme. »Wenn du auf unsere eigenen Leute geschossen
hast, oder auf Zivilisten...«
Xander hätte über seine Zaghaftigkeit lachen mögen. Der
Waffeneinsatz ist genehmigt, hatte der Generalhauptmann gesagt. Es
hatte länger gedauert, als er erwartet hatte, aber schließlich
hatte die Miliz doch etwas versucht. Duke VanLees und General
Sampreis würden noch bereuen, was sie heute getan hatten. Weintraub
würde sich einen Versuch des Feindes, seinen Stützpunkt zu
unterwandern, nicht ungestraft bieten lassen. Und jetzt war die
Miliz der Feind, dachte Xander und bewunderte das brennende Wrack
des Transporters auf dem Sichtschirm. Dafür hatte First Lieutenant
Barajas gesorgt.
»Peng!«, flüsterte er. »Ihr seid tot.«