SCHWELENDER KONFLIKT
1

Landungsschiff Korpsbruder, in tiefer Umlaufbahn um Kathil
Mark Capella, Vereinigtes Commonwealth

8. Oktober 3062

David McCarthy schob die Fußspitzen unter den niedrigen Sims, der sich um das Beobachtungsdeck des Landungsschiffes zog, um zu verhindern, dass er in der Schwerelosigkeit davonschwebte. Genau das war gerade einem Infanteriesergeant passiert, der zehn Zentimeter über dem Boden und knapp außer Reichweite der Schottwand hängen geblieben war. Dann hatte er sich in der Luft überschlagen, während er mit wedelnden Armen verzweifelt nach einem Halt suchte. Dabei hatte er eine Schimpfkanonade abgelassen, bei der frische Rekruten vermutlich das große Zittern bekommen hätten. Die Schiffsbesatzung hatte er damit nur amüsiert, bis sich schließlich ein Crewmitglied erbarmte und ihn auf den Boden zog. Seitdem blieb der Sergeant ständig in der Nähe der Haltestangen und Fußbügel, und die Knöchel unter der ledrigen Haut standen weiß hervor. So klammerte er sich fest. Anscheinend genügte eine Uniformbrust voller Feldzugsbänder nicht, die Füße auf dem Deck zu halten.

David hatte sich schneller als der raumunerfahrene Sergeant an die Schwerelosigkeit gewöhnt, aber Dank der Beteiligung an Einsatzgruppe Schlange besaß er auch weit mehr Raumerfahrung als die meisten MechKrieger. Die Einsatzgruppe hatte zehn lange Monate auf dem heimlichen Flug in den ClanRaum verbracht, und noch weitere acht beim Rückflug, nachdem es ihr gelungen war, einen Clan auszulöschen und die Invasion endgültig zu beenden. Nach einer derartigen Odyssee waren die letzten drei Monate Raumreise von Tukayyid zurück zu seiner Heimatwelt Kathil in der Mark Capella des Vereinigten Commonwealth nicht weiter bemerkenswert. Der Gedanke an Diana weckte Erinnerungen an die letzte Verzweiflungsschlacht in den Dhuansümpfen, die er aber schnell wieder verdrängte. Es war leichter, sich auf die physischen Begleiterscheinungen der Schwerelosigkeit zu konzentrieren, so unangenehm diese auch waren. Übelkeit war ein ständiger Begleiter, und Magensäure brannte ihm in der Kehle.

Der Flug war weit angenehmer gewesen, solange die Korpsbruder eine gleichmäßige Beschleunigung aufrecht erhalten hatte, erst fort von dem Sprungschiff, das sie ins Kathil-System gebracht hatte, dann auf der zweiten Hälfte der Reise beim Abbremsen, als das Landungsschiff der LeopardKlasse sich dem Planeten näherte. Auf den meisten Systemflügen arbeiteten die Triebwerke bis zum Aufsetzen, und außer während der Kurskorrektur auf halber Strecke, bei der die Schubtriebwerke für den Bremsflug in Richtung Zielplanet gedreht wurden, konnten die Passagiere sich einreden, festen Boden unter den Füßen zu haben.

Auf dieser Reise aber musste die Korpsbruder an die McKenna-Raumwerften in der Umlaufbahn um Kathil andocken, um Personal an Bord zu nehmen, das routinemäßig zurück in die Bodenanlagen rotiert wurde. Die McKenna-Werften waren möglicherweise die wichtigste Industrie der ganzen Mark Capella, eine der wenigen Raumwerften in der ganzen Inneren Sphäre, die noch über die Möglichkeit verfügten, die kaum verstandene Technologie des Kearny-FuchidaAntriebs zu reproduzieren. Diese Interstellartriebwerke waren das Herz aller Sprungschiffe und an Bord der Kriegsschiffe noch kostbarer. Nur mit ihrer Hilfe war die nahezu augenblickliche Transition in entfernte Sonnensysteme und damit die Verbindung zwischen den verschiedenen Sternenreichen möglich.

David wünschte sich nur, die Leute hätten sich etwas mehr beeilt, denn das Landungsschiff hing jetzt schon seit Stunden am Ladedock der Werft, und nur der gelegentliche Korrekturschub einer Manöverdüse lieferte die Andeutung künstlicher Schwerkraft. Die Bewegung in der Schwerelosigkeit war unbeholfen und unkontrolliert. Er hätte sich auf der Koje in seiner Kabine anschnallen können und sich möglicherweise sicherer gefühlt, aber nach ein paar schrecklichen Minuten hatte er nicht mehr ausgehalten. Die Sicherheitsgurte hatten ihn zu sehr an den Gurtharnisch eines BattleMechcockpits erinnert, und genau um das zu vergessen, war er zurück nach Kathil gekommen.

Außerdem wollte er das neueste Kriegsschiff des Vereinigten Commonwealth sehen. Der beeindrukkende neue Kreuzer der AvalonKlasse war mit hochmodernen Automatik- und Fernleitkontrollen ausgestattet. Die gesamte Kriegsflotte des Vereinigten Commonwealth bestand aus nicht einmal fünfzehn Schiffen, und eine solche Gelegenheit verpasste man nicht.

Außerdem bot es eine gute Ausrede, die Kabine zu verlassen.
Die Robert Davion hing vor einem Sternenhimmel aus tiefem Schwarz, besprenkelt mit brillanten, scharf gezeichneten Lichtpunkten im Raumdock. Ungefiltert von einer planetaren Lufthülle empfand David den Weltraum immer als weit härter, weit grausamer. Speziell platzierte Spiegel fingen das Sonnenlicht auf und badeten selbst die abgewandte Rumpfseite des Schiffes in seinem harten Glanz. Das breite Kriegsschiff war 770 000 Tonnen schwer, und es hieß, in sechs Monaten stünde seine Jungfernfahrt an. Und trotzdem wirkte der Kreuzer aus zwei Kilometern - in Raumfahrtbegriffen allernächste Nähe - trotz des Netzwerks aus Stahlgerüsten, das die achthundert Meter Rumpf bedeckte, klein und zerbrechlich. Nachdem er andere Kriegsschiffe aus noch weit größerer Nähe gesehen hatte, entschied David, dass sie ihm aus der Distanz weit lieber waren. So wirkten sie beruhigend...
»Unbeeindruckend«, murmelte er bei sich. Ja, das war das Wort.
»Das ist ja wohl ein Witz.«
Er drehte sich um, als er die raue Stimme hörte. Das Kriegsschiff hatte ihn so in seinen Bann geschlagen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie jemand neben ihn getreten war. Der Mann starrte fasziniert durch die dicke Ferritglasplatte, die das Beobachtungsdeck vom Vakuum abschirmte, auf das ferne Schiff. Er war klein und stämmig gebaut und trug die Uniform eines Flottenoffiziers der Lyranischen Allianz. Das feurig rote Haar und das spitz vorstehende Kinn ließen auf ein hitziges Gemüt schließen.
»Ein unglaubliches Teil«, stellte der Mann fest. »Eine echte Jagdhündin, das.«
Auch ohne den schwarzen ›Raumfahrerstreifen‹ am Außensaum der Uniformhose hätte David ihn als Raumflottenmann erkannt. Es war unübersehbar, so locker, wie er sich hielt, darin, wie er sich nur mit den Fingerspitzen an der Haltestange festhielt, und wie nahe er das Gesicht an das Glas drückte. Die zehn Zentimeter Panzerglas waren stabiler als die gepanzerten Schottwände des Landungsschiffes, aber nur jemand, für den die Raumfahrt etwas Alltägliches war, konnte sich in solcher Nähe zum lebensfeindlichen Vakuum so wohl fühlen.
»Aus der Entfernung, meinte ich«, stellte David gleichmütig fest, und hoffte, eine Auseinandersetzung mit einem vorgesetzten Offizier vermeiden zu können. Die T-förmig angeordneten Metallrauten am Kragen des Raumfahrers wiesen ihn als Kommodoreleutnant aus, das Flottenäquivalent eines Generalleutnants.
»Aus der Entfernung ist sie am gefährlichsten, Hauptmann.« Der Raumfahrer betonte den Rangunterschied zwischen ihnen, als ob ihm das den Sieg garantieren würde. »Aus nur zwei Klicks Entfernung könnte die Robert Davion uns mit ihren Lasern in Atome zerblasen. Aus zweihundert Kilometern könnten die SR10-Raketenlafetten der Korpsbruder das Genick brechen, bevor wir wüssten, was uns getroffen hat.«
Mit kaum mehr als einer leichten Bewegung der Hand, mit der er sich am Geländer festhielt, drehte der Mann sich jetzt schließlich zu David um. Er musterte seine Uniform mit geübtem Blick und erkannte ohne Zweifel die Unterschiede, die ihn als MechKrieger und Soldat des Vereinigten Commonwealth kennzeichneten. Er lächelte dünn. »Aus der Umlaufbahn könnte sie ein Mechregiment auslöschen, ohne warm zu werden. Beeindruckend.«
Unpersönlich, übersetzte David. Ein Kriegsschiff konnte weder Boden erobern, noch eine Stadt verteidigen, nur alles um sie herum in Schutt und Asche legen. Trotz all ihres technologischen Fortschritts und der gewaltigen Feuerkraft konnte die Robert Davion nicht auf einem Planeten aufsetzen, den Feind stellen und die zivilen Sektoren mit minimaler Verwüstung befreien. BattleMechs konnten das. David selbst hatte es schon getan.
Aber der Kommodoreleutnant war nicht wirklich an einer Diskussion interessiert. David hatte keine Ahnung, womit er sich seinen Zorn zugezogen hatte. Der Mann legte es offensichtlich auf Streit an. David zog einen FUI aus der Halterung und packte mit der Rechten das Geländer, um sich zu ihm umdrehen zu können. Seine Ohren brannten unter der Zurechtweisung. »Sie haben Recht, Sir.«
Die Augen des Kommodoreleutnants hielten Davids Blick. Sie starrten zu ihm hoch, fahlgrün, umgeben vom leuchtendsten Gleiß, dass er je gesehen hatte, blinzelten kaum. Das waren Augen, die es gewohnt waren, hinaus in die Werten des Alk zu blikken, und David fühlte sich wie ein winziger Lichtpunkt zwischen Tausenden von anderen... bis der Blick des Lyraners auf Davids Feldzugsbänder fiel. Sie fokussierten wie ein Laser und fixierten das schwarz-grau-schwarze Band am Ende einer sehr kurzen Zeile. Der Flottenoffizier trug selbst einen ›Salat‹ an bunten Bändern auf der Uniformbrust, aber dieses Band konnte er nie erwerben.
»Schlange?« Die Stimme des Kommodoreleutnants war rasiermesserscharf, zu gleichen Teilen neidisch und anklagend. »Sie haben auf Diana gekämpft?«
»Ja, Sir. Hauptmann David McCarthy, ehemals 1. Kathilulanen.«
Misstrauen durchzuckte die fahlgrünen Augen des Raumfahrers. »Ich dachte, die überlebenden Ulanen stellen ein neues Regiment in den SternenbundVerteidigungsstreitkräften.«
David nickte. Die Ulanen waren ein berühmtes Regiment... gewesen eine der Eliteeinheiten des Vereinigten Commonwealth. Es überraschte ihn nicht, dass der Flottenoffizier die Nachricht gehört hatte und sich auch noch daran erinnerte. »Ich habe mich gegen einen Beitritt in die Nachfolgereinheit entschieden«, erklärte er. »Ich kehre nach Kathil zu einem Posten bei der Mark-Capella-Miliz zurück.«
»Hmmm.« Das klang nach einem bevorstehenden Urteil.
Allmählich verstand David, was ihm solche Feindseligkeit eingetragen hatte. Er stammte von Kathil und damit aus den alten Vereinigten Sonnen, während der Raumfahrer offensichtlich Lyraner war. Bis vor kurzem waren beide Staaten im Vereinigten Commonwealth verbunden gewesen und gemeinsam von Archon-Prinz Victor Steiner-Davion regiert worden. Vor fünf Jahren aber hatte dessen Schwester Katherine die lyranische Hälfte des Reiches unter ihrer Herrschaft abgetrennt, als Lyranische Allianz für unabhängig erklärt und sich zum Archon ausgerufen. Dann hatte Katherine auch Victors Thron in der crucischen Hälfte des Vereinigten Commonwealth gestohlen, während er mit den ihm loyalen Streitkräften auf Diana und Strana Metschty gegen die Clans gekämpft hatte. Diese Ungerechtigkeit hatte im ganzen Commonwealth für Unruhe gesorgt und selbst in der Lyranischen Allianz Probleme bereitet. Es war noch keine zwei Monate her, dass es auf Solaris VII zu blutigen Aufständen gekommen war, als sich die Kämpfe in den Arenen der Spielwelt auf die Straßen verlagert hatten. Derzeit hielt nur lyranische Militärmacht die Rebellion im Zaum.
Momentan war das Vereinigte Commonwealth eine tiefer gespaltene Nation denn je. Die Hälfte seiner Einwohner hatten der Archon-Prinzessin die Treue geschworen, die andere Hälfte hoffte noch immer auf die Rückkehr Victors, der kürzlich zum neuen Präzentor Martialum ComStars und Oberkommandierenden der Sternenbund-Verteidigungsstreitkräfte ernannt worden war, um seinen rechtmäßigen Thron zu beanspruchen.
Katherines Verhalten hätte fast ausgereicht, David mit Victor ins Exil zu treiben und ihn eine Position im neuen SBVS-Regiment der überlebenden Ulanen annehmen zu lassen. Aber Prinz Victor selbst hatte seine Krieger gebeten, heimzukehren - hoffentlich in einen friedlichen Dienst, und Davids Erinnerungen an Kathil setzten ihm sehr zu. Achtzig Prozent Verluste in den Regimentern der Einsatzgruppe Schlange. Davids Einheit zerschlagen, er selbst einer der wenigen Überlebenden. Die Kathil-Ulanen aufgelöst. Angesichts der zunehmenden Unruhe auf vielen Welten des Commonwealths war es ihm vernünftiger erschienen, zur Miliz seiner Heimatwelt zu gehen.
»Kommodoreleutnant Jonathan Kerr«, stellte sein Gegenüber sich endlich vor, und hatte offenbar beschlossen, dass ein Einsatzgruppe-SchlangeAbzeichen zumindest minimale Anerkennung erforderte. Kerr reichte ihm jedoch nicht die Hand, und in der informellen Umgebung des Beobachtungsdecks war David nicht gezwungen zu salutieren. Der Flottenoffizier drehte das Kinn zum Ferritglas und dem Kriegsschiff dahinter. »Sie gehört mir.«
Und du kannst sie geschenkt haben, entschied David und drehte sich ebenfalls wieder zu der transparenten Schottwand um. Er hatte kein Interesse an einem Streit mit dem lyranischen Offizier, ganz gleich, wie sehr der ältere Mann es darauf anlegte. Die Feindseligkeit Kerrs hatte ihn überrascht. Er hatte keine Ahnung gehabt, wie dicht unter der Oberfläche des VerCom die Spannungen zwischen Victor und Katherine brodelten. Er starrte hinaus in die Dunkelheit, und seine Gedanken waren nicht weniger düster. Ein Oktopus-Schlepper war an die Vorderseite des Raumdocks geflogen und hatte sich an eine der beweglichen Fabriken gehängt, die im Gerüstnetz steckten. Die von der Robert Davion weit überragte Kugelhülle des Landungsschiffes rückte die Größenverhältnisse zurecht, und David staunte über die Gewaltigkeit der Konstruktion.
»Erzählen Sie mir, wie es war«, unterbrach Kerr die minutenlange Stille, und David zuckte unwillkürlich zusammen. »Die Kämpfe auf Diana.« Die Aufforderung hatte das Gewicht eines direkten Befehls. Ohne Zweifel war das Absicht.
Und plötzlich war David zurück im harten, glitzernden Licht, die dunkle Ebene erhellt von den Feuern jenes letzten Gefechts, bevor die Ulanen sich in die Dhuan-sümpfe zurückzogen... bevor er seine Leute den wilden ClanKriegern geopfert hatte, um die anderen zu retten. Die zertrümmerten Wracks der BattleMechs, die den Boden wie gigantische Leichen bedeckten, verdammt, zu verrotten, wo sie gefallen waren. Der trügerische Boden, als der Destruktor über abgetrennte Mechgliedmaßen stampfte... das heftige Beben der Kanzel... Raketenwarnungen, Stilllegungswarnungen, und die ganze Zeit über der unaufhaltsame, gnadenlose Vormarsch der Nebelparder-OmniMechs...
Er presste die Augen zusammen und vertrieb die Geister, zumindest für eine Weile. »Hart«, antwortete er. Er würde nie erklären können, wie es wirklich gewesen war, schon gar nicht einem Flottenoffizier. »Teuer. Aber wir haben gewonnen.«
Für die meisten Einwohner der Inneren Sphäre war das genug. Sie wollten nicht wirklich wissen, was der Sieg an Menschen und Material gekostet hatte. Das Einzige, was zählte, war der Sieg der Freien Inneren Sphäre. Sie hatten das Nebelparder-Militär auf Diana zerschlagen und waren weiter nach Strana Metschty gezogen, wo Prinz Victor der Clan-Invasion ein Ende bereitet hatte. Und jetzt lebte Victor Steiner-Davion im Exil, von seiner verräterischen Schwester entmachtet, und die Ulanen gab es nicht mehr.
Kerr schien mit dieser einfachen Antwort nicht zufrieden. Anscheinend verdächtigte er den Crucier, ihm etwas zu verheimlichen. Was auch immer dieser Mann dem Vereinigten Commonwealth vorwarf, es war tief empfunden. David entschied, das Thema zu wechseln. »Sie werden...«
Drei schnarrende Warntöne hallten aus den Lautsprechern der Korpsbruder, unterbrachen David und lenkten Kerr ab: Die Ankündigung der zurückkehrenden Schwerkraft, sobald das Landungsschiff die Triebwerke wieder aktivierte. Das Deck vibrierte unter der freiwerdenden Energie, und alle Anwesenden sanken unter halber Terranormschwerkraft zurück auf den Boden. Genug, um Davids Übelkeit zu vertreiben und ihm endlich zu erlauben, den beißenden Geschmack in der Kehle hinunterzuschlucken. Das Landungsschiff schob sich über die Raumwerft. Das Kriegsschiff und die Metallgerüste des Raumdocks sanken unter den Rand der Glaswand davon. Jenseits des gigantischen Gerüsts sah David jetzt einige der Sturmschiffe, die das fast fertig gestellte Kriegsschiff bewachten.
»Sie werden Kapitän der Robert Davion sein?«, fragte er Kerr, nachdem der Alarm dem leisen Wummern der Fusionstriebwerke gewichen war. Er verstand genug von den Gebräuchen der Raumflotte, um zu wissen, dass der Titel ›Kapitän‹ für jeden Offizier eine Ehrung war.
Kerr starrte ihn weiter hasserfüllt an. »Nein. Erster Offizier.« Er beugte sich vor, um einen letzten Blick auf den Kreuzer zu werfen, bevor er völlig außer Sicht war. »Aber ich kenne jeden Zentimeter, jedes System an Bord. Eines Tages wird sie mir gehören.« Er grinste, doch es lag kein Humor darin. »Eines Tages, wenn Sie sich freuen können, ein paar hundert Tonnen Kampfmaschinen zu befehligen, werde ich die Robert Davion haben.«
Der Mann seufzte, ein Moment unerwarteter Frustration, dessen er sich vermutlich nicht bewusst war. Ganz sicher hätte er sich nicht wissentlich eine solche Blöße vor jemandem gegeben, den er auf der anderen Seite eines sich ausweitenden Konflikts sah. »Zwei Monate. Zwei Monate noch bis zum Stapellauf und meinem Dienstantritt.« Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Geländer und starrte ins All, als wollte er die Position der Sterne lesen. »In Ordnung, wir sind am Dock vorbei. Jetzt können wir nach Kathil wenden.«
David versuchte, sich in Gedanken die Positionen der Korpsbruder, der Robert Davion und des Planeten vorzustellen und das dreidimensionale Modell aufzubauen, das Kerr instinktiv erfasste. Irgendetwas entging ihm. »Kathil liegt hinter dem Landungsschiff, oder?« Er bemerkte Kerrs verärgerten Blick, ließ sich davon aber nicht abschrecken. »Ich versuche nur, mir darüber klar zu werden, warum wir über das Kriegsschiffsdock fliegen müssen.«
Das Lächeln des Raumoffiziers hatte etwas Verächtliches. »Versuchen Sie mal, zwischen irgendeinem Dock oder Orbitalmodul der McKenna-Werften und Kathil hindurchzufliegen, und lange genug zu überleben, um es zu bedauern.«
Nach acht Jahren Militär galt Davids erster Gedanke Patrouillen. Die Robert Davion wurde mit Sicherheit von einigen Sturmschiffen und einem Kontingent Luft/ Raumjägern bewacht. Immerhin stellte jedes einzelne der kostbaren Kriegsschiffe einen beachtlichen Teil des Militärhaushalts dar. Aber Fabriken? Warum sollte das Militär die Korpsbruder abschießen, nur weil sie zwischen einer Fabrik und der Planetenoberfläche...
Eine Geschichtslektion schob sich in sein Bewusstsein. »Die Mikrowellenverbindungen.«
Kerr nickte knapp. »Kathil hat eine der engsten Anflugschneisen aller Welten der Inneren Sphäre. Soweit ich weiß, wird nur der Anflug auf Outreach noch restriktiver gehandhabt.«
David hätte sich an die Mikrowellengeneratoren auf der Planetenoberfläche erinnern müssen. Immerhin spielten sie eine wichtige Rolle in der Einheitsgeschichte der Ulanen. Mehrere über die Oberfläche verteilte Thermalgeneratorenwerke versorgten die Fabriken und Werftanlagen über eng gebündelte Mikrowellenverbindungen mit Strom. Die meisten Orbitalanlagen befanden sich auf stationären Umlaufbahnen und erhielten ihre Energie von einer bestimmten Station. Andere, wie die Werft, die am LaGrange-Punkt zwischen Kathil und seinem kleinen Mond hing, mussten regelmäßig von einer Verbindung zur anderen wechseln.
»Die Stromwerke hatte ich vergessen«, gab er zu und fühlte sich noch dümmer bei dem Gedanken, von einem lyranischen Flottenoffizier über seine eigene Heimatwelt informiert zu werden.
Kerr nutzte den Vorteil und schlug einen belehrenden, beinahe gönnerhaften Ton an. »3029 hat die Konföderation Capella versucht, einen Teil von ihnen zu zerstören. Liao schickte gegen Ende des 4. Nachfolgekriegs die Todeskommandos und TauCeti-Ranger los. Einer der Mikrowellenstrahler wurde umgelenkt. Brannte eine komplette Kompanie aus der Luft. Keine Überlebenden.«
David nickte und antwortete ohne nachzudenken. »Das war Morgan Hasek-Davion. Er gründete die Ulanen aus Redburns Kompanie Delta, Veteranen der 5. Füsiliere und der örtlichen Miliz. Wir haben die aufgehalten, die es bis zum Boden geschafft haben.«
Er hatte das wir auf die Ulanen bezogen, das Regiment, in dem er acht Jahre gedient hatte. Aber wieder klang es, als wollte er den Lyraner übertrumpfen. Und die Erwähnung Morgan Hasek-Davions war auch nicht gerade hilfreich. Hasek-Davion war auf dem Flug der Einsatzgruppe Schlange in den ClanRaum ermordet worden, was ihn über seine Position als Held des 4. Nachfolgekrieges und Marshal of the Armies des Vereinigten Commonwealth hinaus zum Märtyrer gemacht hatte. Es war kein Geheimnis, dass seine Familie auf Victors Seite stand.
Als Erbherzöge der Mark hatten die Haseks einiges Gewicht. George Hasek, Morgans Sohn und der derzeitige Feldmarschall der Mark Capella, war ein lautstarker Gegner Katherine Steiner-Davions. David hätte Kerr kaum deutlicher an ihre Differenzen erinnern können.
Es war kaum ein Zweifel möglich, dass die Gedanken des Kommodoreleutnants sich in genau diesen Bahnen bewegten. Sein Blick bohrte sich wie mit Lasern in Davids Augen, und einige Pulsschläge lang sagte er kein Wort. Wie er als Nächstes hätte reagieren können, war schwer vorherzusagen. David sollte es nie herausfinden, denn jetzt schwenkte die Korpsbruder ein, und Kathil tauchte an Steuerbord auf. Das bot dem Flottenoffizier die Gelegenheit, den jüngeren MechKrieger zu ignorieren.
David drehte sich ebenfalls wieder der Ferritglaswand und dem ersten Blick auf den Planeten zu. Er war ebenso froh über die Ablenkung. Blaue Meere umrahmten gelbgrüne Kontinente. Deren verwaschene Farbe war das Ergebnis cholorophylarmer Vegetation, die an das helle Licht der F-Klasse-Sonne des Systems angepasst war. Murans von Gebirgen überzogene Landschaft breitete sich unter ihnen aus, und am östlichen Horizont war der Inselkontinent Thespia gerade auszumachen. Wie üblich stapelten sich die Wolken an Murans Westküste und überschütteten sie mit Regen, während die trockene Einöde des Landesinnern sich dürr und trostlos bis an die gemäßigte Ostküste erstreckte.
Ja, diese Welt kannte David. Kathil. Seine Heimat.
Und wenn man vor der Vergangenheit davonläuft, gibt es kein besseres Ziel als die Heimat.

BattleTech 54: Flammen der Revolte
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