53

Montag, 13:05 Uhr, Westfalenweg

Immer wieder blickte er nervös zur Uhr auf seinem Schreibtisch. Schon kurz nach eins. Warum meldete sie sich nicht bei ihm? In dem luxuriös eingerichteten Haus herrschte Stille. Nervös trommelte er mit den Fingern auf dem Schreibtisch herum. Dieses Warten machte ihn wahnsinnig. 

Werner Grotejohann erhob sich und wanderte durch sein Büro wie ein ruheloser Tiger durch seinen Käfig. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und dachte an Peggy Bach. Sie war jung und hübsch. Und sie liebte Luxus. Den Luxus, den er ihr bieten konnte. Er fuhr mit ihr nach Düsseldorf und München, wenn sie einkaufen wollte. Und er hatte ihr den Traum von einer eigenen Heilpraxis erfüllt. Dafür zeigte sie sich ihm erkenntlich und schenkte ihm ihren Körper. Sie war eine begehrenswerte Frau mit üppiger Oberweite und Kurven an den richtigen Stellen. Allein der Gedanke an ihre Lippen machte ihn wahnsinnig. Sie besaß ein eigenes Haus oben in Ronsdorf. Und die Praxis in Nizza, die er ihr finanziert hatte. Wenn sie sich in Deutschland aufhielt, gab sie ihm alles, was er sich wünschte. Sie waren ein schier unersättliches Paar. Nie zuvor hatte er eine derart leidenschaftliche und hemmungslose Frau gekannt. Kaum dass sie alleine in einem Raum waren, fielen sie übereinander her und verzehrten sich nach einander. Allein der Gedanke an heißen Sex mit ihr konnte ihn in Sekundenschnelle erregen. Grotejohann blieb am Fenster stehen und versuchte sich abzulenken. Die Sonne schien auf die saftig grünen Hügel. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Von hier aus konnte er bis nach Neviges blicken. Rechts lag Dönberg. Auf einer hügeligen Wiese weideten Kühe, ein Traktor zog tuckernd auf einem Feld seine Bahnen. Diese verdammte Hitze machte ihn fertig. Der Ventilator, der unter der Zimmerdecke die stickige Luft in seinem Arbeitszimmer mehr schlecht als recht durchquirlte, surrte monoton. Ganz Wuppertal sehnte sich nach einem erfrischenden Gewitter, doch das ließ auf sich warten.        

Wieder dachte er an Peggy. Wo blieb sie nur?

Der 55-jährige Millionär durchquerte das Arbeitszimmer und steckte den Kopf nach draußen in die kühle Halle. Stille. Nur von der Küche her hörte er gedämpftes Scheppern von Geschirr. Seine Haushälterin erledigte den Abwasch. Ansonsten war er allein. Trotzdem drückte Werner Grotejohann die Tür ins Schloss, bevor er sich das Telefon vom Schreibtisch angelte und Peggys Nummer eintippte. Wieder stand er am Fenster und blickte gedankenverloren hinaus.

Ohne ein Freizeichen zu erhalten, meldete sich sofort die elektronische Stimme der Mailbox. »Nein, verdammt, ich will keine Nachricht hinterlassen«, zischte er und unterbrach die Verbindung. Wütend warf er das schnurlose Telefon auf den Tisch. Grotejohann sank auf den Ledersessel und starrte auf die gegenüberliegende Wand. Die Ereignisse der letzten Tage gingen ihm durch den Kopf. Viel war geschehen. Zu viel, um ruhig zu bleiben. Er hatte Wagner und Heinze, diese zwei Idioten, engagiert, um Kötter aus dem Weg zu räumen. Sie waren ungehobelte Kerle ohne Schulabschluss und ohne Berufsausbildung. Sie arbeiteten für einen Hungerlohn in seiner Firma und waren gerade gut genug für Drecksarbeit. Doch sie waren übers Ziel hinausgeschossen und hatten mit dem Mord an Kötter die Polizei und die Medien aufgescheucht. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis eine Spur direkt zu ihm führte. Deshalb hatte er beschlossen, Peggy Bach einzuweihen. Nach einer leidenschaftlichen Nacht war sie einverstanden gewesen. Aus ihrer Leidenschaft für ältere, reifere Männer heraus war eine innige Liebe zu Grotejohann geworden. Er war für die junge Frau der Traummann schlechthin: gutaussehend, wohlhabend und sehr mächtig. In ihm hatten sich alle ihre Wünsche manifestiert, und so hatte sie ihm den Gefallen nicht abschlagen können, den Jaguar für ihn zu entsorgen.

Ein triumphierendes Grinsen hatte sich auf Grotejohanns Gesicht geschlichen. Dann griff er erneut zum Telefon und wählte ihre Nummer. Wieder erfolglos. Seltsamerweise meldete sich auch jetzt sofort die Mailbox. Hatte sie etwa ihr Telefon abgeschaltet?

Nach fünf Minuten wählte er ihre Nummer noch einmal. Wieder vergeblich, wieder nur die Mailbox. Nervös löste er den Krawattenknoten und öffnete den obersten Hemdsknopf. Ächzend ließ er sich in den ledernen Sessel hinter dem massiven Schreibtisch fallen. Er dachte einen Moment lang nach, dann griff er erneut nach dem Telefon und wählte eine andere Nummer.

»Ja?« Eine Männerstimme meldete sich.

»Tag, Wagner. Ich vermisse Peggy Bach.«

Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte verhalten. »Hören Sie keine Nachrichten?«

»Was soll der Unsinn?«, polterte Werner Grotejohann.

»Auf der Wupperwelle haben sie es vor einer halben Stunde gemeldet. Der Jaguar ist entsorgt.«

»Was soll der Mist? Ich wollte keinen spektakulären Abgang.« Grotejohanns Gesicht lief rot an.

»Das ist nicht meine Schuld. Ihre… Ihre Freundin«, Ironie und Spott lagen in Wagners Stimme, »hat getan, was sie für richtig hielt.«

»Und was hat sie für richtig gehalten?«

»Sie hat sich zusammen mit dem Jaguar aus Ihrem Leben verabschiedet.« Wieder dieses spöttische Lachen.

»Sie hat… was? Reden Sie Klartext!«

»Selbstmord - so haben sie’s im Radio gesagt. Die Gute hat den Innenraum der Karre mit Benzin übergossen und angesteckt. Entweder wollte sie sich umbringen, oder der Sicherheitsgurt hat geklemmt. Jedenfalls ist sie in der Karre verbrannt.«

Grotejohann glaubte es nicht. »Sie reden einen verdammten Blödsinn. Welchen Grund sollte Peggy haben …« Er brach mit zitternder Stimme ab. Sein Gesicht war kreideweiß geworden.

»Das müssen Sie am besten wissen.« Ohne eine Antwort von Grotejohann abzuwarten, hatte er aufgelegt.

Werner Grotejohann hörte das Tuten im Telefon, nahm es vom Ohr und starrte ungläubig auf das Gerät, bevor er die rote Taste drückte. Tausend Gedanken jagten durch seinen Kopf. Peggy war also wirklich tot, qualvoll in seinem Jaguar verbrannt. Er spürte, wie ihm die Knie weich wurden. Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf. Der Verlust der Freundin mischte sich unter die Angst, aufzufliegen. War es ein Unfall gewesen, oder stimmte das, was Wagner ihm gesagt hatte? Wie dem auch sei, es würde nicht mehr lange dauern, bis die Kripo bei ihm auftauchte.