Montag, 11:55 Uhr, B7, Einmündung Am Wunderbau
Ulbricht hatte die Nase voll. Wann konnte er endlich einmal eine Sache nach der anderen abarbeiten? Mit quietschenden Reifen brachte er den Dienstwagen zum Stillstand. »Bremsen Sie immer so?«, fragte Heinrichs gekränkt und löste den Sicherheitsgurt, der ihn eben noch davor bewahrt hatte, durch die Windschutzscheibe des Opel katapultiert zu werden.
»Schnauze.« Ulbricht hechtete nach draußen. Sofort drang beißender Brandgeruch in seine Nase. Der Verkehr auf der B7 war in beiden Richtungen zum Erliegen gekommen. Nichts ging mehr auf der Talachse. Trotz eingeschaltetem Blaulicht hatten Heinrichs und Ulbricht fast zehn Minuten vom Präsidium hierher gebraucht.
»Das stinkt wie Sau«, bemerkte Heinrichs überflüssigerweise. Mit seinem Assistenten im Schlepptau und vor die Brust gehaltenem Dienstausweis verschaffte sich Ulbricht freien Durchgang. Er wurde vom diensthabenden Notarzt in Empfang genommen.
»Dr. Dirkes - da sind Sie ja endlich mal wieder!«, rief Ulbricht trocken und zog seine altmodische Bundfaltenjeans zurecht.
Er grinste. »Und - mal wieder Kundschaft für die Rechtsmedizin?«
»Allerdings.« Der Arzt nickte mit ernster Miene. »Offensichtlich Suizid. Der Fahrer hat vermutlich das Innere seines Autos mit Benzin übergossen und angezündet. Dabei kam es im Wagen zu einer Verpuffung. Das Ergebnis sehen Sie. Wie ich von Ihren Kollegen hörte, dürften Sie sich bestimmt für den PKW interessieren, der die Beinahekatastrophe auslöste. Ein dunkler Jaguar ohne Kennzeichen.«
Ulbricht schluckte. Gab es eine Verbindung zum Mord an Karlheinz Kötter, oder war es Zufall, dass es sich hier um die gleiche Automarke handelte?
»Wer ist der Tote?«
»Woher soll ich das wissen?« Dirkes zuckte die Schultern. »Haben Sie sich den Wagen mal aus der Nähe angeschaut? Grillkohle, sag ich nur. Da ist nicht mehr viel übrig. Aber anscheinend handelte es sich bei dem Fahrer um eine weibliche Person.«
»Haben Sie das am Parfüm gerochen?«
»Sie verlieren wohl niemals ihren Humor, was?« Dirkes klopfte Ulbricht auf die hagere Schulter. »Typisch Ulbricht, immer der gleiche Zyniker. Jetzt sind Ihre Kollegen am Zug. Ich weiß nicht, um wen es sich handeln könnte. Zwar habe ich schon viel gesehen, aber das da er deutete mit dem Kinn auf den ausgebrannten Jaguar, »das da übersteigt alles. Da ist nur noch ein verkohltes Etwas übrig. Im Kopfbereich habe ich eine metallene Haarspange entdeckt. Es könnte also eine Frau mit langen Haaren gewesen sein. Mehr weiß ich beim besten Willen nicht. Sie ist angeschnallt im Fahrersitz sitzen geblieben, als das Inferno ausbrach. Die Gurtschließe steckt noch im Schloss.« Männer in weißen Overalls näherten sich.
»Chef, da kommt die Spusi.«
Ulbricht fuhr auf dem Absatz seiner ausgelatschten Hush Puppies herum und blickte den Kollegen entgegen. Heinrichs bedachte er mit einem tadelnden Blick. »Sagen Sie nicht immer Spusi, das klingt so tuntig.« Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er an Birgit. Welche Disco hatte sie doch früher immer als »schwulen Laden« bezeichnet? Er kam nicht drauf. »Es heißt Spurensicherung, Heinrichs. Ganz oder gar nicht!«
»Ja, Sir.« Brille Heinrichs schlug die Hacken zusammen und salutierte albern.
Ulbricht trat näher an die Reste des Jaguars heran und warf einen Blick in das Innere des Luxusschlittens - oder besser in das, was davon übrig geblieben war. Ein Schauer rann über seinen Rücken. Die gespenstischen Reste einer bis zur Unkenntlichkeit verkohlten Leiche hockten hinter dem zu einem unförmigen Klumpen zusammengeschmolzenen Lenkrad. »Und das ist eine Frau?«
»Ich glaube schon.« Dirkes war hinter Ulbricht getreten und blickte auf die Reste der toten Person. »Das heißt, es war eine Frau.«