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VCS Robert Davion, McKenna-Werften, in der Umlaufbahn um Kathil
Kathil-PDZ, Mark Capella, Vereinigtes Commonwealth

29. November 3062

Alte Segelschiffer, die Jahrtausende zuvor über die Ozeane Terras geschippert waren, hatten freie Sicht gebraucht. Den Wind im Gesicht, das Salz des Meerwassers auf den Lippen und die Weite des Horizonts vor Augen. In der Schlacht wurde das noch wichtiger, und die Kommandobrücke bot dem Kapitän eine Plattform, von der aus er den Feind beobachten und sein Schiff befehligen konnte.

Die Schiffe wurden mit der Zeit größer und stärker, und schließlich lieferten sie die Vorlage für die ersten Raumfahrzeuge, einschließlich der Vorstellung einer offenen Brücke. Eigentlich konnte eine Kommandozentrale das ganze Schiff auch tief aus dessen Innerem steuern, aber aus Gewohnheit wurde die Brücke auf einem der obersten Decks angesiedelt, manchmal sogar trotz der Panoramasichtschirme für die Brückenbesatzung einschließlich riesiger Ferritglasfenster, die den ungehinderten Blick ins All freigaben. Wie viele Schlachten waren dadurch schon entschieden worden, wenn eine zufällige Kollision oder ein Glückstreffer mit einer Rakete diese Fenster durchschlagen und die Brücke zum luftleeren Raum aufgerissen hatte?

Aber nicht auf der Robert Davion oder irgendeinem anderen Kreuzer der neuen AvalonKlasse. Ihre Kommandozentrale lag tief im Innern des Schiffes, sicher abgeschirmt gegen jede Gefahr, außer möglicherweise einer feindlichen Entermannschaft... und selbst die hätte sich erst durch ein Dutzend Decks vorarbeiten müssen, bevor sie dem Nervenzentrum des Schiffes hätte gefährlich werden können. Die riesigen Sichtschirme, die über verschiedene Kameras jederzeit den Blickwinkel oder die Vergrößerung ändern konnten, machten Fenster längst überflüssig. Ein von drei verschiedenen Sensorsystemen mit Daten gefütterter Holotank konnte jede Schlacht dreidimensional wiedergeben, eine alte Technologie aus der Zeit des Ersten Sternenbunds, die erst vor kurzem am New-Avalon-Institut der Wissenschaften wiederbelebt worden war. Und auch wenn die meisten Schiffsfunktionen immer noch einen eigenen Steuerraum besaßen, gab es nicht ein wichtiges Bordsystem, dass sich nicht fast ebenso gut von einer der zahlreichen Computerstationen der Brücke steuern ließ.

Das gefiel Kerr. Es behagte ihm, dass er die komplette Kontrolle über die Robert Davion übernehmen und ihre ganze Macht in die Hände von Männern und Frauen unter seiner direkten Aufsicht legen konnte.

Natürlich befand sich der größte Teil des Schiffes de facto ohnehin unter seiner Aufsicht, denn die Katzbalger-Infanterie bewachte die wichtigen Systeme und schaute der Besatzung bei jedem Handgriff über die Schulter. Die Soldaten hatten Anweisungen, jeden zu erschießen, den sie bei einem Akt der Meuterei ertappten, ein Befehl, den sie bereits einmal ausgeführt hatten, als ein Infanterist einen jungen Ingenieur bei dem Versuch erwischt hatte, den Fusionsantrieb des Kriegsschiffs zu sabotieren. Obwohl er mit einem absoluten Minimum an Crew arbeitete, hatte Kerr sein Angebot aufrecht erhalten, dass jeder an Bord sich zu den Davion-Freunden nach Kathil verschiffen lassen konnte. Das war das Äußerste an Gnade, zu dem er bereit war.

Und jetzt war es auch damit vorbei, denn es wurde Zeit zum Handeln.
»Ablegen, Mister Tremmar«, befahl er. Es war sein letzter Befehl auf einem toten Schiff.
Der neue Chefingenieur der Robert Davion gab den Befehl weiter an die Heckstationen, deren Besatzung den Hauptfusionsantrieb hochfuhr und von der über Mikrowellen von den planetaren Anlagen gelieferten Energiezufuhr auf das bordinterne Stromnetz des Kreuzers umschaltete. Dann wurde die immense Leistung der riesigen Fusionsreaktoren durch die Triebwerksdüsen freigesetzt und erzeugte den Schub, der das gewaltige Schiff langsam aus dem Kokon aus Laufstegen und Wartungsmodulen bewegte.
Lieutenant Myers, der den Posten des KommTechs besetzte, lächelte, als er meldete: »Keine Anfragen von den Hilfsschiffen. Niemand hat auch nur durchgegeben, dass wir uns in Bewegung gesetzt haben.«
Kerr stand aus dem Kapitänssessel auf, als die Leistung der Triebwerke spürbar wurde. Die durch den Andruck erzeugte künstliche Schwerkraft von etwa einem Fünftel Erdstandard zog alle zum Boden der Brücke. Sie steigerte sich allmählich zu 0,3 G, den Wert, den sie beibehalten würde, bis der Kreuzer das Raumdock verlassen hatte. »Sie werden es früh genug mitbekommen«, bemerkte er. »Armierung, bereithalten.«
Zwanzig Stunden stritt man sich auf den kampfklaren Landungsschiffen und Werftanlagen, die als Bewachung der Robert Davion abgestellt waren, nun schon darüber, ob Kerrs Aktion legal gewesen war oder nicht. Dass Duke VanLees und Generalhauptmann Weintraub hinter ihm standen, spielte dabei keine Rolle. Es war der Kommodoreleutnant, über den man auf den Kommkanälen zu Gericht saß. Nicht wenige der Kapitäne bezeichneten ihn als Meuterer oder lyranischen Piraten, aber ebenso viele hatten die Maßnahme als entschiedene Unterstützung für die Archon-Prinzessin gelobt.
Das Problem war, dass niemand auf beiden Seiten wusste, wie er jetzt weiter agieren sollte. Zwei kleinere Schiffe hatten einander mit Lasern und Raketen angegriffen. Auf kürzeste Distanz - jedenfalls für ein Raumgefecht - hatten sie einander ernsthaft beschädigt, bevor ein paar der größeren Schiffe eingegriffen und einen äußerst labilen Frieden durchgesetzt hatten. Einen ›Frieden‹ der durch den Austausch beißender Funksprüche gekennzeichnet war, in denen die Beteiligten versuchten, einander mit Ehrappellen zu beschämen, die Loyalität zu Prinz Victor und Prinzessin Katrina einforderten, wenn sie nicht sogar bis zu deren Eltern zurückgriffen, Melissa und Hanse. Kerr hatte sich, mit Mühe, zurückgehalten und auf eine Beteiligung an den Rededuellen verzichtet. Stattdessen hatte er sich notiert, wer für und wer gegen ihn sprach, und wer sich in den vorherrschenden Wind drehen würde.
Wobei die Robert Davion natürlich das Zeug hatte, eine mächtig steife Brise zu erzeugen.
Plötzlich lachte Myers und warf einen Schalter um, der den allgemeinen Kanal auf die Sprechanlage des Kapitäns speiste. Kerr setzte sich wieder und hörte zu.
»... Teufel! Sie bewegt sich!«
»Ich hätte nie gedacht...«
»Die Flammen müssen dreihundert Meter lang sein, wenn...«
»... schwenkt ein, kann irgendwer...« »Wunderbar.«
Wunderbar. Das konnte Kerr gut nachvollziehen. Seit Monaten beherrschte die Robert Davion jeden Aspekt seines Lebens. Er hatte die Simulationen durchgespielt, hatte das achthundert Meter lange Kriegsschiff durch Asteroidengürtel Manöver fliegen sehen, über Monde und durch vorprogrammierte Raumschlachten. Mehr als siebenhunderttausend Tonnen sich mit solch majestätischer Eleganz bewegen zu sehen, konnte keinen Raumfahrer unbeeindruckt lassen.
»Beim Unvollendeten Buche, nicht auf meiner Wache!«
Das riss Kerr aus seinem kurzen Tagtraum. Der feindliche Ton der Frauenstimme war nicht zu überhören, nicht einmal durch das Rauschen einer entfernten Kommsendung. Nicht, dass ihn eine derartige Reaktion ernsthaft überrascht hätte, ganz gleich, wie selbstmörderisch es für die Besatzung irgendeines dieser Schiffe war, einen Kreuzer anzugreifen. Er hatte gewusst, dass irgendjemand es mit Sicherheit versuchen würde.
»Lieutenant, orten Sie diesen Funkspruch«, bellte er. »Taktik, halten Sie Ausschau nach Angriffsmanövern.« Er starrte auf den dunklen Holotank. »Warum, zum Teufel, ist der Tank noch nicht eingeschaltet?«
Deborah Watson, die Sensoren und Taktische Analyse gleichzeitig bediente, geriet unter dem zornigen Blick ihres Kapitäns ins Stammeln. »Sir, wir, äh, wir können den Tank nicht aktivieren, bis wir das Dock verlassen haben. Die nahen Gerüststrukturen verwirren die Sensoren.«
Kerr stierte Watson wütend an, dann steckte er zurück. »Heckkamera und Sensordaten auf die Schirme!« Er sprang aus dem Sessel und segelte in der niedrigen Schwerkraft vier Meter weit durch die Zentrale, bis er sich an einer Haltestange abfing. Er ging halb, halb schwebte er zum Hauptschirm. »Kein Kapitän, der die Bezeichnung verdient, würde frontal oder aus der Flanke angreifen«, murmelte er, mehr zu sich selbst. Der Bug des Kreuzers beherbergte keinerlei lebensnotwendige Systeme, und die Hauptsensorphalanx konnte von über den gesamten Rumpf verteilten Reservesystemen ersetzt werden. Und ein Kriegsschiff von der Breitseite anzufliegen, war schlichtweg Selbstmord. »Sie wird es auf die Triebwerke absehen.«
»Wir haben sie.« Watson hob den Daumen. »ExcaliburKlasse. Das muss die Guardian sein. Mit einer einzelnen Schiffs-PPK aufgerüstet. Ich kenne den Kapitän. Sie ist eine überzeugte Anhängerin Prinz Victors.«
»Sie ist ein Insekt, das zerquetscht gehört«, kommentierte Kerr und drehte sich zu dem Maat an der Waffenkonsole um. Der Unteroffizier war der Beste, der für diesen Posten zu bekommen war. Kerr hätte einen Offizier vorgezogen, aber alle Anwärter mit der nötigen Erfahrung waren zurück nach Kathil geflogen. »Olsen' Machen Sie die Heck-55er scharf. Feuern Sie beide Laser in ihren Bug.«
Der Maat hob erschreckt das von der Adlernase geprägte Gesicht. Möglicherweise war ihm das alles bis jetzt wie ein Spiel vorgekommen, bei dem er der größte Schläger auf dem Schulhof war. Aber jetzt entwickelte sich die Lage rapide in eine ausgesprochen tödliche Richtung. Unter Umständen zu rapide für ihn. »In den Bug, Sir? Meinen Sie nicht: vor den Bug?«
Kerr hatte bereits entschieden, wie er gegen die erste echte Herausforderung seiner Autorität vorgehen würde, und in dieser Antwort war kein Platz für Warnschüsse... oder für ein Infragestellen seiner Anordnungen. »Ich habe gesagt, was ich meine, Armierung!«, brüllte er. »Verschwenden Sie keine Zeit damit, sich Ihre Befehle bestätigen zu lassen. Sie hängen im Geschütznetz, und das ist kein leichter Schuss. Feuern Sie die beiden Schiffslaser-55 auf den Excalibur ab, und zwar sofort!«
Auf seiner Brücke duldete er keine Verzögerungen.
Auf dem Sichtschirm zuckten zwei leuchtend smaragdgrüne Lanzen aus gebündelter Lichtenergie auf die Guardian zu, die soeben hinter die Robert Davion einschwenkte. Das nach den meisten Maßstäben riesige Landungsschiff war ein grauer Fleck vor dem tief schwarzen Hintergrund des Alls. Es besaß vielleicht ein Achtel der Rumpflänge des Kreuzers, aber nicht einmal ein Fünfzigstel seiner Tonnage.
»Vergrößern«, befahl Kerr. Dann, zu Maat Olsen. »Noch mal. Noch eine Salve.«
Das Bild holte das eiförmige Landungsschiff gerade rechtzeitig näher heran, um den Kommodoreleutnant .erfolgen zu lassen, wie die vernichtenden Energiebahnen sich tief in dessen Eingeweide bohrten. Fontänen aus Luft und zerschmolzener Panzerung schossen aus der Guardian ins All und versetzten das Schiff in eine taumelnde Drehung. Seine Bestückung mochte ausreichen, Jäger abzuwehren oder ein anderes Landungsschiff zu bedrohen, aber gegen die Geschütze eines Kriegsschiffs hatte es keine Chance.
Das Geplapper auf den Kommleitungen war zu leisem Hintergrundrauschen verstummt, als den Kapitänen klar wurde, was Kerr getan hatte. Falls sie sich gefragt hatten, ob er bereit war, den Kreuzer gegen sie einzusetzen, hatten sie jetzt ihre Antwort.
»Beim Prinzen«, flüsterte eine weibliche Stimme aus dem Lautsprecher. Offenbar fiel ihr sonst nichts ein. »Beim Prinzen.«
Kerr grinste. Ein passender Fluch als Erinnerung für seine Gegner. Jetzt brauchte er ihn nur noch nachhaltig in ihr Gedächtnis einzubrennen. »Noch eine.«
Olsen starrte entsetzt zu ihm herüber. »Sir, sie ist außer...«
»Feuer!« Seine linke Hand zuckte in Richtung des widerstrebenden Maats durch die Luft.
Diesmal löschten die Laser die Antriebsflammen der Guardian und ließen ihr keine Möglichkeit, das wilde Taumeln zu stoppen. Sie würde weitertreiben, bis sie in der Lufthülle Kathils verglühte oder von einem der Mikrowellenstrahlen atomisiert wurde.
Tremmar hob die Hand und zählte mit den Fingern ab. »Zwo... eins... und wir sind aus dem Raumdock.«
Kerr stieß den Zeigefinger zu einem anderen Obermaat, der eine freie Offiziersposition besetzte. »Ruder, schwenken Sie Richtung Katnil ein. Achten Sie auf die Flugverbotszonen und parken Sie uns in einer transpolaren Umlaufbahn.« Dort würden sie wie eine Spinne im Netz auf das Eintreffen der Dragoner warten. So sehr er es auch vorgezogen hätte, im Dunkel des Alls auf Jagd nach den anfliegenden Landungsschiffen zu gehen, die Gefahr, dass sie ihm hätten entwischen können, war zu groß. Aber früher oder später mussten sie nach Kathil kommen.
Er zögerte. Irgendetwas hatte er vergessen. Ach ja. »Olsen, Sie sind des Postens enthoben. Runter von meiner Brücke.« Der Maat hatte Glück. Der Nächste, der seine Anordnungen infrage stellte, durfte damit rechnen, aus der nächsten Schleuse gestoßen zu werden.
»Ein Oktopus nimmt mit hoher Beschleunigung Kurs auf die Guardian«, meldete Watson. Der wegen seiner zahlreichen Greif arme so benamte Raumschlepper würde das Landungsschiff zurück zur Werft bringen.
»Unwichtig«, winkte Kerr ab. Er hatte bewiesen, dass keines dieser Schiffe es mit der Robert Davion aufnehmen konnte. Falls die anderen trotz des Exempels an der Guardian zu einem Problem wurden, würde er sie ebenso leicht erledigen. Doch er zog es vor, seine Aufmerksamkeit einer würdigeren Beute zu widmen.
Die 1. Capella-Dragoner würden für den Kreuzer bei ihrer Ankunft keine größere Herausforderung darstellen, aber Kerr erwartete, dass ihr Tod weit befriedigender wurde.

BattleTech 54: Flammen der Revolte
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