Sonntag, 0:10 Uhr, Marienstraße
»Mach mal Platz, Dicker!« Heike kletterte unter die leichte Bettdecke. Lange hatte sie bei einer Flasche Wein mit dem Laptop in der Küche gesessen und recherchiert. Jetzt war sie um einiges schlauer und wusste, was zu tun war. Es war spät geworden, und Stefan war alleine ins Bett gegangen. Er schlief bereits tief und fest. Die kleine Nachttischlampe verbreitete einen diffusen Lichtschein. Das Futonbett stand direkt am Fenster. Durch die halb offenen Lamellen der Jalousie drang das kalte Licht von der Straßenbeleuchtung der Marienstraße herein. Heike rüttelte an Stefans Schulter und drehte seine Nase, doch Stefan schnarchte nur leise weiter. Er ließ sich nicht stören. Heike ließ nicht locker. »Rutsch rüber, oder soll ich auf dem Fußboden nächtigen?«
Er rührte sich nicht. Heike beschloss, ihn auf ihre eigene Art zu wecken und schickte ihre Finger unter der Bettdecke auf Wanderschaft.
»Was ist?« Er war von einem Moment zum anderen hellwach und saß senkrecht im Bett.
»Deine Gastfreundschaft lässt sehr zu wünschen übrig«, rügte sie ihn mit gespieltem Vorwurf und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Das würde ich so nicht sagen«, erwiderte Stefan und grinste breit. Bevor Heike sich wehren konnte, zog er sie nach unten und verschloss ihren offenen Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss. Jetzt konnte er ihr beweisen, wie wach er noch war. Und wie sehr sie ihm gefehlt hatte. Sie waren sich endlich wieder so nah wie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr. Er strich durch ihr gut duftendes Haar, knabberte an ihrem Hals und an den Ohrläppchen. Seine Hände glitten zärtlich über ihren Körper, suchten sich den Weg unter den dünnen Stoff des T-Shirts, das sie als Nachthemd zweckentfremdet hatte. Sie erbebte unter seinen Liebkosungen. Er genoss es, ihre sanften Lippen endlich wieder auf seiner Haut zu spüren. Darüber vergaßen sie die Welt, und fast war es so, als wäre Heike nie in Berlin gewesen.
*
»Und?«, fragte Stefan später.
»Was - und?« Sie schmiegte sich verschlafen an ihn. Ihre Finger zogen kreisrunde Bahnen auf seinem Oberkörper. »Willst du wissen, ob du gut warst, alter Macho?« Sie grinste zu ihm hinauf.
»Unsinn«, winkte er ab und wuschelte in ihrem Haar. »Das weiß ich doch.« Dafür fing er sich einen leichten Boxhieb von Heike ein, die spöttisch den Kopf schüttelte.
Er lächelte, dann wurde er ernst und deutete mit dem Kinn in Richtung Küche. »Hast du noch etwas herausgefunden?«
»Natürlich. Aber erst du! Was gibt es Neues?«
»Nachrichtensperre, nichts geht mehr. Putzfrau entweder Zeugin oder dringend tatverdächtig.«
»Geht das auch in ganzen Sätzen?« Heike legte die Stirn in Falten und stemmte sich halb in die Höhe.
Stefan grunzte. »Kommissar Verdammt glaubt, dass eine falsche Putzfrau den WFC-Präsi auf dem Gewissen hat. Sie hat sich, getarnt als Putze, in den Backstagebereich eingeschleust und ihn kaltblütig aus nächster Nähe erschossen.«
»Wo ist die Frau jetzt?« Heike hatte große Augen bekommen. »Trag ich Sandalen? Kann ich über Wasser gehen? Bin ich Jesus?« Stefan kicherte. »Keine Ahnung, Heike. Morgen, alles morgen.«
Er gähnte herzhaft und legte sich wieder hin.
»Morgen hab ich ein Date.« Es klang wie ein Geständnis. »Entweder ist er schwul oder über achtzig«, brummte Stefan gleichgültig. Er wusste, dass er Heike vertrauen konnte.
»Zweiteres«, erwiderte Heike, sichtlich peinlich berührt, und löschte das Licht.