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Samstag, 7. Juni 2014, Bordeaux, Frankreich
Seine Hand glitt über den dunklen hölzernen Humidor. Mit einer geübten Bewegung ließ er die goldene Schnalle aufschnappen und klappte den Deckel hoch. Er liebte den Moment, wenn der Duft der getrockneten Tabakblätter an seine Nase drang. In dem Kästchen herrschten perfekte tropische Bedingungen. Siebzig Prozent Luftfeuchtigkeit waren gerade hoch genug, damit die Blätter nicht austrockneten, und gerade niedrig genug, damit sich kein Schimmel bildete. Darin lagen acht handgerollte Cohibas, jede für sich gut einhundert Euro teuer. Es gab teurere, dachte der Kanzler, aber das Teuerste war nicht immer das Beste. Vorsichtig entnahm er dem Humidor eine Zigarre und verschloss ihn wieder.
An der Bar schenkte er sich aus einer Kristallflasche einen Single Malt ein. Es war der Whisky einer kleinen Destillerie in den schottischen Highlands. Einzelabfüllung, zwölf Jahre im Bourbon-Fass gereift. Er sah zu, wie die goldene Flüssigkeit sanft in den Tumbler glitt. Die Zigarre in der Rechten, das Glas in der Linken, setzte er sich auf das Sofa seines Arbeitszimmers. Ein kräftezehrender Tag voller Rückschläge lag hinter ihm. Er wollte gerade zum Zigarrenschneider greifen, als das Telefon klingelte. Mit wenigen Schritten war er am Schreibtisch.
»Ja?«, bellte er.
»Hier Raoul. Wir haben ein Problem.«
»Noch eins?«
»Kauffmann hat sich für morgen Vormittag mit seinem Professor in der Schweiz verabredet.«
»Warum das?«
»Es geht um Clement.«
»Was soll das heißen?«, fragte der Kanzler scharf.
»Als die beiden aus der Kirche raus sind, habe ich sie verfolgt«, erklärte Raoul. »Sie haben kein Wort über das Gespräch mit dem Pastor verloren. Aber Kauffmann hat telefoniert. Ich habe es teilweise aufschnappen können.«
»Warum nur teilweise? Haben wir das Telefonat wieder nicht abhören können?«
»Nein, Kauffmann benutzt sein Schweizer Handy. Da kommen wir nicht ran. Aber er hat mit der alten Villeneuve gesprochen.«
»Wir hören doch ihr Telefon ab. Wo ist also das Problem?«
»Das Problem ist, dass sie mit dem Zweithandy des Professors telefoniert hat.«
Der Kanzler stieß einen leisen Fluch aus.
»Worum ging es?«
»Sie waren auf einem Marktplatz, die Nebengeräusche waren stark. Aber ich habe verstanden, dass sie von einem Brief berichtet hat, den sie bekommen hat. Von Clement. Es ging um Akteneinsicht.«
Der Kanzler riss die Augen auf. »Wie hat der Kerl …?« Er überlegte eine Sekunde. »Egal! Warum trifft sich der eine Professor jetzt mit dem anderen?«
»Weil es wohl eine Verbindung zwischen Kauffmanns Chef und Serge Clement gibt.«
»Was?«
»Wenn ich das richtig mitbekommen habe, haben die ein Buch zusammen geschrieben.«
Der Kanzler rieb sich mit der freien Hand die Augen. Das durfte alles nicht wahr sein. Das Ganze entwickelte sich zu einem Alptraum.
»Wann soll das Treffen stattfinden?«
»Morgen um elf in Fribourg.«
Er dachte einen Moment nach. Dann gab er Raoul Anweisungen.
»Hast du verstanden?«, schloss er.
»Jawohl!«
»Ich kümmere mich um den Kontakt in der Schweiz. Er macht den Anfang, du erledigst den Rest. Was du dafür brauchst, wird er dir besorgen. Er ist nicht billig, aber zuverlässig.«
»Geht klar.«
»Wo sind die beiden gerade?«
»Im L’Ancienne Douane.«
»Hast du Empfang?«
»Nein. Er hat sein Sakko im Hotel gelassen.«
»Konntest du dich nicht in die Nähe setzen?«
»Nicht ohne gesehen zu werden.«
»Die beiden können sich also gerade unterhalten, wie es ihnen beliebt, und wir erfahren nichts.« Dem Kanzler schwoll der Kamm. »Hast du wenigstens noch irgendwas über das Gespräch mit dem Pastor in Erfahrung bringen können?«
»Nein, nur, dass sie nach Aix-les-Bains weiterfahren wollen. Der Pastor hat ihnen einen Tipp gegeben, dass sie dort weitere Antworten finden könnten.«
»Was sagt Villeneuves Akte? Irgendwas über Aix?«
»Negativ. Keine direkte Verbindung, von der wir wissen.«
Der Kanzler atmete tief durch. Die Geschichte gefiel ihm nicht. Vielleicht musste er schon bald zu anderen Maßnahmen greifen.
»Lass dir eins gesagt sein, Raoul: Wir haben keinen Platz mehr für irgendwelche Fehler oder Probleme. Ich habe für Montag eine Versammlung einberufen. Dort werden wir darüber befinden, was mit dem Professor und der kleinen Villeneuve passiert. Das Beste wäre also, wenn die beiden bis dahin bereits aus dem Spiel wären!«
Der Kanzler legte auf und wählte eine Nummer in der Schweiz. Als er am anderen Ende der Leitung eine holprig französisch sprechende Stimme hörte, hob sich seine Laune. Der Mann war die Zuverlässigkeit in Person. In knappen Sätzen schilderte er seinem Gesprächspartner das Problem. Die Schweiz-Sache musste funktionieren.